Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Reisejournal Sizilien Frühjahr 2012 (14)
Sonntag 10. Juni 2. Teil

Zwischen Castel di Tusa und Santo Stefano liegt das Fiumara d’Arte, das Tal der Kunstwerke. Wir haben dann doch darauf verzichtet, uns einen Leihwagen zu nehmen und die ganzen Kunstwerke abzufahren.





Der Tag war heiß, aber nicht drückend. Leichter Wind von See her. Nach dem Mittagsschlaf habe ich das Jahr 1929 in den Tagebüchern fertig gelesen. Seltsam: kein einziger Satz zur Weltwirtschaftskrise.

Wir schlendern am Abend noch eine Runde durch den Ort und gehen dann zu unserem üblichen Sundowner auf die Piazza del Duomo. Viel Auftrieb am Sonntagabend, mehr als doppelt so viel Leute wie an anderen Tagen. Wir setzen uns und bestellen, wie üblich. Viele Ältere, viele Frauen. Eine Dame, einige Tische neben uns, regt sich über die Kleidung der jüngeren Frauen auf und sieht missbilligend auf ein Paar das sich küsst. Unruhe vor dem Dom. Nacheinander kommen Abordnungen der verschiedenen Kirchengemeinden der Stadt auf den Platz. An der Spitze jeweils ein kräftiger Mann mit Standarte, danach fünf bis zehn Männer mit unterschiedlich gefärbten Schärpen: die Roten, die Gelben, die Violetten, usw. Auf den Standarten sind die Wappen (sagt man bei Kirchengemeinden so?) und Bezeichnungen der Gemeinden aufgestickt. Die Violetten haben eine Blaskapelle von ca. 30 Personen. Einer der Tubabläser, ein Bär, unrasiert, trägt eine Sonnenbrille und sieht sehr verwegen aus.


„Das ist sicher der Knochenbrecher der örtlichen Mafia.“
„Ach was, das ist ein ganz lieber Bär, der arbeitet unter der Woche in einem Eisenwarengeschäft.“


Der erste Trommler schlägt mechanisch den Rhythmus und lässt seine Blicke schweifen, der zweite Trommler ist erst sieben oder acht Jahre alt und erledigt das Trommeln hoch konzentriert. Die beiden Paukisten quatschen die ganze Zeit miteinander und flirten mit den Damen am Wegesrand.
Die Gruppen verschwinden nach und nach im Dom. Nach etwa einer halben Stunde kommen sie wieder hervor und bauen sich geordnet auf dem Platz auf. Am Anfang, in der Mitte und am Ende des Zuges werden nunmehr Lautsprecher, die über Funk miteinander verbunden sind, an hohen Stangen mitgeführt. Am Schluss marschieren bzw. wanken die Gelben, die unter einem Baldachin irgendeine Reliquie irgendeines örtlichen Heiligen mit sich führen. Der Bischof erzählt über die Lautsprecher irgendetwas Christliches („Misericordia“ usw.), die Musik setzt ein, der Zug singt ein Lied. Die Dame neben uns stimmt in das Lied ein und folgt dem Zug.
Wenn ich den Fotoapparat heute nicht in der Wohnung gelassen hätte ...
Wir bezahlen unsere Rechnung und gehen zum Abendessen: Involtini di pesce spada, sehr lecker.

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