Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XIX
g. | Mittwoch, 24. November 2010, 06:02 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Gegen Abend kehrte er in seinen Gasthof zurück; er war zufrieden, daß der Wirt noch ebenso höflich gegen ihn war, ja noch höflicher als vorher, weil er sich einbildete, Siegmund habe beim Präsidenten gegessen. Er ging auf sein Zimmer und bestellte sich ein delikates Souper, weil er nicht an der Wirtstafel den Spöttereien seines guten Freundes Bellmann ausgesetzt sein wollte. Er ließ den Vorhang herunter, setzte sich einen behaglichen Sessel an den Tisch, und ließ sich eine Flasche vom besten Weine geben. Darauf fing er mit dem besten Appetit seine Mahlzeit an.Im Grunde genommen besteht die ganze Erzählung aus mehreren Spaziergängen in der Stadt.
Als er einige Gläser des feurigen Weins getrunken hatte, kam er sich vor, wie ein Prinz in einem Feenpalast, auf dessen Gebot sich alle dienstbare Geister in Bewegung setzen man trug die leeren Schüsseln fort und brachte andre mit neuen Gerichten, und er fühlte sich in seinem Zimmer warm und behaglich, und der Wein machte, daß ihm das Blut leicht und hüpfend durch das Herz strömte. Er vergaß seine Situation gänzlich, und lebte im Sinnengenuß die glücklichsten Minuten. Die Wände tanzten in einer leichten Bewegung um ihn her er lachte und scherzte mit dem Markör, der nicht genug die kuriösen Einfälle des lustigen Herrn bewundern konnte.
Er trank jetzt mit einem langen Zuge das letzte Glas aus, und wankte die Treppe hinunter, um am schönen Abend noch einen Spaziergang zu machen. –
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Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XVIII
g. | Montag, 22. November 2010, 06:24 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Alle Welt scheint ihm es gleich tun und sich lächerlich machen zu wollen.
In seinem Stück, das er durchlachte, schien keine einzige Pause zu sein, denn es war ein einziger Strom von jenen unartikulierten Tönen aus denen die Menschen nicht wissen, was sie machen sollen, und die sie Lachen betiteln. Es ist schwer zu berechnen, wie vielerlei Gedanken jetzt durch seinen Kopf gehen mochten aber als er ausgelacht hatte, setzte er sich ermüdet auf eine Bank, rieb sich die Hände, sah ganz froh und heiter die Gegend an, und da es gerade an dieser Stelle einsam war, genierte er sich nicht, sondern begann folgenden Monolog:So gesehen ist alles eitel.
»Gibt es in der ganzen Welt etwas Närrischers, als den sogenannten König der Welt, den Menschen? – Die seltsamste von allen Arabesken ist gerade in diesem bunten Gemälde des Lebens so angebracht, daß sie uns am meisten in die Augen fällt. – Ich komme hier mit der größten Zuversicht an, Rat zu werden, ich lache einen Menschen aus, von dem mein Glück abhängt, schütze mit kühnem Mute meinen Feind vor den Angriffen seiner Spötter, werde von diesem und vom Präsidenten verachtet, ich fühle meine Abhängigkeit – und doch gibt sich jetzt das Pferd und der Präsident meinetwegen die größte Mühe er hängt von meinem Blick ab, und ein bedenkliches, verächtliches Kopfschütteln hätte ihn ängstigen können. Dieser hagre Mensch philosophiert über die Eitelkeit, und ist eitel genug, dem Präsidenten nachzulaufen, um mit ihm zu sprechen, die Vorübergehenden verspotten den Zeitungsschreiber, und werden bei der nächsten Gelegenheit sich nicht anders nehmen, und ich selbst wäre jetzt wieder imstande, den Präsidenten den vortrefflichsten Reiter von der Welt zu nennen, um seine Gunst zu gewinnen, und an der nächsten Ecke liegt mein hoher Gönner vielleicht im Sande, weil er sich von einem vorübergehenden Dummkopf hat wollen bewundern lassen.«
Siegmund fing hier von neuem an zu lachen, und rückte auf seiner Bank unter heftigen Erschütterungen des Körpers hin und her.Siegmund hat sich wieder gefangen, das Finale naht.
»Meinetwegen«, fuhr er fort, »hat der Präsident heut sein Pferd satteln und die beste Decke auflegen lassen warum soll ich mich denn in einer demütigen Abhängigkeit fühlen? – Mir zu gefallen sind diese Herren und Damen so geputzt und festlich!«
Durch diese Philosophie bekam Siegmund seine gute Laune so ziemlich wieder. Da gerade Leute vorbeigingen, setzte er seine Gedanken stillschweigend fort, und war immer mehr überzeugt, daß die Menschen Narren sind.
Siegmund genoß nun des Spazierganges mit ziemlich heiterm Mute, er spottete in seinem Herzen über jedermann, den er sah, kein Gesicht und kein prächtiger Anzug setzte ihn in Verlegenheit.
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Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XVII
g. | Freitag, 19. November 2010, 05:22 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Gemächlich wird die nächste Wende in der Erzählung über ein kurzes Zwischenstückes vorbereitet.
Alles machte ihn betrübt, er sah in die Straßen der Stadt hinein, und verachtete das Treiben und Drängen der Menschen recht herzlich. Die Glocken riefen die Leute vom Spaziergange zum Mittagsessen aber er hörte es nicht; der Wall ward nach und nach leer, doch er achtete nicht darauf, und befand sich in der Einsamkeit ungestörter und glücklicher. Es währte aber nicht lange, so kamen die Spaziergänger zurück ja ihre Anzahl war größer, als vormittags, die Damen waren noch geputzter und sahen ängstlich nach dem Himmel, ob die drohenden Herbstwolken näher ziehen und durch einen Regenguß ihren Anzug verderben würden. Aber die Sonne brach immer wieder mit neuer Wärme hervor, und der Spaziergang machte alle Gesichter froh und heiter.Nachdem sich dergestalt die Gesichter der Passanten aufgehellt hatten, naht auch schon das Schicksal in der, für einen Republikaner schönsten Gestalt.
Ein hagerer Mann gesellte sich durch einen Zufall zum melancholischen Siegmund; es war der Zeitungsschreiber des Orts, der gern allenthalben nach Neuigkeiten forschte. Dieser vaterländische Dichter hatte es aus dem Gesicht, dem Gange und der Kleidung Siegmunds herausgebracht, daß er ein Fremder sein müsse, er wollte daher einige Traditionen aus ihm herausziehn, um sie in Briefform mit andern Wendungen seinem Blatte einverleiben zu können. Siegmund war ziemlich einsilbig, seine Szene mit dem Präsidenten war für ihn jetzt die größte Weltbegebenheit, an diese dachte er unaufhörlich und war sehr gleichgültig für alle politischen Bemerkungen seines neuen Bekannten, der viele Sachen prophezeite und andre Prophezeiungen widerlegte.Wie es das Schicksal so will, reitet der Präsident vorbei.
Ein Pferd trabte hart an ihnen vorüber, und machte dann viele von den närrischen Gebärden, die den Tieren mit großer Mühe in den Schulen beigebracht werden, um nicht ganz geschickte Reiter bei irgendeiner schicklichen Gelegenheit in die Gefahr zu bringen, herunterzustürzen. Dies war auch hier der Fall; der Reiter wankte von einer Seite zur andern, und wollte doch auch nicht gern den edlen Paradeur in seinen schönen Figuren unterbrechen. Der Reiter war niemand anders, als der furchtbare Präsident. – »Sehn Sie«, sagte der Zeitungsschreiber heimlich, »den wunderbaren Mann an. Glauben Sie wohl, daß er sich bloß unsertwegen die Mühe gibt!«Und da eh schon alles Wurst ist:
»Unsertwegen?« unterbrach ihn Siegmund. »Nicht anders«, antwortete der hagere Mann; »dieser Herr bildet sich auf nichts in der Welt so viel ein, als auf seine Reitkunst, und bloß um sich von uns bewundern zu lassen, läuft er jetzt Gefahr den Hals zu brechen. – Sehn Sie, wir sehn ihn kaum mehr und er läßt die Streiche doch noch nicht.« – Der Präsident hatte sich indes eine ziemliche Strecke unter Traversieren entfernt. Das Pferd drängte sich etwas zurück, er geriet in die Zweige der Bäume und verlor in diesem Augenblicke einen sehr eleganten Hut. Kaum hatte der Zeitungsschreiber dies gesehn, als er schnell unsern Helden verließ, den Hut ehrerbietig dem gnädigen Herrn überreichte, und dadurch hinlänglich belohnt ward, daß der Präsident vor den Augen mehrerer Menschen eine Zeitlang mit ihm sprach, indem das Pferd wieder traversierte und der Zeitungsschreiber ebenfalls zu paradieren eifrigst bemüht war.
Wie gut, daß Siegmund zurückgeblieben war, denn er fing so laut an zu lachen, daß ihn ein alter Herr und eine ältliche Dame für verrückt erklärten, weil er so sehr alle Lebensart beiseite setze und auf einem öffentlichen Spaziergang lache.
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Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XVI
g. | Mittwoch, 17. November 2010, 06:36 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Auf der Straße sah sich Siegmund ein paarmal um, um frische Luft zu schöpfen; er betrachtete die Vorübergehenden genau, um das Gesicht des Präsidenten in seinem Gedächtnisse zu verwischen; aber dieses stand mit allen seinen kalten und verhöhnenden Zügen wie angenagelt in seiner Phantasie da. Er ging in die erste Straße hinein, um nur das vornehme Haus aus den Augen zu verlieren, das ihm gleich beim ersten Anblick von so übler Vorbedeutung gewesen war. Es kam ihm vor, als wenn ihn alle Menschen höhnisch betrachteten, als wenn seine ganze Unterredung mit dem Präsidenten auf seiner Stirn geschrieben stehe.Aber nicht nur, dass er sich als gezeichnet empfindet, die ganze Stadt hat sich in seiner Wahrnehmung verändert.
Wie anders erschienen ihm alle Straßen jetzt, als gestern abends! Das Gewühl der Menschen, die Kaufläden, die Tätigkeit, alles schlug ihn nieder, denn alles war ein Bild des Erwerbes, des Strebens nach Wohlstand; eine Vorstellung, die ihm gestern abend so wohlgetan hatte, und die ihm jetzt verhaßt war. – Wie tief war er in seinen Ideen seit einer Stunde gesunken!Was mag es ihm bringen, sein Schicksal?
Wenn ein Mensch in einer großen Verlegenheit ist, geht er gewöhnlich sehr schnell, er will allen unangenehmen Gedanken vorübereilen nach einem Moment der Ruhe und Zufriedenheit hin, der boshaft mit jedem seiner Schritte wieder einen Schritt voranläuft. Siegmund stieß an manche Lastträger, die ihm ihre Flüche nachschickten; Kutscher schimpften von ihrem Bocke herunter, weil er ihnen zwischen die Pferde lief, eine alte Frau fing ein jämmerliches Geheul an, weil er ihr einige Töpfe zerbrochen hatte, die er in der zerstreuten Eil mit dem sechsfachen Preise bezahlte. – Er ward des Getöses überdrüssig, und bestieg jetzt langsam, um sich wieder zu erholen, den Wall der Stadt.
Siegmund ward sehr verdrüßlich, als er auch hier die gehoffte Ruhe und Einsamkeit nicht fand. Geputzte Herren und Damen schritten vorbei, um gesehn zu werden. Männer gingen laut disputierend vorüber – kein einziger Spaziergänger, der sein Auge an der schönen Natur erquickt hätte, und auch Siegmund tat es nicht, denn er überlegte bei sich sein künftiges Schicksal.
»O hätte ich nur meine gestrigen Empfindungen zurück!« und lehnte sich an einen Baum. – »Ich Tor! daß ich mich gestern des Kleinen so lebhaft annahm, und mir mein Genius nicht zuflüsterte, daß ich für meinen ärgsten Feind die Waffen ergreife! – Was soll ich nun anfangen? – dem General meine Verlegenheit melden? – Er ist froh, daß er sich seiner Verbindlichkeiten gegen mich entledigt hat. – Eine andre Stelle suchen? – Aber welche?« –
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Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XV
g. | Montag, 15. November 2010, 07:06 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Und um dem Fass die Krone auf zu setzten, lässt ihn sein neuer Freund auch noch im Stich.
Der Präsident machte ihm eine nachlässige Verbeugung, und der kleine Bellmann trat wieder aus dem Zimmer des Präsidenten; der Beschützer zog sich zurück, und der kleine Mann begleitete unsern Helden bis an die Treppe. Siegmund machte den Versuch, diesem wieder wie gestern zu imponieren; aber alle seine Kunst war vergebens, der kleine Mann kannte jetzt das Verhältnis, in welchem sie beide standen, und war fast ebenso unhöflich als der Präsident selbst. Er bot ihm ein kaltes Lebewohl, und ging dann hochmütig wieder in die Tür zurück.Jetzt muss die Erzählung bzw. der Leser zunächst etwas Luft holen.
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Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XIV
g. | Freitag, 12. November 2010, 06:33 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
»Sie bringen mich zur Verzweiflung!« rief Siegmund so aus, als wenn er schon wirklich verzweifelt wäre; der Präsident erschrak bei diesem Sprunge über die gewöhnliche Lebensart hinweg, er sicherte sich hinter einen prächtigen Sessel, vor dem Siegmund wie ein begeisterter Prophet stand und Reden führte, wie die verfolgte Tugend.Der Präsident aber lässt ihn trotz oder eher wegen dieses Gefühlsausbruches abblitzen.
»O wehe mir, daß ich sah, was ich sah«, fuhr er fort zu klagen, und wandte eine Stelle aus dem Ovidius Naso auf seine Umstände an. »Was konnte ich dafür, daß man Sie nicht in das bewußte Haus hineinlassen wollte? Was konnte ich dafür, daß ich Sie dort traf und wider meinen Willen lachen mußte? Ist Ihnen das Glück eines Menschen nicht teurer, als daß Sie es ganz so vom Zufalle und Ihren Launen abhängen lassen? – Oh, widerrufen Sie Ihr Urteil und verhöhnen Sie mich nicht in meinem Unglücke, denn ich hab es nicht verdient, schicken Sie mich nicht so ohne Trost fort, und bestrafen Sie, wenn Sie können, den Zufall, nicht mich.«
»Mein Freund«, antwortete der Präsident mit einer unausstehlichen philosophischen Kälte – »Ihr Unglück besteht ja eben darin, daß Sie mit diesem Zufall zusammengetroffen sind. Ist dies nicht vielleicht ein Wink des Verhängnisses, daß Sie unglücklich sein sollen? Ja, es ist Ihr Verhängnis, denn Sie sind ja unglücklich und haben nicht die Kunst verstanden, mein Herz zu Ihrem Vorteil einzunehmen, weil es das Schicksal nicht so haben will. Bewundern Sie die Anzahl von Zufällen, die sich gleichsam mühsam aneinandergereiht haben, um diese Wirkung hervorzubringen.«
»Ich sehe nichts als Ihren Zorn und Unwillen, Ihre Hartherzigkeit mit meinem Unglücke«, antwortete Siegmund. – »Können Sie, ohne Reue zu fühlen, so ungerecht sein?«
»Ungerecht?« Der Präsident fing unwillig dies Wort auf. – »Und wo liegt denn, mit Ihrer Erlaubnis, die Ungerechtigkeit? – Wenn ich einen Freund habe, der mir schon seit lange eine Menge von Gefälligkeiten erzeigt hat, und ich finde nun endlich Gelegenheit, ihm wieder etwas Vorteilhaftes zuzuwenden, sollt ich es da unterlassen, und diesen Nutzen einem Menschen gönnen, der mir fremd ist? Warum soll ich meinem Freund nicht nützen, wenn ich die Gelegenheit dazu in Händen habe? – Ich halte es nicht für ungerecht, sondern für meine erste Pflicht. – Sie können nicht für den Zufall, aber ich ebensowenig für den, daß die Stelle schon meinem guten Freunde versprochen ist. – Leben Sie wohl.«
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Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XIII
g. | Mittwoch, 10. November 2010, 06:52 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Es gibt Momente im Leben, wo die Verlegenheit Stoß auf Stoß so auf uns einstürmt, daß wir uns endlich in blinder Verzweiflung widersetzen. Dies ist der Augenblick, wo alles Tierische im Menschen gewöhnlich die bessere geistige Materie zu Boden ringt, der gefährliche Augenblick, in welchem der Mensch allen feinern Empfindungen Abschied gibt, wo er in seinem Gegner den fühlenden Menschen verkennt und bloß den Feind wahrnimmt. In diesem stürmischen Augenblicke entdeckte Siegmund dem Präsidenten seine ganze Lage wie er seinen vorigen Posten aufgegeben habe, weil er die hiesige Ratsstelle gewiß geglaubt, wie er Geld aufgenommen und nun nicht wieder zu bezahlen wisse, wie ihn jetzt plötzlich tausend Unannehmlichkeiten bestürmten, an die er bis dahin gar nicht gedacht habe.Es kommt wie es fast zwangsläufig kommen muss:
Der Präsident zuckte die Schultern eine Mitleidsbezeugung, mit der die Leute noch freigebiger sind, als mit Seufzern. Es kam ihm sogar ein Einfall, den er für witzig hielt, so daß er ihn unmöglich unterdrücken konnte.Wie heißt es doch so schön: Wer Witze hat, braucht für den Spott selbst nicht mehr zu sorgen, oder so ähnlich.
»Sie glaubten«, sagte er mit sehr spitzigem Munde, »daß guter Rat hier so teuer sei, daß man Sie auf den Händen tragen würde.«
Man sieht, es war ein Wortspiel, die verschrieenste Abart unter den verschiedenen Arten des menschlichen Witzes; daß es außerdem noch unartig war, bedarf gar keiner Erwähnung.
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Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XII
g. | Montag, 8. November 2010, 06:43 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Das Benehmen des Präsidenten setzte sich leicht wieder zu einer zurückstoßenden Kälte, die den vornehmen Leuten so leicht zu Gebote steht. Siegmund war in einer Verwirrung, die alles konfundierte, was er dachte und was er sagen wollte, die prästabilierte Harmonie war auf einige Minuten in ihm gestört, und er stammelte dem Präsidenten eine unzusammenhängende Entschuldigung ins Gesicht, daß er ihn gestern abend unbekannterweise in der bewußten Gegend ausgelacht habe. Der Präsident fragte sehr ernsthaft und wie verwundert, was er meine, und Siegmund vermochte es kaum, sich auf seinen Beinen aufrecht zu erhalten.Nun ja, auch wenn Siegmund über das gestrige Erlebnis einfach hinweggegangen wäre, würde sich seine Lage nicht besser darstellen.
Als er sich etwas erholt hatte, sah er ein, daß ihm unter diesen Umständen nur zwei Wege offenständen, entweder sogleich den Präsidenten zu verlassen, Pferde zu nehmen, und nach seiner Geburtsstadt zurückzureisen, oder den Versuch zu machen, alles auf eine feine Art wieder ins Geleise zu bringen. Er entschloß sich zum letzten, da er sich erinnerte, daß er die gehoffte Stelle schon immer als sein Eigentum angesehen und darnach alle Einrichtungen getroffen habe. Er fiel sich in den Zügel, und suchte bei der Dämmerung aller Sinne und Begriffe den rechten Weg wiederzufinden. Aber ich möchte den Mann sehn, der nach so vielen Unglücksfällen noch fein sein kann und doch ein Deutscher ist.Nicht ganz einfach, die Situation auf feine Art zu retten.
Der Präsident war verstockt genug, dem armen Sünder auch nicht einen einzigen Schritt entgegenzutun, oder ihm Pardon anzubieten er hatte vielleicht ein Wohlgefallen an den Krümmungen und wunderbaren Windungen des Supplikanten, der die Füße in alle mögliche Tanzpositionen brachte, der die Uhrkette und die Augenbraunen kniff, und nichts sehnlicher wünschte, als der Präsident möchte seine goldene Dose zur Erde fallen lassen, um sie ihm mit der demütigsten Behendigkeit wieder reichen zu können.Sehen wir uns an, wie Siegmund glaubt, es bewerkstelligen zu können.
Nach den gewöhnlichen Eingangsredensarten, von – »Leidtun« – »wünschen ein andermal dienen zu können« – den Trauerkutschen, die unsre Hoffnungen so oft zu Grabe begleiten, kam endlich die abschlägliche Antwort zum Vorschein, die schon lange den armen Kandidaten wie ein herannahendes Gewitter geängstigt hatte. Siegmund war ohne Trost, als jetzt der kleine Bellmann durch den Saal ging und ihn der Präsident sehr freundlich in sein Zimmer beschied, in welches er ihm sogleich folgen würde. Es fiel ihm schneidend ein, wie er gestern den Gönner des kleinen Mannes gespielt habe, und dieser heut mit einem Menschen so vertraut umging, der ihm fürchterlich war. Der Präsident suchte jetzt absichtlich die Visite abzukürzen, so wie Siegmund sie verlängerte, ohne eigentlich zu wissen, warum er es tat. – Der Präsident sagte ihm endlich, daß der Mann, den er eben gesehn habe, derjenige wäre, dem die Stelle schon versprochen sei, auf die er gehofft habe. Siegmund fiel aus den Wolken.Er ist am Boden zerstört. Wie sollte es auch anders sein.
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Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XI
g. | Freitag, 5. November 2010, 09:15 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Als er in Gedanken seine Komplimente wiederholt, mehrmals leise und zahm auf dem getäfelten Boden auf und ab gegangen war, seine Uhr aufgezogen, ob es gleich noch nicht Zeit war, Tabak aus einer recht eleganten Dose, einem Präsente, genommen hatte, um es sich von neuem ins Gedächtnis zu rufen, daß er doch auch schon ehemals mit vornehmen Leuten, und zwar auf einem ziemlich vertrauten Fuße, umgegangen sei, trat der Präsident endlich zu ihm in das Zimmer, und hielt nachlässig den Brief des Generals in der Hand.Die Geschichte steuert auf die erste Pointe zu.
Verbeugungen, gnädig und demütig, und von beiden Seiten ein Schritt plötzlich zurück, Verlegenheit, besonders auf Siegmunds Gesichte, indem man sich gegenseitig erkannte: denn der Präsident war niemand anders, als der alte Mann, den er gestern im Mondenscheine vor der Tür seines Gasthofs so derb ausgelacht hatte.Die Situation ist wohl nur noch sehr schwer zu retten und die Stelle dürfte schon jetzt nicht mehr zu gewinnen sein.
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Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben X
g. | Mittwoch, 3. November 2010, 06:27 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Nachdem sie durch mehrere Straßen gegangen waren, zeigte ihm der Bediente gerade vor ihm ein sehr ansehnliches Haus, dessen vornehme Treppe, die großen Fenster und alles von dem aristokratischen und reichen Besitzer zeugten. Das Herz fing ihm an etwas zu klopfen, da er nun in kurzem den Mann persönlich vor sich sehen sollte, der seinem Glücke den Ausschlag geben konnte. Er hatte sich den Präsidenten so viel als möglich gedacht, aber es war doch immer ein fremder Mensch, mit dem er jetzt in Unterhandlungen treten sollte; sein Anzug erschien ihm jetzt bei weitem nicht so vorteilhaft, und auf dem hallenden, mit Marmor gepflasterten Flure schien es ihm sogar, als wäre er nicht Menschenkenner genug, um den Präsidenten so ganz in seine Gewalt zu bekommen, als er sich erst eingebildet hatte.Eine kurze Atempause bleibt ihm noch.
Er ward in das Vorzimmer geführt, um auf die Ankleidung des Präsidenten zu warten, er schickte ihm die Briefe des Generals hinein, und hatte Muße genug, um die ängstlich prächtige Möbilierung des Zimmers zu mustern.Hier stockt mein Lesefluss: was ist eine ängstlich prächtige Möblierung? Betont angepasst?
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