Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 28. Juni 2010
Fünfzehn Halbe, aber die Frisur sitzt
Am Freitag sah ich zwei Starktrinker mit schwarzrotgoldenen Basecaps mit je zwei dazu passenden Winkelementen in den Händen nebst Plastiktüten mit den notwendigen Getränken. Eine Wohnung und einen Fernseher hatten sie offensichtlich nicht. Sie flanierten vor dem Bahnhof und waren im Deutschlandfieber, trunken von Bier und Nationalismus.

Das ist wohl einer der Erklärungen: Wer nix is’ (es zumindest so empfindet) und nichts hat, der ist immer noch Deutscher.

Und dann gibt es noch die Leute, die auf dem Nationalstolz ihr Süppchen kochen, aber das ist eine andere Geschichte.

Welchen Grund könnte es geben, auf seine Staatsangehörigkeit stolz zu sein? Stolz ist man ja üblicherweise, weil man etwas besonders gut kann, aber Stolz auf Leistungen, die Leute, die man nicht kennt und mit denen man nicht einmal verwandt ist, vor langer Zeit erbracht haben? (Mal ganz davon abgesehen, dass es in der Geschichte so das eine oder andere Vorkommnis gab, das wenig Anlass zu Stolz geben kann)

Darauf einen...

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Montag, 14. Juni 2010
The Movie Star
Habe ich schon mal von meiner Karriere beim internationalen Film berichtet?
Ich glaube nicht, also frisch ans Werk:

Die ersten Erfahrungen mit der Filmkunst habe ich in Cusco, der alten Hauptstadt der Inkas gemacht. Das war zu der Zeit als ein rauchender Bundeskanzler noch nicht mit einer Anzeige belästigt wurde. Manche werden sich erinnern.
Wir waren gerade einige Tage aus Machu Picchu zurück, hatten uns schon etwas von unserer Wanderung erholt und beschlossen nach dem Abendessen noch in eine Kneipe zu gehen. Wir schlenderten durch die Gassen und nach einiger Zeit sahen wir eine Pinte, die mit dem verführerischen Schild „aqui Cusquena!“ um uns warb. Mit Erfolg! Nun ja, das Etablissement war eher für die zahlungskräftige Kundschaft aus dem Ausland eingerichtet, so eine Art peruanisch-bajuwarische Bierstube, aber das Bier war gut, die Kneipe gemütlich und warum sollte man sich nicht auch mal von Zeit zu Zeit mit anderen Touristen unterhalten?

Wir setzten uns, bestellten Bier und in kürzester Zeit füllte sich der Ausschank mit anderen Touristen aus aller Welt. Das Bier wurde in großen Steinkrügen serviert und mit einem freundlichen Nicken zum Kellner, bekam man ein weiteres hingestellt. Wir plauderten und tauschten Informationen, Geschichten und Eindrücke mit anderen Touristen aus. Es ging uns gut.

Nach ein oder zwei Stunden erschienen eine Gruppe junger Männer, in Schwarz gekleidet und bauten große Scheinwerfer auf. Einer der jungen Männer kam zu uns an den Tisch und fragte, ob wir in seinem Film mitspielen wollten? Eine Gage könne er leider nicht bezahlen, da er für das peruanische Tourismusministerium arbeite und die würden sehr schlecht bezahlen, aber eine Runde Bier könne er ausgeben. Ach ja, der Film, also der Film solle zeigen, wie wohl sich ausländische Touristen in Peru fühlen und dass wir keine Angst hätten, schon gar nicht vor dem sendero luminoso und dass das Reisen in Peru völlig ungefährlich sei. Damit hatte er zum größten Teil recht.

Und so sahen wir eine Stunde lang fröhlich und unbeschwert in Kameras, prosteten uns zu, „Viva Peru!“, und plauderten danach noch ein zwei Stunden mit dem Regisseur. Eigentlich würde er ja lieber einen kritischen Spielfilm machen (damals wollten alle Regisseure aller Länder kritische Spielfilme machen), aber leider sei der Markt hier in Südamerika für anspruchsvolle Filme und wir würden das ja vielleicht auch aus unserem Land kennen, aber egal, jetzt würde er eben diesen Werbefilm drehen, der alle Sehenswürdigkeiten Perus, die wundervolle Landschaft und die pittoresken Menschen zeige, was ja auch etwas sehr Schönes sei. Damit hatte er schon wieder recht. Aber, wenn wir ihm unsere Adressen gäben und es mit seinem Spielfilm doch noch etwas würde, hätte er sicher Verwendung für uns.

Ich habe nun die letzten 30 Jahre, wo immer ich die Gelegenheit hatte, mir Filme über Peru und seine Sehenswürdigkeiten angesehen, nur eine Szene mit fröhlich trinkenden Menschen, die mit ihren Bierkrügen anstoßen, die habe ich nicht entdecken können.

Einige Monate später kamen wir nach Rio de Janeiro, die erstaunlichste Stadt des Universums. Wir haben dann das gemacht, was jeder dort macht und eines schönen Spätnachmittages saßen wir in einer Bar am Strand, da gegenüber diesem spitzen kleinen Berg. Von der Bar aus konnten man „die, die in weißen Häusern wohnen“ beim alltäglichen Schaulaufen bewundern. Wir haben das gerne gemacht. Wenn man sich selbst an den Strand begibt, kommt man sich übrigens unbedeutend und hässlich vor.

Egal, wir tranken dieses inzwischen sehr berühmt gewordene Mixgetränk aus Zuckerrohrschnaps und Limettensaft. Es war eine eher preisgünstige Bar und so werden sie ihren Schnaps wohl von der nächsten Tankstelle (in Brasilien konnte man Schnaps tanken. Manche Brasilianer haben sich das Zeug in ihren Tank füllen lassen, andere gingen mit einer Coca Cola Flasche an die Tanke und haben sich ihre tägliche Ration nachfüllen lassen) geholt haben.

Wir saßen, glotzten und schwitzten, als uns ein Mann um die 40, ganz in schwarz gekleidet, ansprach. Ich kann kein Portugiesisch. Einzelne Worte kann ich mir über das Spanische und Französische erschließen. Er redete und redete und wurde immer aufgeregter und begeisterter. Ich verstand nichts. Aus dem Wortschwall tauchten immer wieder ‚Jesus’, ‚Strand’ und ‚telenovela’ auf. Was wollte der Mann?

Irgendwann hatte er in seinem Überschwang ein Einsehen und er sah sich um, entdeckte einen Bekannten, der als Übersetzter ausersehen wurde.

„God morning, how are you?“ sagte der Übersetzer.
“Fine, thank you. What can we do for you?”
“I am Rinaldo do Irgendwas and ...”
Er suchte nach Worten.
“How are you?”
Sein Kumpel lauschte aufgeregt den Übersetzungsbemühungen, gab detaillierte Anweisungen, was zu sagen wäre. Der Übersetzer nickte.
„Good Morning, how are you?“
„We’re still fine, but ...“
„I am ...“
Und so plätscherte die Nichtunterhaltung noch einige Minuten vor sich hin, der Übersetzer konnte außer ‚How are you’ und ‚Good morning’ leider keine weiteren englischen Sätze. Der schwarz gekleidete Mann redete weiter auf uns ein: ‚Jesus’, ‚praia, ‚telenovela’, ‚diretor’, ‚mulheres bonitos’. Ja nee, is ja klar.
Nach einiger Zeit dämmerte unserem diretor, dass die Englischkenntnisse seines Übersetzers nicht ausreichen, um uns verständlich zu machen, um was es eigentlich ging. Er bedeutete uns, dass er am nächsten Tag mit einem richtigen Übersetzer wieder kommen würde und ließ sich unsere Hoteladresse geben und wir verabredeten eine Termin in der Lobby.
Nun ja, er kam dann nicht und ich musste meine Träume begraben. Hin und wieder denke ich darüber nach, welche tragende Rolle ich im brasilianischen Fernsehen übernommen hätte.

So endete meine hoffnungsvolle internationale Filmkarriere.
“You feel like Steve McQueen when you're driving in your car
and you think you will look like James Bond when you're smokin' your cigar...”
Harpo hieß der Sänger, das Lied dudelte damals aus allen Radios, Himmel hilf!

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Freitag, 28. Mai 2010
Familiengeschichten II
Ein Freund von mir war mal mit einer Dame liiert, deren Vorfahren immer schön abwechselnd Ärzte oder Pianisten waren.
Sie studierte Klavier an der HdK und eigentlich hatte sie weniger Bedarf an einem Freund als an einem Butler.
Wenn man bei den Beiden zu Besuch war, drehte sich alles um ihre aktuellen Bedürfnisse:

„Rainer, holst du mir bitte dies und das?“
„Ja, einen Augenblick bitte, ich versorge nur noch mal eben die Gäste.“
„Ooch Mönsch, bring mir doch schnell das oder dies?“

Und so ging das den ganzen Abend.
Da war dann die eine oder andere Zigarette und ein oder zwei Gläser Wein zur Stärkung der Lebenssäfte nötig.

Damals durfte man noch in Nichtraucherwohnungen eine paffen. Wenn ich heute am frühen Morgen auf unseren Balkon trete und meinen Nachbarn schräg gegenüber eine Zigarette bei -10°C rauchen sehe, denke ich an diese Zeiten zurück und murmle „armes Hascherl“ vor mich hin. Wenn ich dann allerdings die Mutter seiner Kinder ganz in Rosa gekleidet sehe, dann reduziert sich das Mitgefühl erheblich und ich denke ... Aber lassen wir den Hobbypsychologen heute mal stecken.

Wenn es ihr nicht gut ging, musste sich ihr Freund ausschließlich um sie kümmern.
Dies kam häufig vor.
Sie hatte eine wunderschöne Nase, aber einen etwas problematischen Charakter.
Gegen Ende ihrer Beziehung beschloss sie die Klimperei aufzugeben und doch noch Medizin zu studieren, obwohl sie vorher jahrelang behauptet hatte, dass sie keineswegs und nie und nimmer in stinkenden Bäuchen herumfingern würde. Wenn man sie nach dem Wert oder der Bedeutung von Tradition gefragt hätte, wäre mit Sicherheit eine Aussage wie: „Ich richte mich nicht nach so einem Scheiß!“ zu hören gewesen.

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Mittwoch, 26. Mai 2010
Familiengeschichten I
Vor vielen Jahren traf ich Margarethe, eine schöne und kluge und charmante Frau, die nun ja, nun ja, mein Interesse erweckte. Leider war ihr Interesse deutlich schwächer ausgeprägt. Aber darum soll es nicht gehen. Ich scherzte also auf sie ein und so kamen wir ins Plaudern. Wie das eben so ist, man erzählt etwas über seine besten Seiten und wer man ist und in Ermangelung einer eigenen beruflichen Tätigkeit, erzählt man etwas über sein Elternhaus und was Vater und Mutter so beruflich machen, und dass man im übrigen ein richtig toller Kerl ist, abchecken nennt man das wohl.

„Ach, dein Vater ist Tischler? So richtig Tische und Stühle bauen?“ wollte sie wissen und ich bestätigte. Ich hätte sein Gesellenstück, einen Polsterstuhl aus Formholz in meiner Bude stehen, er sei aber leider schon ziemlich durchgesessen und ich sollte ihn mal aufarbeiten (Ha, Sie interessiert sich für Dinge, von denen ich etwas verstehe! Jetzt nicht locker lassen!). Und dann kartoffelte ich noch etwas über wenig Zeit und dass es eigentlich schade sei und eigentlich müsse man ja handwerkliche Leistungen ehren und schließlich hätte er mir den Stuhl für meine Studentenbude überlassen und so weiter.
„Ach ja“, sagte sie wehmütig, „so einen Vater hätte ich ja manchmal auch ganz gern gehabt. Mein Vater ist ja eher so eine Art Lebenskünstler.“
„Wie? Er ist von Beruf Lebenskünstler?“
„Ja“, sagte sie, „so könnte man das ausdrücken. Er hat sein Leben lang nie einen Handschlag getan.“
„Aha, und von was habt ihr gelebt?“
„Oh, meine Mutter ist arbeiten gegangen. Mein Vater hat immer nur von Frauen gelebt.“
„Ein echter Gigolo?“
„Meine Mutter nannte ihn immer ‚Bel Ami‘kicherte sie. „Am Anfang hat sich meine Mutter immer mit ihm gestritten, weil er den ganzen Tag zu Hause war und seine wahnsinnigen Erfindungen verbesserte. Er war nämlich auch Erfinder, musst du wissen. Aber irgendwann hat sie es aufgegeben, aus ihm einen seriösen Schwaben zu machen. Sie hat sich daran gewöhnt, dass er untreu und ein Hallodri war. Eigentlich wurde es zu Hause dann erst richtig schön. Mein Vater hat viel mit uns unternommen, sich um uns gekümmert. Gelebt hat er aber Zeit seines Lebens von Frauen.“
Fasziniert sah ich sie an.
„Er hat von Frauen gelebt?“
„Das glaubst du nicht? Es ist aber wirklich so. Seit er aus seinem Elternhaus wegging, hatte er immer verschiedenen Freundinnen, die ihn ausgehalten haben, während er seinen Träumen, Hobbys und Projekten nachging und dann hat er meine Mutter geheiratet und in letzter Zeit habe ich ihm immer wieder etwas zugesteckt.“

Da konnte ich natürlich nicht mithalten.

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Mittwoch, 31. März 2010
Der Verkäufer einer Obdachlosenzeitung
schleicht wie üblich den ganzen U-Bahn-Waggon entlang und preist im üblichen Singsang seine Zeitung an:

„Guten Morgen mein Name ist Sowieso und ich verkaufe die Obdachlosenzeitung Soundso die Zeitung kostet einEurofuffzig, einEuroistfürmich meine Frau die hatmichdadannverlassen weil dieSaufereiwarjaauchnichtschön ich hab ja jetzt Wasser in den Beinen dieÄrztinimProjekt meinte ich muss von der Straße runter aberwiesollichdasmachen ich hab doch keine Wohnung 50cent gehen an gemeinnützige Projekte wie Notunterkünfte oder Suppenküchen ichwürdemichfreuen wenn sie mir eine Zeitung abkaufen würden unddievomAmt will mich immer in ein Pflegeheim stecken aberdenganzenTag nurZeitunglesen dass ist mir nix undmeineAugensindjaauchnichtmehrgut auch über einekleine Spende würdeichmichsehrfreuen ichwünscheihnen nocheinenschönenTag."

Die Bahn hielt, er stieg aus, eine Zeitung verkaufte er nicht.

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Montag, 15. März 2010
Die Amöbenkompetenz der Berliner Polizei
Berlin ist gewässerreich, neben den fließenden Gewässern Spree und Havel und noch einigen weiteren, liegen auf dem Berliner Stadtgebiet auch stehende Gewässer in einer überreichen Anzahl, Größe und Beschaffenheit, als da sind: Der Dianasee im Grunewald, der Fennsee in Wilmersdorf, der Flughafensee in Tegel, die Glienicker Lake in Wannsee, der Griebnitzsee in Wannsee, der Grimnitzsee in Wilhelmstadt, der Groß Glienicker See in Kladow, der Grunewaldsee im Grunewald, der Halensee ebenfalls im Grunewald, der Heiligensee in Heiligensee (Kennen Sie ein Mädchen in Heiligensee?), der Herthasee schon wieder im Grunewald (es gibt viele Seen im Grunewald), der Hermsdorfer See in Tegel, der Hubertussee in Frohnau und einen zweiten Hubertussee, diesmal im Grunewald, der Hundekehlesee schon wieder im Grunewald, der Jungfernsee in Wannsee (die Jungfernheide hingegen ist am anderen Ende der Stadt), der Karpfenteich in Lichterfelde, der Königssee natürlich im Grunewald, die Krumme Lanke in Zehlendorf (früher auch Crammlankie genannt), der Laßzinssee in Hakenfelde, der Lietzensee in Charlottenburg (in der Nähe habe ich mal gewohnt), der Löwensee in Wannsee und der Neue See im Tiergarten, der Nikolassee in (Überraschung!) Nikolassee, der Nieder Neuendorfer See, der nicht nur in Nieder Neuendorf, sondern auch in Heiligensee liegt, der Parschenkessel in Wannsee und der Pichelsee in Wilhelmstadt, der Plötzensee im Wedding, der Pohlesee wiederum in Wannsee, der Schäfersee in Reinickendorf, die Scharfe Lanke in Wilhelmstadt (es existieren viele, nicht nur scharfe und krumme Lanken), der Schlachtensee in Zehlendorf, die Spektelake und der Große Spektesee in Spandau, der Stölpchensee im Ortsteil Wannsee, der Stößensee in Wilhelmstadt, der Tegeler See mit Großem Malchsee in Tegel (schon wieder: Überraschung!), der Teufelssee im Grunewald, der Waldsee in Hermsdorf (Halten Sie durch, wir sind schon beim ‚W’), der Große und der Kleine Wannsee in Wannsee und zu guter Letzt der Ziegeleisee in Lübars.

Da unsere Geschichte in der besonderen politischen Einheit Berlin Klammer West, wie es bei den Grenztruppen der DDR hieß, spielt, könne wir auf die Aufzählung der Seen und Tümpel in der Hauptstadt der DDR verzichten.

Bruno aus Reinickendorf war Zoologe, untersetzt, mit dem in dieser Stadt gängigen straßenköterblonden Haar geschmückt und ein freundlich-humorvoller Mensch. Er hatte eine prachtvoll kolorierte Freundin, die ein klein wenig zu laut und zu hell lachte, sich aber nichts desto trotz klug und einfühlsam unterhalten konnte.

Bruno nun kam mit seinem Professor überein, dass es interessant sein könnte mal zu untersuchen, wie und unter welchen Umständen bestimmte Einzeller, der Namen ich vergessen habe, miteinander paaren. Nun ist es so, dass Einzeller kein Geschlecht haben. Allerdings kann diese spezielle Sorte sich nicht nur teilen, sondern auch ihre DNS mit anderen ihrer Art austauschen und neu kombinieren. Dabei stülpt der eine Zeller einen Körperteil in den anderen hinein. Zumindest so ungefähr begibt sich diese „Paarung“. Der Stülper fungiert also als ‚Männchen’. Herauszufinden galt es nun, welche Umstände (Wassertemperatur, Tageszeit, Jahreszeit, Zusammensetzung des Wassers, etc.) den einen zum ‚Männchen’, den anderen zum ‚Weibchen’ machen. Biologen interessiert das.

Bruno sammelte also über ein Jahr, mit Marmeladengläsern wohl versorgt, viermal am Tag in verschiedenen Fliesen, Seen und Tümpeln Einzeller ein, maß die Wassertemperatur und noch so einiges andere und verschraubte und beschriftete die Gläser mit Datum, Uhrzeit, Sammelstelle, usw..

Da einige Uferabschnitte der Berliner Seen geschützt sind, darf nicht jedermann mit einer Anglerhose einfach das Röhricht zertrampeln. Wenn man im Uferschlick herumkrauchen will, benötigt man eine Genehmigung der unteren Naturschutzbehörde, die bei wissenschaftlichen Untersuchungen vorher den Rat der oberen Naturschutzbehörde einholen muss. Die untere Naturschutzbehörde war bei den damals zwölf Bezirken angesiedelt und die obere Naturschutzbehörde bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Der Professor schrieb also einen langen Brief, die obere Naturschutzbehörde fertigte eine Expertise und die zwölf unteren Naturschutzbehörden genehmigten je einmal. Bruno führte also jeden Tag einen kleinen Aktenordner mit dem ganzen Schriftwechsel, der sich um die Aktion rankte, mit.

Wenn Bruno nun, sagen wir im Sommer gegen 4:30 Uhr, pünktlich zum Sonnenaufgang in Lübars im Uferschlamm werkelte, weckte der Anblick das Interesse einer auf der nahegelegen Straße vorbeifahrenden Polizeistreife. ‚Was macht der Kerl in Anglerhosen ohne Angel da im See?’ werden sie sich gefragt haben. Sie fahren zurück, stellen die Wanne ab, setzen amtsgewichtig die Mütze mit dem Berliner Bären aufs Haupt und treten ans Ufer. Bruno erzählte daraufhin die Geschichte mit den kopulierenden Einzellern und legte seinen Ordner mit Genehmigungen vor. Die Polizisten nicken, freuen sich, dass die Jugend nicht nur aus Westdeutschland nach Berlin kommt und Häuser besetzt, sondern auch fleißig früh morgens Marmeladengläser füllt.

Es gibt viele Seen und viele Polizeistreifen aus unterschiedlichen Polizeidirektionen.
Nach einem Jahr und viermal täglichem Einzellereinsatz und durchschnittlich zweimal täglicher Kontrolle und sich anschließender Erläuterung, hatte Bruno das Gefühl, er hätte die komplette Berliner Polizei in Sachen Einzeller auf den aktuellen Forschungsstand gebracht.
Bruno erzählte gerne von seinen Unterhaltungen.
„Weißt du, G., ich bin sicher, unter allen Polizeien aller Großstädten der Welt, weiß die Berliner Polizei zweifellos das Meiste über das Paarungsverhalten von Einzellern!“

Wenn Sie also mal nach Berlin kommen, fragen sie doch bei Gelegenheit einen Polizisten über 50 nach den Feinheiten des Geschlechtslebens der Einzeller.

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Freitag, 12. März 2010
Beim Marokkaner in der Gibsstraße
Eine arabisch(?) aussehende Gruppe von Männern kommt herein. Alle tragen einen Sticker vom Dermatologenkongress auf der Brust. Sie unterhalten sich.

Was heißt eigentlich "eitrige Nagelbettenzündung" auf Arabisch?

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Montag, 8. März 2010
Energie & Geschmeidigkeit
gehört zweifellos zu den Dingen, von denen man im Leben nie genug haben kann.
Sie können sich vorstellen, dass mein Interesse sofort geweckt war, als ich diese Botschaft auf einer kleinen, rosafarbenen, in Kunststoff eingeschweißten Visitenkarte auf dem Tisch in meiner Bäckerei fand.

Auf der Rückseite der Karte fand sich der Hinweis auf einen Fu-Tong-Meister, der allerlei therapeutische und praktische Übungen zur Steigerung der Energie und der Geschmeidigkeit, feilbot.

Eigentlich – behauptete sofort meine Frau – hätte ich ja genug Energie, zumindest wenn es um das Volllabbern zu aufgeschnappten Themen, die meine Phantasie und Spottlust herausfordern, ginge und darüberhinaus wäre ich auch geschmeidig genug, aus jedem Scheiß etwas heraus zu phantasieren, um sie eine halbe Stunde damit nieder zu diskutieren.

Auch wenn solche Statement nur der Furcht entspringen, würde ein unabhängiger, verständiger Dritter ihr möglicherweise zustimmen.

„Aber, …“ versuchte ich einzuwenden, „sieh doch nur: Energie und Geschmeidigkeit und dann noch ganz in rosa?“

Ungerührt sprach sie weiter mit der Bäckerin:
„Zwei Laugenbrötchen, eine Brezel, ein Baguette, …“

Na gut, nölte ich vor mich hin, dann blogge ich das eben.

… vor langer Zeit,
es muss Anfang der 80er Jahre gewesen sein, fragte mich meine Damalige, ob ich denn mitkommen wolle, den Christoph in einer Kneipe zu treffen. Der Christoph wäre ein alter Freund von ihr und käme gerade aus Poona zurück und eigentlich wäre er ein ganz Netter * , der mit ihr zur Schule in Charlottenburg gegangen wäre und es hätte sie vor zwei Jahren sehr gewundert, dass er sich nach Indien aufgemacht habe. Und nun sei er zurück, aus Indien! Warum nicht, dachte ich mir, und wir fuhren los.

Was denn der Christoph für einer wäre, wollte ich wissen und ob er auch im Gymnasium schon einen Hang zu Religion oder indischer Mystik gehabt hätte? Nein, meinte sie, sein Vater hätte eine Apotheke und sei zwar streng, aber nicht verrückt. Eigentlich sei auch der Vater ein ganz Netter. Und der Christoph hätte zwar bei allem mitgemacht, sei aber ein eher Stiller gewesen. Musikalisch sei er. Hm!? Nach der Schule habe er nicht gewusst, ob er studieren oder eine Lehre machen solle und habe nur so herum gegammelt, bis ihn der Vater rausgeschmissen hätte. Hm!?

Das Café lag meiner Erinnerung nach in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms und wurde von Sannyasins betrieben. An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. Das Lokal war penibel sauber, der Service ausgezeichnet und Kaffee und Kuchen hervorragend. Das Einzige, was zumindest mich etwas störte war, dass alle Kellner und Servierfräuleins in Orange gekleidet waren. Kleiderordnungen sind nicht meine Sache, aber wem es gefällt?

Christoph und meine Damalige umarmten sich. Sie schienen sich über das Wiedersehen nach so langer Zeit sehr zu freuen. Und dann wurde erzählt und erzählt, über die Schulfreunde, wer was heute so macht und was sich in Berlin alles verändert habe.

„Sag mal Christoph, wenn es dich nicht zu sehr nervt, dann erzahl‘ doch mal, was es mit diesem Bhagwan auf sich hat. Alle Welt fährt nach Indien, ist das denn wirklich so toll?“

Christoph wiegte den Kopf. Das sei nicht so leicht zu erklären.

„Du wirst die Frage wahrscheinlich hundertmal beantworten müssen. Wenn es dich nervt, lassen wir es einfach?“

Nein, nein, das sei nicht das Problem.

Wir sprachen und sprachen und ich konnte immer weniger verstehen, was die Faszination ausmacht. Man könne es nicht wirklich erklären, wurde mir bedeutet. Es sei auch nicht nur eine Therapie, schließlich kämen ja keine Kranken nach Poona. Meine These, dass es um „freie Liebe“ oder wie wir damals sagten ums „herummachen“ ginge, wurde milde lächelnd zurückgewiesen. Es ginge vielmehr darum Blockaden aufzulösen und gut zu riechen.

Man müsse Bhagwan auch nicht direkt sehen oder sprechen, es ginge auch alles mit Energieübertragung und im Übrigen würde das Alles sehr großen Spaß machen.

Ach ja und um das authentisch sein, ginge es auch noch. Aha!

„Schuhe und Verstand bitte draußen lassen“
stünde am Eingang zur Versammlungshalle. Da würde den Kern eigentlich sehr gut treffen. Man müsse den Irrweg der Aufklärung hinter sich lassen und man dürfe Erfahrungen nicht rationalisieren. Damit würde man sie nur beiseite schieben. Man müsse sie in sein Innerstes lassen.

Ob es den um mystische oder religiöse Erfahrungen ginge, ob der Ashram also einem Kloster ähnlich sei?

So könne man das sehen, aber das sei nur der unwichtigste Teil, entscheidend sei zu sich selbst zu kommen, zu verstehen, nein besser zu spüren, dass der, der man die ganze Zeit zu sein glaubte, nicht existiere. Man müsse frei werden. Religiöse Erfahrungen seien dabei hilfreich. Es ginge dabei aber nicht um Rückzug von der Welt wie im Christentum. Bhagwan lehre nicht den Verzicht, deshalb sei auch Geld verdienen oder Kapitalismus wie man damals sagte, nicht verpönt, allerdings käme es darauf nicht an, deshalb würde er auch im Rolls Royce vorfahren, um jedermann vor Augen zu führen, wie unwichtig materielle Güter seien. Wer durch den Erfolg zu sich selbst finde, hätte schon einen Schritt zu den Urkräften des Seins getan. Es ginge um die Potentialität des Selbst.

Ich habe das nicht verstanden. Es war ja auch nicht ganz leicht und am Abend gingen wir noch ins Far Out.

... einige Zeit später
Moden kommen und gehen in der Wissenschaft wie im richtigen Leben. In der ersten Zeit meines ersten Studiums hieß die aktuelle Mode: Poststrukturalismus.

Da kann man nichts machen, muss man auch nicht. Das Problem waren ja auch nicht die französischen Denker (zumindest nicht die meisten), sondern ihre Proselyten jenseits des Rheins. Wer erinnert sich nicht des wunderbaren Aufsatzes über "Lacancan und Derridada" von Klaus Laermann im Merkur? Und wem geht heute Norbert Bolz nicht ebenso auf die Nerven wie vor 30 Jahren? (Es gab noch jemand, der wurde allgemein der Pseudo-Bolz genannt. Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, wer damit geschmäht wurde.)

Viele meiner Kommilitonen versucht den Sinn von Sätzen wie:
„Das Virtuelle ist das Mögliche, das jederzeit und überall auch anders Mögliche. Es besteht in einem Abschied vom Körperlichen, indem es die Bedingungen der Zeit und des Raumes negiert und damit seine eigene Genese verleugnet. Es markiert zugleich die Grenzen der menschlichen Eigenmacht, indem es eine universale imaginäre Immanenz ausbildet, ein transparentes Gefängnis des absoluten selbstbezüglichen Geistes, der nichts Anderes mehr hat als sich selbst.“ Quelle
zu verstehen und diskutierten wild darüber. Je nun, je nun, verstehen Sie das?

Aber weil es alle gelesen haben, dachte ich, ich müsste das Zeug auch lesen. Da ich erst im dritten Semester war und ein ordentlicher Student und nicht so ein Hallodri, der nächtelang im Golgatha Frauen bezirzt, habe ich mit de Saussure angefangen. Getreu dem Motto, wenn man etwas nicht versteht, fängt man bei den Grundlagen an.

Nun ja, ist ja nicht falsch, dass das Wort Baum mit diesem knorrigen Gebilde da im Wald nichts zu tun hat, nur wo ist das Geheimnis? Warum elektrisiert dieser doch eher schlichte Sachverhalt so viele?

Also habe ich einen der Kollegas gefragt, denen die merve-Bändchen aus der Hosentasche quollen.

Es gehe doch nicht um Sprache, sondern um Erkenntnis und dass ich ein Dummkopf wäre und ich sollte doch erstmal Lesen und nochmals Lesen und dann hätte ich vielleicht eine Chance zu verstehen, welche bahnbrechenden Einsichten sich daraus ergäben. Wenn Sprache nicht mit der Wirklichkeit zu tun habe, ihr äußerlich wäre und gleichzeitig die Welt nur über Sprache erkennbar wäre, dann …

Ja schon, erwiderte ich, der Baum da drüben hat mit dem Wort Baum nichts zu tun. Ob man Baum sagt oder Quetzalcoatl ist natürlich egal, aber ich könnte doch auf ihn drauf rennen und dann hätte ich, ungeachtet ob ich gegen einen Baum oder den Quetzalcoatl gerannt wäre, eine Beule am Kopf?
Quetzalcoatl ist wohl ehrabschneiderisch.
Die Diskussion wurde dann etwas lautstärker ( „Wer glaubt die Welt hinter der Sprache erkennen zu können, ist naiv!“) und irgendwann wurde ich beschimpft und der Kollega haute ab. Quetzalcoatl
Das war dann meine zweite Begegnung mit der Metaphysik und den großen und wichtigen Dingen, dem Selbst und der Erkenntnis und den Theorien und Verirrungen, die sich um die Therien ranken. Ich habe dann lieber Foucault und Bourdieu gelesen. Das kann ich verstehen.

... und heute?
Ich habe lange nicht mehr an Backwahn und das „rasende Gefasel der Gegenaufklärung“ denken müssen, bis, ja bis kürzlich mir einer so quer im Magen lag, dass ich dachte: Das kennst du doch? Diese Art zu sprechen und zu denken, die Welt in egozentrische Befindlichkeiten aufzulösen und Sachverhalte unter gefühligem Schaum und mit gelehrter Dummheit zuzuschütten?

Esoterische Erweckungserlebnisse:
„Die Umstimmungserfahrung von damals bleibt irreversibel. Wer sie gemacht hat, wird unempfänglich für Theorien, in denen die Depression immer Recht hat. Auch will man den Wettbewerb, wer der Unglücklichste ist, nicht mehr um jeden Preis gewinnen. Man lebt unter einem helleren Himmel.“ Quelle
gepaart mit frankolatrischem Auflösen von Geschichte, wobei die Fin- der Fadesse hat weichen müssen (Halten zu Gnaden, verehrter Alfred Polgar):

„Man könnte auf den Gedanken kommen, daß eigentlich alle Klassen der sozialen Welt einmal ihre Revolution gemacht haben müssen, bis schließlich jede Schicht oder jeder "Stand" ihre Revolution gehabt hätten, bis hin an den Fuß der Gesellschaft. Mit anderen Worten: wenn alle sich eingebracht haben in das große Gespräch, wenn alle gut gekämpft haben, wenn alle sich im erfolgreichen Kampf konstituiert haben, wenn alle die Schönheit, ein kompetentes Selbst zu sein und ein politisches Subjekt zu werden, erfahren haben, wenn somit alle Klassen die Passion des Selbst-Seins in der politischen Arena am eigenen Leibe erfahren haben, dann erst wäre der Zyklus der Revolutionen wirklich zu Ende.“ Quelle
Eine brisante Mischung von Energie und Geschmeidigkeit!

____________________
* “ein Netter”: einige Jahre später galt diese Bezeichnung als schwere Beleidigung. „Nett“ wurde als kleine Schwester von „Scheiße“ definiert, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

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Freitag, 5. März 2010
Bericht von einer Dienstfahrt
Nach Bielefeld gefahren, fünf Stunden auf offener Strecke im ICE verbracht, pünktlich zum Ende des Treffens angekommen, Mantel ausgezogen, allen die Hände geschüttelt, neuen Termin verabredet, dann für das Abendessen noch schnell im Supermarkt gewesen, einen unentlohnten Eintüter angewichst: „Wenn du etwas ordentliches gelernt hättest, müsstest du jetzt nicht betteln!“, zurückgefahren und gedacht: „Hach, was sind wir heute wieder ungerecht gegen alle!“

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Montag, 22. Februar 2010
orthogonale Onliner
Vert wollte letzte Woche wissen, was denn Quirme sind und was sie tun, außer quirmen selbstverständlich und ich habe dazu eine halbe Geschichte erzählt. Die ganze Geschichte geht so:
Das eine oder andere Unternehmen, z.B. wenn es durch unsere Abteilung empfohlen wird, kann ja mal auf die Idee kommen, seine EDV-Landschaft auf eine halbwegs solide Grundlage zu stellen. Nicht dass ich groß etwas davon verstünde, aber wenn man verschiedene Unternehmensteile an unterschiedlichen Standorten integrieren will, ergibt es durchaus Sinn, wenn u.a. die EDV-Systeme einigermaßen reibungslos miteinander kommunizieren können, v.a. wenn man auf die Daten angewiesen ist und wenig Neigung verspürt, den ganzen Scheiß in jedem einzelnen Fall zu konvertieren oder abzuschreiben. Also wurde eine Projektgruppe eingerichtet und ich hatte die Ehre, dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen unserer Abteilung berücksichtigt werden. Und die Sitzungen währten ewiglich …
„Die Datenmodelle der beiden Datenbanken in a-sytems und b-systems stehen in einem orthogonalen Verhältnis zueinander!“
Oha, dachte ich, bovine spongiforme Enzephalopathie, kann gar nicht anders sein, oder meint er eine Orthogonale Matrix oder Orthogonalität? Da wir zu diesem Zeitpunkt darüber diskutierten, welche Kundendaten aktuell in den verschiedenen Systemen zur Verfügung stehen und welche wir künftig für welche Zwecke brauchen, waren die Datenmodelle der ursprünglichen Systeme eigentlich egal. Darüber hinaus war schon festgelegt worden, dass die Altsysteme nicht weiter gepflegt, sondern durch ein neues System abgelöst werden sollte. Ob da etwas recht- oder spitzwinklig zueinander steht, ist Pumpe. Aber, man weiß ja so wenig, also sah ich zu unserem Datenbankmenschen hinüber und wollte ihn mit einem fragenden Blick dazu animieren, mir blödem Nichttechniker etwas auszuhelfen. Der guckte aber mit hochgezogenen Augenbrauen äußerst sparsam und ich dachte bei mir: Oha, Zeit für Bullshitbingo, dem Sport der arbeitenden Klasse. Bevor ich aber Gleichgesinnte finden konnte, drang ein Satz des Vortragenden an mein Ohr:
„Die Präsentation muss orthogonal programmiert werden: Wollen Sie, G., das nicht in die Hand nehmen?“
Je nun, eigentlich bin ich ja nur da, um zuzuhören und Sorge dafür zu tragen, dass unsere Abteilung mit vernünftigen Daten in einer Form versorgt wird, die wir weiter bearbeiten können, aber einen Raum und etwas zu essen und zu trinken zu besorgen, ist ja keine große Aktion, also sagte ich:
„Na klar, ich werde alles Nötige veranlassen!“
Orthogonal meint sicher so etwas wie akkurat, zuverlässig, hatte ich mir gedacht.
„Mit Power Point kommen Sie doch klar?“
fragte er nach. Äh? Mit Power Point würde ich ja schon einigermaßen klarkommen, aber zu welchem Behufe?
„Äh?“
„Nun schließlich ist der ganze Vorstand da, da sollte alles ansprechend geloaded werden!“
Orthogonal konnte unmöglich zuverlässig bedeuten, aber was denn um Himmels Willen dann? Vielleicht bedeutet orthogonal echt Supi, Spitze, könnte alles gar nicht besser sein ? Oder hatte ich mich verhört und es ging um Ordnung und Geschlechtsteile? Oder geht es um etwas, das ich auch nicht im Entferntesten ahnen kann?
„Ähem, ich glaube, ich verstehe nicht genau?“
„Das habe ich doch gerade gesagt: Die Arbeitsgruppenergebnisse zum xyz-Portal müssen dem Vorstand präsentiert werden, dabei sind die innovativen Aspekte besonders hervorzuheben!“
Ah ja! Volare! Portale!
„Innovativen Aspekte?“
hörte ich mich sagen. ‚Halt die Klappe, bügel das ab!‘ dachte ich bei mir. Sag zu dem nicht vorhandenen Portal ja nix. Ich blickte hoch und sah seinen strengen Blick. Oha, höchste Gefahr, der Wahnsinn galoppiert.
„Schließlich profitiert ihre Abteilung am meisten!“
Oh weia, oh weia, wer hat die dicksten E..., da hat jemand Angst vor der Leitung herumzukartoffeln.
„Je nun, ich denke, dass das ganze Unternehmen davon profitiert. Wir sind vielleicht diejenigen, die solche Projekte anregen, aber das ist schließlich unsere Funktion. Ich bin kein Techniker, die Arbeitsergebnisse der Projektgruppe sollten meiner Ansicht nach von der Projektleitung vorgetragen werden. Ich bin schlicht nicht in der Lage alle wesentlichen technischen und einzelfachlichen Aspekte zu verstehen und folglich auch nicht in der Lage sie zu formulieren. Für solche Dinge sind sie die Fachleute.“
Und in diesem Moment hätte ich mir gewünscht, dass die Kollegin mir ins Ohr flüstert:
„Der Quirm quirmt!“
Man kann nicht alles haben im Leben.

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