Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 19. Juni 2013
Eine völlig andere Gewichtsklasse ist Mark Twain.
Hier eine Stelle aus Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten

Nachdem Huckleberry Finn Jim, dem entflohenen Sklaven Jim Versprochen hat ihn nicht zu verraten, ziehen sie gemeinsam weiter. Jim will in einen der freien Staaten und Huck flieht vor seinem Vater, ihm ist es egal wohin. Huck Finn erzählt:
„Als es anfing, dunkel zu werden, streckten wir unsre Köpfe vorsichtig aus dem Weidengestrüpp und sahen uns um. Vorn, hinten, hüben, drüben – alles sauber, nichts zu sehen! Jim nahm nun ein paar von den obersten Planken des Floßes und stellte eine Art Hütte her, um uns und unsre Habseligkeiten gegen das Wetter zu schützen; die Hütte erhielt einen Bretterboden, ungefähr einen Fuß höher als die Oberfläche des Floßes, so daß unsere Decken und andere Sachen aus dem Bereich der Wellen der Dampfboote waren. Gerade in der Mitte der Hütte machten wir dann von Lehm eine Art Herd, worauf wir unser Feuer anzünden konnten, ohne daß es von außen viel gesehen werden würde. Dann verfertigten wir noch ein zweites Steuerruder, um nicht in Not zu geraten, im Fall das eine zerbrochen würde. Ein gabeliger Baumast diente uns als Laternenpfosten, denn es war nötig, Licht zu haben, um nicht von irgendeinem Dampfboot in den Grund gebohrt zu werden.
In der zweiten Nacht ließen wir uns ungefähr sieben bis acht Stunden von einer ziemlich reißenden Strömung dahintragen. Wir fingen Fische und plauderten, schwammen auch mal neben her, um den Schlaf fernzuhalten. Es war uns ordentlich feierlich zumute, so auf dem großen, stillen Strom hinzugleiten in der lautlosen Nacht. Wir legten uns dann auf den Rücken und schauten nach den Sternen, und es kam uns gar nicht in den Sinn, laut zu sprechen, oder gar zu lachen, höchstens hie und da mal ganz leise. Wir hatten fabelhaft gutes Wetter, und nichts passierte uns, weder in dieser Nacht noch in der nächsten und übernächsten.“

„Jeden Abend begab ich mich nun ans Ufer in irgendein kleines Dorf, meist so gegen zehn Uhr, und kaufte ein, was wir gerade brauchten, Speck oder Mehl oder Tabak, wie's kam. Manchmal verhalf ich auch einem Huhn, das nicht recht ruhen wollte, zu einer bequemeren Lage in meinen Armen. Mein Alter sagte immer: Wenn du irgendwo ein Huhn kriegen kannst, nimm's mit, unter allen Umständen. Brauchst du's nicht, braucht's ein anderer, und eine gute Tat lohnt sich jedesmal. Der Alte zwar brauchte das Huhn immer selbst, allein das änderte nichts an seinem Wahlspruch.“
( Aus: Mark Twain: Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten Kap. 13)

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Dienstag, 18. Juni 2013
Mit Ottmar Hörl
könnte man sich im Unschuldszimmer mit der Unschuldsseife waschen, dann wär alles gut.

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Montag, 17. Juni 2013
Ein Abend in Onkel Toms Hütte
„Onkel Toms Hütte war ein kleines Blockhaus, dicht neben dem »Hause«, wie der Neger die Herrenwohnung par excellence nennt. Davor war ein hübscher Gartenfleck, wo jeden Sommer Erdbeeren, Himbeeren und viele andere Früchte und Gemüse unter sorgfältiger Pflege gediehen. Die ganze Vorderseite war von einer großen roten Begonie und einer einheimischen Multiflorarose bedeckt, die sich ineinander verschlangen und kaum ein Fleckchen der rohen Balken erblicken ließen. Hier fanden auch im Sommer verschiedene lebhaft gefärbte Blumen wie Ringelblumen, Petunien und andere eine Stelle, wo sie ihren Glanz zeigen konnten, und waren die Freude und der Stolz von Tante Chloes Herzen.“



Auf einer Bretterbank in der Ecke waren ein paar Knaben mit Wollköpfen und funkelnden schwarzen Augen beschäftigt, die ersten Gehübungen eines kleinen Kindes zu beaufsichtigen, die, wie es gewöhnlich der Fall ist, darin bestanden, daß es auf die Füße zu stehen kam, einen Augenblick das Gleichgewicht suchte und dann wieder niederfiel. Natürlich wurde jeder fehlgeschlagene Versuch mit lebhaftem Beifall begrüßt, als wäre er ganz entschieden gelungen.
Ein in seinen Beinen etwas gichtischer Tisch war vor das Fenster gerückt und mit einem Tischtuch bedeckt; verschiedenes Geschirr von sehr lebhaftem Muster stand darauf wie Anzeichen einer bevorstehenden Mahlzeit. An diesem Tisch saß Onkel Tom, Mr. Shelbys bester Mann.
Er war ein großer, breitschultriger, kräftig gebauter Mann von tiefem glänzendem Schwarz und einem Gesicht, dessen echt afrikanische Züge ein Ausdruck von ernster und tüchtiger Verständigkeit, mit Freundlichkeit und Wohlwollen verbunden, auszeichnete. In seiner ganzen Physiognomie lag etwas von Selbstachtung und Würde, die jedoch mit einer vertrauenden und bescheidenen Einfachheit verbunden waren.
Er hatte gerade sehr viel mit einer vor ihm liegenden Schiefertafel zu tun, auf welcher er vorsichtig und langsam bemüht war, einige Buchstaben nachzumalen, wobei ihn der junge Master George, ein lebhafter, hübscher Knabe von 13 Jahren, beaufsichtigte, der die Würde seiner Stellung als Lehrer ganz zu fühlen schien.
»Nicht auf die Seite, Onkel Tom – nicht auf die Seite«, sagte er munter, als Onkel Tom mit großer Mühe den Schwanz eines g auf der falschen Seite in die Höhe zog. »Das wird ein q, sieh her.«
»So, so, wirklich«, sagte Onkel Tom und sah mit einem ehrerbietigen, bewundernden Gesicht zu, während sein junger Lehrer zu seiner Erbauung unzählbare q und g auf die Tafel machte; darauf nahm er den Schieferstift zwischen seine groben schweren Finger und fing geduldig von vorn an.
»Wie leicht den weißen Leuten alles wird!« sagte Tante Chloe, indem sie einen Augenblick von der Kuchenform aufsah, die sie mit einem auf die Gabel aufgespießten Stück Speck bestrich, und den jungen Master George stolz anblickte. »Wie er jetzt schreiben kann! Und lesen! Und abends hierher zu kommen und seine Lektionen uns vorzulesen – das ist gewaltig interessant!«
(Harriett Beecher Stowe: Onkel Toms Hütte, 1852 erschienen)
Ist ihnen schlecht?

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Mittwoch, 12. Juni 2013
Zur Pataphysik des Geschlechtlichen IV
Nicht zehn oder zwölf Geschlechter, aber immerhin:
„Die menschliche Natur war ja einst ganz anders. Ursprünglich gab es drei Geschlechter, drei und nicht wie heute zwei: neben dem männlichen und weiblichen lebte ein drittes Geschlecht, welches an den beiden ersten gleichen Teil hatte; sein Name ist uns geblieben, das Geschlecht selbst ist ausgestorben. Ich sage, dieses mann-weibliche Geschlecht hatte einst die Gestalt und den Namen des männlichen und weiblichen Geschlechtes zu einem einzigen vereinigt, und heute ist uns von ihm nur der Name erhalten, und der Name ist ein Schimpfwort. Weiter, die ganze Gestalt jedes Menschen war damals rund, und der Rücken und die Seiten bildeten eine Kugel. Der Mensch hatte also vier Hände und vier Füße, zwei Gesichter drehten sich am Halse, und zwischen beiden Gesichtern stak ein Kopf, aber der Kopf hatte vier Ohren. Der Mensch besaß die Schamteile doppelt, und denkt den Vergleich für euch selbst aus: auch alles andere war demgemäß doppelt! Der Mensch ging zwar aufrecht wie heute, aber nach vorwärts und nach rückwärts, ganz wie es ihm gefiel. Und wenn er [29] laufen wollte, dann machte er’s wie die Gaukler, die kopfüber Räder schlagen: er lief dann mit allen acht Gliedern, und so im Rade auf Händen und Füßen kam er allerdings schneller vorwärts als wir heute. Noch einmal, es gab einst drei Geschlechter, und das männliche hatte seinen Ursprung in der Sonne, das weibliche in der Erde, das dritte, welches den beiden ersten gemeinsam ist, hatte ihn im Mond, denn auch der Mond teilt sich zwischen Sonne und Erde. Und gleich den Gestirnen, denen sie eingeboren sind, waren sie rund, und auch ihre Bahn, wenn ihr wollt, lief im Kreise. Groß und übermenschlich war ihre Stärke, ihr Sinnen war verwegen, ja sie versuchten sich sogar an den Göttern. Was Homer von Ephialtos und Otos erzählt, sagt man auch von diesen Menschen: sie wagten den Weg zum Himmel hinauf und wollten sich an den Göttern vergreifen.
Und Zeus und alle Götter erwogen, was sie dagegen tun sollten, und waren recht in Verlegenheit, denn sie konnten weder alle Menschen töten und wie einst die Giganten mit dem Blitze das ganze Geschlecht niederschlagen – da wäre es auch mit allem Götterdienst und allen Altären vorbei – noch deren Übermut hingehen lassen. Da fiel es aber Zeus ein, und er rief: Ich habe das Mittel! Ich habe das Mittel gefunden, die Menschen leben zu lassen und doch ihrem Übermut für immer ein Ende zu machen: ich werde jeden Menschen in zwei Teile schneiden. Sie werden uns dadurch nicht nur zahmer, sondern auch von größerem Nutzen sein, denn ihre Zahl wird gerade [30] noch einmal so groß. Die Menschen werden von nun an auf zwei Beinen und nur aufrecht gehen. Sollte ihnen aber noch Übermut übrig geblieben sein, und sollten sie noch immer keine Ruhe geben, so schneide ich jeden noch einmal entzwei: sie mögen dann auf einem Beine gehen und hüpfen. Und wie Zeus sprach, so handelte er auch: er nahm die Menschen her und schnitt jeden in zwei Teile, wie man Birnen, um sie einzukochen, entzwei schneidet. Und so oft er einen entzwei hatte, ließ er ihm durch Apollon das Gesicht und den halben Hals nach der Schnittfläche zu umdrehen, damit der Mensch von nun an, indem sein Blick auf sie gerichtet ist, züchtiger sei. Auch alles andere, was durch den Schnitt wund ward, ließ Zeus durch Apollon heilen. Apollon zog also die Haut nach dem sogenannten Magen hin zusammen und band sie in der Mitte des Magens wie einen Schnürbeutel ab und ließ eine öffnung, und diese öffnung ist unser Nabel. Apollon glättete dann die vielen Falten, die dadurch entstanden waren, und bildete die Brust, indem er sich dazu eines Werkzeuges bediente, wie es die Schuster heute beim Glätten des Leders haben. Nur um den Nabel und über dem Magen ließ er einige Falten übrig; auch darüber sollte der Mensch seines alten Leidens nicht vergessen. Als nun auf diese Weise die ganze Natur entzwei war, kam in jeden Menschen die große Sehnsucht nach seiner eigenen anderen Hälfte, und die beiden Hälften schlugen die Arme umeinander und verflochten ihre Leiber und wollten wieder zusammenwachsen und starben vor Hunger [31] und wild und wirr, denn keine wollte ohne die andere etwas tun. Wenn aber nur eine Hälfte starb und die andere am Leben blieb, da suchte diese nach der toten und umarmte den Leichnam, ob sie nun auf die Hälfte eines ganzen Weibes – ich meine, was wir heute Weib nennen – oder auf die Hälfte eines ganzen Mannes stieß. Und so ging alles zugrunde. Doch da hatte Zeus Erbarmen mit dem Menschengeschlechte und schuf ein neues Mittel: Er setzte die Schamteile nach auswärts. Bisher hatten die Menschen sie rückwärts besessen und wie die Cikaden in die Erde gezeugt und aus der Erde geboren. Und indem Zeus die Schamteile also versetzte, ließ er die Menschen ineinander zeugen und aus sich selbst gebären, damit von jetzt an, wenn der Mann dem Weibe beischläft, das Geschlecht sich fortpflanze, und wenn der Mann den Mann umarmt, ihre Begierde gestillt werde und ihr Sinnen sich beruhige und sie an die Arbeit gehen und so auch für das Allgemeine sorgen. Von dieser Zeit her, Freunde, ist Eros den Menschen eingeboren und da, damit er die Menschen zu ihrer alten Natur zurückbringe und aus zwei Wesen eines bilde und so die verletzte Natur wieder heile. Wenn der Gastfreund von uns scheidet, so teilen wir mit ihm einen Würfel, und jeder behält die Hälfte, und später erkennen wir uns an den Hälften. Und jeder Mensch, möchte ich sagen, ist ein also geteilter Würfel und sucht im Leben die andere Hälfte des Würfels. Wie die Butten sind wir entzwei geschnitten, aus einer Butte sind zwei geworden. Alle Männer zunächst, [32] welche aus jenem Ganzen geschnitten sind, das früher das Mannweib hieß, lieben heute das Weib – die Ehebrecher also sind aus diesem Geschlechte, damit ihr es wißt – und aus demselben Ganzen sind natürlich auch die Weiber geschnitten, die da den Mann lieben und ihrerseits die Ehe brechen. Die Weiber dann, die aus dem alten Geschlechte des ganzen Weibes geschnitten sind, haben wenig Sinn für den Mann und fühlen sich mehr zum eigenen Geschlechte hingezogen: die lesbischen Frauen stammen aus diesem Geschlecht. Und endlich die Männer, die aus dem alten männlichen Geschlechte geschnitten sind, gehen dem Manne nach. Schon als Knaben lieben sie die Männer und sind froh, wenn sie Männer umarmen und mit Männern liegen. Gerade die mutigsten finden wir unter ihnen, da sie ja doch schon von Natur aus sozusagen die männlichsten sind. Wer sie schamlos nennt, der lügt. Denn nicht aus Schamlosigkeit handeln sie so; nein, ihr Mut, ihre Mannhaftigkeit, ihre Männlichkeit liebt eben ihresgleichen. Und das beweist es: nur sie dienen, reif und zu Männern geworden, dem Staate. Als Männer lieben sie wieder Knaben und Jünglinge und kümmern sich wenig darum, ein Weib zu nehmen und Kinder mit ihm zu zeugen; es genügt ihnen durchaus, unverheiratet nur miteinander zu leben.

So also sind die Freunde und Geliebten entstanden, auch sie lieben eben nur ihr eigenes altes Geschlecht. Wenn nun einer von diesen oder jenen anderen seiner eigenen Hälfte zum erstenmal begegnet, da werden er und der andere wundersam von Freundschaft, Heimlichkeit und Liebe bewegt, und beide wollen nicht mehr voneinander lassen. Aber sie, die von nun an ihr ganzes Leben beieinander weilen, sie wissen dennoch niemals und niemand zu sagen, was sie wollten, daß mit ihnen geschähe. Die sinnliche Begierde könnte doch kaum den einen an den andern mit so großer Leidenschaft binden. Ihre Seele will doch wohl etwas anderes: sie kann es nicht sagen und ahnt es nur und stammelt. Und wenn zu zweien, die beieinander liegen, Hephaistos träte mit seinen Werkzeugen und sie fragte: Was wollt ihr, Menschen, was soll aus euch hier werden? Sie würden nur verlegen und keine Antwort haben, und wenn der Gott fortführe: Wollt ihr ein Wesen sein und Tag und Nacht voneinander nicht lassen können? Wenn das euer Wunsch ist, so will ich euch zusammenschweißen, und ihr werdet ineinanderwachsen, aus zwei Dingen eines werden und euer ganzes Leben als ein einziges Wesen leben und nach dem Tode in den Hades treten wie zwei, die zusammen gestorben sind? Sagt, ob das eure Sehnsucht ist und dieses Glück sie stillt? O, niemand möchte da widersprechen und etwas anderes wollen; gleich Kindern würden alle zu hören glauben, was seit je ihr Sehnen war: mit dem Geliebten verwachsen und ein Wesen mit ihm bilden. Denn so war einst unsere alte Natur: wir waren einst ganz, und jene Begierde nach dem Ganzen ist Eros. Wir waren einst ein Wesen, und weil wir gefrevelt haben, sind wir vom Gotte gespalten worden, wie die Arkadier heute von den [34] Lakedaimoniern. Und die Gefahr besteht fort, daß wir noch einmal gespalten werden, wenn wir nicht fromm gegen die Götter sind, und daß wir dann herumgehen wie die Reliefs auf den Grabsteinen mit zersägten Nasen. Damit wir nun diesem Schicksal entgehen und jenes andere Ziel erreichen, muß jeder Mensch den anderen heißen, die Götter ehren, und Eros ist uns zu jenem Ziele Führer. Ihm soll niemand zuwiderhandeln, und wer der Götter spottet, der handelt ihm zuwider. Nur als des Gottes Freunde und ihm versöhnt, werden wir, was heute nur wenigen gelingt, unsere echten Geliebten finden. Eryximachos soll sich hier über mich nicht lustig machen und meinen, ich denke jetzt an Pausanias und Agathon. Ja, vielleicht stammen diese beiden wirklich aus dem alten männlichen Geschlecht. Ich meine aber alle Männer und Weiber und behaupte, das Menschengeschlecht könne nur heil sein, wenn wir uns in der Liebe vollenden und jeder seinen eingeborenen Geliebten findet und so zur alten Natur zurückkehrt. Und wenn das unser Ziel ist, so muß, wie wir nun einmal sind, gut sein, was diesem zunächst kommt: unter allen den Geliebten finden, der uns versteht. Und wenn wir den Gott, dem wir das verdanken, preisen sollen, so müssen wir Eros preisen, denn wie kein anderer hilft er uns hier zu uns selbst und gibt uns die sicherste Hoffnung, wenn wir den Göttern unseren frommen Sinn bewahren, uns zu unser alten Natur zurückzubringen und uns heil und selig zu machen.“
(Platon „Gastmahl“ (29-34)

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Donnerstag, 6. Juni 2013
Sprechaktereien
Einer der berühmtesten deklaratorischer Sprechakte war: „Hiermit erkläre ich die Olympischen Spiele von 1936 als eröffnet.“
Die Folge war, dass die Spiele tatsächlich eröffnet waren und die Wettkämpfe beginnen konnten. (und auch noch so einiges andere, aber darum soll es hier nicht gehen) Ein gleichartiger Sprechakt, der aufgrund mangelnder Voraussetzungen ins Leere läuft, ist: „I declare this bazar open!“ von Habichvergessen in Diner for one.
Das Aufsagen eines Satzes führt also zu einem Ereignis, dass von diesem einen Satz abhängig ist. Kein abhängiges Ereignis, kein Sprechakt.

Etwas völlig anderes ist der folgenden Sprechakt: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
Ob man nun glaubt, dass dieser Sprechakt so stattgefunden hat oder nicht, sei dahin gestellt, die Folge dieses Befehls an die Wirklichkeit war eine Veränderung der Wirklichkeit. (Das die Wirklichkeit unseren Befehlen nicht so einfach gehorcht ist betrüblich und kommt auch in dem uralten Witz zum Ausdruck: „Und Osram sprach es werde Licht – doch die Birne brannte nicht.“)

Wie ist das nun, wenn man durch Reden ein Ideengebäude, eine Vorstellungswelt durch ein anderes, eine andere ersetzen will? Ist es sinnvoll hier von einem Sprechakt zu reden? Oder doch besser von Agitation und Propaganda? Von Aufklärung und Debatte?
Diese Begriffe hätten den Vorteil, dass nicht das Missverständnis auftauchen könnte, dass man durch vieles Reden und noch mehr Reden – egal ob einem zugehört wird oder nicht, egal ob man jemand überzeugen kann oder nicht - irgendwann mal schon zum gewünschten Ergebnis kommen werde. Bei einem deklaratorischen Sprechakt hängt es ja auch nicht davon ab, dass die Anwesenden zustimmen, noch nicht einmal davon, dass sie anwesend sind.
Diskurse, um mal den Boden noch etwas weiter zu spannen, sind ja nicht nur sprachliche Äußerungen und definitiv keine Sprechakte, sondern die Gesamtheit usw. Ist es statthaft, wenn man Diskurse oder gesellschaftliche Verhältnisse verändern will, in diesem Zusammenhang von Sprechakten zu reden? Oder steht man da bewusst oder unbewusst auf dem Boden der Religion: Die Welt so zu erschaffen wie sie einem gefällt, indem man sie entsprechend zusammenredet.

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Mittwoch, 5. Juni 2013
Alberne Tierarten I


Knopf auf'n Kopf

Zugleich eine Anmerkung zu Foucaults Die Ordnung der Dinge

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Dienstag, 23. April 2013
„Frauen und Gedöhns“ II
Warum war ich überhaupt da?
Tja, wo soll ich anfangen? Als ich vor Stücker 30 Jahren studiert habe, war das poststrukturalistische Gewese ein Randphänomen. Inzwischen ist es das nicht mehr, stattdessen ist in so ziemlich allen linken oder emanzipatorischen oder wie immer man das nennen will, Gruppen, Parteien oder sonstigen Zusammenschlüssen des akademischen Milieus Sprachakrobatik bzw. die vehemente Beschränkung auf den symbolischen Raum anscheinend dominant. Politisch ist es fatal, den Diskurs über das natürliche Geschlecht der Rechten zu überlassen ( Siehe etwa ), während Millionen an Forschungsgeldern in Gen- und Hirnforschung gesteckt werden. Diese Doppelung von interessengeleiteter Forschungs- und Wirtschaftspolitik und irrelevantem oder schlicht unsinnigem Gegen-Diskurs kann zu einem beängstigenden Konglomerat von Körper- und Nachwuchsoptimierung auf der einen Seite und moralinsaurer Verhaltensdomestizierung auf der anderen Seite führen. Die Suchtdebatten sind da erst der Anfang.
Nun, was immer die Zukunft bringen mag, eine Veranstaltungsreihe über die Zukunft von Gender klang vielversprechend
Und da ich beruflich gut ausgelastet bin, habe ich mich nur auf einen Vortrag eingelassen, obwohl auch einige andere Vorlesungen interessant klangen, Zur Verwechslung von Subjekt und Identität in der Geschlechterforschung beispielsweise.

Erste Eindrücke
Da ich durch die halbe Stadt fahren musste, um zur FU zu gelangen, bin ich zeitig losgefahren. Man will ja nicht reinplatzen. Wie immer, wenn ich pünktlich sein will, war ich viel zu früh da. Na egal. Ich habe dann noch eine kleine Besichtigungsrunde durch die Rostlaube gedreht und in Erinnerungen geschwelgt. Hier war der Fachschaftsraum Germanistik, da hängen immer noch die Feuerlöscher, die während einer Studentenparty heruntergerissen wurden und das Pförtnerhäuschen daneben ist auch noch da. Inzwischen unbesetzt und so wird niemand mehr in die Verlegenheit kommen, dem Pförtner erklären zu müssen, warum den die Schwachköpfe die Feuerlöscher herunter getreten haben. Mit anderen Worten: es hat sich doch etwas verändert.
Na und als es so langsam Zeit wurde, habe ich mir einen Platz gesucht, von dem ich alles überblicken konnte und gute Sicht auf die Vortragende hatte. Ich war trotzdem der erste Teilnehmer. Stimmt, das hatte ich vergessen, das akademische Viertel bedeutet ja nicht, dass die Vorlesung eine viertel Stunde später anfängt, sondern dass sie eine viertel Stunde nach der Viertelstunde …
Auf diese Weise konnte ich immerhin unauffällig jede Teilnehmerin und sogar den anderen Teilnehmer (ein Soziologenfussel, nehme ich an) an der Ringvorlesung in Augenschein nehmen.
Zehn Minuten nach c. t. kam die Veranstalterin und die Dozentin in den Saal und dann trudelten noch einige Minuten lang einige Zuhörerinnen ein. Ein Blick in die Runde: alles voller braver Mädchen und älterer Frauen so zwischen 50 und 70. Was hatte ich erwartet? Gar nichts, denn ich hatte vorher nicht darüber nachgedacht und somit überhaupt keine Erwartungen.

Nach einer kurzen Einführung in die Vorlesungsreihe, erhielt die Dozentin das Wort.

Der Vortrag: Das lästige Geschlecht. Begriffliche und sozialtheoretische Überlegungen
Sie setzte ein mit einer Charakterisierung der Debatten der letzten Jahre:
1. Die Queer-Diskussion hätte zu einer Vervielfältigung der Geschlechter geführt
2. Auch ‚sex‘, also das biologische Geschlecht werde – so die These dieser Schule, die sie als sozialen Konstruktivismus bezeichnete – nicht einfach vorgefunden, sondern sei gesellschaftlich konstruiert
3. Und: erst die Diskurse konstituieren ‚Geschlecht‘ in der an sich chaotischen Natur
4. Diese Diskurse gelte es zu ‚dekonstruieren‘, weil jeder Dualismus schon Herrschaft konstituiere.
5. Judith Butler spreche daher von der Zwangsordnung von sex, gender und desire, man müsse aber aus dem Gefängnis der Zweigeschlechtlichkeit entkommen.
Hilge Landwehr führte zunächst die Argumente, wie ich sie oben bereits dargestellt habe etwas aus, um dann noch mit einigen weiteren Argumenten zu ergänzen:
‚Doing gender‘, ein Schlagwort von Butler aufgreifend, habe seine Stärken in der Interaktionsanalyse, insofern überhaupt Empirie betrieben würde. Es nehme aber die Geschichte der Geschlechtervorstellungen nicht in den Blick und sei somit ahistorisch.
Ich blickte mich im Saal um, die Reaktionen auf solche Aussagen wollte ich sehen: ein Dauerlächeln bei zweidrittel der Teilnehmerinnen, der Soziologenfussel schien eingeschlafen zu sein. Das Dauerlächeln blieb während des gesamten Vortrages konstant, egal ob Thesen vorgetragen, Argumente ausgeführt oder lediglich Sachverhalten benannt wurden. Faszinierend, nur was lehrt uns das? Keine Ahnung.
Sie stellte dann ihr Forschungsprojekt, dass sie mit Kollegen und Kolleginnen der FU durchführe, in den Grundzügen vor. Ihr ginge es darum, die tatsächliche Relevanz von Geschlecht in unterschiedlichen Handlungen und Handlungsfeldern zu untersuchen. Als zu untersuchendes Feld sei die Universität mit den Professoren und Professorinnen sowie die Studentinnen und Studenten auf der anderen Seite, vorgesehen. Geplant sei, bei einer Reihe von häufig wiederkommenden Handlungen: Prüfungen, Seminare, Besprechung von Seminararbeiten, usw. Aufnahmen zu fertigen und im Nachgang dazu Interviews mit den Beteiligten zu führen. Das so gewonnene Material solle dann zunächst in einem doppelten Auswertungslauf gesichtet werden, um das ‚Professorale‘ vom ‚Geschlechtlichen‘ trennen zu können und in einem weiteren Schritt mit historischen Dokumenten kontrastiert werden. (Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich alles aus dem Vortrag korrekt mitgeschnitten habe, aber nun gut.) Ausgangspunkt der Untersuchung sei Bourdieus Habituskonzept, das es erlaube die historischen Ursachen von Verhalten, Denken und Fühlen zu beschreiben.
Soweit der Vortrag.

Nun ja, dachte ich bei mir, Bourdieu ist zwar nicht neu, aber von beeindruckender begrifflicher und intellektueller Präzision. Das Konzept als theoretischen Ausgangspunkt zu nehmen, ist wohl immer noch state of the art. Etwas Weitergehendes wird wohl nicht so schnell entwickelt werden. Und das Forschungsprojekt? Je nun, spannender wäre eher ein Feld außerhalb der Universität, der Nachteil natürlich, dass man es mit soziokulturellen Mustern zu tun hätte, die für Hochschullehrer weitgehend fremd sind.

In der Diskussion merkte sie dann noch an, dass sie auch an der Hoffnung des „sich selbst neu Erfindens“ wenig Sinnhaftes entdecken könne. Sie versuche allerdings das erkennbare Anliegen in empirisch untersuchbare Fragestellungen umzuformulieren, so dass die Grenzen der Performanz sichtbar würden.
Und sonst? Einige Verständnisfragen und – anscheinend unvermeidbar – die Frage, warum denn ausgerechnet Bourdieu (sachlich hatte sie ja schon in ihrem Vortrag geantwortet) als theoretische Grundlage Verwendung finden solle. Für einen Moment entglitten ihr die Gesichtszüge (die Zielrichtung der Frage war unübersehbar: Warum die Theorie eines Mannes?), sie begann dann aber keine Grundsatzdebatte, sondern antwortete:

„Weil die Theorie fertig ausgearbeitet ist, dann muss ich es nicht selber machen.“

Nun, dann kann man den Wissenschaftlerinnen nur viel Glück wünschen, dass die Bemühungen Gehör finden. Viel Hoffnung habe ich allerdings nicht.

Wer über ‚sex‘ nicht reden will soll über ‚gender‘ schweigen.

Den 1. Teil gibt es hier.

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Montag, 22. April 2013
„Frauen und Gedöhns“ I
nannte Gerhard Schröder bekanntlich die Politikbereiche, die Christine Bergmann im Bundeskabinett zu vertreten hatte. Dazu ist zunächst nichts weiter zu sagen, als dass dieses Diktum lediglich Schröders überschießende Arroganz bezüglich Geschlechterpolitik dokumentiert. Darüber hinaus markiert der Satz von Schröder aber auch die Wahrnehmung von genderpolitisch engagierten Frauen gegenüber Einwänden von Männern. Die Debatten über Geschlecht sind sozusagen von ‚beiden’ Seiten als verdoppelte Abwehrhaltung mit diesem Satz charakterisiert. Bliebe das Problem: wie kann über das Geschlechterverhältnis sinnvoll gesprochen werden ohne sich im Unterholz zu verlieren? Wenn man das möchte selbstverständlich.



Was man sich nicht alles antut. Nach 30 Jahren war ich mal wieder in einem Hörsaal. Sie werden natürlich jetzt fragen: warum?
Ich hatte ja vor ein paar Monaten mal in einem Fundstücke spezial versucht zusammen zu tragen, was sich meines Erachtens sinnvollerweise überhaupt über das Thema Sex und Gender sagen lässt. Hintergrund war, dass ich der vollständigen Eliminierung von Körper, Sexualität und Fortpflanzung aus dem Geschlechterdiskurs nichts abgewinnen kann. Die Debatte bei der Mädchenmannschaft, die ich damals verlinkt hatte, scheint mir symptomatisch für eine Verengung der Sichtweise auf gesellschaftliche Konstrukte, die wohl nicht nur der Alltagserfahrung der meisten Menschen widerspricht, sondern auch theoretisch und politisch in die Irre führt. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite und deshalb habe ich Schröders pejoratives Diktum in die Überschrift gesetzt, ist nun leider, dass es außerhalb nur noch das nackte Chauvitum zu geben scheint. Anscheinend ist die Debatte, mit wenigen Ausnahmen, mittlerweile zwischen ‚Feminismus’ und erzreaktionärem Maskulinismus abschließend situiert.
Da niemand sich zu den Deppen gesellen will, verbietet sich eine Anflanschung an diese Diskurse der besinnungslosen Abwehr, und da beißt nun mal die Maus keinen Faden ab, an der Abwehr berechtigter Ansprüche von Frauen an umfassender Teilhabe und diskriminierungsfreien Lebensentwürfen und Lebenspraktiken. Zwischen „Hi Welf“ und „Hi Waibling“ will ich mich nun auch nicht entscheiden wollen.

Wie soll man sich aber nun in dieser Gefechtslage orientieren?
Dabei ist mir nun der Aufsatz von Hilge Landweer (vermittelt über ein Blog, das man wohl eher zur Maskulinistenfraktion rechnen muss. Nun das Leben ist hart.) unter gekommen. Um sich von den, zumindest habe ich das so wahrgenommen, peinlichen-triumphiernden Anmerkungen (Ha, seht her ich habe eine Feministin als Gewährsfrau meiner Anschauungen ausgegraben) nicht dauernd nerven zu lassen, habe ich die umfangreichen Zitate in eine extra Datei kopiert und das eingestreute Gewaffel einfach gelöscht. Wenn Sie sich damit auseinander setzen wollen, empfehle ich das gleiche Verfahren.
Der Aufsatz hebt nun zunächst an mit einer Charakterisierung feministischer Debatten.
„Jeder Versuch, anthropologische Konstanten auch nur als Grenzwerte für Transformationsprozesse zu bestimmen, jeder Versuch zu reflektieren, was es für Menschen bedeutet, sich ebenso wie Tiere fortpflanzen zu müssen (wenn sie sich denn überhaupt fortpflanzen wollen), und jeder Versuch, die Geschlechterdifferenz philosophisch zu reflektieren, ohne sie vorab als reines Konstrukt zu setzen, kann damit bereits unter Ideologieverdacht gestellt werden.“
Da ich mich nicht wirklich umfassend mit den Debatten im wissenschaftlichen Raum beschäftigt habe, kann ich nicht beurteilen, ob diese Kritik und wenn ja, in welchem Umfang, zutreffend ist oder nicht. Sporadisches hineinlesen in einige Aufsätze und auch die Beschreibungen der Lehr- und Forschungsgrundsätze der gender studies an den Hochschulen stützt allerdings diese Einschätzung. In den Kreisen, in denen ich mich so alltäglich bewege, stellt das eher eine Minderheitenmeinung dar. Wenn man sich hingegen in feministischen Blogs bewegt, kann man nicht umhin, dieser Charakterisierung zuzustimmen.
Weiter in der Charakterisierung:
„Neueste feministische Theorieanstrengungen [betonen], daß der „anatomische Unterschied“ nicht einfach aus der Natur zu uns spreche; die Natur mache keine Unterscheidungen, das Chaotisch-Mannigfaltige werde erst durch menschliche Begriffe in eine Ordnung gebracht – als eine Art Kulturnominalismus. Auch die biologischen Geschlechtsbestimmungsmethoden seien kulturelle Praktiken, die die distingierenden Geschlechterkategorien erst erzeugen, ebenso wie die Geschlechtsattribution in alltäglichen Interaktionen nicht etwa auf einer evidenten Sichtbarkeit des sexuellen Dimorphismus beruhen, sondern ihn als selbstverständlich geltend unterstellen.“
Und weiter.
„Kritik an solchen Positionen (Ontologisierungen, Naturalisierungen, Mythisierungen, Moralisierungen der Geschlechterdifferenz) ist sicherlich überfällig. Aber muss in solchen Kritikprozessen die Kategorie Geschlecht selbst verabschiedet oder als reine Diskurserfindung behandelt werden?“
Ja, dem ist zuzustimmen. Vor lauter „Frauen können nicht zuhören und Männer nicht einparken“ sollte man nicht einfach die schiere Körperlichkeit für völlig unwichtig erklären. Im Folgenden wendet sie sich gegen die theoretischen Annahmen von Judith Butler. Da ich nichts (na gut, einige Interviews, Aufsätze und ihre Adornopreisrede) von Butler gelesen habe, vermag ich das nicht einzuordnen. Es scheint mir aber vor dem Hintergrund der Schlussfolgerungen und Darstellungen von Leuten, die Butler in ihren Reflexionen folgen, gerechtfertigt.
„Meine These ist, daß in jeder Kultur in Zusammenhang mit Mortalität und Natalität die Generativität zu Kategorisierungen von „Geschlecht“ führt.“
Geschlecht als Kategorie taucht in jeder Kultur und man kann hinzufügen zu jeder Zeit als grundlegende Kategorie auf.
„Wie die Geschlechtsbegriffe kulturell im einzelnen verfasst sind, ist prinzipiell offen, nicht aber, daß es immer zwei Kern-Kategorien gibt, die Individuen nach ihrem als möglich unterstellten Anteil an der Entstehung neuer Menschen klassifizieren.“
Eigentlich banal.
„Daraus folgt zwar keine naturale Determination von Geschlechtscharakteren, wohl aber die Unhintergehbarkeit der Anknüpfung an die generative Zweigliederung auch für die Strukturierung der kulturell variablen Geschlechterbegriffe.“
Auch dem kann man nichts entgegensetzen. In einer Schneckengesellschaft, in der alle Zwitter sind, gäbe es keine Geschlechterdiskurse. Menschen sind eine zweigeschlechtliche Art und so unterscheiden wir auch zwei Geschlechter. Das es auch biologische Uneindeutigkeit ( guckstduhier ) gibt, steht auf einem anderen Blatt und es ist damit auch noch nichts über gleich- oder gegengeschlechtliches Begehren ausgesagt.
„Die Frage nach den Grundkategorien von Geschlecht ist weder vom Agieren von Einzelindividuen noch von spezifischen Interessengruppen abhängig. Es ist auch keine Frage der „Macht“ in der Sprache, oder eines ominösen „heterosexistischen Gesetzes““
Jeglich menschliche Symboltätigkeit, jede kulturelle Zuschreibung setzt an schlicht physischen Unterschieden und dem Beitrag an der möglicher Fortpflanzung an. (über Heteronormativität muss ich auch noch mal was gesondert zusammenschreiben)
So weit, so banal, so richtig. No gender without sex.

Schwieriger wird dann ein weiterer möglicher Fortgang der Gedanken. Mit der Feststellung, das Frauen menstruieren und Männer eine Erektion bekommen ist ja zunächst, wie oben ausgeführt nur festgestellt, dass die Kategorie als solche in der ‚Natur’ wurzelt. Was den Unterschied jenseits von Penis und Brüsten ausmachen könnte, ist damit natürlich noch nicht bestimmt. Insbesondere ist damit auch noch nichts ausgesagt über die kulturellen Zuschreibungen (auch nicht über Selbstzuschreibungen) zu den beiden Geschlechtern in verschiedenen Gesellschaften und zu verschiedenen Zeiten.
Auf dieser Ebene könnte man lediglich die Konstruktion von mehr als zwei Geschlechtern als nicht sinnvoll kritisieren und Vorbehalte gegen den ‚Gender_Gap’ mit der Frage, ob es denn um Gender oder Sex gehe, anmelden. (Wenn ich meine ungnädige Phase habe rede ich dann vom Genderloch, durch das auch folgerichtig ‚sex‘, also das biologische Geschlecht, fällt.)
Wir befinden uns ja immer noch auf der grundlegendsten Ebene der Diskussion, wie man Kultur und Natur, um es mal flapsig zu formulieren, sinnvoll unterscheiden kann und welche Kategorien dabei wie zur Verwendung kommen.
Das nächste Problem dräut ja bereits: was ließe sich den über den biologischen Unterscheid über die nackte Tatsache des sichtbaren physischen Unterschiedes und der über die Fortpflanzungsfähigkeit vermittelten Grundkategorien von männlich/weiblich noch sinnvolles sagen?
Auf meinem jetzigen Stand der Recherchen: herzlich wenig. (Richard David Prechts: Liebe Ein unordentliches Gefühl bietet ein paar Hinweise, die vielversprechend klingen. Sein Buch über Moralphilosophie hingegen ist Müll. Na ja, vielleicht ein anderes Mal etwas ausführlicher.)
Einfacher ist es da schon, darüber zu reden, was nicht sinnvoll ist.

Nicht sinnvoll ist es, die Dichotomie aufzulösen und eine Vielzahl von Geschlechtern herbei zu fantasieren, nicht sinnvoll ist es eine Biologisierung von Charaktereigenschaften oder ‚Wesens’zügen von Männern oder Frauen zu unternehmen und nicht sinnvoll ist es psychologische Forschungen und Interventionen auf der Grundlage der Blobologie für obsolet zu erklären. Umgekehrt ist es aber auch nicht sinnvoll, die persönlichen Hoffnungen und Wünsche, die persönlichen Ängste und Defizite zu rationalisieren und immer neue „Edle Wilde“ mit einem aberwitzigen Wahrnehmungsgerüst zu „entdecken“.

Soweit der Problemaufriss.

Morgen früh gibt es die Fortsetzung.

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Mittwoch, 17. April 2013
el ingenioso, der Sinnreiche
Der ingenioso, der mit Sinn aber nicht unbedingt mit Vernunft angefüllte, Landadelige Alonso Quijano bricht bekanntlich eines schönen Tages auf, um unvergleichliche Abenteuer zu bestehen.
«En un lugar de la Mancha, de cuyo nombre no quiero acordarme, no ha mucho tiempo que vivía un hidalgo de los de lanza en astillero, adarga antigua, rocín flaco y galgo corredor.»

„In einem Dorfe von la Mancha, dessen Namen ich mich nicht entsinnen mag, lebte unlängst ein Edler, einer von denen, die eine Lanze auf dem Vorplatz haben, einen alten Schild, einen dürren Klepper und einen Jagdhund.“ (Übersetzung von Ludwig Tieck)
Der Ausspruch „de cuyo nombre no quiero acordarme“ wurde im heutigen Spanisch zum geflügelten Wort.

Der Sinn, den man im Leben sucht, bzw. den einigermaßen Begüterte suchen, das ist seit langer Zeit ja so eine Sache.

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Montag, 15. April 2013
Lob des decent speaking
„Alle die Fehler, die Mängel,
die Körper so haben
sind doch erträglich und hören
im Laufe der Zeit einfach auf
einem im Wege zu stehn.
Zum Beispiel riecht Stierleder,
wenn man's nicht kennt,
ganz und gar unerträglich.
Hat man sich aber gewöhnt
stört es die Nase nicht mehr.
Manches hält man auch aus,
wenn man es anders benennt:
ist sie pechschwarz
dann nenn sie brünett,
schielt sie, dann
schaut sie wie Silber
Klappern die Knochen,
dann nenn sie grazil,
ist sie klein, dann
nenn sie doch handlich,
ist sie gar fett,
dann ist sie halt üppig gewachsen -
Denn, wie gesagt, je nach Standpunkt,
ist jeder Fehler ein Plus.“

Ovid: ars amatoria (Von der Kunst des …)

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