Georg Forster: Reise um die Welt 86
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
g. | Dienstag, 30. März 2010, 07:43 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Indem wir über die Landspitze weg und längs dem jenseitigen Ufer fortgehen wollten, stellten sich mit einmal funfzehen bis zwanzig Indianer in den Weg und baten uns, sehr ernstlich, umzukehren. Als sie sahen, daß wir nicht die geringste Lust dazu bezeigten, so wiederholten sie ihre Bitte, und gaben endlich durch allerhand Gebehrden zu verstehen, daß ihre Landsleute uns ohnfehlbar todtschlagen und fressen würden, wenn wir noch weiter vordringen wollten. Es befremdete uns, daß diese Insulaner, die wir nimmermehr für Menschenfresser gehalten hätten, sich auf solche Art selbst dafür ausgaben. Zwar hatten sie sich schon bey andern Gelegenheiten etwas ähnliches merken lassen; da es aber lieblos gewesen wäre sie auf eine bloße Vermuthung einer solchen Barbarey zu beschuldigen, so stellten wir uns, als hätten wir ihre Zeichen dahin verstanden, daß sie uns etwas zu essen anböten, giengen also immer weiter fort und winkten ihnen zu, daß wir’s uns recht gut würden schmecken lassen. Nun gaben sie sich alle Mühe uns aus dem Irrthum zu reißen, und deuteten uns durch Zeichen sehr verständlich an, daß sie einen Menschen zuerst todtschlügen, hierauf die Glieder einzeln ablösten, und dann das Fleisch von den Knochen schabten. Endlich setzten sie die Zähne an den Arm, damit uns gar kein Zweifel übrig bleiben sollte, daß sie würklich Menschenfleisch äßen. Auf diese Warnung kehrten wir von der Landspitze zurück, und giengen nach einer Wohnhütte hin, die, ohngefähr funfzig Schritt davon, auf einer Anhöhe lag. Sobald uns die Bewohner derselben herauf kommen sahen, liefen sie hinein und holten sich Waffen heraus, vermuthlich um uns zurück zu treiben, weil sie glauben mochten, daß wir, als Feinde, ihnen das ihrige rauben wollten. Zu Steuerung dieses Argwohns, mußten wir einer Wißbegierde Schranken setzen, die uns sonst gewiß nachtheilig geworden seyn würde. Gleichwohl lief sie keineswegs auf eine Kleinigkeit heraus: Es pflegten nehmlich die Indianer auf dieser Landspitze an jedem Morgen, bey Tages Anbruch, einen langsamen feyerlichen Gesang anzustimmen, der gemeiniglich über eine Viertelstunde dauerte, und wie ein Todtenlied klang. Dies dünkte uns eine religiöse Ceremonie zu seyn, und ließ vermuthen, daß dort irgendwo ein geheiligter Ort verborgen seyn müsse, zumahl da die Einwohner uns auch immer so geflissentlich von dieser Gegend abzuleiten suchten.“Vermeintliche oder tatsächliche Menschfresserei
(Forster S. 759/60)