Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 8. Juni 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 99
(Die Fahrt von Neu-Seeland nach Tierra del Fuego – Aufenthalt in Christmeß- oder Weihnachts-Haven)
„Auf vielfältiges Zuwinken kamen etliche von diesen Leuten ins Schiff; doch ließen sie nicht das geringste Zeichen von Freude blicken, schienen auch ganz ohne Neugierde zu seyn. Sie waren von kurzer Statur, keiner über 5 Fuß 6 Zoll (englischen Maaßes) hoch, hatten dicke große Köpfe, breite Gesichter, sehr platte Nasen, und die Backenknochen unter den Augen sehr hervorragend; die Augen selbst waren von brauner Farbe, aber klein und matt, das Haar schwarz, ganz gerade, mit Thran eingeschmiert, und hieng ihnen wild und zottigt um den Kopf. Anstatt des Barts standen einige einzelne Borsten auf dem Kinn, und von der Nase bis in das häßliche, stets offene Maul, war ein beständig fließender Canal vorhanden. Diese Züge machten, zusammen genommen, das vollständigste und redenste Bild von dem tiefen Elend aus, worinn dies unglückliche Geschlecht von Menschen dahinlebt. Herr Hodges hat von zwoen dieser Physiognomien eine sehr richtige, charakteristische Zeichnung verfertigt. Schultern und Brust waren breit und stark gebaut, der Untertheil des Körpers aber so mager und eingeschrumpft, daß man sich kaum vorstellen konnte, er gehöre zum obern. Die Beine waren dünn und krumm, und die Knie viel zu stark. Ihr einziges elendes Kleidungsstück bestand in einem alten kleinen Seehunds-Fell, welches vermittelst einer Schnur, um den Hals befestigt war. Übrigens giengen sie ganz nackend, ohne auf das, was Anständigkeit und Ehrbarkeit bey uns fordern würden, die geringste Rücksicht zu nehmen. Ihre Leibesfarbe war Olivenbraun mit einem Kupfer-ähnlichem Glanze, und bey manchen noch durch aufgetragene Streifen von rothem und weißem Ocker erhöht. Es scheint folglich, daß die Begriffe von Schmuck und Zierrath älter und tiefgewurzelter bey uns sind, als die von Ehrbarkeit und Schaamhaftigkeit! Die Weiber waren beinahe wie die Männer gestaltet, nur etwas kleiner, den Gesichtszügen nach nicht minder häßlich und wirdrig, und auch in der Kleidung nicht unterschieden. Einige wenige hatten jedoch, ausser dem Felle, welches die Schultern bedeckte, noch ein kleinen Lappen, kaum eine Hand groß, vorn am Schooße herabhängen, der, vermittelst einer Schnur, um die Hüften befestigt war. Ein ledernes Band mit Muscheln besetzt, zierte den Hals, und auf dem Kopfe trugen sie eine Art Mütze, aus etlichen langen Gänse-Federn zusammengefügt, die gemeiniglich aufrecht in die Höhe standen, und alsdenn gerade so, als die Fontangen* des vorigen Jahrhunderts aussahen.“
(Forster S. 920/1)

*Fontange: haubenartiger Kopfschmuck.

Das Gegenbild zum Ideal auf Tahiti. Seine Urteile sind moralisierender.

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