Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 28. August 2012
Reisejournal Sizilien Frühjahr 2012 (22)
Freitag 15. Juni

Klemperers streiten sich:
„Neulich, obwohl ich mich dessen schäme u. es sehr selten tue, sagte ich zu Eva: dies sei eingeborener Naturunterschied: uns (wahrscheinlich UNS JUDEN, sicher: uns Geschwister, ich weiß es von Grete u. Marta) quält der Todesgedanke mehr als Dich. Sie hat dafür kein Verständnis. Ich werde entweder SEIN u. WISSEN, sagt sie: bene! Oder ich werde NICHT sein. Auch gut. Die unbefriedigte Wißbegier fällt dann ja auch fort ... Sehr richtig u. macht mich doch nicht froher.“
(Victor Klemperer: Tagebücher S. 202/3 5. Oktober 1930)
Heute bleiben wir in Cefalú, weil meine Pläne, doch noch nach Siracusa zu fahren ( „Nach Syrakus? Mit Umsteigen in Messina und Catania? Da sind wir ja vier Stunden unterwegs und zurück nochmals vier Stunden. Vergiss es!“ ), von der Liebsten gnadenlos abgeschmettert wurden. Etwas freundlicher hätte sie es ja durchaus formulieren können. Wenn mein Bruder in Indonesien mal wieder mit dem Vorschlag konfrontiert wurde, man könne doch noch ein oder zwei Verwandte im Projekt einstellen, sagte er ja auch nicht: Kommt nicht in Frage, sondern lobte zunächst den Vorschlag, um dann nach einigen Minuten den Halbsatz: Er sähe da aber noch Schwierigkeiten, den Vorschlag bei den Geldgebern in Deutschland durchzusetzen, beiläufig einfließen zu lassen. Damit war der Vorschlag zwar abgeschmettert, aber das Gesicht konnte trotzdem gewahrt werden.
Ich hasse Argumente.

Mittagsschlaf und danach wieder ein Lesestündchen:
„Seltsam DIE ITALIENER. In der Schweiz sind sie offenbar die Proletarier, in Südamerika auch. Volk – »mehr Volk« als andere Völker, heißt es schon bei Montesquieu oder Montaigne. Und doch so viel Großes von ihnen ausgehend. – Von wem geht Großes aus? Wer bestimmt seine Zeit, wer setzt an Stelle dauernder, fesselnder Institutionen Neues – neue Moden, neue Geisteshaltungen, neue Moral, die wieder zu fesselnden Institutionen werden?“
(Victor Klemperer: Tagebücher S. 222 Lugano 11. März 1931)
„- Wir waren auf dieser Fahrt zusammen mit einem FABRIKBESITZER AUS HALLE in meinem Alter u. seiner sehr viel jüngeren Frau. Der Mann – deutschnationales Monokel u. »Sala Stresemann in Locarno – sprechen Sie mir bloß davon nicht!« - war mir ungemein interessant. »Von mir kriegen sie keinen Pfennig Steuern. Ich mache Unterbilanz, daß es raucht ... Ich müßte eigentlich die Hälfte meiner Angestellten entlassen ... Wie lange kann ich sie noch halten? ... eine HITLER-Regierung wäre mir lieber als diese Schlappschwänze. Man wüßte doch, womit rechnen ...« »Wirklich?« »Das habe ich mich allerdings auch schon gefragt. Ich glaube, Hitler ist ein unklarer Kopf u. umspannt zu viel. « Ich sagte ihm, H. ahme Mussolini nach u. erzählte ihm, wie wenig Macht u. Sicherheit hinter Mussolini stehe, u. wieviel Elend u. Unzufriedenheit. Das war ihm GANZ NEU u. machte ihm größten Eindruck. MIR war an dem Manne interessant seine völlige Unsicherheit, Unbildung, sein Tasten in politicis, sein Schwanken. Keine Spur von wirklichem Wissen, von wirklicher Überzeugtheit, von wirklichem weltanschaulichem Nationalsocialismus. Nur wirtschaftliches Interesse u. wirtschaftliche Angst. Und das ein Mann in größerer selbständiger Stellung, ein schon ziemlich gewichtiger Industrieller, ein Intellektueller. Seine Eisenträger-Handlung 200 Jahre alt, sein Bruder Professor der Philosophie in Zürich. Er hat sicher seine Stimme bei den letzten Wahlen Hitler gegeben. Wem gibt er sie das nächste Mal? Wie entsteht eine politische Macht? Was lenkt ein Land?“
(Victor Klemperer: Tagebücher S. 229 20. März 1931)
Notiz an mich: ‚Charaktermaske’ vs. ‚autoritärer Charakter’.
Ab 1931 häufiger Stellen bei Klemperer über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf seine persönlichen Verhältnisse (Notverordnungen führen zu Kürzungen der Beamtengehälter, er erhält keinen Kredit für seinen Hauskauf usw.). Nach wie vor keine Sicht auf die politischen Auswirkungen (Zuwachs an Mandaten für die NSDAP).

Hier wird ja was weggeheiratet.



Wobei nicht alle Anwesenden am Ereignis und seiner Erfassung in Bildern gleichermaßen Aufmerksamkeit entgegenbringen und zur gleichen Zeit das Vorurteil gutgekleideter italienischer Männer widerlegt wird:



Was wäre sonst noch zum Thema Heiratsbilder am Strand zu vermerken? Hochtzeitspaar und Hochzeitsgäste inszenieren sich auf sehr verschiedene Weise, einer der Fotografen hat auf eine Dienstkleidung verzichtet und Kens Hose ist zu lang. (Vielleicht wächst er ja noch hinein.)
Nur mit geübtem Schwung lassen sich Hochzeitsbilder fertigen, deren man sich auch noch in Jahrzehnten erinnert.



Und: manche Badegäste sind von den Bilderorgien nicht beeindruckt:



Dann schlendern wir etwas durchs Städtchen und gehen – wie fast jeden Tag – auf die Piazza auf ein Bier und einen Campari.
Am Nebentisch sitzt ein Paar. Nach einigen Schlucken Bier bzw. Campari steht die Frau auf und geht auf die Toilette, auf halbem Wege kommt sie wieder und nimmt ihr Handy mit aufs Klo. Sorgte sie sich, dass ihr Mann ihre Anrufe oder SMSen kontrolliert oder glaubte sie auf 5 Minuten Erreichbarkeit nicht verzichten zu können?

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