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„Mir habbes ja net so mit’m Chrischtlicha!“
g. | Montag, 7. Juni 2010, 06:39 | Themenbereich: 'so dies und das'
sagte meine Mutter eines Tages als ein älterer Herr von der Inneren Mission vor der Haustüre stand und Erbauungsliteratur feilbot. Das war ein Fehler, denn damit hatte sie sich zumindest als laue Christin zu erkennen gegeben und entsprach damit exakt der Zielgruppe.
Der Herr blickte auf mich und entdeckte eine weitere Seele, die es zu erretten galt. Ich war damals so acht oder neun Jahre.
Er sei von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart und zöge durchs Land, um bei häuslichen und persönlichen Problemen hilfreich zur Seite zu stehen.
Ich blickte ins Gesicht meiner Mutter und konnte ihre Gedanken lesen: ‚Bleder Hund, bleder!’
Da sie einen Moment gezögert hatte, sagte er seinen kompletten Sermon auf, vom Himmelreich, das jedem Platz und Trost biete und gerade die einfachen Leute und das Leben sei ja nicht einfach und wer auf Gott vertraue, dem werde auch durch Gott geholfen.
Und dann machte meine Mutter den zweiten Fehler. Ihr rutschte einer der allgemeinen schwäbischen Lebensweisheiten heraus:
„Ha guat, fürs Betta gibt ja die Pietischta, da brauchet mir net au no jeden Sonndich in’d Kirch renna!“
Bei uns war es üblich einmal im Jahr, an Heiligabend, in den Gottesdienst zu gehen („Einmal im Jahr, schad’ nix!“ war die Begründung meines Vaters) und sonst eben zu Taufen, Begräbnissen und Hochzeiten. Damit hatten wir all die Jahre gut gelebt und waren’s zufrieden. Schulfreunde von mir mussten jeden Sonntag den Gottesdienst besuchen und hatten ihre liebe Not damit.
Der Pietismus ist in Württemberg (die Badener sind Katholiken) im Wesentlichen eine Veranstaltung von Lehrern, Pfarrern und Bauern, der Rest der Bevölkerung betrachtet das eher mit Misstrauen.
Im 18. Jahrhundert konzentrierte man sich auf das Schulwesen, denn auch die einfachen Leute sollten sich in die Heilige Schrift versenken können. Das Schriftgelehrtentum ist ein wesentliches Kennzeichen, neben dem moralischen Rigorismus. Während aber das unendliche Studieren und Auslegen der Bibel auch positive Folgen nach sich zog, macht bedingungsloser Moralismus den Menschen das Leben zur Hölle. Ein Schulfreund von mir musste, wenn er etwas vergeigt hatte, seinen Fehler selbst erkennen und dann seinen Vater um Strafe bitten. Bis das geschehen war, sprachen Vater und Mutter nicht mehr mit ihm. Sie sehen: schwarze Pädagogik ist ein Dreck dagegen.
Im 19. und 20. Jahrhundert entdeckten die Pietisten die Gottlosen im eigenen Land und veranstalteten Strick- und Nähkurse zur sittlichen Besserung der gefallenen Arbeitermädchen und bekämpften die Alkoholsucht in der Arbeiterschaft. Die niederen Schichten sollten zur Arbeitsliebe und Untätigkeitsscheu angehalten werden und wenn sie jetzt an die Harzgesetze denken müssen, bin ich völlig unschuldig daran.
Aber beenden wir die kleine Geschichte des Pietismus.
Meine Mutter kam auf jeden Fall zu dem Schluss, dass sie den Gottesmann nur noch durch Grobheiten los werden konnte und schmiss ihn kurzerhand aus dem Haus.
„Blöder Hund“, fluchte sie vor sich hin und erzählte mir dann noch von einer Nachbarin, die von ihrem Mann gezwungen wurde, ein gottesfürchtiges Leben in der Familie zu praktizieren:
„Die machet nix anderes als in’d Kirch renna, Bibel lesa ond d’Kender verhaua. Des isch doch en Scheiß!“
Der Herr blickte auf mich und entdeckte eine weitere Seele, die es zu erretten galt. Ich war damals so acht oder neun Jahre.
Er sei von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart und zöge durchs Land, um bei häuslichen und persönlichen Problemen hilfreich zur Seite zu stehen.
Ich blickte ins Gesicht meiner Mutter und konnte ihre Gedanken lesen: ‚Bleder Hund, bleder!’
Da sie einen Moment gezögert hatte, sagte er seinen kompletten Sermon auf, vom Himmelreich, das jedem Platz und Trost biete und gerade die einfachen Leute und das Leben sei ja nicht einfach und wer auf Gott vertraue, dem werde auch durch Gott geholfen.
Und dann machte meine Mutter den zweiten Fehler. Ihr rutschte einer der allgemeinen schwäbischen Lebensweisheiten heraus:
„Ha guat, fürs Betta gibt ja die Pietischta, da brauchet mir net au no jeden Sonndich in’d Kirch renna!“
Bei uns war es üblich einmal im Jahr, an Heiligabend, in den Gottesdienst zu gehen („Einmal im Jahr, schad’ nix!“ war die Begründung meines Vaters) und sonst eben zu Taufen, Begräbnissen und Hochzeiten. Damit hatten wir all die Jahre gut gelebt und waren’s zufrieden. Schulfreunde von mir mussten jeden Sonntag den Gottesdienst besuchen und hatten ihre liebe Not damit.
Der Pietismus ist in Württemberg (die Badener sind Katholiken) im Wesentlichen eine Veranstaltung von Lehrern, Pfarrern und Bauern, der Rest der Bevölkerung betrachtet das eher mit Misstrauen.
Im 18. Jahrhundert konzentrierte man sich auf das Schulwesen, denn auch die einfachen Leute sollten sich in die Heilige Schrift versenken können. Das Schriftgelehrtentum ist ein wesentliches Kennzeichen, neben dem moralischen Rigorismus. Während aber das unendliche Studieren und Auslegen der Bibel auch positive Folgen nach sich zog, macht bedingungsloser Moralismus den Menschen das Leben zur Hölle. Ein Schulfreund von mir musste, wenn er etwas vergeigt hatte, seinen Fehler selbst erkennen und dann seinen Vater um Strafe bitten. Bis das geschehen war, sprachen Vater und Mutter nicht mehr mit ihm. Sie sehen: schwarze Pädagogik ist ein Dreck dagegen.
Im 19. und 20. Jahrhundert entdeckten die Pietisten die Gottlosen im eigenen Land und veranstalteten Strick- und Nähkurse zur sittlichen Besserung der gefallenen Arbeitermädchen und bekämpften die Alkoholsucht in der Arbeiterschaft. Die niederen Schichten sollten zur Arbeitsliebe und Untätigkeitsscheu angehalten werden und wenn sie jetzt an die Harzgesetze denken müssen, bin ich völlig unschuldig daran.
Aber beenden wir die kleine Geschichte des Pietismus.
Meine Mutter kam auf jeden Fall zu dem Schluss, dass sie den Gottesmann nur noch durch Grobheiten los werden konnte und schmiss ihn kurzerhand aus dem Haus.
„Blöder Hund“, fluchte sie vor sich hin und erzählte mir dann noch von einer Nachbarin, die von ihrem Mann gezwungen wurde, ein gottesfürchtiges Leben in der Familie zu praktizieren:
„Die machet nix anderes als in’d Kirch renna, Bibel lesa ond d’Kender verhaua. Des isch doch en Scheiß!“
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