Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 12. Januar 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 65
(Zweyte Fahrt in die südlichen Breiten, von Neu-Seeland nach Easter- oder Oster-Eyland)
“Während desselben schlug, des Abends um 9 Uhr eine berghohe Welle mitten übers Schiff und füllte die Verdecke mit einer Sündfluth von Wasser. Es stürzte durch alle Öffnungen über uns herein, löschte die Lichter aus und ließ uns einige Augenblicke lang ungewiß, ob wir nicht ganz überschwemmt, schon zu Grunde giengen. In meines Vaters Cajütte floß alles; sogar sein Bette war durchaus naß; unter solchen Umständen mußte der Rheumatismus freylich heftiger werden, an dem er seit vierzehn Tagen die größten Schmerzen ausstand, so daß er kein Glied am Leibe rühren konnte. Unsre Lage war nunmehro in der That höchst elend, selbst für diejenigen die noch gesund waren, und den Kranken, die an ihren gelähmten Gliedern beständige Schmerzen litten, war sie im eigentlichen Verstande unerträglich. Der Ocean um uns her war wütend, und schien über die Keckheit einer Hand voll Menschen, die es mit ihm aufnahmen, ganz erboßt zu seyn. Finstre Melancholie zeigte sich auf der Stirn unsrer Reisegefährten, und im ganzen Schiff herrschte eine fürchterliche Stille. Die eingesalznen Speisen, unsre tägliche Kost, waren uns allen, sogar denen zum Ekel geworden, die von Kindheit an zur See gefahren. Die Stunde des Essens war uns verhaßt, denn der Geruch der Speisen, kam uns nicht so bald unter die Nase, als wirs schon unmöglich fanden, mit einigen Appetit daran zu genüssen. Dies alles beweiset wohl genugsam, daß diese Reise mit keiner von den vorhergehenden zu vergleichen sey. Wir hatten mit einer Menge von Mühseligkeiten und Gefahren zu kämpfen, die unsern Vorgängern in der Südsee unbekannt geblieben waren, weil sie sich mehrentheils nur innerhalb der Wendezirkel, oder doch wenigstens in den besten Gegenden des GEMÄßIGTEN Himmelsstrichs gehalten hatten. Dort fanden sie immer gelindes Wetter; blieben fast immer im Gesicht des Landes, und dieses war selten so armselig und unfruchtbar, daß es ihnen nicht von Zeit zu Zeit einige Erfrischungen gegeben haben sollte. Solch eine Reise wäre für uns eine Lustreise gewesen; bey der beständigen Unterhaltung mit neuen und größtentheils angenehmen Gegenständen, würden wir gutes Muths, aufgeweckt und gesund, mit einem Wort, glücklich und fröhlich gewesen seyn. Aber von alle dem, war unsre Reise gerade das Gegentheil. Die Fahrt gegen Süden war ein ewiges und im höchsten Grade langweiliges Einerley. Eis, Nebel, Stürme, und eine ungestüme See, machten finstere Scenen, die selten genug durch einen vorübergehenden Sonnenblick erheitert wurden. Das Clima war kalt, und unsere Nahrungsmittel beynahe verdorben und ekelhaft. Kurz, wir lebten nur ein Pflanzen-Leben, verwelkten, und wurden gegen alles gleichgültig, was sonst den Geist zu ermuntern pflegt. Unsre Gesundheit, unser Gefühl, unsre Freuden opferten wir der leidigen Ehre auf, einen unbeseegelten Strich durchkreuzt zu haben!“
(Forster S. 466/7)
(Keckheit, finstere Melancholie, Lustreise, Sonnenblick, den Geist ermuntern, unbeseegelt.)

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 518 x aufgerufen