Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 12. Januar 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 65
(Zweyte Fahrt in die südlichen Breiten, von Neu-Seeland nach Easter- oder Oster-Eyland)
“Während desselben schlug, des Abends um 9 Uhr eine berghohe Welle mitten übers Schiff und füllte die Verdecke mit einer Sündfluth von Wasser. Es stürzte durch alle Öffnungen über uns herein, löschte die Lichter aus und ließ uns einige Augenblicke lang ungewiß, ob wir nicht ganz überschwemmt, schon zu Grunde giengen. In meines Vaters Cajütte floß alles; sogar sein Bette war durchaus naß; unter solchen Umständen mußte der Rheumatismus freylich heftiger werden, an dem er seit vierzehn Tagen die größten Schmerzen ausstand, so daß er kein Glied am Leibe rühren konnte. Unsre Lage war nunmehro in der That höchst elend, selbst für diejenigen die noch gesund waren, und den Kranken, die an ihren gelähmten Gliedern beständige Schmerzen litten, war sie im eigentlichen Verstande unerträglich. Der Ocean um uns her war wütend, und schien über die Keckheit einer Hand voll Menschen, die es mit ihm aufnahmen, ganz erboßt zu seyn. Finstre Melancholie zeigte sich auf der Stirn unsrer Reisegefährten, und im ganzen Schiff herrschte eine fürchterliche Stille. Die eingesalznen Speisen, unsre tägliche Kost, waren uns allen, sogar denen zum Ekel geworden, die von Kindheit an zur See gefahren. Die Stunde des Essens war uns verhaßt, denn der Geruch der Speisen, kam uns nicht so bald unter die Nase, als wirs schon unmöglich fanden, mit einigen Appetit daran zu genüssen. Dies alles beweiset wohl genugsam, daß diese Reise mit keiner von den vorhergehenden zu vergleichen sey. Wir hatten mit einer Menge von Mühseligkeiten und Gefahren zu kämpfen, die unsern Vorgängern in der Südsee unbekannt geblieben waren, weil sie sich mehrentheils nur innerhalb der Wendezirkel, oder doch wenigstens in den besten Gegenden des GEMÄßIGTEN Himmelsstrichs gehalten hatten. Dort fanden sie immer gelindes Wetter; blieben fast immer im Gesicht des Landes, und dieses war selten so armselig und unfruchtbar, daß es ihnen nicht von Zeit zu Zeit einige Erfrischungen gegeben haben sollte. Solch eine Reise wäre für uns eine Lustreise gewesen; bey der beständigen Unterhaltung mit neuen und größtentheils angenehmen Gegenständen, würden wir gutes Muths, aufgeweckt und gesund, mit einem Wort, glücklich und fröhlich gewesen seyn. Aber von alle dem, war unsre Reise gerade das Gegentheil. Die Fahrt gegen Süden war ein ewiges und im höchsten Grade langweiliges Einerley. Eis, Nebel, Stürme, und eine ungestüme See, machten finstere Scenen, die selten genug durch einen vorübergehenden Sonnenblick erheitert wurden. Das Clima war kalt, und unsere Nahrungsmittel beynahe verdorben und ekelhaft. Kurz, wir lebten nur ein Pflanzen-Leben, verwelkten, und wurden gegen alles gleichgültig, was sonst den Geist zu ermuntern pflegt. Unsre Gesundheit, unser Gefühl, unsre Freuden opferten wir der leidigen Ehre auf, einen unbeseegelten Strich durchkreuzt zu haben!“
(Forster S. 466/7)
(Keckheit, finstere Melancholie, Lustreise, Sonnenblick, den Geist ermuntern, unbeseegelt.)

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Montag, 11. Januar 2010
Sprachspiele 5
Charaden (oder Scharaden) sind eine Form der Silbenrätsel. Ein Wort wird in seine Silben zerlegt, die dann einzeln beschrieben werden:
“Nimm mir ein Nu,
So bleib ich ein Nu!
(Friedrich Schleiermacher)
Im 18. und 19. Jahrhundert war das Charadenerfinden ein beliebter Zeitvertreib:
„Das Charadenwesen ist hier bis zur Sucht geworden. Drechslers Kaffeehaus sah eine Zeit lang aus wie eine Börse. Wo man hinsah, zog einer ein Papierlein aus der Tasche oder hatte eins in den Händen und studierte dran oder tauschte eins mit dem Nachbarn aus. Da gab es denn, während man dem Spiel zusah und zuhörte, mancherlei stille Beobachtungen zu machen. Man konnte den Scharfsinn und Witz, man konnte, da bisweilen literarische Anspielungen einflossen, die Belesenheit und Kenntnisse, man konnte sogar ein paar moralische Eigenschaften und den eigenen Gang der Ideenassoziation bei dem und jenem belauschen und das war für mich bei dem ganzen Spiel das Interessanteste." (Johann Peter Hebel, Brief an Hitzig, 1804) Hebel hat Unmengen Charaden geschrieben.

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Donnerstag, 7. Januar 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 64
(Zweyte Fahrt in die südlichen Breiten, von Neu-Seeland nach Easter- oder Oster-Eyland)
“Da es Christ-Tag war, so bat der Capitain, dem Herkommen gemäß, alle Officiers zum Mittags-Essen; und einer von den Lieutenants bewirthete die Unterofficiers. Die Matrosen hatten eine doppelte Portion Pudding und thaten sich mit ihrem Brandtwein gütlich, den sie, aus großer Vorsorge, heute ja recht voll zu werden, schon ganze Monathe her, zusammen gespart hatten. Das ist auch in der That das einzige, wofür sie sorgen, alles übrige kümmert sie wenig oder gar nicht.
Der Anblick so vieler Eismassen, zwischen welchen wir, lediglich durch den Strom, fortgetrieben wurden, und stets Gefahr liefen, daran zu scheitern, war nicht vermögend, sie von ihrer Lieblings-Neigung abzuhalten. Sie versicherten, daß, so lange der Brandtwein noch währete, sie auch den Christtag als Christen feyern wollten, wenn sich gleich alle Elemente gegen sie verschworen hätten. Ihre Gewohnheit ans Seeleben hatte sie längst gegen alle Gefahren, schwere Arbeit, rauhes Wetter und andre Widerwärtigkeiten abgehärtet, ihre Muskeln steif, ihre Nerven stumpf, kurz, ihre Gemütsart ganz unempfindlich gemacht. Da sie für ihre eigne Erhaltung keine große Sorge tragen, so ist leicht zu erachten, daß sie für andre noch weniger Gefühl haben. Strengem Befehl unterworfen, üben sie auch tyrannische Herrschaft über diejenigen aus, die das Unglück haben in ihre Gewalt zu gerathen. Gewohnt ihren Feinden unter die Augen zu treten, ist Krieg ihr Wunsch. Die Gewohnheit umzubringen und zu morden, ist Leidenschaft bey ihnen geworden, wovon wir leyder nur zu viele Beweise auf dieser Reise haben sehen müssen, indem sie bey jeder Gelegenheit die unbändigste Begierde zeigten, um der geringsten Veranlassung willen sogleich auf die Indianer zu feuern. Ihre Lebensart entfernet sie von dem Genuß der stillen häuslichen Freuden, und da treten dann grobe viehische Begierden an die Stelle besserer Empfindungen.

AT LAST, EXTINCT EACH SOCIAL FEELING, FELL
AND JOYLESS INHUMANITY PERVADES
AND PETRIFIES THE HEART.-
(THOMPSON)



Ohnerachtet sie Mitglieder gesitteter Nationen sind, so machen sie doch gleichsam eine besondere Classe von Menschen aus, die ohne Gefühl, voll Leidenschaft, rachsüchtig, zugleich aber auch tapfer, aufrichtig und treu gegeneinander sind.“
(Forster S. 462/3)

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Dienstag, 5. Januar 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 63
(Seefahrt von den freundschaftlichen Inseln nach Neu-Seeland – Trennung von der Adventure – Zweyter Aufenthalt in Charlotten-Sund)
„Zwischen dem Cap TERAWITTI und PALLISER, entdeckten wir eine Bay, die weit ins Land hinauf zu reichen schien. Die Ufer derselben waren durchgehends flach, und ließen vermuthen, daß rings umher eine beträchtliche Ebene vorhanden seyn müsse, hauptsächlich am hintersten Ende, woselbst die Berge so weit entfernt lagen, daß man kaum die Gipfel entdecken konnte. Sollte die Bay für große Schiffe tief genug seyn, woran wohl nicht zu zweifeln ist; so wäre dieser Platz zur Anlegung einer Colonie ganz vorzüglich bequem. Denn man fände hier einen großen Strich bauwürdigen Landes vor sich, der mit genugsamer Waldung, vermuthlich auch mit einem schiffbaren Strom versehen ist, und, seiner Lage nach, in den besten Vertheidigungszustand gesetzt werden könnte. Da diese Gegend auch nicht sonderlich bewohnt zu seyn scheint, so würde desto weniger Gelegenheit zu Streitigkeiten mit den Eingebohrnen vorhanden seyn. Vortheile, die sich an andern Stellen von Neu-Seeland wohl selten so glücklich vereinigt finden dürften.“
(Forster S. 452)
Koloniale Blicke.

(woselbst, ganz vorzüglich bequem, einen großen Strich bauwürdigen Landes.)

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Donnerstag, 17. Dezember 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 62-4
(Seefahrt von den freundschaftlichen Inseln nach Neu-Seeland – Trennung von der Adventure – Zweyter Aufenthalt in Charlotten-Sund)
(Fortsetzung von Forster 62-3)

„Philosophen, die den Menschen nur von ihrer Studierstube her kennen, haben dreist weg behauptet, daß es, aller älteren und neueren Nachrichten ohnerachtet, nie Menschenfresser gegeben habe: selbst unter unsern Reisegefährten waren dergleichen Zweifler vorhanden, die dem einstimmigen Zeugniß so vieler Völker bisher noch immer nicht Glauben beymessen wollten. Capitain COOK hatte indessen schon auf seiner vorigen Reise aus guten Gründen gemuthmaaßt, daß die Neu-Seeländer Menschenfresser seyn müßten; und jetzt, da wir es offenbahr mit Augen gesehen haben, kann man wohl im geringsten nicht mehr daran zweifeln. Über den Ursprung dieser Gewohnheit sind die Gelehrten sehr verschiedener Meynung, wie unter andern aus des Herrn Canonicus PAUW zu Xanten RECHERCHES PHILOSOPHIQUE SUR LES AMERICAINS ersehen werden kann. Er selbst scheint anzunehmen, daß die Menschen ursprünglich durch Mangel und äußerste Nothdurft darauf verfallen sind, einander zu fressen. Dagegen lassen sich wichtige Einwürfe machen, und folgender ist einer der stärksten: Wenig Winkel der Erde sind dermaßen unfruchtbar, daß sie ihren Bewohnern nicht so viel Nahrungsmittel liefern sollten als zur Erhaltung derselben nöthig sind; und diejenigen Länder, wo es noch jetzt Menschenfresser giebt, können gerade am wenigsten für so elend ausgegeben werden. Die nördliche Insel von Neu-Seeland, die beynahe 400 See-Meilen im Umfange haben mag, enthält, so viel sichs berechnen läßt, kaum einhundert Tausend Einwohner; welches für ein so großes Land, selbst alsdann noch, eine sehr geringe Anzahl ist, wenn auch nur allein die Küsten und nicht die innern Gegenden des Landes durchaus bewohnt seyn sollten. Wenn aber auch ihrer noch weit mehrere wären; so würden sie sich doch alle von dem Überfluß an Fischen und vermittelst des Landbaues der in der BAY OF PLENTY und andrer Orten angefangen ist, zur Genüge ernähren, ja sogar den Fremden noch davon mittheilen können, welches sie auch würklich gethan haben.“
...
„Man weis, daß sehr geringe Ursachen oft die wichtigsten Begebenheiten auf dem Erdboden veranlaßt, und daß unbedeutende Zänkereyen die Menschen sehr oft bis zu einem unglaublichen Grad gegen einander erbittert haben. Ebenso bekannt ist es, daß die Rachsucht bey wilden Völkern durchgängig eine heftige Leidenschaft ist, und oft zu einer Raserey ausartet, in welcher sie zu den unerhörtesten Ausschweifungen aufgelegt sind. Wer weiß also , ob die ersten Menschenfresser die Körper ihrer Feinde nicht AUS BLOßER WUTH gefressen haben, damit gleichsam nicht das geringste von denselben übrig bleiben sollte? Wenn sie nun überdem fanden, daß das Fleisch gesund und wohlschmeckend sey, so dürfen wir uns wohl nicht wundern, daß sie endlich eine Gewohnheit daraus gemacht und die Erschlagenen ALLEMAL aufgefressen haben: Denn, so sehr es auch unsrer Erziehung zu wider seyn mag, so ist es doch an und für sich weder unnatürlich noch strafbar, Menschenfleisch zu essen. Nur um deswillen ist es zu verbannen, weil die geselligen Empfindungen der Menschenliebe und des Mitleids dabey so leicht verloren gehen können. Da nun aber ohne diese keine menschliche Gesellschaft bestehen kann; so hat der erste Schritt zur Cultur bey allen Völkern dieser seyn müssen, daß man dem Menschenfressen entsagt und Abscheu dafür zu erregen gesucht hat. Wir selbst sind zwar nicht mehr Cannibalen, gleichwohl finden wir es weder grausam noch unnatürlich zu Felde zu gehen und uns bey Tausenden die Hälse zu brechen, blos um den Ehrgeiz eines Fürsten, oder die Grillen seiner Maitresse zu befriedigen. Ist es aber nicht Vorurtheil, daß wir vor dem Fleische eines Erschlagenen Abscheu haben, da wir uns doch kein Gewissen daraus machen ihm das Leben zu nehmen? Ohne Zweifel wird man sagen wollen, daß ersteres den Menschen brutal und fühllos machen würde.“
...
„Die Neu-Seeländer fressen ihre Feinde nicht anders als wenn sie solche im Gefecht und in der größten Wuth erlegt haben. Sie machen nicht Gefangene um sie zu mästen und denn abzuschlachten, noch weniger bringen sie ihre Verwandten in der Absicht um, sie zu fressen: (wie man wohl von einigen wilden Nationen in America vorgegeben hat) vielmehr essen sie solche nicht einmal wenn sie natürlichen Todes gestorben sind. Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß in der Folge der Zeit dieser Gebrauch bey ihnen ganz abkommen wird. Die Einführung von neuem zahmen Schlacht-Vieh kann diese glückliche Epoche vielleicht befördern, in so fern nemlich größerer Überfluß, mehr Viehzucht und Ackerbau das Volk näher zusammenbringen und es geselliger machen wird.“
(Forster S. 445-9)
Thesen über den Ursprung des Kannibalismus.

(Rachsucht bei wilden Völkern, eine heftige Leidenschaft, zu einer Raserei ausartet, unerhörtesten Ausschweifungen)

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Dienstag, 15. Dezember 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 62-3
(Seefahrt von den freundschaftlichen Inseln nach Neu-Seeland – Trennung von der Adventure – Zweyter Aufenthalt in Charlotten-Sund)
(Fortsetzung von Forster 62-2)

“Nur allein Maheine, der junge Mensch von den Societäts-Inseln, zeigte bey diesem Vorfall mehr wahre Empfindsamkeit als die andern alle. Geboren und erzogen in einem Lande, dessen Einwohner sich bereits der Barbarey entrissen haben und in gesellschaftliche Verbindungen getreten sind, erregte diese Scene den heftigsten Abscheu bey ihm. Er wandte die Augen von dem gräßlichen Schauspiel weg, und floh nach der Cajütte, um seinem Herzen Luft zu machen. Wir fanden ihn daselbst in Thränen, die von seiner inneren Rührung das unverfälschteste Zeugniß ablegten. Auf unser Befragen, erfuhren wir, daß er über die unglückseligen Eltern des armen Schlacht-Opfers weine! Diese Wendung seiner Betrachtungen machte seinem Herzen Ehre; denn man sahe daraus, daß er für die zärtlichsten Pflichten der Gesellschaft ein lebhaftes inniges Gefühl haben und gegen seine Nebenmenschen überaus gut gesinnt seyn mußte. Er war so schmerzlich gerührt, daß einige Stunden vergiengen, ehe er sich wieder beruhigen konnte, und auch in der Folge sprach er von diesem Vorfall nie ohne heftige Gemüthsbewegung.“
(Fortsetzung folgt)

(Forster S. 445)

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Donnerstag, 10. Dezember 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 62-2
(Seefahrt von den freundschaftlichen Inseln nach Neu-Seeland – Trennung von der Adventure – Zweyter Aufenthalt in Charlotten-Sund)
(Fortsetzung von Forster 62-1)

Als er mit seiner Gesellschaft an Bord zurück kam, stellte er ihn oben auf das Geländer des Verdecks zur Schau hin. Indem wir noch alle darum her waren ihn zu betrachten, kamen einige Neu-Seeländer vom Wasserplatze zu uns. Sobald sie des Kopfes ansichtig wurden, bezeugten sie ein großes Verlangen nach demselben, und gaben durch Zeichen deutlich zu verstehen, daß das Fleisch von vortrefflichem Geschmack sey. Den ganzen Kopf wollte Herr PICKERSGILL nicht fahren lassen, doch erbot er sich ihnen ein Stück von der Backe mitzutheilen, und es schien als freuten sie sich darauf. Er schnitt es auch würklich ab und reichte es ihnen; sie wolltens aber nicht roh essen, sondern verlangten es gar gemacht zu haben. Man ließ es also, in unsrer aller Gegenwart ein wenig über dem Feuer braten, und kaum war dies geschehen, so verschlungen es die Neu-Seeländer vor unsern Augen mit der größten Gierigkeit. Nicht lange nachher kam der Capitain mit seiner Gesellschaft an Bord zurück, und da auch diese Verlangen trugen, eine so ungewöhnliche Sache mit anzusehen, so wiederholten die Neu-Seeländer das Experiment noch einmal in Gegenwart der ganzen Schiffsgesellschaft. Dieser Anblick brachte bey allen denen die zugegen waren, sonderbare und sehr verschiedene Würkungen hervor. Einige schienen, dem Eckel zum Trotze, der uns durch die Erziehung gegen Menschenfleisch beygebracht worden, fast Lust zu haben mit anzubeißen, und glaubten etwas sehr witziges zu sagen, wenn sie die Neu-Seeländischen Kriege für Menschen-Jagden ausgaben. Andre hingegen waren auf die Menschenfresser unvernünftigerweise so erbittert, daß sie die Neu-Seeländer alle todt zu schießen wünschten, gerade als ob sie Recht hätten über das Leben eines Volkes zu gebieten, dessen Handlungen gar nicht einmal für ihren Richterstuhl gehörten! Einigen war der Anblick so gut als ein Brechpulver. Die übrigen begnügten sich, diese Barbarey eine Entehrung der menschlichen Natur zu nennen, und es zu beklagen, daß das edelste der Geschöpfe dem Thiere so ähnlich werden könne!
(Fortsetzung folgt)
(Forster S. 444/5)
Engländer und Neuseeländer teilen sich den Kopf. Unglaublich!

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Dienstag, 8. Dezember 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 62-1
(Seefahrt von den freundschaftlichen Inseln nach Neu-Seeland – Trennung von der Adventure – Zweyter Aufenthalt in Charlotten-Sund)
“Das erste, was ihnen daselbst in die Augen fiel, waren die Eingeweide eines Menschen, die Nahe am Wasser auf einem Haufen geschüttet lagen. Kaum hatten sie sich von der ersten Bestürzung über diesen Anblick erholt, als ihnen die Indianer verschiedne Stücke vom Cörper selbst vorzeigten, und mit Worten und Gebehrden zu verstehen gaben, daß sie das übrige gefressen hätten. Unter den vorhandenen Gliedmaaßen war auch noch der Kopf befindlich, und nach diesem zu urtheilen, mußte der Erschlagene ein Jüngling von funfzehn bis sechzehn Jahren gewesen seyn. Die untere Kinnlade fehlte, und über dem einen Auge war der Hirnschedel, vermuthlich mit einem PÄTTU-PÄTTU, eingeschlagen. Unsre Leute fragten die Neu-Seeländer, wo sie diesen Cörper her bekommen hätten? worauf jene antworteten, daß sie ihren Feinden ein Treffen geliefert, und verschiedne derselben getödtet, von den Erschlagnen aber nur allein den Leichnam dieses Jünglings mit sich hätten fortbringen können. Sie setzten hinzu, daß auch von ihrer Parthey verschiedne umgekommen wären und zeigten zu gleicher Zeit auf einige seitwärts sitzende Weiber, die laut wehklagten und sich zum Andenken der Gebliebnen die Stirn mit scharfen Steinen verwundeten. Was wir also von den Zwistigkeiten der Indianer bisher nur blos vermuthet hatten, das fanden wir jetzt durch den Augenschein bestätigt, und allem Anschein nach, war die Muthmaßung, daß wir selbst zu diesem Unheil Gelegenheit gegeben hätten, nicht minder gegründet. Hiernächst blieb uns nun auch kein Zweifel mehr übrig, die Neu-Seeländer für würkliche Menschenfresser zu halten. Herr PICKERSGILL wünschte den Kopf an sich zu kaufen, und solchen zum Andenken dieser Reise mit nach England zu nehmen. Er both also einen Nagel dafür und erhielt ihn, um diesen Preiß, ohne das mindeste Bedenken.
(Fortsetzung)
(Forster S. 443/4)
über Kannibalismus. Einen Kopf als Souvenir an die Reise in die Südsee.

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Montag, 7. Dezember 2009
Sprachspiele 2
Wenn ich von Otto und Anna rede, wird ihnen sich schnell klar, wovon die heutige Folge handelt?
Na klar, von Palindromen.
Das berühmteste ist der Reliefpfeiler, das meist Arthur Schopenhauer zugeschrieben wird, das längste Retsinakanister.

Neben den Wortpalindromen kann man auch Satzpalindrome (er)finden:

Anna roch Coranna

Am bekanntesten ist

Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie.

Martin Mooz hat eine Reihe Palindromgedichte geschrieben.

Bis 13:31 müssen sie selbst ein Palindrom gefunden haben.

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Donnerstag, 3. Dezember 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 61
(Seefahrt von den freundschaftlichen Inseln nach Neu-Seeland – Trennung von der Adventure – Zweyter Aufenthalt in Charlotten-Sund)
“Am 24sten Abends sahen wir endlich die Einfahrt von COOKS Straße, namentlich das CAP PALLISER vor uns; doch durften wir es nicht wagen, in der Dunkelheit hineinzusteuern, und ehe wir am nächsten Morgen Anstalt dazu machen konnten, erhob sich der Sturm abermals, und ward um 9 Uhr so rasend, daß wir beylegen, und alle Seegel, bis auf eins, einnehmen mußten. Ohnerachtet wir uns ziemlich dicht an der Küste hielten und daselbst von den hohen Bergen hätten Schutz haben sollen; so rollten die Wellen gleichwohl so lang und stiegen so entsetzlich hoch, daß sie, beym Brechen, durch den Sturm völlig zu Dunst zerstäubt wurden. Dieser Wasserstaub breitete sich über die ganze Oberfläche der See aus, und da kein Wölkchen am Himmel zu sehen war, die Sonne vielmehr hell und klar schien, so gab die schäumende See einen überaus blendenden Anblick. Endlich ward der Wind so wütend, daß er uns vollends das einzige Seegel zerriß, welches wir noch aufgespannt zu lassen gewagt hatten. Nun waren wir ein vollkomnes Spiel der Wellen; sie schleuderten uns bald hier, bald dorthin, schlugen oft mit entsetzlicher Gewalt über dem Verdeck zusammen und zerschmetterten alles was ihnen im Wege war. Von dem beständigen Arbeiten und Werfen des Schiffs litt das Tau- und Takelwerk ungemein, auch die Stricke, womit Kisten und Kasten fest gebunden waren, gaben nach, und rissen endlich los, so daß alles in der größten Verwirrung vor und um uns her lag.“
...
„Der Anblick des Oceans war prächtig und fürchterlich zugleich. Bald übersahen wir von der Spitze einer breiten schweren Welle, die unermeßliche Fläche des Meers, in unzählbare tiefe Furchen aufgerissen; balf zog uns eine brechende Welle mit sich in ein schroffes fürchterliches Thal herab, indeß der Wind von jener Seite schon wieder einen neuen Wasserberg mit schäumender Spitze herbey führte und das Schiff damit zu bedecken drohte. Die Annäherung der Nacht vermehrte diese Schrecken, vornemlich bey denenjenigen, die nicht von Jugend auf an das See-Leben gewohnt waren. In des Capitains Cajütte wurden die Fenster ausgenommen, und statt derselben Bretter-Schieber eingesetzt, damit die Wellen nicht hineindringen möchten. Diese Veränderung brachte einen Scorpion, der sich zwischen dem Holzwerk eines Fensters verborgen gehalten hatte, aus seinem Lager hervor. Vermuthlich war er, auf einer von den letztern Inseln, unter einem Bündel Früchte oder Wurzelwerk mit an Bord gekommen. Unser Freund MAHEINE, versicherte uns, es sey ein unschädliches Thier, allein der bloße Anblick desselben war fürchterlich genug uns bange zu machen. In den andern Cajütten waren die Betten durchaus naß; doch, wenn auch das nicht gewesen wäre, so benahm uns das fürchterliche Brausen der Wellen, das Knacken des Holzwerks, nebst dem gewaltigen Schwanken des Schiffes ohnehin alle Hoffnung ein Auge zuzuthun. Und um das Maaß der Schrecken voll zu machen, mußten wir noch das entsetzliche Fluchen und Schwören unsrer Matrosen mit anhören, die oftmals Wind und Wellen überschrien. Von Jugend auf, zu jeder Gefahr gewöhnt, ließen sie sich auch jetzt den drohenden Anblick derselben nicht abhalten, die frechsten gotteslästerlichen Reden auszustoßen. Ohne dir geringste Veranlassung, um derentwillen es zu entschuldigen gewesen wäre, verfluchten sie jedes Glied des Leibes in so manigfaltigen und sonderbar zusammengesetzten Ausdrücken, daß es über alle Beschreibung geht. Auch weis ich die fürchterliche Energie ihrer Flüche mit nichts als dem Fluch des ERNULPHUS* zu vergleichen, der dem Christenthum Schande macht. Unterdessen raste der Sturm noch immer nach wie vor, als es um 2 Uhr des Morgens mit einemmale aufhörte zu wehen und gänzlich windstill ward. Nun schleuderten die Wellen das Schiff erst recht herum! Es schwankte so gewaltig von einer Seite zur andern, daß manchmal die mittlern Wände, ja selbst das hintere Verdeck zum Theil ins Wasser tauchte.“

(Forster S. 424 - 426)
* Der Bischof Ernulphus ist eine Figur aus Laurence Sterne: Tristram Shandy:
„Ich mache mich also verbindlich, Jedermänniglich zu beweisen, daß sämmtliche Flüche und Verwünschungen, welche in den letzten 250 Jahren als Originalflüche und Verwünschungen über die Welt losgelassen wurden, – mit Ausnahme von »bei St. Pauls Daumen«, und »Potz Fleisch« und »Potz Fisch«, welches königliche Flüche waren und als solche nicht ganz schlecht sind, denn bei königlichen Flüchen ist es ziemlich gleichgültig, ob sie Fisch oder Fleisch – ich sage also, daß es unter allen diesen keine Verwünschung oder wenigstens keinen einzigen Fluch giebt, der nicht tausendmal aus dem Ernulphus genommen und diesem nachgemacht wäre; aber, wie es beim Nachmachen immer geht, wie weit bleiben sie an Kraft und Schwung hinter dem Original zurück! – Gott verdamm' dich! das hält man für keinen übeln Fluch, und erklingt auch ganz passabel. Aber man halte ihn gegen Ernulphus: Gott Vater, der Allmächtige, verdamme dich. Gott der Sohn verdamme dich! Gott der heilige Geist verdamme dich! Das sieht Jeder, dagegen fällt er gewaltig ab.“
Dramaturgisch schön gemacht, Forster ist ein großartiger Schriftsteller.

(Wasserstaub, wütender Wind, Kisten und Kasten, das schroffe fürchterliche Tal [der Friedrichstraße], denenjenigen, unschädliches Tier, das fürchterliche Brausen, nebst, das entsetzliche Fluchen und Schwören, überschreien, die frechsten gotteslästerlichen Reden, derentwillen, jedes Glied des Leibes verfluchen, ...)

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