„Die Ehre Gottes aus der Natur“
g. | Donnerstag, 26. Januar 2012, 05:50 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
ist der Titel eines Gedichtes von Christian Fürchtegott Gellert, der mir noch vage aus meiner Schulzeit in Erinnerung ist. Vage, das heißt einer seiner Fabeln wurde irgendwann in der Mittelstufe im Deutschunterricht behandelt. Von wem, mit welcher Intention und ob die Fabel (Welche?) für uns Jugendliche so aufbereitet wurde, dass ein 13 oder 14-jähriger etwas damit anfangen kann, ist mit entfallen. Da mir kein Text aus dieser Zeit in liebenswerter Erinnerung geblieben ist, wird es wohl nicht der Fall gewesen sein. Ob es heutzutage mehr Deutschlehrer gibt, die sich über Literaturvermittlung Gedanken machen?
Ende der 60er ging das schlicht nach dem Gedankengang: Fabeln sind einfach und daher für Jugendliche genau das Richtige, über die Zeit und die Absichten, die die Zeit nach Auffassung des Autors erforderte, wurde nichts gesagt. Vielleicht war es folgende Fabel:
Auf Gellert bin ich über Wieland gestoßen, der Gellert sehr schätzte. Warum er ihn schätzte, kann ich nicht sagen, vielleicht weil er das damals gängige Motiv des Edlen Wilden aus Amerika recht eindrucksvoll bearbeitete? (In Inkle und Yariko rettet die edle Ureinwohnerin dem englischen Kaufmann das Leben, was diesen nicht daran hindert sie anschließend als Sklavin zu verkaufen)
Die ersten beiden Strophen aus „Die Ehre Gottes aus der Natur“wurden von Beethoven vertont:
Ende der 60er ging das schlicht nach dem Gedankengang: Fabeln sind einfach und daher für Jugendliche genau das Richtige, über die Zeit und die Absichten, die die Zeit nach Auffassung des Autors erforderte, wurde nichts gesagt. Vielleicht war es folgende Fabel:
Die Nachtigall und die Lerche
Die Nachtigall sang einst mit vieler Kunst;
Ihr Lied erwarb der ganzen Gegend Gunst;
Die Blätter in den Gipfeln schwiegen
Und fühlten ein geheim Vergnügen.
Der Vögel Chor vergaß der Ruh'
Und hörte Philomelen zu.
Aurora selbst verzog am Horizonte,
Weil sie die Sängerin nicht g'nug bewundern konnte.
Denn auch die Götter rührt der Schall
Der angenehmen Nachtigall;
Und ihr, der Göttin, ihr zu Ehren
Ließ Philomele sich noch zweimal schöner hören.
Sie schweigt darauf. Die Lerche naht sich ihr
Und spricht: »Du singst viel reizender als wir;
Dir wird mit Recht der Vorzug zugesprochen;
Doch eins gefällt uns nicht an dir,
Du singst das ganze Jahr nicht mehr als wenig Wochen.«
Doch Philomele lacht und spricht:
»Dein bittrer Vorwurf kränkt mich nicht
Und wird mir ewig Ehre bringen.
Ich singe kurze Zeit. Warum? Um schön zu singen.
Ich folg' im Singen der Natur;
So lange sie gebeut, so lange sing' ich nur.
Sobald sie nicht gebeut, so hör' ich auf zu singen;
Denn die Natur läßt sich nicht zwingen.«
O Dichter, denkt an Philomelen,
Singt nicht, so lang ihr singen wollt.
Natur und Geist, die euch beseelen,
Sind euch nur wenig Jahre hold.
Soll euer Witz die Welt entzücken,
So singt, so lang ihr feurig seid,
Und öffnet euch mit Meisterstücken
Den Eingang in die Ewigkeit.
Singt geistreich der Natur zu Ehren;
Und scheint euch die nicht mehr geneigt,
So eilt, um rühmlich aufzuhören,
Eh' ihr zu spät mit Schande schweigt.
Wer, sprecht ihr, will den Dichter zwingen?
Er bindet sich an keine Zeit.
So fahrt denn fort, noch alt zu singen,
Und singt euch um die Ewigkeit.“
Auf Gellert bin ich über Wieland gestoßen, der Gellert sehr schätzte. Warum er ihn schätzte, kann ich nicht sagen, vielleicht weil er das damals gängige Motiv des Edlen Wilden aus Amerika recht eindrucksvoll bearbeitete? (In Inkle und Yariko rettet die edle Ureinwohnerin dem englischen Kaufmann das Leben, was diesen nicht daran hindert sie anschließend als Sklavin zu verkaufen)
Die ersten beiden Strophen aus „Die Ehre Gottes aus der Natur“wurden von Beethoven vertont:
„Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre,
Ihr Schall pflanzt seinen Namen fort.
Ihn rühmt der Erdkreis, ihn preisen die Meere,
Vernimm, o Mensch, ihr göttlich Wort.
Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne?
Wer führt die Sonn’ aus ihrem Zelt?
Sie kommt und leuchtet und lacht uns von ferne,
Und läuft den Weg gleich wie ein Held.“
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Notiz am Rande
g. | Mittwoch, 18. Januar 2012, 06:19 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Ich wühle mich ja gerade durch die Aufklärung und lese zurzeit die Mendelsohn-Biografie von Heinz Knobloch.
Dabei ist mir folgende Stelle (S. 56/57) aufgestoßen:
Ist Knobloch da bei der Abfassung des Textes einfach ein Fehler unterlaufen?
Notiz an mich: Seinen Roman mal lesen?
Dabei ist mir folgende Stelle (S. 56/57) aufgestoßen:
„Der geborene Aufklärer, der Arbeiten jüdischer Dichter ins Deutsche übersetzt, um sie bekannt zu machen, auch wenn das weder im Sinne der Rabbiner noch der Behörden ist, die für die Beschränktheit der Bürger sorgen müssen.geht es weiter im Text von Heinz Knobloch. Die frauenfeindlichen Anklänge in diesem Gedicht sollen hier nicht interessieren. Ich habe den Text von Knobloch so verstanden, auch wenn es nicht explizit gesagt wird und ich denke anders ist er nicht sinnvoll zu interpretieren, dass das Gedicht von einem jüdischen Dichter bzw. eigentlich von einem Dichter, der in hebräischer Sprache schreibt, stammt und von Moses Mendelssohn übersetzt wurde. Da der Autor nicht genannt wird, packte mich die Neugier und ich habe eine Suchmaschine angeworfen. Vielleicht, dachte ich, sind die Werke von Moses Mendelssohn, einschließlich seiner Übersetzungen digitalisiert und der Autor des o. g. Gedichts auffindbar. Ich bin ja immer bereit etwas Neues zu entdecken. Gesagt, getan, nur war mein Erstaunen groß, als ich feststellte, das Gedicht ist keineswegs von einem jüdischen Dichter, sondern von Johann Jakob Engel, Sohn eines Pastors aus Parchim, der wohl mit Mendelssohn befreundet oder doch zumindest gut bekannt war. Texte von Engel bedürfen selbstredend keiner Übersetzung.„Das erste WeibMoses verliert seine Scheu vor Menschen. Er kann sich besser kleiden ...“
Gott schuf der Weiber Erste
Nicht aus des Mannes Scheitel,
Daß sie nicht eitel würde;
Nicht aus des Mannes Augen,
daß sie nicht lüstern würde;
Nicht aus des Mannes Zunge,
daß sie nicht schwatzhaft würde;
Nicht aus des Mannes Ohren,
Sie horchte sonst nach allem;
nicht aus des Mannes Füßen,
Sie liefe sonst nach allem.
Er schuf sie aus der Rippe,
der unbescholtnen Rippe;
Doch haben ihre Töchter
Von jedes Gliedes Fehler
Ein kleines Teil bekommen.
Ist Knobloch da bei der Abfassung des Textes einfach ein Fehler unterlaufen?
Notiz an mich: Seinen Roman mal lesen?
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Naslöcher XV
g. | Donnerstag, 12. Januar 2012, 06:00 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Ich denke, Gott weiß, an nichts. Da tritt herein die übergnädige Dame von S.. mit ihrem Herrn Gemahl und wohl ausgebrüteten Gänslein Tochter mit der flachen Brust und niedlichem Schnürleibe, machen en passant ihre hergebrachten, hochadeligen Augen und Naslöcher, und wie mir die Nation von Herzen zuwider ist, wollte ich mich eben empfehlen und wartete nur, bis der Graf vom garstigen Gewäsche frei wäre, als meine Fräulein B.. hereintrat.“Eine übergnädige Dame mit hochadeligen Naslöchern. Hach, von Zeit zu Zeit les’ ich den Alten ganz gerne.
(Goethe: Die Leiden des jungen Werther)
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Zwischen den Jahren
g. | Montag, 9. Januar 2012, 05:09 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Der schöne 27. September
Ich habe keine Zeitung gelesen.
Ich habe keiner Frau nachgesehen.
Ich habe den Briefkasten nicht geöffnet.
Ich habe keinem einen Guten Tag gewünscht.
Ich habe nicht in den Spiegel gesehen.
Ich habe mit keinem über alte Zeiten gesprochen und
mit keinem über neue Zeiten.
Ich habe nicht über mich nachgedacht.
Ich habe keine Zeile geschrieben.
Ich habe keinen Stein ins Rollen gebracht.
( Thomas Brasch)
Der gleichnamige Gedichtband wurde 1980 veröffentlicht. Als ich das Gedicht kurz nach Weihnachten im Foyer des Berliner Ensembles gelesen habe (über das Publikum im BE sollte man auch mal eine Typologie schreiben), fiel mir als erstes Berthold Brecht ein:
Der RadwechselAus den Buckower Elegien, 1953, wohl nach dem 17. Juni. Als ich Brechts Gedicht zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, dass es während der Zeit der Emigration geschrieben wurde. Ein durchaus nahe liegender, aber wie gewöhnlich, Brecht unversehens verkürzender Gedanke.
Ich sitze am Strassenhang
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gerne, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gerne, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?
(Berthold Brecht)
p.s.: Das Stück, Romeo und Julia in der Übersetzung von Thomas Brasch, war übrigens scheußlich inszeniert.
p.p.s.: Und bevor und damit ich es (nicht) vergesse: Brecht schreibt ja nicht: Ich war nicht gerne und auch nicht: Ich werde ...
p.p.p.s.: Thomas Brasch baut sein Gedicht um das Spechen über alte und neue Zeiten herum. Kein, kein, nicht, kein, dann zweimal kein und nicht, kein, kein. Nicht symetrisch, aber vor den Mittelzeilen Außenbezug, danach Innenbezug. Bei Brecht hingegen zwei Subjekte.
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Naslöcher XIV
g. | Dienstag, 20. Dezember 2011, 06:07 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„... und in die Gesindstube gesetzt, allwo sich schon zween Schneider, ein Schuster mit Schuhen, ein Kaufmann mit Hüten und Strümpfen, und ein anderer mit allerhand Gewand eingestellt, damit ich ehest gekleidet würde; da zog man mir den Rock ab, samt der Ketten und dem härenen Hemd, auf daß die Schneider das Maß recht nehmen könnten; folgends erschien ein Feldscherer, mit scharfer Laugen und wohlriechender Seifen, und eben als dieser seine Kunst an mir üben wollte, kam ein anderer Befehl, welcher mich greulich erschreckte, weil er lautet', ich sollte mein Habit wieder anziehen; solches war nicht so bös gemeint, wie ich wohl besorgte, denn es kam gleich ein Maler mit seinem Werkzeug daher, nämlich mit Minien und Zinnober zu meinen Auglidern, mit Lack, Endig und Lasur zu meinen korallenroten Lippen, mit Auripigmentum, Rausch-schütt und Bleigelb zu meinen weißen Zähnen, die ich vor Hunger bleckte, mit Kienruß, Kohlschwärz und Umbra zu meinen gelben Haaren, mit Bleiweiß zu meinen gräßlichen Augen, und mit sonst vielerlei Farben zu meinem wetterfarbigen Rock, auch hatte er eine ganze Hand voll Pinsel. Dieser fing an mich zu beschauen, abzureißen, zu untermalen, den Kopf über eine Seite zu hängen, um seine Arbeit gegen meine Gestalt genau zu betrachten; bald ändert' er die Augen, bald die Haar, geschwind die Naslöcher, und in Summa alles, was er im Anfang nicht recht gemacht, bis er endlich ein natürliches Muster entworfen hatte, wie Simplicius eins war: Alsdann durfte allererst der Feldscherer auch über mich herwischen, derselbe zwagte mir den Kopf, und richtet' wohl anderthalbe Stund an meinen Haaren, folgends schnitt er sie ab auf die damalige Mode, denn ich hatte Haar übrig.“
(Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus.)
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Naslöcher XIII
g. | Dienstag, 6. Dezember 2011, 05:07 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Kuippana, des Waldes König,
Du, des Waldes froher Graubart,
Halt' beisammen deine Hunde,
Zähme deine jungen Kläffer!
Steck' ein Schwämmchen in ein Nasloch,
Eine Eichel in das andre,
Daß sie nicht die Pferde wittern,
Den Geruch des Viehs nicht spüren!
Bind die Augen du mit Seide,
Schließ die Ohren du mit Binden,
Daß sie nicht die Wandrer hören,
Nicht die Schreitenden erblicken!
(Kalewala)
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Wie ich einmal den Dintendieter gesucht habe
g. | Dienstag, 22. November 2011, 05:53 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Eines Morgens beim Kaffee kochen, noch vor dem ersten Schluck, schoss mir der Dintendieter durch den Kopf. Wer war das noch mal? Links oben, an der zweiten Ganglie (manche sagen auch Ganglion) rechts klebte ein Erinnerungsfetzen. Irgendwas mit Bernd Pfarr? Oder Chlodwig Poth? Oder ein anderer aus der Ecke?
Dieses Internet, das weiß doch alles, aber da steht nichts drin zu einem Dintendieter, nur zu Dieter Dinte und der ist mir egal.
Aber diese Suchmaschinen, Sacré bleu, die denken ja mit und machen die Suche nach Dintendieter zu einem Erlebnis (okay, man muss aus all dem Mist, der einem angeboten wird, etwas auswählen, am Besten etwas Amüsantes oder Interessantes, dann ist es fast so, als stöberte man in seinem Bücherschrank) und man stößt so auf dies und das:
Ach ja, wie war das jetzt noch mal mit dem Dintendieter?
Dieses Internet, das weiß doch alles, aber da steht nichts drin zu einem Dintendieter, nur zu Dieter Dinte und der ist mir egal.
Aber diese Suchmaschinen, Sacré bleu, die denken ja mit und machen die Suche nach Dintendieter zu einem Erlebnis (okay, man muss aus all dem Mist, der einem angeboten wird, etwas auswählen, am Besten etwas Amüsantes oder Interessantes, dann ist es fast so, als stöberte man in seinem Bücherschrank) und man stößt so auf dies und das:
„In der Dinte.Je nun, ich würde vielleicht keine historisch-kritische Ausgabe von Geisheim für 942, 80 € kaufen, als Fundstück nebenbei ist es doch aber ganz hübsch?
Heraus aus meinem Dintenfaß,
Ihr Narren, kommt heraus;
Setzt nieder euch an’s volle Glas
Und zum gespickten Schmaus.
Auf, bringt die Narrheit Schwarz auf Weiß
Mir lustig auf’s Papier;
Denn Lustigkeit steht hoch im Preis’,
Und thut uns Noth allhier.
Doch Dintengeister sitzen fest
In ihrer Dinte drin;
Das bittre schwarze Meer nicht läßt
Heraus den freien Sinn.
Sie bleiben ernsthaft trotz des Specks
Im steifen Längenmaß;
Und höchstens macht uns noch ein Klecks,
Der sie verdrießet, Spaß.
Galläpfellvoll sind sie so gern
Der Welt ein bittres Gift:
Es halten sich die Dintenherrn
Gern für ein hohes Stift,
Das, wenn es eben will geruhn,
Man solle sich kastein,
Und soll einmal sich bene thun,
Tunkt seine Feder ein.
Die Welt ist in der Dinte sehr,
Drum ist sie nicht sehr froh;
Drückt’ Schwarz auf Weiß sie nicht so schwer,
Es wäre wohl nicht so.
Darum bedenkt zur Faschingszeit
Recht reiflich, was euch frommt;
Macht nur, daß ihr zur Fröhlichkeit
Bald aus der Dinte kommt.“
(Johann Karl Wilhelm Geisheim)
Ach ja, wie war das jetzt noch mal mit dem Dintendieter?
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Lob der Frauen 6
g. | Donnerstag, 27. Oktober 2011, 07:11 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Der Braten
"Es wird mit Recht ein guter Braten
Gerechnet zu den guten Taten;
Und daß man ihn gehörig mache,
Ist weibliche Charaktersache.
Ein braves Mädchen braucht dazu
Mal, erstens, reine Seelenruh,
Daß bei Verwendung der Gewürze
Sie sich nicht hastig überstürze.
Dann, zweitens, braucht sie Sinnigkeit,
Ja, sozusagen Innigkeit,
Damit sie alles appetitlich,
Bald so, bald so und recht gemütlich
Begießen, drehn und wenden könne,
Daß an der Sache nichts verbrenne.
In summa braucht sie Herzensgüte,
Ein sanftes Sorgen im Gemüte,
Fast etwas Liebe insofern.
Für all die hübschen, edlen Herrn,
Die diesen Braten essen sollen
Und immer gern was Gutes wollen.
Ich weiß, daß hier ein jeder spricht:
»Ein böses Mädchen kann es nicht.«
Drum hab' ich mir auch stets gedacht
Zu Haus und anderwärts:
Wer einen guten Braten macht,
Hat auch ein gutes Herz."
(Wilhelm Busch)
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Nachricht über Nachrichten von Nachrichten aus längst vergangener Zeit
g. | Montag, 17. Oktober 2011, 06:04 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Am 10. Oktober 1954 saß Arno Schmidt beim Schein einer 25-Watt-Glühbirne (mutmaßlich), im Gegensatz zur Unschlittkerze, die der ursprüngliche Verfasser zur Beleuchtung genutzt hatte, an seinem Schreibtisch in Gau-Bickelheim gerade von seinen Archivstudien in Ost-Berlin zurückgekehrt und las die „Nachricht nebst Verzeichnis von denen bey der am 26. July 1760 erfolgten Einnahme von Glatz in Österreichische Hände gefallenen Effecten und sämtl. Vermögen“, das August de la Motte Fouqué, der älteste und kränklichste Sohn des Generals Heinrich August de la Motte Fouqué, der wiederum der Großvater des Dichters Friedrich Heinrich Karl Freiherr de la Motte Fouqué war, mithin der Großonkel des Dichters, in jener Nacht gefertigt hatte.
August de la Motte Fouqué schrieb das Verzeichnis mit einem Gänsekiel, den er nach jedem Halbsatz in das neben dem Papier stehende Tintenfass tauchen musste, um seine Spitze zu benetzen. Von Zeit zu Zeit wurde der Gänsekiel stumpf und musste mit einem kleinen Messer nachgeschnitten werden.
Arno Schmidt schrieb entweder unmittelbar auf seiner Schreibmaschine oder benutzte zunächst einen Füllfederhalter, das Gelesene skizzierend und später dann korrigierend, um es noch später an der Schreibmaschine in die Reinschrift zu übertragen und an einigen Stellen vielleicht auch noch zu ergänzen.
Die Folioseiten des August de la Motte Fouqué werden wohl als Fotografien (Fotokopien gab es ja noch nicht in den 50ern) vor ihm gelegen haben? Oder ging Arno Schmidt mit Schreibblock, Füller oder Bleistift ins Archiv, um Seite für Seite abzuschreiben?
Leider teilt uns Arno Schmidt nicht mit, wie viele Folioseiten hinterlassen wurden.
Listen und Verzeichnisse haben ja ihre ganz eigene Faszination. Dass sich Arno Schmidt in das Verzeichnis vertieft hat, kann ich nachvollziehen, taucht einen die Vorstellungskraft doch unversehens in das luxuriöse Leben eines Generals des 18. Jahrhunderts. Sie können, wenn Sie möchten auf die Fußnoten klicken und sich in die fernen oder nahen Welten dahinter entführen lassen: [Klick!]
Hier nun in Auszügen die Aufstellung:
Insgesamt lagerten Wertgegenstände im Wert von 101.810 Thaler und 20 Groschen im Schloss, das sind ca. 1,25 Mio. Mark oder 625.000 Euro.
Anmerkungen:
[Zurück!] Zum Begriff Folio, faltet man einen Pergamentbogen ein erstes Mal, so erhält man das Folioformat. Diese Frage stellte sich bereits Lichtenberg.
[1] die Meubles, die Mobilien kann man, zumindest wenn man über entsprechende Transportmittel verfügt, mitnehmen, bei den Immobilien wird das schon schwieriger.
[2] Kanapee, das [frz. canapé, von griechisch kōnōpeĩon »Mückenschleier«, mlat. canopeum = Mückenschleier,»Himmelbett (mit einem Mückenschleier)« Sofa mit Rücken- und Seitenlehne.
[3]
[4] Ein Taburett ist ein Schemel, der – wie man hört – am Hofe Ludwigs des XIV. nur den Herzoginnen zustand, während der Rest des Hofstaates stehen musste. Die wenigen Lehnstühle standen nur den Fürstinnen zu.
[5] Petit-Point das; frz., „kleiner Punkt“, feinste Nadelarbeit mit bis zu 25 Perlstichen (halber Kreuzstich) auf 1 cm feinstem Kanevas (Gitterleinen).
[6] Englisch=Rohr: Stuhlrohrgeflecht aus England, die im 17. Jahrhundert in Mode kamen.
[7] Bilderrahmen waren im 18. Jahrhundert oft wertvoller als die eigentlichen Bilder. Oft hatten sie vergoldete Rahmen, in Deutschland teilweise auch schwarze mit Goldstreifen, so nimmt es nicht Wunder, dass unser junger Freund den Rahmen und ihrem Wert mehr Aufmerksamkeit schenkt als den Bildnissen und ihrem künstlerischen Wert.
[8] Taft ist eine Webart. Die Kettfäden stehen eng zusammen, ein dicker Schussfaden wird eingearbeitet. Es entsteht so eine Ripsstruktur.
[9] im Französischen ("falbalas") für "Rüsche" oder "Auftakelei". Falbala kennen Sie wahrscheinlich alle.
[10]
[11] "bleu mourant" = "sterbendes Blau" (= "mattblau"). „Mir is janz blümerant“ sagt bekanntlich der Berliner.
[12]
[13]
[14] Terrine (französisch: Terre, „irdene“) Suppenschüssel.
[15] „Unter Ziselieren versteht man in der Metallverarbeitung eine alte Form der Bearbeitung von Metallen, bei der das Metall nicht geschnitten, sondern über eine weiche Unterlage mit Hammer und Punzen getrieben oder gedrückt wird, so dass Linien und reliefplastische Formen entstehen, die ähnlich aussehen wie Abgüsse von negativen Hohlschnitten, jedoch mit weicheren Kanten.“ siehe auch: Graveur, Ziseleur, Gürtler und Gelbgiesser.
[16] Teemaschine: z.B.: Caymatik. Das ist eine (elektrisch beheizte) mehrteilige Porzellankanne, die nach dem Samowarprinzip arbeitet. Oder der Samowar, der Selbstkocher: wenn bei der Teemaschine noch ein oder mehrere Podstakannik dabei gewesen wären, hätte es der brave August sicher vermerkt. Vielleicht aber darf man sich die feinen, vergoldeten Teetassen aus ächtem Porcellaine mit indianischen (indisch? wahrscheinlich) Figuren so vorstellen.
[17] Schokolade, die Speise der Götter. Den Wirkstoff nennt man demzufolge Theobromin. Dass der Schokolade gelegentlich Rinderblut beigemischt werde ist ein Gerücht. Kein Gerücht ist hingegen, dass auf den Kanarischen Inseln süße Blutwurst gegessen wird. Die Begeisterung der Einheimischen für diese Speise kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Über Schokolade kann man schöne Filme machen: Bittersüße Schokolade und noch schöner: Chocolat
[18] Schokoladentasse: Ob diese Tasse aus der KPM stammt, kann ich natürlich nicht sagen:
[19] Caraphinen: Karaffine , alte Bezeichnung für kleine * Karaffe, im 19. Jh. in Wien auch "Karaffindl" genannt. Die Wiener natürlich, machen im 19. Jahrhundert aus der kleinen Karaffe ein Karaffindl.
Eigentlich aber kommt das Wort aus dem Arabischen:
[20] Carneolen: Ein ganzes Weinglas aus Karneol? Wohl eher nur mit Karneolen besetzt.
[21] Tonneau: wohl ein verschließbares Fass in der Größe von 900 Litern, über die preußische Armatur habe ich nicht herausfinden können.
[22] Chaises percées: eigentlich Kommoden, wohl Damensattel?
[23] Ponceau: leuchtend orange gefärbte Schabracke, also eine Satteldecke, von türkisch: çaprak.
[24] Welche Bücher „coquetten“ Inhalts damals wohl gelesen wurden? (Die philosophische Therese von Jean-Baptiste de Boyer Marquis d'Argens?)
[25] Tabatiere: Schnupftabakdose, so in dieser Art.
[26] Provencer=Öl: feinstes Olivenöl aus der Provence, vielleicht eine Kriegsbeute?
[27] Canarien=Seckt: Malvasier aus Madeira.
[28] Vin de Cap: wahrscheinlich bretonischer Malvasier.
August de la Motte Fouqué schrieb das Verzeichnis mit einem Gänsekiel, den er nach jedem Halbsatz in das neben dem Papier stehende Tintenfass tauchen musste, um seine Spitze zu benetzen. Von Zeit zu Zeit wurde der Gänsekiel stumpf und musste mit einem kleinen Messer nachgeschnitten werden.
Arno Schmidt schrieb entweder unmittelbar auf seiner Schreibmaschine oder benutzte zunächst einen Füllfederhalter, das Gelesene skizzierend und später dann korrigierend, um es noch später an der Schreibmaschine in die Reinschrift zu übertragen und an einigen Stellen vielleicht auch noch zu ergänzen.
Die Folioseiten des August de la Motte Fouqué werden wohl als Fotografien (Fotokopien gab es ja noch nicht in den 50ern) vor ihm gelegen haben? Oder ging Arno Schmidt mit Schreibblock, Füller oder Bleistift ins Archiv, um Seite für Seite abzuschreiben?
Leider teilt uns Arno Schmidt nicht mit, wie viele Folioseiten hinterlassen wurden.
Listen und Verzeichnisse haben ja ihre ganz eigene Faszination. Dass sich Arno Schmidt in das Verzeichnis vertieft hat, kann ich nachvollziehen, taucht einen die Vorstellungskraft doch unversehens in das luxuriöse Leben eines Generals des 18. Jahrhunderts. Sie können, wenn Sie möchten auf die Fußnoten klicken und sich in die fernen oder nahen Welten dahinter entführen lassen: [Klick!]
Hier nun in Auszügen die Aufstellung:
- „Meubles“ [1]
-
die Bilder
- „127 theils große, theils kleine Schildereyen mit vergoldeten, auch schwarzen Rähmen“ [7]
-
die Gardinen -
die Wäsche -
das Silberzeug -
sehr kostbar auch das „ächte Porcellaine“ -
„Chrystall und Glass“ -
Feldequipage und Reitzeug -
die Bibliothek- „1 Schrank mit Oevres militaires, sowie historischen, auch coquetten Büchern“ [24]
- „33 theils große, theils kleinere Folianten von antiquen und kostbaren Kupfferstücken nach denen berühmtesten Meistern: 10.000 Thaler“ als Geschenk des Königs.
-
Im Garten
- „über 200 Stück Orange=, Citronen= und Lorbeer=Bäume“
- „desgleichen an 100 Nelcken= und Rosen=Stöcke; auch verschieden ander Blumen=Werck“ der Wert betrug 1.500 Thaler.
-
„Baar=Geld und Pretiosis“- „1 massiv goldene viereckigte Tabatiere[25] mit Brillianten: 1.000 Thaler“
- und eine andere Tabatiere „en forme einer Füsilier=Mütze von Amethyst in Gold gefaßt“
-
die Kellerbestände- „41 Krüge Provencer=Öl[26] aus Glogau“
- „20 Eymer Wein=Essig“
- „3 Oxhoft Pontac“ „d.h. rund 700 Liter Rotwein aus Pau“ wie Arno Schmidt anmerkt.
- „7 Ohm Rheinwein, 45er“ = 1000 Liter
- „40 Bouteillen Canarien=Seckt“[27]
- „110 Bouteillen Vin de Cap“[28]
- mehrere „Cognac=Fässgen“
- „107 Bout. Alten Franz=Wein“
- mehrere Gebinde „Tokayer und Rebersdorffer“
Im Keller lagerten insgesamt für 30.000 Mark oder 15.000 Euro Gesöffe.
Gesamtwert der Möbel: 5.000 Thaler (1 Thaler sei, wie Arno Schmidt schreibt, 12 D=Mark, also 6 Euro wert)
Dazu:
Einige „Wispel und Scheffel Hafer“ sowie „40 Klaffter Brennholtz“ : der August de la Motte Fouqué war ein akkurater Mann, der jegliche Werte verzeichnete.
(Schmidt BA,Werkgruppe III, Bd. 1, S. 150 - 152)
Insgesamt lagerten Wertgegenstände im Wert von 101.810 Thaler und 20 Groschen im Schloss, das sind ca. 1,25 Mio. Mark oder 625.000 Euro.
Anmerkungen:
„Das Canapēh, des -es, plur. die -e, ein breiter zierlicher Stuhl mit einer Rücklehne, worauf mehrere Personen sitzen können, und welcher auch die Stelle eines Ruhebettes vertreten kann; ein Faulbett. Aus dem Franz. Canapé, welches aber in dieser Sprache selbst ein neues Wort seyn soll, dessen Abkunft noch unbekannt ist. Das mittlere Latein. Canapeum bedeutet einen Himmel über ein Bett, welche Bedeutung das Engl. Canopy noch jetzt hat. Ein Canapeh in der heutigen Bedeutung hieß in den spätern Zeiten Roms Bisellium. S. auch Sopha.“
(Adelung)
Carmosiren, Carmusiren, verb. reg. act. ein Kunstwort der Jubelierer, welches eigentlich einfassen, mit einem Rande versehen, bedeutet. Einen Edelstein carmusiren, einen Rand von kleinern Edelsteinen um denselben machen. Carmusir-Gut, sehr kleine Edelsteine, die nur zum Carmusiren taugen. Obgleich dieses Wort zunächst aus dem Französischen entlehnet ist, so hat es doch seinen Ursprung in Norden. Denn Karm bedeutet noch jetzt im Schwed. einen Rand, und karmisera ist in eben dieser Sprache unser carmusiren.
(Adelung)
„Haute-lisse ist eine Art von Gewebe oder Tapete, aus Seide und Wolle gewürkt, welche auch bisweilen mit Gold und Silber erhöht ist, und verschiedene Figuren von Menschen, Thieren, Landschaften etc. vorstellt.“
(Brockhaus von 1809)
„Die Livrēe, plur. die -n, die Kleidung eines Bedienten, so fern sie von einem Herren auf eine einförmige Art allen seinen Bedienten gegeben wird.“
(Adelung)
„Rasch, der: ein leichter, lockerer und geringer wollener Zeug: Tuch= oder Walkrasch, Kronrasch, Krämpelrasch. … mit Gold und Silber gewirkte Zeuge werden Gold- und Silberrasch genannt“ aus: Vollständiges Wörterbuch der deutschen Sprache. Von Doktor Theodor Heinsius, Wien 1830.
(siehe auch Pierer 1857)
„Der Modellmeister der Manufaktur, Friedrich Elias Meyer, schuf die noch heute mustergültigen Formen Reliefzierat, Neuzierat, Antikzierat (Rocaille) und Neuosier, welche als beispielhaft für das friderizianische Rokoko gelten.“
Eigentlich aber kommt das Wort aus dem Arabischen:
„Eine Karaffe (von arabisch غرافة, DMG ġarrāfa, ,Wasserheberad mit Schaufeln‘) ist ein Tafelgefäß aus geschliffenem Glas oder Kristallglas, das meist eine flaschenähnliche Form hat“
(Wikipedia)
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Nachtrag zu Ruge II: Treue, diesmal bei den Katholiken
g. | Donnerstag, 13. Oktober 2011, 07:19 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Ich selber tue das nicht, weil es eine lange Geschichte ist, die auch zu meiner eigenen Geschichte gehört, und weil ich den Eindruck habe, dass viel Zukunftsfähiges da verborgen ist, wenn wir Tradition nicht länger verstehen als was, was man in eine Kiste packt und den Deckel drauf tut und unbeschadet von einer Generation zur anderen weitergibt, sondern wenn wir Tradition als etwas verstehen, was immer neu und auch an jeder Generation neu sich erproben muss.“
(Quelle)
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