Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 14. Dezember 2010
Vom Leben mit Sozialpädagoginnen
(womit nicht Positives über Pädagogen, Psychologen/-innen, usw. angedeutet sein soll)
In meinem langen, bewegten Leben begab es sich auch dereinst, dass ich mehr oder weniger freiwillig mit einem Rudel Sozialpädagoginnen zusammenlebte. (Sie beginnen sich schon jetzt zu fürchten? Weichei!)

Als Student macht man ja so einiges mit, das man in reiferen Jahren dann versucht abzustreiten oder mit dem Mantel der ungenauen Erinnerung bedeckt. Ich zog also, meiner Erinnerung nach, eigentlich ganz frohen Mutes in eine Wohngemeinschaft mit Maschinenbauern, Physikern, Entsorgungstechnikern und eben auch mehreren Sozialpädagoginnen. Was mir vor dem Einzug nicht klar war, dass es einen mittelgroßen Kampf der Geschlechter in der WG gab. Was ich aus früheren Wohngemeinschaften ja schon kannte, waren die endlosen Debatten zum Thema Sauberkeit, für mich neu waren die kleinen Gefechte, die auf der einen Seite mit erbitterter Grundsätzlichkeit und auf der anderen mit wurschtiger Ausdauer, ausgetragen wurden. So lag auf der Toilette beispielsweise ein älterer Playboy. Nicht weil die Herren der Schöpfung vor dem Spülgang das dringende Bedürfnis verspürten nackte Tatsachen zu vergleichen oder zu bewundern, sondern um die Damen des Hauses zu ärgern. An einem der ersten Abende wurde ich dann folgerichtig von der einen Fraktion mit der Frage, wie ich es denn mit der Pornographie so halten würde, konfrontiert. Mir schwante ja übles und so versuchte ich mich mit einem desinteressierten ‚da nicht so für‘, wie man heute so sagen würde, heraus zu reden, schließlich dämmerte mir, dass ich mit Aussagen wie: „Was an Bildern von nackten Frauen antörnend sein soll ist mir nicht klar; ich bin mehr so fürs Reale“ oder: „Wenn ich ehrlich sein soll, finde ich ja diese ganzen einschlägigen Utensilien eher lustig. Riesige Rüttelstäbe in Bananenform oder aufblasbare Kunststoffliebhaberinnen kann ich von Zeit zu Zeit durchaus komisch finden“ eher auf ein ablehnendes Echo treffen würde. Weitschweifiges Drumherumgerede führte dann aber doch zu einer Entspannung der Debatte. Mir wurden lediglich tote Prinzen zur Lektüre empfohlen. Nun ja, nun ja, ich war ja damals jung und dumm, soll heißen eine kleine Nachschulung über Gleichberechtigung und Chancengleichheit hatte ich durchaus nötig, nur der Tod des Märchenprinzen?

And now for something completely different

Wissen Sie (noch) was Kefir ist?
Kefir ist eine der Geiseln der Menschheit. Dieser Pilz verdoppelt seine Masse bei Raumtemperatur in etwa 14 Tagen. Wenn man ihn teilt, ordentlich mit Milch füttert und nur wenig davon verzehrt, verdoppeln sich die beiden Teile wiederum in 14 Tagen, die dann wieder geteilt werden und so breitet sich der Kefir bald darauf in einer unendlichen Kettenreaktion in unendlichen, still vor sich hinwuchernden und säuerlich müffelnden Massen von Einweckgläsern in der ganzen Wohnung aus. Sie werden dem Fortpflanzungstrieb dieses Pilzes nicht mehr Herr. Kefir war beliebt bei alternativen Sozialpädagoginnen und so wurde dieses Geschöpft auch in unsere Wohngemeinschaft eingeschleppt und vermehrte sich exponentiell. Gegessen oder getrunken wurde davon wenig, obgleich er als ungeheuer gesund galt und das Leben fast bis ins Unendliche verlängern sollte. Die Kefirmassen wuchsen und die Debatten um die Vernichtung des Eindringlings wurden immer härter.

Leider hatte sich die Kefirdebatte schon weit von allen Sinnhaftigkeiten entfernt, es ging ums Grundsätzliche und wie immer wenn’s grundsätzlich wird, wurde erbittert gekämpft. Drohungen, Finten, Unterstellungen jagten sich am Abendbrottisch, wochenlang. Bis, ja bis zum Beginn der Semesterferien. Die Semesterferien veränderten die Gefechtslage, denn der Entsorgungstechniker hatte ein Praktikum bei einem bekannteren Berliner Entsorger, alle anderen fuhren zu ihren Eltern oder mussten sich auf dem Jobmarkt, meist in Westdeutschland, verdingen. Wer sollte sich um den Kefir kümmern? Ich war der einzige Kandidat, dem von unsren Mitbewohnerinnen genug Vertrauen (zu unrecht übrigens) entgegengebracht wurde, ihn zu hegen und zu pflegen und nicht schon am ersten Tag das ganze Kefirgeschwür in dem Müll zu werfen. Ich hatte jedoch einen Job in Süddeutschland. Unser Entsorgungstechniker schwor (scheinheilig, was sonst) einen Eid: Er werde den Kefir nicht anrühren und ihm kein Leid zufügen. Beruhigt fuhren unsere Pädagoginnen weg. Nach ihrer Rückkehr lag der Kefir vertrocknet in seinen Fortpflanzungsgläsern. Er hatte ihn nicht angerührt.

And now for something completely different

Ich hatte ja gelegentlich angedeutet, dass ich bei der Frage, wer mit wem und mit wie vielen, eine eher laxe Haltung einnehme. Muss man alles nicht so eng sehen und insbesondere nicht moralisch. Allerdings gibt es Grenzen, die man gefälligst einhalten sollte, schließlich wollen manche Leute nachts auch schlafen:
Unsere beiden Sozialpädagoginnen schleppten eines Abends einen ihrer Professoren an, eisengrauen Matte bis auf die Schultern und eine so sanfte, mitfühlende Aussprache, dass man Pickel von kriegen konnte. Na egal, Besuch ist Besuch und wenn man jedes Mal, wenn einem ein Besucher seiner Mitbewohner auf den Wecker geht (wenn ich da nur an den Animateur auf Urlaub denke, aber das ist eine andere Geschichte), sich aufregen würde …
Ja, nur diesmal war es etwas arg. Sogar unsere WG-Katze fand sein Angeschleime derart widerlich, dass sie prophylaktisch ihre Zähne in seinen Knöchel rammte und erst danach fauchte und sich in Sicherheit brachte. Wir haben ihr dann zwei Tage später etwas Leckeres zum Fressen gekauft und sie gelobt: „Das hast du fein gemacht, Mietzi!“

Also, der Abend nervte so vor sich hin und nach dem Abendessen gingen wir dann in die Kneipe und ließen den Professor mit seinen Studentinnen alleine.

Gegen zwei Uhr kamen wir dann etwas angeheitert zurück und legten uns sofort schlafen, schließlich wartete ein harter Studientag am Ende der Nacht auf uns.

Eine halbe Stunde später hörte ich ein, zunächst unterdrücktes, eine weitere Viertelstunde darauf, ein hemmungsloses Schluchzen auf dem Gang. Ich ging hinaus. Eine unserer Mitbewohnerinnen hockte vor der Tür ihrer Kommilitonin und weinte bitterlich. Es stellte sich heraus, dass sich ihre Rivalin mit dem Herrn Professor gerade in ihrem Zimmer vergnügte. („Wenn du das Ohr gegen die Tür presst, kannst du es hören!“ „Ich glaub’s dir ja.“) Ich tröstete sie so gut ich konnte und als sie sich bereit erklärt hatte, in ihrem Zimmer weiter um ihre Niederlage zu weinen, ging ich wieder ins Bett und schlief wieder ein.

Nach einer weiteren Stunde wachte ich erneut auf, weil wieder Weinen aus dem Flur zu mir ins Zimmer drang. Verdammt noch mal, sie hatte doch versprochen in ihr Zimmer zu gehen und nicht die ganze WG mit ihrem Weinen wach zu halten? Genervt ging ich auf den Flur. Zunächst konnte ich niemand entdecken, dann sah ich am Ende des Ganges vor dem Zimmer der Dame, die ich getröstet hatte, die Andere sitzen und herzergreifend flennen. Es stellte sich heraus, dass sich in der Stunde zwischen den Weinattacken das Blatt gewendet hatte. Inzwischen hatte sich der Herr Professor der anderen Dame zugewandt und die erste saß vor der Tür der anderen und weinte über ihre Zurücksetzung.

Die nächsten Wochen teilten sich die beiden Damen weiterhin den Liebhaber, allerdings hatten wir darauf bestanden, dass dies künftig in der Wohnung des Professors stattfinden müsse. Der Mensch will schließlich schlafen.

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Dienstag, 7. Dezember 2010
Warum ich monogam geworden bin
Meine Damalige, eine Charlottenburger Pflanze (ich hatte und habe ein Faible für eingeborene Frauen), hatte eine Zehlendorf-Connection, alles ALer (=Alternative Liste, sie können sich erinnern?) mit deren Gefolge ich dann eine Zeit lang am Rande dieser Partei mitgewurschtelt habe; aber das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall hatte sie einen Freund aus Kindertagen, der als Betriebswirt schon gutes Geld verdiente und eine ziemlich feste Freundin sein Eigen nannte.

Eigentlich, dachte er sich, sollte und wollte er eine Familie gründen, nur so irgendwie und so endgültig vielleicht doch nicht.

Zum besseren Verständnis sollte ich wohl vorausschicken, dass es in den 80ern in Berlin zwei Stadtmagazine gab, den Tip und die Zitty, die man insofern unterscheiden konnte, als dass die redaktionellen Beiträge in dem einen Magazin nicht ganz so schrecklich waren, wie in dem anderen. Die beiden Magazine gibt es immer noch, nur unterscheiden kann man sie nicht mehr. Aber egal, niemand damals und wohl auch heute, kauft sich so ein Veranstaltungsblättchen, um die Artikel zu lesen. Damals, wie das heute ist kann ich nicht sagen, unterschieden sich die Kontaktanzeigen der beiden Magazine allerdings sehr deutlich. Im Zitty inserierten eher die alternativ angehauchten Jungs und Mädels, im Tip fühlten sich die eher braven Damen und Herren zu Hause. Zumindest bezüglich der äußeren Erscheinung, dort waren die Damen geschminkt, die Herren trugen gewaschene Kleidung und hier liefen die Jungs eher verlottert herum und die Mädels trugen Patschuli auf. Einen Hang zur Esoterik war ihnen gemeinsam. Der Schulfreund meiner Verflossenen nun hatte grundsätzlich etwa drei bis vier „Tipkisten“, wie man damals sagte, also Damen, die er über die Kontaktanzeigen des Tip kennengelernt hatte, parallel zu laufen. „Zittykisten“ verschmähte er, na ja, nicht jeder hat so wenig Vorurteile wie sagen wir …

Sie müssen wissen, dass Anfang der 80er Jahre noch kein Gedanke an Taschentelefone oder Email-Kommunikation zu verschwenden war. Die komplette Logistik musste, vom Festnetzanschluss der eigenen Wohnung oder von Telefonzellen aus, in extremen Fällen über Telegramme, bewerkstelligt werden. Keine leichte Aufgabe, zumal die eine oder andere Dame ganz gerne einen spontanen Besuch im Repertoire hatte. Nach den ersten Unfällen beschloss er folgerichtig sein umfangreich paralleles Sexualleben nur noch aushäusig zu praktizieren. Aber auch dies konnte nicht völlig unfallfrei organisiert werden, schließlich hat der Mensch Lieblingskneipen, die Zahl der Kinos ist beschränkt und in den jeweiligen Szenen kannte man sich auch untereinander. Tatsache war, dass, wann immer wir zusammen ausgingen, er sich immer nervös vergewisserte, ob nicht irgendeine seiner zahllosen Verflossenen oder in Aussicht genommenen am Nebentisch saß oder – was wohl auch schon vorgekommen war – gar zwei aktuelle oder verflossene Liebschaften sich zusammen getan hatten um, wie er gelegentlich argwöhnte, auf Rache sinnen und ihm in seinen häufiger frequentierten Kneipen auflauerten. Wenn Sie mich fragen: Die Leute gehen einfach zu viel ins Kino, da kriegt man solche Ängste von.

Meine Damalige fand nun seinen Lebenswandel so ein bisschen frauenfeindlich und machte ihm Vorhaltungen. Den ganzen Abend. Wenn sie ihm keine Vorhaltungen machte, wollte sie pfeilgerade wissen, warum er denn mindestens vier Frauen gleichzeitig „zu laufen“ habe und warum die denn nichts voneinander wissen dürften. Nun, das mit der Geheimhaltung war schnell geklärt, da sein Interesse insbesondere Frauen galt, die eher „was Festes“ wollten und diese Interessenlage selbstverständlich nicht mit seiner Vielweiberei zusammenging (bei den Mormonen soll das früher ja anders gewesen sein, behauptet zumindest Karl May), mussten die Damen natürlich streng separiert werden. Das andere, warum er diesen unendlich komplexen Kreislauf organisierte, war nicht oder nur tiefenpsychologisch erklärbar. Den ganzen Abend. Irgendwann im Laufe der Zeit, habe ich mich dann geweigert diesen Exerzitien beizuwohnen.

Na wie dem auch sei, ich bin ja nicht so der Moralapostel und solange alle erwachsen sind, gibt es ja keinen Grund, warum man das kreuz und quer und wer mit wem und mit wie vielen, so furchtbar eng sehen sollte. Aber sagen Sie selbst: anstrengend ist das aber doch, oder?

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Donnerstag, 25. November 2010
Waiwelday in der U-Bahn
Zu der Zeit als Richard von Weizsäcker Regierender Bürgermeister von Berlin war, traf ich in der U-Bahn, kurz hinter Oskar-Helene-Heim ein amerikanisches Pärchen, er sofort als Soldat in Zivil erkennbar, sie wohl eher Hausfrau. Typisch amerikanisch begannen sie sofort ein Gespräch, eine eigentlich sehr nette Sitte der Middleclass aus den USA, wie ich finde. Ich habe die Freundlichkeit und Hilfsbreitschaft der Amerikaner aus den Klein- und Vorstädten, zumindest an der Ostküste, sehr schätzen gelernt.

„Hey, hello, you’re student?“
„Yes, sir!“
„You shouldn’t call me sir, i’m Bob and this is my wife Rebecca.“
„Hi Bob, hi Rebecca! I’m G.“


Wir plauderten ein wenig und kamen dann darauf zu sprechen, wo wir denn alle hinwollten.

„We’re comming from Crumm Lancky, you know, we’re heading for Curefürstenstreet, you know, there we‘re forced to take bus nr. 48 to the Philharmony, you know.“

Mit ‚Crumm Lancky‘ hatte ich zunächst Probleme, aber da wir auf der alten U 1 von Krumme Lanke nach Schlesisches Tor waren, konnte ich diese erste sprachliche Hürde noch leicht meistern.

„We‘re invited to a concert, in the Philharmony, Anthony Waiwelday, you know.“

Ich hatte keine Ahnung. Waiwelday, was sollte das bedeuten?

„Pardon, but Waiwelday? I don’t understand.“
„Anthony Waiwelday, Famous composer? You know?“


Ich zuckte mit den Achseln. Vielleicht etwas Moderneres? Experimentelle Musik?
Und dann dämmerte es mir, Anthony Waiwelday war zweifellos ein naher Verwandter von Mischèl Schackson, nach dem ich einmal in Südfrankreich befragt worden war.

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Donnerstag, 9. September 2010
Fahrradfahrergeschichten 5
Im Bahnhof fährt ein Radler gemächlich auf die Automatiktür zu. Sie öffnet sich nicht automatisch. Krach, Bumm, Schepper! Erstaunlicherweise ist das Glas nicht kaputt.



„Nun ja,“ hätte vermutlich der Radfahrer gesagt, wenn ich ihn, statt ihm aufzuhelfen, auf sein Malheur angesprochen hätte, „woher sollte ich den wissen, dass die Tür kaputt ist?“

„Nun ja,“ hätte ich dann wahrscheinlich geantwortet, „wenn Sie ihr Rad geschoben hätten, wäre ihnen das Schild da aufgefallen.“



Stattdessen fluchte er nur vor sich hin und jammerte. Wahrscheinlich hat es weh getan.

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Dienstag, 7. September 2010
Galeries Lafayette, Friedrichstraße
An der Wursttheke steht meine Liebste, eine Wilmerdorfer Witwe drängelt sich vor.
Der Verkäufer, französischer Charme in Person:
„Wer ist der Nächste?“
„Das bin doch ich?“ (Gesichtsausdruck: Ich bin alt und hilflos, außerdem habe ich keine Zeit zu warten, denn ich habe sonst nichts zu tun.)
Sie sieht meine Liebste an.
„Nein, aber ich lasse Sie gerne vor.“
Verblüfft starrt sie zurück, beschließt dann, die Spitze zu überhören und lässt ihre Laune an dem Verkäufer aus. Sie glauben gar nicht, was man alles bekritteln kann.

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Montag, 16. August 2010
Ich werde alt
Wenn man sich von einer Bande besoffener, brüllender, pöbelnder, bierverspritzender Pubertierender morgens auf dem Weg zur Arbeit genervt fühlt, dann ist es soweit, man wird alt.

Meine Frau würde natürlich wieder fragen: Waren wir auch so?

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Freitag, 6. August 2010
In der Kaufhalle
Sich unterhaltend mit ihrer Kollegin sah sie mich pikiert an, als ich sie fragte, wo denn die geschälten Tomaten zu finden seien. Ich wartete eine Weile, damit sie ihr Gespräch beenden konnte. Sie übersah mich und schwieg aus Bosheit oder weil sie nicht von mir belästigt werden wollte. Als ich meine Frage freundlich wiederholte, war sie schockiert.

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Montag, 2. August 2010
„Entschuldigens?“
Samstags auf dem Boxhagener Markt, vor meinem Zigarettenladen. Ein junger Mann mit unstetem Blick spricht mich in einem österreichischem Dialekt an:
„Entschuldigen S’, aber ich bin heut’ net so gut drauf, könntens mir net einen bloasn?“
„Äh? Nö!“

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Donnerstag, 29. Juli 2010
Familiengeschichten V: Die Tochter des R.
R. habe ich so 1983/84 kennengelernt. Eine Riese mit sanften und mit ungehobelten Seiten. Er konnte zuhören, aufmerksam nachfragen und niederpöbeln gleichermaßen.

Er erzählte mir, wie er 1944 aus der Wehrmacht desertiert ist und nach England ging und wie sie ihn nach dem Krieg deswegen angepöbelt haben. Ob er zu feige gewesen sei, das Vaterland zu verteidigen, wurde er gefragt. Er habe dann immer geantwortet, dass es bedeutend mehr Mut erfordert habe, Befehle zu verweigern und dass er mit der Schlächterei, die auch in seinem Namen betrieben wurde, nicht zu tun haben wollte. Zumindest den Naiven und Dummen habe er so geantwortet, denen die Krieg, Terror und Vernichtung gut geheißen haben, hätte er Prügel angedroht. Menschen, die seine Entscheidung als Jugendlicher sich dem zu verweigern, gut geheißen hätten, habe er nur sehr selten getroffen.

Er hat auch die antikommunistische Hetze der 50er Jahre nicht mitgemacht: „So lange wie alte Nazis in diesem Land an den Schalthebeln der Macht sitzen, werde ich jeden Kommunisten umarmen und als meinen Freund begrüßen.“ Sie sehen, er konnte sich auch theatralisch geben.

Als in 80ern die Solidarność gegründet wurde, war er einer der ersten, die sie unterstützten. Er fuhr immer mal wieder nach Gdańsk und Kraków , brachte Geld vorbei, aß sehr viele polnische Würste und unterhielt sich. Glücklicherweise kam er nie mit dem polnischen Geheimdienst ins Gehege. Später dachte er viel darüber nach, ob der weitere Entwicklungsweg der Solidarność nicht schon damals zu erahnen gewesen war. Im Nachhinein ist man ja immer schlauer, lachte er dann.

Er arbeitete und rauchte, trank und aß mehr, als er es hätte tun sollen und er liebte die Frauen. In Momenten, in denen er sich unbeobachtet wähnte, verfiel sein fröhliches Gesicht und wurde alt und grau.

Wenige Jahre nachdem ich ihn kennengelernt hatte, starb er.

Zwanzig Jahre später traf ich durch Zufall seine Tochter. Wir wurden vorgestellt und ich fragte sie nach einer Weile, ob sie denn mit dem R. etwas zu tun hätte? Ja, das wäre ihr Erzeuger. Ich hatte nicht weiter nachgefragt, sie machte ungeachtet dessen, eine Reihe von abfälligen Bemerkungen über den R.

Unversöhnlich weit über den Tod hinaus.

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Mittwoch, 7. Juli 2010
Der Grenzverletzer
Als Berlin noch geteilt war und die Frauen schön (die hässlichen haben Svende Merian gelesen), bin ich gelegentlich nach Ostberlin gefahren. Man fuhr mit der U-Bahn unter der DDR hindurch bis zur Friedrichstraße und hatte schon ein gewisses Unsicherheitsgefühl. Tote Bahnhöfe mit grimme guckenden Angehörigen der Grenztruppen vor zugemauerten Bahnhofszugängen. Im Bahnhof Friedrichstraße wurde man dann über schwer durchschaubare Wege in die Grenzübergangsstelle der DDR geführt. Bekannte von mir, die Freunde oder Verwandte in Ostberlin hatten, behaupteten, dass man nach dem zwanzigsten Besuch das Gefühl der Desorientierung in dieser Halle verlieren würde. Mir gelang das nie. Danach ging es in einen Hohlweg, einen mit einem seltsamen Kunststoff eingekleideten Tunnel zur Einreiseschleuse. Damals wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass es sich schlicht um Resopal handelt. Dieser Tunnel war eng, sehr eng und verstärkte noch das Gefühl einer unbestimmbaren Gefahr. Die Farbe des Kunststoffes war grün-gelb-braun, er war an vielen Stellen abgeplatzt und durch die Massen an Besuchern und Touristen in einem Ausmaß schmuddelig, dass man meinte in einer Bedürfnisanstalt zu sein. Es stank widerwärtig nach Putzmittel, vergammelndem Holz und dem Schweiß von Millionen.

In der Einreiseschleuse versuchte man als erfahrener Reisender die Zahl der Sterne auf den Schulterklappen zu erkennen. Ein Stern auf der Schulter einer Frau war furchtbar, ein älterer Mann mit drei Sternen versprach einen zügigen Durchgang.
Dieses Glück hatte ich am Bahnhof Friedrichstraße nie.

Einer vor, die anderen nachrücken. Warten. Einer vor, nachrücken und warten. In die Kabine linsen: eine einsternige Frau! Einer vor, nachrücken und warten. Einer vor, nachrücken und warten.

Im Geiste ging man die Fragen durch, die einem bald gestellt würden: „Waffen, Funkgeräte, Sprengstoff?“ Ernst und wenn es möglich war, etwas devot „Nein!“ antworten. „Presseerzeugnisse?“ Hab’ ich zuhause alle meine Taschen kontrolliert? Flugblätter diverser Gruppierungen, die zum Anzünden des Kachelofens widerspruchlos angenommen und in die Taschen gestopft wurden, aus Mantel, Jacke und Hose herausgenommen? Einer vor, nachrücken und warten. „Besuchen Sie Bekannte in der Hauptstadt der DDR?“ Einer vor, nachrücken und warten.

Ich habe immer den gleichen Fehler gemacht und mich immer gefragt, ob ich blöde oder unrettbar renitent bin.

Man durfte nämlich nicht einfach, wenn der Vorgänger durch war, an den Guckkasten treten und seinen Ausweis und das Visum vorzeigen. Etwa drei Meter vor dem Schalter war ein dicker Strich auf dem Boden. Vor diesem Strich musste man warten, bis der Kontrolleur einen von Kopf bis Fuß gemustert hatte und das Zeichen zum Herantreten gab. Dazu war ich einfach nicht in der Lage. Kaum war mein Vorgänger einen Schritt weitergegangen, bin ich nach Vorne und wollte es hinter mich bringen.

Aus dem Lautsprecher schepperte eine Stimme: „Sofort hinter den Strich zurücktreten!“
Die anwesenden Soldaten fassten ihre Knarren etwas fester und fixierten mich. Zurück hinter den Strich, ein neutrales Gesicht machen und sich examinieren lassen. Das Handzeichen, vortreten. Sollte ich mich entschuldigen? Ach leckt mich doch.
Weitere prüfende Blicke, der Fragenkatalog wird abgearbeitet. Ich antworte, einigermaßen neutral, devot krieg ich nicht hin.
„Ist es in der BeErrDee nicht bekannt, dass man sich an die Grenzregularien anderer Staaten zu halten hat?“
„Doch, doch, aber ich habe halt nicht daran gedacht.“
„Sollten Sie nochmals in die Hauptstadt der DDR einreisen wollen, halten Sie sich gefälligst daran. Sie haben sich einer Grenzverletzung schuldig gemacht. Seien Sie froh: Dieses Mal werden wir noch keine Maßnahmen ergreifen.“
„Äh ja, okay!“
Ich habe immer den gleichen Fehler gemacht, die Reaktionen waren immer gleich in dieser speziellen Mischung aus Einfordern von Unterwerfung und anschließendem pädagogischem Traktat. Ach leckt mich doch.

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