Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 22. Juni 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 103
(Aufenthalt an den Neujahrs-Eilanden – Entdeckung neuer Länder gen Süden – Rückkehr nach dem Vorgebürge der guten Hoffnung)
„Hier ließ Capitain COOK die britische Flagge wehen, und begieng die gewöhnliche Feyerlichkeit, von diesen unfruchtbaren Felsen im Namen S. Grosbrittischen Majestät, deren Erben und Nachfolger Besitz zu nehmen! Zwey oder drey Flintenschüsse bekräftigten die Ceremonie, daß die Felsen wiederhallten, und Seehunde und Pinguins, die Einwohner dieser neuen Staaten, voll Angst und Bestürzung erbebten! So flickt man einen Kiesel in die Krone, an die Stelle des herausgerissenen Edelsteins!“
(Forster S. 943)
1776 hatten die amerikanischen Kolonien ihre Unabhängigkeit erklärt, Forsters Reise um die Welt war 1777 erschienen.

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Freitag, 18. Juni 2010
Kinderlied
Lieder spielten (leider) nur eine sehr geringe Rolle in meiner Kindheit. Eines der schönsten ist mir aber noch in Erinnerung:
„In Mutters Stübele,
Da geht der hm hm hm,
In Mutters Stübele,
Da geht der Wind.

Du hast kein Hemdle an,
Und ich kein hm hm hm,
Du hast kein Hemdle an
Und ich kein' Strumpf.

Du nimmst den Bettelsack,
Und ich den hm hm hm,
Du nimmst den Bettelsack
Und ich den Korb.

Du sagst: "Vergelt's euch Gott!"
Und ich sag hm hm hm,
Du sagst: "Vergelt's euch Gott!"
Und ich "Schönen Dank!"

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Donnerstag, 17. Juni 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 102
(Die Fahrt von Neu-Seeland nach Tierra del Fuego – Aufenthalt in Christmeß- oder Weihnachts-Haven)
„Sie schienen unsre Überlegenheit und unsre Vorzüge gar nicht zu fühlen, denn sie bezeigten auch nicht ein einzigesmal, nur mit der geringsten Geberde, die Bewunderung, welche das Schiff und alle darinn vorhandene große und merkwürdige Gegenstände bey allen übrigen Wilden zu erregen pflegte! Dem Thiere näher und mithin unglückseliger kann aber wohl kein Mensch seyn, als derjenige, dem es, bey der unangenehmsten körperlichen Empfindung von Kälte und Blöße, gleichwohl so sehr an Verstand und Überlegung fehlt, daß er kein Mittel zu ersinnen weiß, sich dagegen zu schützen? der unfähig ist, Begriffe mit einander zu verbinden, und seine eigne dürftige Lage mit dem glücklichern Zustande andrer zu vergleichen? Was die ärgste Sophisterey auch je zum Vortheil des ursprünglich wilden Lebens, im Gegensatz der bürgerlichen Verfassung, vorbringen mag; so braucht man sich doch nur einzig und allein die hülflose bedauernswürdige Situation dieser PESSERÄHS vorzustellen, um innig überzeugt zu werden, daß WIR bey unsrer gesitteten Verfassung unendlich glücklicher sind! So lange man nicht beweisen kann, daß ein Mensch, der von der Strenge der Witterung beständig unangenehme Empfindung hat, dennoch GLÜCKLICH sey, so lange werde ich keinem noch so beredten Philosophen beypflichten, der das Gegentheil behauptet, weil er entweder die menschliche natur nicht unter allen ihren Gestalten beobachtet, oder wenigstens das, was er gesehen, nicht auch GEFÜHLT hat. Möchte das Bewußtseyn des großen Vorzugs, den uns der Himmel vor so manchen unserer Mitmenschen verliehen, nur immer zu Verbesserung der Sitten, und zur strengern Ausübung unserer moralischen Pflichten angewandt werden! aber leider ist das der Fall nicht, unsre civilisirten Nationen sind vielmehr mit Lastern befleckt, deren sich selbst der Elende, der unmittelbar an das unvernünftige Thier gränzt, nicht schuldig macht. Welche Schande, daß der höhere Grad von Kenntnissen und von Beurtheilungskraft, bey uns nicht bessere Folgen hervorgebracht hat!
Diese unglücklichen Bewohner eines felsigten unfruchtbaren Landes fraßen rohes, halbverfaultes Seehundsfleisch, welches äußerst widrig roch. Das Thranartige ekelhafte Fett genossen sie am liebsten, und boten auch dem Seevolk davon an. Vielleicht ist es Instinct, der ihnen dies ranzige Fett verzehren heißt, denn alle in kalten Erdstrichen wohnenden Völker sollen es für Leckerbissen halten, und dadurch in Stand gesetzt werden, die Kälte besser zu ertragen. Die natürliche Folge einer solchen Nahrung war ein unerträglicher fauliger Gestank, der aus ihrem ganzen Körper ausdunstete, und sich allem, was sie nur an und um sich führten, mitgetheilt hatte. Dieser Gestank war uns dermaßen zuwider, daß wirs unmöglich lange bey ihnen aushalten konnten. Mit geschloßnen Augen konnte man sie bereits in der Ferne wittern. Wer die Seeleute, und ihre sonst eben nicht ekle Begierden kennt, wird kaum glauben, was doch wirklich geschah, nemlich, daß es ihnen, dieser unerträglichen Ausdünstung wegen, gar nicht einmal einfiel, mit dem saubern Frauenzimmer genauere Bekanntschaft zu machen. Die Matrosen gaben ihnen Pökelfleisch und verschimmelten Zwieback; sie machten sich aber nichts daraus, und konnten kaum dahin gebracht werden, es zu kosten. Lehrte sie etwa der Instinct, daß diese Speisen vielleicht NOCH ungesunder wären, als halb verwestes Seehundsfleisch? – Wir bemerkten unter ihnen nicht den mindesten Unterschied des Standes, weder Oberherrschaft noch Abhängigkeit. Ihre ganze Lebensart kam dem thierischen Zustande näher, als bey irgend einem andern Volk. Es dünkt mich daher überaus wahrscheinlich, daß sie keine selbständige Nation ausmachen, sondern nur als einzelne, von den benachbarten Völkerschaften ausgestoßne Familien anzusehen sind, die durch ihren Aufenthalt im ödesten unfruchtbarsten Theil von TIERRA DEL FUEGO fast jeden Begriff verlohren haben, der nicht mit den dringensten Bedürnissen in unmittelbarer Verbindung steht.“
(Forster S. 923-925)

Gegen Rousseau.

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Dienstag, 15. Juni 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 101
(Die Fahrt von Neu-Seeland nach Tierra del Fuego – Aufenthalt in Christmeß- oder Weihnachts-Haven)
„Mit unsrer Zeichensprache, die doch sonst überall gegolten hatte, war bey diesen Leuten hier nichts auszurichten; Geberden, die der niedrigste und einfältigste Bewohner irgend einer Insel in der Südsee verstand, begriff hier der Klügste nicht. Eben so wenig fiel es ihnen ein, uns ihre Sprache beyzubringen; da auf dem Schiffe nichts ihre Neugierde oder Verlangen erregte, so war es ihnen auch gleich viel, ob wir sie verstunden, oder nicht.“
(Forster S. 922)
Reden können sie auch nicht.

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Donnerstag, 10. Juni 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 100
(Die Fahrt von Neu-Seeland nach Tierra del Fuego – Aufenthalt in Christmeß- oder Weihnachts-Haven)
„Glas-Corallen und andre Kleinigkeiten nahmen sie mit eben der Gleichgültigkeit und Achtlosigkeit an, mit welcher sie auch ihre Waffen, ja sogar ihre zerlumpten Seehunds-Felle umsonst, oder, gegen das erste beste, das ihnen geboten ward, weggaben. Überhaupt war ihr Charakter die seltsamste Mischung aus Dummheit, Gleichgültigkeit und Unthätigkeit!“
(Forster S. 921)
Wie das Äußere, so der Charakter.

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Dienstag, 8. Juni 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 99
(Die Fahrt von Neu-Seeland nach Tierra del Fuego – Aufenthalt in Christmeß- oder Weihnachts-Haven)
„Auf vielfältiges Zuwinken kamen etliche von diesen Leuten ins Schiff; doch ließen sie nicht das geringste Zeichen von Freude blicken, schienen auch ganz ohne Neugierde zu seyn. Sie waren von kurzer Statur, keiner über 5 Fuß 6 Zoll (englischen Maaßes) hoch, hatten dicke große Köpfe, breite Gesichter, sehr platte Nasen, und die Backenknochen unter den Augen sehr hervorragend; die Augen selbst waren von brauner Farbe, aber klein und matt, das Haar schwarz, ganz gerade, mit Thran eingeschmiert, und hieng ihnen wild und zottigt um den Kopf. Anstatt des Barts standen einige einzelne Borsten auf dem Kinn, und von der Nase bis in das häßliche, stets offene Maul, war ein beständig fließender Canal vorhanden. Diese Züge machten, zusammen genommen, das vollständigste und redenste Bild von dem tiefen Elend aus, worinn dies unglückliche Geschlecht von Menschen dahinlebt. Herr Hodges hat von zwoen dieser Physiognomien eine sehr richtige, charakteristische Zeichnung verfertigt. Schultern und Brust waren breit und stark gebaut, der Untertheil des Körpers aber so mager und eingeschrumpft, daß man sich kaum vorstellen konnte, er gehöre zum obern. Die Beine waren dünn und krumm, und die Knie viel zu stark. Ihr einziges elendes Kleidungsstück bestand in einem alten kleinen Seehunds-Fell, welches vermittelst einer Schnur, um den Hals befestigt war. Übrigens giengen sie ganz nackend, ohne auf das, was Anständigkeit und Ehrbarkeit bey uns fordern würden, die geringste Rücksicht zu nehmen. Ihre Leibesfarbe war Olivenbraun mit einem Kupfer-ähnlichem Glanze, und bey manchen noch durch aufgetragene Streifen von rothem und weißem Ocker erhöht. Es scheint folglich, daß die Begriffe von Schmuck und Zierrath älter und tiefgewurzelter bey uns sind, als die von Ehrbarkeit und Schaamhaftigkeit! Die Weiber waren beinahe wie die Männer gestaltet, nur etwas kleiner, den Gesichtszügen nach nicht minder häßlich und wirdrig, und auch in der Kleidung nicht unterschieden. Einige wenige hatten jedoch, ausser dem Felle, welches die Schultern bedeckte, noch ein kleinen Lappen, kaum eine Hand groß, vorn am Schooße herabhängen, der, vermittelst einer Schnur, um die Hüften befestigt war. Ein ledernes Band mit Muscheln besetzt, zierte den Hals, und auf dem Kopfe trugen sie eine Art Mütze, aus etlichen langen Gänse-Federn zusammengefügt, die gemeiniglich aufrecht in die Höhe standen, und alsdenn gerade so, als die Fontangen* des vorigen Jahrhunderts aussahen.“
(Forster S. 920/1)

*Fontange: haubenartiger Kopfschmuck.

Das Gegenbild zum Ideal auf Tahiti. Seine Urteile sind moralisierender.

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Donnerstag, 3. Juni 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 98
(Dritter und letzter Aufenthalt zu Königin-Charlotten’s Sund in Neu-Seeland)

„Wir hatten desto mehr Ursach, der Erzählung der Einwohner von KÖNIGIN-CHARLOTTEN-SUND Glauben beyzumessen, weil sie ihre eignen Landsleute, unverhohlen, eines Diebstahls beschuldigten. Allein sie gaben auch deutlich genug zu erkennen, daß die Übereilung der Unsrigen, diesen Diebstahl sogleich durch Musketenfeuer, und vielleicht ohne Unterschied an dem ganzen Haufen, zu ahnden, ihre Mitbrüder aufgebracht, und sie zur Rache angeheizt habe. Wir werden geboren, unsre abgemeßne Zeit auf dem Erdboden zu durchleben; will jemand, vor dem Ablauf dieser Zeit, unserm irdischen Daseyn ein Ziel setzen, so können wir es als ein Vergehen gegen die Gesetze des Schöpfers ansehen. Dieser verlieh uns die Leidenschaften gleichsam zur Schutzwehr und bestimmte den Trieb der Rache, vorzüglich, zu Abwendung aller gewaltsamen Unterdrückung. Der Wilde fühlt dieses und eignet sich selbst das Recht zu, Beleidigungen zu rächen, dahingegen in der bürgerlichen Gesellschaft gewissen einzelnen Personen, ausschließlicherweise, die Macht anvertraut, und zugleich die Pflicht auferlegt ist, alles Unrecht zu rügen. Indessen ist diese Art, das Recht zu handhaben, auch in den gesitteten Ländern Europens, nicht immer, und nicht auf alle Fälle hinreichend. Wenn z.B. dieser Gewährsmann der öffentlichen Ruhe, dieser allgemeine Rächer des Unrechts, seinen eignen Arm gegen die geheiligten Rechte des gemeinen Wesens aufhebt; müssen alsdenn nicht alle bürgerliche Verbindlichkeiten aufhören, muß nicht ein jeder seine eigenen natürlichen Rechte selbst verfechten, und den Leidenschaften, als den ursprünglich angebornen Mitteln zur Selbsterhaltung, wieder freyen Lauf gestatten? Eben so ereignen sich auch im Privatleben Fälle genug, wo das Gefühl der Rache einige Entschludigung für sich zu haben scheint. Giebt es nicht eine Menge von Beeinträchtigungen und Beleidigungen oder Beschimpfungen, wogegen kein Gesetz schützt? Oder wie oft geschiehet es nicht, daß die Großen, Macht und Einfluß genug haben, die Gesetze zu verdrehen, und, zum Nachtheil des unglücklichen, freudlosen Armen, zu vereiteln? Dergleichen Fälle würden nun gewiß noch ungleich häufiger vorkommen und bald in den höchsten Grad der Gewaltthätigkeit übergehen, wenn die Furcht nicht wäre, daß der beleidigte Theil das Recht, sich und sein Eignethum zu schützen, (welches er andern anvertraut hatte) endlich einmal in seine eigenen Hände zurücknehmen möchte, sobald er nemlich sehen muß, daß diejenigen, die hierinn seine Stelle vertreten sollen, ihre Pflicht so schändlich unterlassen? Wenn ein Räuber sich an meinem Eigenthum vergreift, so darf ich nicht erst zum Richter laufen, sondern kann, in vielen Fällen, den Bösewicht gleich auf der Stelle dafür züchtigen; auf solche Art haben Stock und Degen manchen Schurken in Furcht und Schranken gehalten, der dem Gesetz Trotz bieten durfte.“
(Forster S. 892/3)


Über Recht, Gerechtigkeit und Selbstjustiz.

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Dienstag, 1. Juni 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 97
(Dritter und letzter Aufenthalt zu Königin-Charlotten’s Sund in Neu-Seeland)
„Hoffentlich wird es meinen Lesern nicht zuwider seyn, von diesem traurigen Vorfall etwas bestimmteres zu vernehmen; ich will also das, was ich, bey meiner Rückkunft nach England, von den Leuten der ADVENTURE in Erfahrung gebracht, mit demjenigen, was die NEU-SEELÄNDER davon erzählt haben, verbinden. Nachdem Capitain FOURNEAUX durch Sturm und Nebel von uns getrennt worden, sahe er sich genöthigt am 9ten November 1773, auf der nördlichen Insel von Neu-Seeland, namentlich in der BAY TOLAGA, vor Anker zu gehen. Von hier segelte er am 16ten wiederum ab, und langte am 30sten, einige wenige Tage nach unsrer Abreise, in KÖNIGIN-CHARLOTTEN-SUND an. O MAÏ, (der Indianer aus der Insel RAIETEA, der sich am Bord der ADVENTURE befand), erzählte mir in England, er sey der erste gewesen, der die Innschrift am Baume entdeckt hätte, an dessen Fuß die Flasche mit der Nachricht von unsrer Abreise verscharrt worden war. Er zeigte die Innschrift dem Capitain, der gleich nachgraben ließ, und die Flasche nebts dem darin verschlossenen Briefe fand. Selbigem zufolge machte dieser auch unverzüglich Anstalt die Reise fortzusetzen. Schon war sein Schiff seegelfertig, als er noch ein Boot nach GRAS-COVE abschickte, um eine Ladung Löffelkraut und Sellerie von dort herzuholen. Das Commando dieses kleinen Detachements ward einem gewissen Herrn ROWE anvertraut. Dieser unglückliche junge Mann hatte, bey einer sonst guten Denkungsart, die Vorurtheile der seemännischen Erziehung noch nicht völlig abgelegt. Er sahe z. E. alle Einwohner der Südsee mit einer Art von Verachtung an, und glaubte eben dasselbe Recht über sie zu haben, welches sich, in barbarischen Jahrhunderten, die Spanier über das Leben der amerikanischen Wilden anmaaßten. Seine Leute landeten in GRAS-COVE, und fingen an Kräuter abzuschneiden. Vermuthlich hatten sie, um mehrerer Bequemlichkeit willen, bey dieser Arbeit ihre Röcke ausgezogen; wenigstens erzählten uns die Indianer in KÖNIGIN-CHARLOTTEN-SUND, der Streit sey DAHER entstanden, daß einer von ihren Landsleuten den unsrigen eine Jacke gestohlen hätte. Dieses Diebstahls wegen habe man sogleich Feuer auf sie gegeben, und so lange damit fortgefahren, bis die Matrosen kein Pulver mehr gehabt: Als die Eingebohrnen dies inne geworden, wären sie auf die Europäer zugerannt, und hätten selbige bis auf den letzten Mann erschlagen. Da mir selbst erinnerlich ist, daß Herr ROWE immer zu behaupten pflegte, die NEU-SEELÄNDER würden das Feuer unserer Musketerie nicht aushalten, wenn es einmal zum Schlagen käme; so kann es ganz wohl seyn, daß er bey dieser Gelegenheit einen Versuch dieser Art habe anstellen wollen. Schon in TOLAGA-BAY hatte er große Lust bezeugt, auf die Einwohner zu feuern, weil sie ein klein Brandtewein-Fäßgen entwendet; auf das gutherzige und weisere Zurathen des Lieutenant BURNEY, ließ er sich jedoch damals eines bessern bereden. Als Capitain FOURNEAUX sahe, daß das abgefertigte Bott zween volle Tage ausblieb, schickte er vorgedachten Lieutenant BURNEY in einem anderen wohl bemannten und stark bewafneten Boote ab, um jenes aufzusuchen. Dieser erblickte am Eingang von EAST-BAY ein großes Canot voll Indianer, die aus allen Kräften fort ruderten, so bald sie das Boot der ADVENTURE gewahr wurden. Die Unsrigen ruderten tapfer hinterdrein; allein, aus Besorgniß eingeholt zu werden, sprangen die NEU-SEELÄNDER sämtlich ins Wasser, und schwammen nach dem Ufer zu. Herr BURNEY kam diese ungewöhnliche Furcht der Wilden sehr befremdend vor; doch, als er das ledige Canot erreicht hatte, sahe er leider nur zu deutlich, was vorgefallen war. Er fand nämlich in diesem Fahrzeuge verschiedene zerfezte Gliedmaaßen seiner Schifs-Cameraden, und einige ihrer Kleidungs-Stücke. Nach dieser traurigen Entdeckung ruderten sie noch eine Zeitlang umher, ohne von den Indianern etwas ansichtig zu werden, bis sie um ein Uhr in GRAS-COVE, als dem eigentlichen Landungsort der verunglückten Mannschaft, ankamen. Hier war eine große Anzahl von Indianern versammlet, die sich, wider ihre Gewohnheit, beim Anblick der Europäer sogleich in wehrhafte Verfassung setzten. Der seitwärts gelegene Berg wimmelte von Menschen, und an vielen Orten stieg Rauch auf, der vermuthen ließ, daß das Fleisch der erschlagnen Europäer schon zu einer festlichen Mahlzeit zubereitet werde! Dieser Gedanke erfüllte selbst die hartherzigen Matrosen mit Grausen, und machte ihnen das Blut in allen Adern starren; doch, im nächsten Augenblick entbrannte ihre Rachgier, und die Vernunft mußte unter diesem mächtigen Instinct erliegen. Sie feuerten und tödteten viele von den Wilden, trieben sie auch zuletzt, wiewohl nicht ohne Mühe, vom Strande, und schlugen ihre Canots in Trümmern. Nunmehro, da sie sich sicher dünkten, stiegen sie ans Land, und durchsuchten die Hütten. Sie fanden mehrere Bündel Löffelkraut, welche ihre unglücklichen Cameraden schon zusammengebunden haben mußten, und sahen viele Körbe voll zerstückter und zerstümmelter Glieder, unter welchen sie die Hand des armen ROWE deutlich erkannten. Die Hunde der Neu-Seeländer fraßen indeß am Strande von den herumliegenden Eingeweiden!“
(Forster S. 885-7)

(tapfer hinterdrein, in wehrhafte Verfassung, der seitwärts gelegene Berg, zerstückter, herumliegende Eingeweide)

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Donnerstag, 27. Mai 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 96
(Entdeckung von Neu-Caledonien – Nachricht von unserm dortigen Aufenthalt – Fahrt längst der Küste bis zur Abreise – Entdeckung von Norfolk-Eyland – Rückkehr nach Neu-Seeland)
„Ihr Widerwille konnte uns indessen nicht befremden; denn das Schwein ist allerdings nichts weniger, als schön von Gestalt, und Leute, die dergleichen nie gesehen, können wohl natürlicherweise keinen Gefallen daran finden. Der Mensch muß ursprünglich gewiß DURCH NOTH zum Fleischessen gebracht worden seyn; denn, einer Creatur das Leben zu nehmen, ist etwas gewaltsames, und kann nicht anders, als durch eine sehr dringende Ursach in kalte Gewohnheit übergehn. Haben aber die ersten Fleischesser die Wahl gehabt; so werden sie sich an den häßlichen Schweinen gewiß nicht zuerst vergriffen haben; vielmehr wird noch ein höherer Grad von Bedürfniß und Mangel erfordert worden seyn, sie zu überreden, daß, seines widrigen Ansehens ohnerachtet, das Schwein von eben so wohlschmeckendem Fleisch sey, als das Schaaf oder das Kalb. Die armen Bewohner von NEU-CALEDONIA, hatten bisher noch kein anderes, als das Fleisch von Fischen und Vögeln gekostet; ein vierfüßiges Thier mußte ihnen also allerdings etwas fremdes und erstaunendes seyn. – Nachdem wir den Hauptendzweck unsers Besuchs erreicht zu haben glaubten, botanisirten wir zwischen den Morästen und Pflanzungen herum, und kamen an ein einzeln liegendes Haus, das mit einem Stangenzaun umgeben war, und hinterwärts eine Reihe von hölzernen Pfeilern hatte. Jeder Pfeiler hielt ohngefähr einen Fuß ins Gevierte, 9 Fuß in der Höhe, und der Obertheil stellte einen unförmlich ausgeschnitzten Menschenkopf vor. In diesem einsam gelegenen Haus wohnte ein einzelner alter Mann, der uns durch Zeichen zu verstehen gab, diese Pfeiler zeigten seine Grabstelle an! Vielleicht ist in der Geschichte des menschlichen Geschlechts nicht merkwürdiger, als dieses, daß man fast unter allen Völkern die Gewohnheit antrifft, sich bey den Begräbnißstellen zugleich gewisse Denkmale zu errichten! Könnte oder wollte man den ursprünglichen Bewegursachen dieser Sitte, bey so verschiednen Nationen nachspüren und sie gründlich erforschen, (welches in der That eine sehr merkwürdige und wichtige Untersuchung seyn würde) so ließe sich vielleicht eben DARAUS beweisen, daß alle Völker einen allgemeinen Begriff von einem künftigen Zustand gehabt haben!“
(Forster S. 856/7)
Obwohl Forster Rousseaus Naturzustand und seine Vorstellungen von Entwicklung ablehnt, argumentiert er laufend in diese Richtung.

(herum botanisieren, hinterwärts)

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Dienstag, 25. Mai 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 95
(Entdeckung von Neu-Caledonien – Nachricht von unserm dortigen Aufenthalt – Fahrt längst der Küste bis zur Abreise – Entdeckung von Norfolk-Eyland – Rückkehr nach Neu-Seeland)

„Ein großer Rinderknochen, den unsre Leute zu Ende des Abendessens, aus ihrem mitgebrachten Proviant hervorlangten, um den Rest des daran befindlichen Pökelfleisches abzunagen, unterbrach diese freundschaftliche Unterredung auf einmal. Die Indianer begannen bey Erblickung desselben sehr laut und ernstlich unter einander zu reden, und unsre Leute mit Erstaunen und Merkmalen von Abscheu anzusehen; endlich giengen sie gar weg, und gaben durch Zeichen zu erkennen, daß ihre fremden Gäste ohnfehlbar Menschenfresser seyn müßten. Der Officier suchte diesen häslichen Argwohn von sich und seinen Cameraden abzulehnen; allein, aus Mangel der Sprachfertigkeit wollte es ihm nicht gelingen. Wer weiß auch, ob es überall möglich gewesen wäre, Leuten, die nie ein vierfüßiges Thier mit Augen gesehen hatten, durch bloße Versicherungen ihren Wahn zu benehmen? Am folgenden Morgen machten sich die Matrosen an die Ausbesserung des Boots, und liessen ihre nassen Kleider in der Sonne trocknen. Die Indianer versammleten sich aus allen Gegenden der Insel in solcher Anzahl um sie her, daß Herr PICKERSGILL, zu Sicherung der Kleider, für nöthig fand, Linien in den Sand zu ziehen, die keiner von den Wilden überschreiten sollte. Sie begriffen, was diese Verfügung sagen wollte, und liessen sich solche ohne Widerrede oder Widerspenstigkeit gefallen. Unter dem ganzen Haufen war nur Einer, der über diese Anstalt mehr Verwunderung, als die übrigen, bezeugte, und eben dieser fieng, nach einer Weile, sehr launigt, an, mit einem Stock einen Kreis um sich herzuziehen, und unter allerhand possierlichen Grimassen den Anwesenden zu verstehen zu geben, daß sie auch ihm vom Leibe bleiben sollten. Bey der sonst gewöhnlichen Ernsthaftigkeit der Einwohner, war dieser humoröse Einfall sonderbar und merkwürdig genug!“
(Forster S. 854/5)

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