Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 25. Juni 2014
Bernward Vesper: Die Reise XV
Und immer wieder lange eingeschobene Erzählungen über die Kindheit auf dem Gutshof, Heimaterzählungen. Literarisch sind diese Passagen die Interessantesten.


S. 303/4
„Einfacher Bericht: Er bog mit dem Fahrrad um die Hausecke, sprang ab, lief noch zwei Schritte neben dem ausrollenden Fahrrad her und schnaubte durch die geschlossenen Lippen. Er legt den Hund an die Leine, denn draußen, jenseits des Zaunes, in der Feldmark, herrschte die Tollwut. Man hatte schon einen verwesten Fuchs gefunden. Er kontrollierte den Freßnapf vor der Hütte. »Ein Hund ist keine Abfallgrube.« Er nahm den Kindern den Ball weg, wenn man auf dem Hof spielt, können Scheiben kaputtgehen. Im Gras rollt der Ball genausogut, jawohl. Er pfiff die Kinder vom Dach zurück, ein Ziegel könnte zerbrechen, Regen einsickern; er sieht im Keller nach dem Rechten und macht das Licht aus, das der Heizer brennen ließ. Er befiehlt, den Torf weiter vom Heizungskessel wegzulagern, damit kein Brand ausbricht. Er fragt in der Küche nach dem Stand des Abendbrots. Er ruft die Kinder zurück, die quer über die Wiese laufen, statt den Weg zu benutzen. Er schließt den Wasserhahn, den jemand über dem Fischbecken laufen ließ. Er ermahnt seine Frau, beim Gießen nicht soviel Wasser zu verbrauchen, die Pumpe schafft es nicht. Beim Abendessen wartet jeder, hinter dem Stuhl stehend, bis er sich gesetzt hat. Die Beuge Teller steht vor seinem Platz. Er teilt die Suppe aus. Er tranchiert das Fleisch. Er versucht, alle Wünsche nach einem bestimmten Stück zu erfüllen, seine Entscheidungen sind unwiderruflich. Er erhebt die Stimme, obwohl niemand mehr spricht. Er schickt den Schwiegersohn fort, der mit kurzen Hosen aus dem Garten zu Tisch kommt. Die Adern an seiner Stirn schwellen an. Er stampft mit den Füßen unter dem Tisch. Dreißig Esser schauen auf ihre Teller. Jemand bricht in Tränen aus und läuft aus der Halle. Er läuft hinterher und verlangt, daß die Tür noch einmal leise geschlossen werde. Er klingelt nach dem Mädchen, das wieder etwas vergessen hat. Er erklärt auch heute, wer nicht von der Hauptmahlzeit ißt, erhält auch keinen Nachtisch. Es ist verboten, sich in der Küche zu erkundigen, welchen Nachtisch es gibt. Er nimmt die Post, die während des Essens zu seiner Linken auf der Bank lag, stößt den Stapel ein paarmal auf den Kanten auf, steht auf und klopft ans Barometer und zieht sich in sein Zimmer zurück. Er liest die Zeitung als erster. Er öffnet die Post. Er geht ins Büro und bespricht die Feldarbeiten mit dem Inspektor. Er kommt vor dem Mittagessen zurück. Er stellt fest, welche Früchte im Garten reif zur Ernte sind. Er dringt darauf, jetzt dies einzumachen, das täglich auf den Tisch bringen, ehe es alt, holzig, mollicht, überreif wird. Er faßt den Kindern ins Haar und zieht daran. Er fragt die Erwachsenen ab: »Wo steht das?« Er zieht sich zurück. Er verlangt strenge Ruhe während des Mittagsschlafs. Er erwartet, daß das Zimmermädchen den Augenblick abpaßt, wo er das Haus verläßt, um mit dem Putzen fertig zu sein, wenn er zurückkommt. Er erwartet, daß der Nachmittagskaffee auf dem Tisch steht. Er erwartet, seine Kinder am Kaffeetisch zusehen. Er springt auf und kontrolliert, wer da durch das eiserne Tor in den Park geht. Er läuft den Kindern hinterher, die Tulpen und Gladiolen zum Muttertag von den Beeten klauen. Er zieht in den Park, um morsche Äste abzusägen, Brombeeren auszureißen, Wildwuchs und Unkraut zu bekämpfen. Er geht noch einmal ins Kontor, um auf dem Hof nach dem rechten zu sehn. Er hebt Gartengeräte auf, die jemand liegenließ, es wird regnen, sie werden verrosten. Er sieht nach, ob die Obstleiter unter dem Vordach der Gartenbutze wieder an ihrem Haken hängt. Manchmal höre ich, daß er, wenn er den Gang zu seinem Zimmer entlanggeht und niemanden in der Nähe glaubt, einen oder zwei kräftige Furze knallen läßt. Wie lieb von ihm.“

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