Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Freitag, 17. August 2012
Reisejournal Sizilien Frühjahr 2012 (19)
Mittwoch 13. Juni
Morgenlektüre:
„Einen halben Tag hatten wir den unveränderten FRIEDMANN hier (ein halber Tag genügt, man ist tot!) u. erwiderten ihm bald darauf seinen Besuch in Leipzig. Grausiges stinkendes Haus in der Pfaffendorfer Str. dicht am Bahnhof; die Wohnung selbst aber schön u. mit Blick auf Gärten. Eine sehr Goy’schkesche Gattin, ein niedliches wildes verzogenes kleines Mädel; mit aller französischen Literatenwelt in Verbindung, läßt sie Vorträge halten, zeigt gemeinsame Photographie: Jules Romains u. Wilhelm Friedmann, combiniert, hofft, ist immer bewegt, genießerisch, voller Hoffnung. Dabei verstehen wir uns gut. Ich fragte: Wieso sehen wir uns so ähnlich u. so unähnlich? Er: »weil wir Juden sind – ich aus Wien, Sie aus Preußen«. Er sagte, er erwöge Rücktritt zum Judentum. Ich: Ich auch! (Und in diesen Tagen noch wahrer geworden. Seit es keine demokratische Partei*mehr gibt, nur noch die Staatspartei unter halber Führung des Jungdo, der »tolerant« ist, aber aus »rassischen« Gründen den »Arierparagraphen« für seinen Bund besitzt.) Hie Juden – dort Arier. Und wo bleibe ICH? Wo bleiben die vielen, die GEISTIG DEUTSCH sind? Wir sind keine Menagerie, hat Voßler einmal gesagt.“
(Victor Klemperer: Tagebücher 6. August 1930 S. 180/1)
* gemeint ist die DDP bzw. die DStP
Dazu geht mir ein Satz von Heinz Galinski (?) nicht mehr aus dem Kopf: „Sie haben uns zu Juden gemacht.“

Heute geht es nach Castellammare del Golfo .

Auf dem Bahnhof von Cefalú sitzt eine junge Frau, wahrscheinlich Afroamerikanerin auf der Bank, ihr T-Shirt hat den Aufdruck: „There’s too much blonde in the world.“
Das fand ich dann schon ziemlich abgefahren. Und heute, einige Wochen später, frage ich mich, ob ich es mutig finde? Wobei ich mich auch gelegentlich frage, ob Mut eine erstrebenswerte Haltung ist bzw. wann, in welchen Situationen?

In Palermo sind alle Bahnsteige mit mindestens zehn Bildschirmen ausgestattet. So kann man sich die Wartezeit mit Werbefernsehgucken vertreiben. Wenn man kein Werbefernseh gucken will hat man Pech gehabt.

Castellamare wartet zunächst mit einem Bahnhof auf, der drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt ist und einem Stadtbus, der den Fahrer nötigt gefühlte 20 Löcher in den Fahrschein zu knipsen.

Der Ort steigt von der Küstenlinie, vom Golf halbkreisförmig auf.



Eine Burg haben sie natürlich auch.



Wie alle diese sizilianischen Kleinstädte: sehr hübsch.



Immer wenn Hollywood ein typisch italienisches Ambiente braucht, filmen sie in Castellammare, so hat beispielsweise Michael Cimio dort seinen Film „Der Sizilianer“ über den Banditen Salvatore Giuliano gedreht. (na schön, von Castellamare ist in dem Filmausschnitt nicht zu sehen, nur ein klein wenig aus der Umgebung.)

Auswanderer aus Castellamare haben aber durchaus eine Rolle in den amerikanischen Gangsterkriegen gespielt.

Zwei hübsche Museen haben sie hier, eines zeigt die Heimatgeschichte, einschließlich der Dreharbeiten zu den ganzen Spielfilmen, die hier gedreht wurden.

Das andere Museum ist stärker meereskundlich geprägt, bietet aber auch Einblicke in volkskundliche Aspekte. Beeindruckt hat mich ein kurzer Dokumentarfilm über die Mattanza, die Thunfischjagd.

Der Film vermittelt trotz der Musik und der schlechten Bildqualität einen ganz guten Eindruck:



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