Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Freitag, 6. Februar 2009
Die Mächtigkeit von Tradition und Milieu
scheint mir in Vergessenheit geraten zu sein. Als eher laxer Lutheraner, der ich einmal war, sehe ich dem Agieren von Papst Benedikt bei der Rehabilitierung von Richard Williamson und den anderen Bischöfen der Priesterbruderschaft St. Pius X. mit befremdetem Erstaunen zu.
Unter ethischen Maßstäben (wenn man sie nicht als individuelle relativiert) mutet die Aufhebung der Exkommunikation eines Priesters, der Völkermord leugnet, seltsam an. Es ging darum eine Gruppe, die sich aufgrund ihrer theologischen Auffassungen in Widerspruch zur Kirche gesetzt hatte, wieder in die Kirche zu holen. Die politischen, also öffentliche Angelegenheiten betreffenden Ansichten der Bischöfe spielten wohl keine Rolle. Man mag nun darüber spekulieren, ob sich der Vatikan über die Beurteilung durch die Allgemeinheit nicht im Klaren war oder sie glaubte ignorieren zu können, interessanter finde ich, dass Werte wie die Einheit der Kirche schlicht wichtiger waren als allgemeine ethische Maßstäbe.
Das Handeln, das Denken wird von Tradition und Milieu wirksamer bestimmt als durch Vernunft und Wissen.
Ähnlich stellt sich mir die Auseinandersetzung um Stauffenberg zwischen Richard Evans und Karl Heinz Bohrer dar. Was als Historikerdebatte auftritt, ist meines Erachtens eine Frage der Beurteilung aus unterschiedlichen Milieus und Traditionslinien. Evans argumentiert und wertet vom Standpunkt eines Briten (andere würden etwa als Deutsche, die vor dem Nationalsozialismus geflohen waren bzw. sich in einer ablehnenden Tradition verortend, zu ganz ähnlichen Wertungen kommen). Es ist ein Blick von Außen. Bohrer geht es um die Rettung einer Traditionslinie und so beharrt er auf dem historischen Abstand, um die moralische Integrität wahren zu können.

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