Reisejournal Sizilien Frühjahr 2012 (11)
g. | Mittwoch, 25. Juli 2012, 07:01 | Themenbereich: 'auf Reisen'
Freitag 8. Juni
Kaffeetrinken, Morgenlektüre:
Beim morgendlichen Café mit Cornetto auf der Piazza del Duomo sitzt eine Dame, Mitte 50, am Nebentisch, sehr gestrenges Gesicht. Sie hatte einen Capuccino, ein Cornetto und einen Orangensaft mit hoheitlicher Miene bestellt und hatte nachdem es ihr gebracht wurde an allem etwas auszusetzen. Für ihren Capuccino wollte sie ein Extrakännchen geschäumte Milch und der Blutorangensaft, der hier überall ausgeschenkt wurde passte ihr auch nicht. Sie wartete bis alles bei ihr auf dem Tisch stand und der Kellner wieder weg war, um ihn dann zweimal wieder herbeizurufen, um ihre Ergänzung bzw. ihre Reklamation vorzutragen. Ohne eine Miene zu verziehen, erledigte der Kellner die Anforderungen. Als er an uns vorbeiging, sagte sein Gesicht: Schnepfe!
Sie war wohl nicht der Typ „Apothekersgattin“ sondern die Apothekerin selbst, die auf die Beachtung ihres Standes dringt.
Auf dem Bahnsteig tönt unversehens aus einer Gruppe Italiener eine Stimme, ebenfalls in fliesendem Italienisch, aber mit unverkennbar schwyzerdüteschem Tonfall, unglaublich langsam und betulich. Im Tessin reden sie zwar auch betulich aber nicht so langsam.
Im Nachbarort, etwa 30 Km und 20 Minuten Fahrzeit, in Castel di Tusa (die vielen Burgen haben sie mal gebaut, um Seeräuber abzuwehren und jetzt stehen sie immer noch in der Gegend herum), einem ganz hübschen Städtchen mit einer Burg, einigen Kirchen, dem Strand mit einigen angebrannten Touristen und ein paar Kneipen und Restaurants. In zehn Minuten ist man mit der Besichtigung fertig. Sehr beschaulich.
Als wir wieder in Cefalú ankommen blockiert eine Menge die Türen beim Ausstieg. Ein junger Mann neben uns in der Waggontür brüllt los, man möge doch die Leute zuerst aussteigen lassen. Alles Schimpfen hilft nichts. Wir müssen uns brachial durch die Menge auf dem Bahnsteig kämpfen. Dass Erwachsenen wie Schüler völlig Stulle sind und das Aussteigen blockieren ist in Berlin selten. Meist sind nur die Jugendlichen (und die Touristen aus North Little Rock, Arkansas oder Benelauría, Andalucía) zu doof, um zu begreifen, dass so ein Verhalten für alle nachteilig ist.
14:00 wieder zu Hause. Ein paar Wurst- und Käsebrote, Tomaten, Oliven, eingelegte Carciofi.
Beim Blick von unserem Balkon: Es ist immer wieder auffällig wie extrem unterschiedlich die Körpersprachen der Einheimischen/Touristen und der Krimskrams verkaufenden Nordafrikaner (vermutlich aus Tunesien) sind. Augenfällige Dominanz vs. höfliche Bescheidenheit.
16:30 Klemperer
Der Bräutigam trägt eine Paradeuniform mit Säbel, die Braut in einem schlichten weißen Kleid. Wir gehen weiter und treffen einige hundert Meter entfernt zwei Männer, Ende dreißig, beide in schlecht sitzenden Anzügen. Schlecht sitzend soll heißen: die Hosen etwas zu kurz und die Jacketts spannen sichtbar auf dem Bauch. Einer der Beiden ist ca. 1,90 groß und von gewaltigem Leibesumfang. Zum schwarzen Anzug trägt er ausgelatschte weiße Sneakers. Sie haben sich anscheinend verspätet und eilen der Hochzeitsgesellschaft zu.
Wir schlendern weiter und landen zu einem Campari Soda und einem Bier auf der Piazza del Duomo.
Auf dem Rückweg beobachte ich einen Nordafrikaner, der eine Gruppe Landsleute zusammenscheißt, wahrscheinlich weil sie ihre Stände mit Gürteln, Roleximitaten und Modeschmuck zu früh abgebaut haben. Der Verkauf scheint also organisiert zu sein. Inwieweit das Ganze kriminell abläuft lässt sich natürlich anhand einer einzelnen Beobachtung nur vermuten.
Wir essen zu Abend, sitzen dann noch eine Stunde auf unserem Balkon und beobachten den abendlichen Auftrieb und unterhalten uns.
Gegen ein Uhr nachts entsteht ein Höllenlärm. Etwa 60 bis 80 Motorradfahrer donnern durch unsere Straße. Nach einer halben Stunde haben sie endlich alle ihre Maschinen abgestellt und stehen plaudernd in kleinen Gruppen am Lungomare. Immer mal wieder kommt eine Maschine dazu, wroum, wroum, oder jemand fährt weg, wroum, wroum. Alles sehr gesittet aber laut. Eine weitere Stunde später ist das Bikertreffen beendet. Es wurde weder gesoffen noch geschrien, nur der Lärm der schweren Maschinen hallt von der Häuserfront wieder. Dann kehrt Ruhe ein.
Kaffeetrinken, Morgenlektüre:
„Enorm waren die akrobatischen Leistungen dreier junger Leute u. eines russischen Tänzerpaares. Aber mir ist der russische Tanz unsympathisch. Dieses am Boden Hocken, dieses Springen in Closetstellung ist so unaesthetisch u. unfrei. Es ist mir noch viel peinlicher als das hüftensteife Herumstampfen der Spanierinnen.“Ach, wenn Klemperer nur seinen schriftstellerischen Neigungen nachgegeben hätte und wenn er sich getraut hätte, solche Sprachbilder auch außerhalb eines privaten Tagebuchs zu verwenden.
(Victor Klemperer: Tagebücher S. 267 9. Mai 1928)
Beim morgendlichen Café mit Cornetto auf der Piazza del Duomo sitzt eine Dame, Mitte 50, am Nebentisch, sehr gestrenges Gesicht. Sie hatte einen Capuccino, ein Cornetto und einen Orangensaft mit hoheitlicher Miene bestellt und hatte nachdem es ihr gebracht wurde an allem etwas auszusetzen. Für ihren Capuccino wollte sie ein Extrakännchen geschäumte Milch und der Blutorangensaft, der hier überall ausgeschenkt wurde passte ihr auch nicht. Sie wartete bis alles bei ihr auf dem Tisch stand und der Kellner wieder weg war, um ihn dann zweimal wieder herbeizurufen, um ihre Ergänzung bzw. ihre Reklamation vorzutragen. Ohne eine Miene zu verziehen, erledigte der Kellner die Anforderungen. Als er an uns vorbeiging, sagte sein Gesicht: Schnepfe!
Sie war wohl nicht der Typ „Apothekersgattin“ sondern die Apothekerin selbst, die auf die Beachtung ihres Standes dringt.
Auf dem Bahnsteig tönt unversehens aus einer Gruppe Italiener eine Stimme, ebenfalls in fliesendem Italienisch, aber mit unverkennbar schwyzerdüteschem Tonfall, unglaublich langsam und betulich. Im Tessin reden sie zwar auch betulich aber nicht so langsam.
Im Nachbarort, etwa 30 Km und 20 Minuten Fahrzeit, in Castel di Tusa (die vielen Burgen haben sie mal gebaut, um Seeräuber abzuwehren und jetzt stehen sie immer noch in der Gegend herum), einem ganz hübschen Städtchen mit einer Burg, einigen Kirchen, dem Strand mit einigen angebrannten Touristen und ein paar Kneipen und Restaurants. In zehn Minuten ist man mit der Besichtigung fertig. Sehr beschaulich.
Als wir wieder in Cefalú ankommen blockiert eine Menge die Türen beim Ausstieg. Ein junger Mann neben uns in der Waggontür brüllt los, man möge doch die Leute zuerst aussteigen lassen. Alles Schimpfen hilft nichts. Wir müssen uns brachial durch die Menge auf dem Bahnsteig kämpfen. Dass Erwachsenen wie Schüler völlig Stulle sind und das Aussteigen blockieren ist in Berlin selten. Meist sind nur die Jugendlichen (und die Touristen aus North Little Rock, Arkansas oder Benelauría, Andalucía) zu doof, um zu begreifen, dass so ein Verhalten für alle nachteilig ist.
14:00 wieder zu Hause. Ein paar Wurst- und Käsebrote, Tomaten, Oliven, eingelegte Carciofi.
Beim Blick von unserem Balkon: Es ist immer wieder auffällig wie extrem unterschiedlich die Körpersprachen der Einheimischen/Touristen und der Krimskrams verkaufenden Nordafrikaner (vermutlich aus Tunesien) sind. Augenfällige Dominanz vs. höfliche Bescheidenheit.
16:30 Klemperer
„Auch ein anderer Thema-Einfall kam mir vor einiger Zeit: Der Brief. Wie er sich unter der technischen Vervollkommnung änderte, verkürzte. Seit man telephoniert, seit man Radio hat, seit man Zeitungen hat. Er muß sich auf das Private zurückziehen.“Am Abend, nach dem Einkaufen (Spaghetti, Tonno, Rucola, Tomaten und Limettenfilets gibt es am Abend) noch durch den Ort geschlendert. Eine Hochzeitsgesellschaft zieht durch die Stadt. Am kleinen Fischerhafen lässt sich das Brautpaar fotografieren. Drei Gäste mit gewaltigen Teleobjektiven und preiswerten schwarzen Anzügen sind dafür zuständig.
(Victor Klemperer: Tagebücher 25. Mai 1928, S. 269)
Der Bräutigam trägt eine Paradeuniform mit Säbel, die Braut in einem schlichten weißen Kleid. Wir gehen weiter und treffen einige hundert Meter entfernt zwei Männer, Ende dreißig, beide in schlecht sitzenden Anzügen. Schlecht sitzend soll heißen: die Hosen etwas zu kurz und die Jacketts spannen sichtbar auf dem Bauch. Einer der Beiden ist ca. 1,90 groß und von gewaltigem Leibesumfang. Zum schwarzen Anzug trägt er ausgelatschte weiße Sneakers. Sie haben sich anscheinend verspätet und eilen der Hochzeitsgesellschaft zu.
Wir schlendern weiter und landen zu einem Campari Soda und einem Bier auf der Piazza del Duomo.
Auf dem Rückweg beobachte ich einen Nordafrikaner, der eine Gruppe Landsleute zusammenscheißt, wahrscheinlich weil sie ihre Stände mit Gürteln, Roleximitaten und Modeschmuck zu früh abgebaut haben. Der Verkauf scheint also organisiert zu sein. Inwieweit das Ganze kriminell abläuft lässt sich natürlich anhand einer einzelnen Beobachtung nur vermuten.
Wir essen zu Abend, sitzen dann noch eine Stunde auf unserem Balkon und beobachten den abendlichen Auftrieb und unterhalten uns.
Gegen ein Uhr nachts entsteht ein Höllenlärm. Etwa 60 bis 80 Motorradfahrer donnern durch unsere Straße. Nach einer halben Stunde haben sie endlich alle ihre Maschinen abgestellt und stehen plaudernd in kleinen Gruppen am Lungomare. Immer mal wieder kommt eine Maschine dazu, wroum, wroum, oder jemand fährt weg, wroum, wroum. Alles sehr gesittet aber laut. Eine weitere Stunde später ist das Bikertreffen beendet. Es wurde weder gesoffen noch geschrien, nur der Lärm der schweren Maschinen hallt von der Häuserfront wieder. Dann kehrt Ruhe ein.