Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Freitag, 22. Mai 2009
Berlin 1810
Anne Germain de Staël-Holstein, kurz Madame de Staël, war im Frühjahr 1804 in Berlin. Der zitierte Abschnitt ist aus dem 1810 erschienen Buch "De L'Allemagne".
„Berlin ist eine große Stadt mit breiten, geraden Straßen und von regelmäßiger Bauart. Da sie größtenteils neu gebaut ist, so finden sich wenige Spuren älterer Zeiten. Unter den modernen Gebäuden erheben sich keine gotischen Monumente, und das Neue wird in diesem neugebildeten Lande auf keinerlei Weise durch Altes unterbrochen und eingezwängt.
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Berlin, diese ganz moderne Stadt, so schön sie immer sein mag, bringt keine feierliche, ernste Wirkung hervor, sie trägt das Gepräge weder der Geschichte des Landes noch des Charakters der Einwohner; und die prächtigen neu aufgebauten Gebäude scheinen bloß für die bequeme Vereinigung der Vergnügungen und der Industrie bestimmt zu sein. Brandenburger Tor, erbaut von C. G. Langhans (1788 - 1791)Die schönsten Paläste von Berlin sind von gebrannten Steinen; kaum wird man in den Portalen und Triumphbogen Quaderstücke auffinden. Preußens Hauptstadt gleicht Preußen selbst; Gebäude und Einrichtungen zählen nur ein Menschenalter und nichts darüber.
Berlin, im Mittelpunkt des nördlichen Deutschlands, kann sich als den Brennpunkt der Aufklärung und des Lichtes betrachten. Wissenschaften und Künste sind in Flor, und bei den Mittagstafeln, wozu bloß Männer geladen werden, bei Ministern, Gesandten etc., findet die Abstufung des Ranges, die dem Verkehr in Deutschland so nachteilig ist, nicht statt; Männer von Talent aus allen Klassen treffen hier zusammen.
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Dagegen machte in den letzten Jahren die Pressefreiheit, der Verein geistreicher Männer, die Kenntnis der deutschen Sprache und Literatur, die sich allgemein verbreitet hatte, Berlin zur wahren Hauptstadt des neuen, des aufgeklärten Deutschlands.“

( Anne Germain de Staël-Holstein »Über Deutschland« (3 Bände) Leipzig und Wien 1893, S. 101 – 105, zitiert nach Bienert )

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