Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 22. März 2010
Über die Naschsucht
Berlin war einmal eine der ersten Adressen für feine Schokolade und Confiseriewaren. Das ist leider lange her und so ist es inzwischen schwer, die Zuckerbäcker und Chocolatiers zu finden, die man zur Befriedigung der Naschsucht benötigt. Verstehen sie mich recht, es geht nicht darum, ihnen den Genuss preiswerterer Süßigkeiten madig zu machen, aber die Naschsucht stellt sich nun einmal erst bei den feinsten Schokoladen und Torten ein. Und manchmal, da werden sie mir sicher zustimmen, muss es einfach etwas Feines sein.

Erich Hamann wurde am 6. Januar 1880 in Memel/Ostpreußen geboren. Er lernte das Konditorhandwerk und machte sich 1912 in Berlin selbstständig. Sein erstes Geschäft lag in der Kurfürstenstraße, die damals eine gute Adresse war. Heute tummeln sich da eher die Bordsteinschwalben, aber in den 20er Jahren lagen eine ganze Reihe Schulen für die höheren Stände in der Nähe. Weitere Geschäfte in der Leipziger Straße und Unter den Linden folgten. 1928 wurde das heutige Stammhaus in der Brandenburgischen Straße (U-Konstanzer Straße) fertig gestellt. Der Bau und die Einrichtung des Verkaufsraumes wurden von Johannes Itten gestaltet.

Wenn man den Laden betritt, verlässt man die Welt der aufdringlichen Werbung, der billigen Schokoriegel und Süßigkeitenautomaten. Schlichte Regale und eine dunkle Holztäfelung im Bauhausstil bestimmen den Raum. Auf dem Verkaufstresen sind nur wenige Produkte aufgebaut: ein Korb mit schokoladenüberzogenen Walnüssen, einige Tafeln Edelbitter oder eine Schachtel mit verschiedenen Pralinen. Wenn einer der Chocolatiers durch die Tür tritt, um Nachschub zu bringen, kann man Conchiermaschinen sehen, die die Grundbestandteile guter Schokolade, Kakao, Zucker und Kakaobutter, Stunde um Stunde walzen.



Hatte ich schon erwähnt, dass man der Dame seines Herzens eine große Freude machen kann, wenn sie, sagen wir mal nach den Mühen des Tages, genervt und erschöpft nach Hause kommt und auf ihrem Platz liegt eine Schachtel der feinsten Schokoladentäfelchen, die bei der geringsten Berührung von Gaumen und Zunge dahin schmelzen?

Das Publikum ist gemischt, Wilmersdorfer Witwen, die ihre Einkaufstaschen mit Bergen von Pralinen füllen. Auch wenn es den Eindruck erweckt, es handelt sich keineswegs um den Jahresvorrat, der von den Damen aus dem Laden geschleppt wird. Senatsbedienstete, die ohne Leckereien ihre Senatoren nicht ertragen können, türkische Geschäftsleute, die wohl weniger ihre Integrationswilligkeit demonstrieren, als ihren Töchtern oder ihrer Frau eine Freude bereiten wollen und soignierte italienische Herren, die von mir dorthin verwiesen wurden.

Wenn man Glück hat, kommt die Seniorchefin dazu und unterstützt das Personal im Verkauf. Niemand bindet so liebevoll die obligatorische blaue Schleife um die Borkenschokolade.
Der Familienbetrieb stellt seine Produkte nach wie vor nach den Rezepturen von Erich Hamann her.
Die Berliner Abendschau sendete vor einigen Jahren einen schönen Bericht über die Erich Hamann KG.

Manche behaupten, dass Hamann die beste Schokolade in Berlin produziert.

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Freitag, 26. Februar 2010
Den Eisbrecher auf der Spree

werde ich vermissen.

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Montag, 25. Januar 2010
Visionen
Von Zeit zu Zeit überkommt es mich, dann denk ich Seltsames in der Nacht in der Bahn.

Matschepampekälte in der Stadt, die Hundescheiße quillt durch das Tauwetter wieder aus der Schneedecke, bildet braune Schlieren auf den Wegen und wird täglich beim Gassi gehen ergänzt. An den Regenrinnen über mir haben sich in den letzten Wochen große Eiszapfen gebildet, die nun antauen und die Passanten erschlagen. Es ist kein schöner Gedanke, von einem herab sausenden Eispickel durchbohrt zu werden.

Könnte man nicht? Irgendwie – es wäre vielleicht teuer, vielleicht hätte die Umwelt (wer ist das eigentlich? Hat die auch etwas zu melden?) keine rechte Freude und die Kackratten müsste man natürlich und mit den Autos ginge es auch nicht… Aber möglich, so ganz prinzipiell, wäre es schon?

Botanischer Garten Berlin (1905)
Man müsste natürlich klein anfangen, müsste natürlich realistisch bleiben und sagen wir mal, zunächst das Stück zwischen meiner Wohnung und dem S-Bahnhof mit Plexiglas überdachen, an den Zugängen Wärmeschleusen einbauen (in Kaufhäusern geht das schließlich auch), Hunde und Autos (o.k. machen wir einen Kompromiss: Elektroautos sind erlaubt, sofern sie kein Brandenburger Kennzeichen haben) in der so geschaffenen Galleria verbieten. Und eine Fußbodenheizung, das wäre chic. Die Kuppel aus Plexiglas müsste natürlich, sonst sieht es Scheiße aus (Wir sind ja nicht im Hauptbahnhof), möglichst ohne Streben, Pfeiler und sonstige Elemente, die die Sicht behindern, gefertigt werden. (Ohne die lästige Schwerkraft wäre das natürlich alles viel einfacher!)

Wer auf den Bürgersteigen mit dem Fahrrad fährt, darf die Loggia nicht mehr benutzen. Man könnte ja vor den Wärmeschleusen Fahrradständer anbringen, park’n ride für die Unverbesserlichen.

Die Satteldächer auf den Häusern bräuchte man dann natürlich nicht mehr, da Schnee und Regen schon zwanzig Meter über den Giebeln nach außen abgelenkt würden. Man könnte also überall Flachdächer mit Liegewiesen, mobilen Eisverkäufern, Schwimmbädern, vielleicht mit einem kleinen Kiosk dabei, der Butterbrezeln und Käsesemmeln anbietet? errichten. Damit die Treppenhäuser nicht zu sehr von klakkernden Birkenstockclogs ruiniert werden, müsste man über die Straßen, Baulücken und Parkanlagen Brücken bauen. Die Berliner Höhenwanderwege würden berühmt und zu einer Touristenattraktion (vielleicht sollte man die Schweizer vom Besuch ausschließen? Schließlich nörgeln die den ganzen Tag über die fehlenden Berge) werden. Okay, über Skater usw. müsste man auch noch nachdenken und über diese seltsamen, ästhetisch völlig inakzeptablen Gefährte – wie heißen die nochmal gleich? – bei denen der Fahrer sich durch selten dämliches Vor- und Zurückbewegen des Oberkörpers vorwärts bewegt.

Auf den Dächern und Übergängen könnte man Gärten anlegen, über die Kamine Drillingsblumen wuchern lassen, die Wanderwege mit Flammenbäumen zu Alleen der fünften Etage umgestalten, gelegentlich noch ein Gilbblümli und einen Rosenlorbeer pflanzen.

An anderen Stellen könnte man Krammetsbäume oder Bärenzwiebeln ansiedeln.

Dies Gesträuche und Geblüme ist natürlich ideal als Versteck für nichtsnutzige Knaben, die mit ihren Zwillen Sozialpädagogen und Juristen das Leben schwer machen, während die braven Mädchen Gummitwist spielen oder Klassenkameraden auflauern, um ihnen einen Eintrag in ihrem Poesiealbum abzunötigen.

Wer etwas älter ist könnte gebratene Hühnerbeine verzehren, ein Glas Riesling trinken und anstatt für die Doppelhaushälfte zu sparen, den schönen Frauen Komplimente machen! Oder natürlich ein gutes Buch lesen.

Ach, wär’ das schön!

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Montag, 9. November 2009
Georg Elser (4. Januar 1903 - 9. April 1945)
„Viele Straßen einjedweder Stadt
sind benannt nach großen Helden
des Geistes und der Kriege:
Schiller-, Goethe-, Moltke-, Wilhelm-
oder Rommelstraße. Je mehr Blut einer vergoss
(immer der andren), desto mehr preisen ihn
die Heldentafeln,“
(Peter-Paul Zahl)
Georg Elser wurde am 4. Januar 1903 in Hermaringen /Württemberg im Landkreis Heidenheim geboren.

Er war von Beruf Tischler, ein begeisterter Musiker, er trat beispielsweise 1926 dem Zitherclub Konstanz bei und Mitglied bei den Naturfreunden.

Elser nahm seine Überzeugungen ernst und war nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 zu dem Entschluss gekommen, dass das NS-Regime gebremst werden musste. Es war ihm durchaus klar, dass sein Attentat den Krieg und die Verfolgungen nicht beenden würde.

Am 8. November 1939 explodierte seine Bombe im Bürgerbräukeller in München. Sie sollte dir NS-Führungsschicht töten. Das Attentat misslang.

Am gleichen Tag wurde er in Konstanz beim Versuch in die Schweiz zu flüchten vom Zollgrenzschutz verhaftet:
„Auf meiner Flucht habe ich von der Dampfer-Anlegestelle aus folgenden Weg genommen: Marktstatte, Rosengartenstraße, vorbei an der Dreifaltigkeitskirche zum Bodanplatz, dann weiter durch die Hüetlingstraße, Kreuzlingerstraße, Schwedenschanze, Wesenberggarten. Irgendwelche Hindernisse hatte ich auf diesem Wege nicht zu überwinden. Beim Eingang von der Schwedenschanze aus in den Wesenberggarten habe ich ein kleines Gartentor, das aber nicht versperrt war, durchschritten. Als ich in diesem Garten auf der Höhe des Wesenberghauses war, wurde ich angerufen, habe daraufhin auch sofort gehalten und wurde dann von einem Beamten, der mir zuerst alles abnahm, was ich in der Tasche hatte, in ein Dienstzimmer verbracht, wo ich festgenommen wurde.
Wenn ich gefragt werde, was mein erster Gedanke in diesem Augenblick war, so muss ich zugeben, dass ich mich im ersten Augenblick über mich selbst und meinen Leichtsinn geärgert habe. Ich dachte, wäre ich doch nicht einfach so darauf zugelaufen, sondern hätte ich doch wenigstens zuerst genau Umschau gehalten, ehe ich auf die Grenze zuging.“
(Verhörprotokoll der GeStaPo)
Georg Elser wurde zunächst durch die Sonderkommission Bürgerbräukeller, dann in der Gestapoleitstelle München, später im Hauptquartier der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin verhört. Während die Sonderkommission versuchte Informationen zu sammeln, dienten die anderen Verhöre dazu, Propagandamaterial zu erhalten oder schlicht Rache zu üben.
1941 wurde Elster nach Sachsenhausen, Anfang 1945 nach Dachau verlegt und am 9. April 1945 erschossen.

Wenn Sie sich näher mit Georg Elser auseinandersetzen wollen, möchte ich Ihnen den Georg-Elser-Arbeitskreis in Heidenheim empfehlen, der eine Fülle an Informationen und Dokumenten über Elser zusammengetragen hat.

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Freitag, 3. Juli 2009
Alexanderplatz: Vom U-Bahnausgang zum S-Bahnhof
Es sind kaum 50 Meter, zuerst kommt Jopi, der ein selbst gemaltes Schild vor die Brust hält und verspricht, dass er ehrlicher als jeder andere Politiker ist. Ich kenne Jopi nicht näher, aber vertrauenswürdiger als Wolfgang Clement oder Friedrich Merz ist er allemal. Geradezu steht eine christliche Singegruppe mit Israelfahne. Da ahnt man Fürchterliches, so dass sich ein Nachfragen verbietet. Einige Meter weiter brüllt ein dunkelhäutiger Riese etwas von ‚praise the Lord’ usw. Ein pickliges, pummeliges, bleiches Mädchen übersetzt mit leerem Blick. Da hätte Chester Himes seine helle Freude. Und Sigmund Freud. Zwei Würstchenverkäufer, einer davon im Rollstuhl, schleppen schwer an ihren mobilen Bratereien. Der Rollstuhlfahrer verkauft doppelt so viele Bratwürste. Davor eine Truppe, die irgendwelche Tiere retten will und eine andere, die was mit Kindern auf ihrem Stand zu stehen hat. Ob die Fundraiser für beide Organisationen arbeiten? Dazwischen allerlei Volks, das unterschiedliche Dinge der Aufmerksamkeit empfiehlt: günstige DVD-Player, happy hours für diverse Etablissements, Gutscheine usw. So viel Belästigung und schlechtes Essen ist nirgends sonst.

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Freitag, 12. Juni 2009
Berlin 1831
Hans Christian Andersen besuchte im Juni 1831 Berlin und notiert seine Eindrücke in seinem Tagebuch, darunter auch ein Gedicht:

„Schnurgerade Straßen, Palais an Palais,
Füße und Augen tun einem hier weh.
Hübsche Soldaten – der erste schien mir
Mitten durchs Herz zu gehen schier.
»Nie sah ich Schöneres!« rief ich laut,
»Gott, wie ist es doch prächtig gebaut!«


Berlin 1885: Unter den Linden

Unter den Linden ging alle Welt
(Am schönsten als Kupferstich dargestellt).
Schmutzig die Straßen, die Jungen sind,
Ach, dafür wäre man lieber Blind!
Echten Berliner Witz finden man kann,
Und der ist kostbar, insonderheit dann,
Wenn er per Schnellpost reiset fürbaß,
Ist er, weil zu schwer, ein teurer Spaß!
R wird gerollt hier, man sagt: »Mein Jott!«
Sonst aber sind diese Leute sehr gut.
Sieht man die Stadt jedoch kreuz und quer,
Paßt ihre Größe in Verse nicht mehr.
Moral
Merk dir: Berlin ist mitnichten klein
Und die Moral davon überaus fein.
(Hans Christian Andersen: Tagebücher, S. 43)

Na gut, vielleicht hätte er das Dichten besser unterlassen.

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Mittwoch, 3. Juni 2009
Berlin 1822
Heinrich Heine studierte 1821 – 1823 in Berlin; die Briefe erschienen 1822 im »Rheinisch-Westfälischen Anzeiger«.
„Berlin, den 26. Januar 1822

Folgen Sie mir nur ein paar Schritte, und wir sind schon auf einem sehr interessanten Platze. Liebknechtbrücke und Berliner DomWir stehen auf der Langen Brücke. Sie wundern sich: »Die ist aber nicht sehr lang?« Es ist Ironie, mein Lieber. Laßt uns hier einen Augenblick stehenbleiben und die große Statue des Großen Kurfürsten betrachten.
Er sitzt stolz zu Pferde, und gefesselte Sklaven umgeben das Fußgestell. Es ist ein herrlicher Metallguß und unstreitig das größte Kunstwerk Berlins. Und ist ganz umsonst zu sehen, weil es mitten auf der Brücke steht.
...
Wir können durch das Schloß gehen und sind augenblicklich im Lustgarten. »Wo ist aber der Garten?« fragen Sie. Ach Gott! merken Sie denn nicht, das ist wieder die Ironie. Es ist ein viereckiger Platz, der von einer Doppelreihe Pappeln eingeschlossen ist.
Hier stehen wir just vor der Domkirche, die ganz kürzlich von außen neu verziert wurde und auf beiden Seiten des großen Turms zwei neue Türmchen erhielt. Der große, oben geründete Turm ist nicht übel. Aber die beiden jungen Türmchen machen eine höchst lächerliche Figur. Sehen aus wie Vogelkörbe. Man erzählt auch, der große Philolog W. sei vorigen Sommer mit dem hier durchreisenden Orientalisten H. spazierengegangen, und als letzterer, nach dem Dome zeigend fragte: »Was bedeuten denn die beiden Vogelkörbe da oben?«, habe der gelehrte Witzbold geantwortet: »Hier werden Dompfaffen abgerichtet.«
...
Doch vorwärts! Wir müssen über die Brücke. Sie wundern sich über die vielen Baumaterialien, die hier herumliegen, und die vielen Arbeiter, die hier sich herumtreiben und schwatzen und Branntewein trinken und wenig tun. Hier nebenbei war sonst die Hundebrücke; der König ließ sie niederreißen und läßt an ihrer Stelle eine prächtige Eisenbrücke verfertigen. Schon diesen Sommer hat die Arbeit angefangen, wird sich noch lange herumziehn, aber endlich wird ein prachtvolles Werk dastehen. Schauen Sie jetzt mal auf. In der Ferne sehen Sie schon – die Linden!
Die neue Wache unter den Linden Wirklich, ich kenne keinen imposantern Anblick, als, vor der Hundebrücke stehend, nach den Linden hinaufzusehen. Rechts das hohe, prächtige Zeughaus, das neue Wachthaus, die Universität und Akademie. Links das königliche Palais, das Opernhaus, die Bibliothek usw. Hier drängt sich Prachtgebäude an Prachtgebäude. Überall verzierende Statuen; doch von schlechtem Stein und schlecht gemeißelt. Außer die auf dem Zeughause. Hier stehn wir auf dem Schloßplatz, dem breitesten und größten Platze in Berlin.
...
Wie gefällt Ihnen aber die Universität? Fürwahr, ein herrliches Gebäude! Nur schade, die wenigsten Hörsäle sind geräumig, die meisten düster und unfreundlich, und, was das schlimmste ist, bei vielen gehen die Fenster nach der Straße, und da kann man schrägüber das Opernhaus bemerken. Wie muß der arme Bursche auf glühenden Kohlen sitzen, wenn die ledernen, und zwar nicht saffian- oder maroquinledernen, sondern schweinsledernen Witze eines langweiligen Dozenten ihm in die Ohren dröhnen und seine Augen unterdessen auf der Straße schweifen und sich ergötzen an das pittoreske Schauspiel der leuchtenden Equipagen, der vorüberziehenden Soldaten, der dahinhüpfenden Nymphen und der bunten Menschenwoge, die sich nach dem Opernhause wälzt.
...
Aber ich sehe, Sie hören schon nicht mehr, was ich erzähle, und staunen die Linden an. Ja, das sind die berühmten Linden, wovon Sie soviel gehört haben. Mich durchschauert's, wenn ich denke: Auf dieser Stelle hat vielleicht Lessing gestanden, unter diesen Bäumen war der Lieblingsspaziergang so vieler großer Männer, die in Berlin gelebt; hier ging der große Fritz, hier wandelte – Er! Aber ist die Gegenwart nicht auch herrlich? Es ist just zwölf und die Spaziergangszeit der schönen Welt. Die geputzte Menge treibt sich die Linden auf und ab. Sehen Sie dort den Elegant mit zwölf bunten Westen? Hören Sie die tiefsinnigen Bemerkungen, die er seiner Donna zulispelt? Riechen Sie die köstlichen Pomaden und Essenzen, womit er parfümiert ist? Er fixiert Sie mit der Lorgnette, lächelt und kräuselt sich die Haare. Aber schauen Sie die schönen Damen! Welche Gestalten! Ich werde poetisch!
Denkmal für Heinrich Heine neben dem Hauptgebäude der Humboldt Universität unter den Linden.


Ja, Freund, hier unter den Linden
Kannst du dein Herz erbaun,
Hier kannst du beisammen finden
Die allerschönsten Fraun.

Sie blühn so hold und minnig
Im farbigen Seidengewand;
Ein Dichter hat sie sinnig
Wandelnde Blumen genannt.
Welch schöne Federhüte!
Welch schöne Türkenschals!
Welch schöne Wangenblüte!
Welch schöner Schwanenhals!


Nein, diese dort ist ein wandelndes Paradies, ein wandelnder Himmel, eine wandelnde Seligkeit. Und diesen Schöps mit dem Schnauzbarte sieht sie so zärtlich an! Der Kerl gehört nicht zu den Leuten, die das Pulver erfunden haben, sondern zu denen, die es gebrauchen, d.h. er ist Militär.
...
Jetzt sehen Sie mal rechts und links. Das ist die große Friedrichstraße. Wenn man diese betrachtet, kann man sich die Idee der Unendlichkeit veranschaulichen. Laßt uns hier nicht zu lange stehenbleiben. Hier bekömmt man den Schnupfen. Es wehet ein fataler Zugwind zwischen dem Hallischen und dem Oranienburger Tore.
...
Hier rechts können Sie etwas Neues sehen. Hier werden Boulevards gebaut, wodurch die Wilhelmstraße mit der Letzten Straße in Verbindung gesetzt wird. Hier wollen wir stillestehn und das Brandenburger Tor und die darauf stehende Viktoria betrachten. Ersteres wurde von Langhans nach den Propyläen zu Athen gebaut und besteht aus einer Kolonnade von zwölf großen dorischen Säulen. Die Göttin da oben wird Ihnen aus der neuesten Geschichte genugsam bekannt sein. Die gute Frau hat auch ihre Schicksale gehabt; man sieht's ihr nicht an, der mutigen Wagenlenkerin. Laßt uns durchs Tor gehen. Was Sie jetzt vor sich sehen, ist der berühmte Tiergarten, in der Mitte die breite Chaussee nach Charlottenburg.
( Heinrich Heine Briefe aus Berlin)

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Freitag, 22. Mai 2009
Berlin 1810
Anne Germain de Staël-Holstein, kurz Madame de Staël, war im Frühjahr 1804 in Berlin. Der zitierte Abschnitt ist aus dem 1810 erschienen Buch "De L'Allemagne".
„Berlin ist eine große Stadt mit breiten, geraden Straßen und von regelmäßiger Bauart. Da sie größtenteils neu gebaut ist, so finden sich wenige Spuren älterer Zeiten. Unter den modernen Gebäuden erheben sich keine gotischen Monumente, und das Neue wird in diesem neugebildeten Lande auf keinerlei Weise durch Altes unterbrochen und eingezwängt.
...
Berlin, diese ganz moderne Stadt, so schön sie immer sein mag, bringt keine feierliche, ernste Wirkung hervor, sie trägt das Gepräge weder der Geschichte des Landes noch des Charakters der Einwohner; und die prächtigen neu aufgebauten Gebäude scheinen bloß für die bequeme Vereinigung der Vergnügungen und der Industrie bestimmt zu sein. Brandenburger Tor, erbaut von C. G. Langhans (1788 - 1791)Die schönsten Paläste von Berlin sind von gebrannten Steinen; kaum wird man in den Portalen und Triumphbogen Quaderstücke auffinden. Preußens Hauptstadt gleicht Preußen selbst; Gebäude und Einrichtungen zählen nur ein Menschenalter und nichts darüber.
Berlin, im Mittelpunkt des nördlichen Deutschlands, kann sich als den Brennpunkt der Aufklärung und des Lichtes betrachten. Wissenschaften und Künste sind in Flor, und bei den Mittagstafeln, wozu bloß Männer geladen werden, bei Ministern, Gesandten etc., findet die Abstufung des Ranges, die dem Verkehr in Deutschland so nachteilig ist, nicht statt; Männer von Talent aus allen Klassen treffen hier zusammen.
...
Dagegen machte in den letzten Jahren die Pressefreiheit, der Verein geistreicher Männer, die Kenntnis der deutschen Sprache und Literatur, die sich allgemein verbreitet hatte, Berlin zur wahren Hauptstadt des neuen, des aufgeklärten Deutschlands.“

( Anne Germain de Staël-Holstein »Über Deutschland« (3 Bände) Leipzig und Wien 1893, S. 101 – 105, zitiert nach Bienert )

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Mittwoch, 13. Mai 2009
Der Raum der Stille
Brandenburger Tor: Raum der Stille
Das Brandeburger Tor gehört zu den Bauwerken Berlins, die man als Tourist gesehen haben muss. Da es am Ende der Linden liegt, in der Nähe des Reichtages, kann man eine Besichtigung auch kaum versäumen. Wenn sie als Besucher Berlins die Nase voll haben von Sehenswürdigkeiten und dem aufgeregt-gelangweilten Geschnatter der bildungs- oder erlebnishungrigen Touristen, wenn ihnen der Lärm und die Menschenmassen auf die Nerven gehen, schlendern sie zum nördlichen Torhäuschen. Treten sie ein in den Raum der Stille, lesen sie nicht das Faltblatt, das ihnen die freundliche Dame am Empfangstisch aushändigt, gehen sie zielbewußt durch die Glastüre und setzen sie sich eine halbe Stunde auf einen der Stühle. Kein Laut dringt vom Pariser Platz, von den Linden und von der Strasse des 17. Juni zu ihnen.
Selbst an Feiertagen oder bei Großereignissen, wenn Berlin von Besuchern überflutet wird, ist es wahrscheinlich, dass sie allein in diesem Raum sind.

Und schalten sie ihr Handy aus.

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Montag, 11. Mai 2009
Windrichtungsanzeiger
Rummelsburg: Das Kraftwerk Klingenberg bei kräftigem Wind aus nördlicher RichtungDas Kraftwerk Klingenberg wurde 1925 im expressionistischen Baustil von Georg und Walter Klingenberg (mit seinem Partner Werner Issel) im Berliner Stadtteil Rummelsburg erbaut. 1987 wurde es zum Heizkraftwerk umgebaut. Die ursprünglich acht gemauerten Schornsteine wurden in den 70ern durch zwei Stahlbetonschornsteine ersetzt. Der eine, 169 m hoch ist weithin im Stadtgebiet zu sehen.

Rummelsburg: Das Kraftwerk Klingenberg bei leichtem Wind aus nördlicher Richtung Rummelsburg: Das Kraftwerk Klingenberg bei Windstille Rummelsburg: Das Kraftwerk Klingenberg bei leichtem Wind aus südlicher Richtung Rummelsburg: Das Kraftwerk Klingenberg bei kräftigem Wind aus südlicher Richtung

Die Säule aus Wasserdampf zeigt, nimmt man die Spree, die im Berliner Stadtgebiet weitgehend in Ost-West-Richtung fließt, als Orientierung, die Windrichtung an.

Das Kraftwerk Klingenberg von der Oberbaumbrücke

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