„Ja, wenn’s so klein sind, schmutzen sie ein wenig, sind aber herzig. Später werden sie dann drogensüchtig oder wählen FDP!“Der Vater antwortet sturzbetroffen:
„Du zynischer Arsch!“Je nach handelnden und sprechenden Personen, nach Vorgeschichte und Situation, nach Absicht und Kontext war das ironisch, sarkastisch, vielleicht polemisch oder sonstewas, nur zynisch?
1. Wir kennen alle Anflüge von überbordendem Vaterstolz, insbesondere wenn man selbst Vater ist und wir wissen auch, dass der Stolz dosiert sein muss, sein sollte, will man seinen Mitmenschen nicht auf den Wecker fallen.
Iro|nie, die; -, -n [lat. ironia < griech. eirōneía =
geheuchelte Unwissenheit, Verstellung;] (Duden)
Redeweise, bei der das Gegenteil des Geäußerten gemeint ist.
Ironie als rhetorisches Mittel kann sich von ironischer Anspielung, spielerischem Spott über Polemik bis zum Sarkasmus steigern; literarisch konstituiert sie damit die Gattungen Parodie, Satire, Travestie.
‒ Selbstironie ist eine kritische, spielerisch-überlegene Haltung sich selbst gegenüber.“ (Brockhaus)
2. Man hört ja immer wieder von Schön-Wetter-Vätern, die Kinder vor allem dann lieben, wenn sie frisch bebadet sind, keine Zähne bekommen und sich freundlich ihrem Erzeuger zuwenden. In allen anderen Situationen kümmert sich die Frau um den stinkenden Schreihals. Möglicherweise kannten die Zuhörer unseren stolzen Vater.
Sar|kạs|mus, der; -, ...men [spätlat. sarcasmos < griech. sarkasmós = beißender Spott, zu: sarkázein = verhöhnen, eigtl. = zerfleischen, zu: sárx (Gen.: sarkós) = Fleisch] (bildungsspr.):
beißender, verletzender Spott, Hohn, der jmdn., etw. lächerlich machen will. (Duden)
Po|le|mik, die; -, -en [frz. polémique (subst. Adj.), eigtl. = streitbar, kriegerisch < griech. polemikós = kriegerisch, zu: pólemos = Krieg]:
scharfer, oft persönlicher Angriff ohne sachliche Argumente
(Duden)
Völlig ungerechtfertigt erscheint es mir, den Kommentar zynisch aufzufassen.
zy|nisch [(frz. cynique <) lat. cynicus < griech. kynikós = zur Philosophenschule der Kyniker gehörend, eigtl. = hündisch, zu: kýōn = Hund]:
auf grausame, den Anstand beleidigende Weise spöttisch.
(Duden)
Je nun. Der stolze Vater hat den Einwurf abgewehrt. Die Stimmung war natürlich versaut, ich hatte mein Bier ausgetrunken und war nicht begierig, mir den anschließenden Streit anzuhören.
Auf dem Weg nach Hause schossen mir die unterschiedlichsten Dinge durch den Kopf:
Ich bin mal drei Monate in Indonesien von Insel zu Insel gereist und fühlte mich häufig völlig hilflos, da die kulturellen Differenzen teilweise so groß sind, dass man in alltäglichen Situationen in unerwartete Schwierigkeiten gerät. So bedeutet ein Kopfnicken Ablehnung, während das Kopfschütteln Zustimmung signalisiert.
Die größte Schwierigkeit ist aber, dass uneigentliches Sprechen weithin unbekannt ist. In der Regel wird alles wörtlich aufgefasst:
Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich mit der Vorstellung konfrontiert wurde, dass Schnee, den mein Gesprächspartner nur aus Filmen kannte, wohl Puderzucker sein müsse, den diese Europäer (unvorstellbar reich, wie sie sind) auf ihre Hügel und Berge kippen. Aus Wasser kann der Schnee ja nicht sein, weil Eisblöcke, die allerorten zum Kühlen verwandt wurden, schließlich nicht weiß sind.
Meine Antwort: „Ja klar, und wenn wir genug davon haben, lecken wir alles wieder weg!“ führte zu einer angeregten Debatte, wie viele Menschen wohl wie lange dafür bräuchten. Ich habe daraufhin versucht nur noch in einfachen, klaren Sätzen zu reden. Gar nicht so einfach übrigens.
In unserer eigenen Geschichte ist das uneigentliche Sprechen, wenn wir die Antike mal beiseite lassen, etwa seit dem 15. Jahrhundert bekannt. Es ist damit eine Kulturtechnik, die relativ spät Einzug gehalten hat. Als eines der frühesten Zeugnisse fällt mir Heinrich Wittenwilers „Der Ring oder Wie Bertschi Triefnas um sein Mätzli freite“ ein. Im Lalebuch und natürlich im „Dil Ulenspiegel“ (1510) ist es dann voll entwickelt.
Wittenwiler hielt es noch für angebracht im Prolog deutlich zu machen, wie das Epos gemeint ist:
„...Im Lalebuch (1597) wird dies schon nicht mehr für nötig erachtet, wenn auch die Kennzeichen (Königreich Utopien) uns übertrieben deutlich erscheinen mögen. Aus dem Prolog :
Nu ist der mensch so chlainer stät,
Daz er nicht allweg hören mag
Ernstleich sach an schimpfes sag,
Und fräwet sich vil manger lai.
Dar umb hab ich der gpauren gschrai
Gemischet unter diseu ler,
Daz sei dest senfter uns becher,
...“
Vers 32-38
„ Eyngang in diese Histori / darinnen vermeldet /auß was Vrsachen vnd Anlaß solche beschrieben worden.* Nirgendland
Im Jahr von der Auffrichtung vnd Bestellung deß Großmächtigen vnnd weitläufftigen Königreichs Vtopien* / 753.
Als der grosse Reichstag zu Vthen** in der Haupt-Statt angangen /
vnnd derowegen auß allen vmbgelegenen Landt vnnd Herrschafften /
so wol als auß dem gantzen Königreich /
ein vnzahl Menschen /
Geistlich vnd Weltlich /
sich dahin verfüget hatten /
bester Hoffnung /
es würde da was mercklichs außgericht werden: Kame auch selbst eigner Person dahin /
Vdeys*** der Vtopische Keyser /
vorhabens dem Reichstag selbst bey zu wohnen /
vnd mit seinem Beywesen Sicherheit zuverschaffen vnd gute Ordnung zu erhalten.“
**Nirgendheim
*** Keiner, Niemand
Ach, vielleicht sollten wir wieder dazu übergehen überdeutliche sprachliche Zeichen zu setzen, um uneigentliches Sprechen zu kennzeichnen: „Na endlich, die Weiber werden wieder normal.“
Zu danken habe ich für Ihre wunderschöne Aufdröselung, die nach Verbreitung ruft. Moderat zwar, aber dennoch oder vielleicht auch deshalb ein Heidenspaß! Aber ich bin ohnehin ein Barbar.
Ich hatte mal ein Jugendbuch über Alexander den Großen (wie hieß das bloß?), in Form eines fiktiven Tagebuchs eines Atheners in Dareios Diensten. Er schilderte das Handeln Alexanders in einer Mischung aus widerwilliger Bewunderung und Verachtung für den Makedonier, der die persische Kultur zerstört. Hm, ob das noch irgendwo in einer Kiste in meinem Elternhaus vor sich hin dämmert?