Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Familiengeschichte I
Mein Onkel E., Gott hab ihn selig, erzählte gerne, dass unser Ur-Ur-Ur-Großvater mütterlicherseits ein bedeutender Mann war. Im Russischen sei er stolzer Besitzer eines Gestüts gewesen, unermesslich reich und den Frauen und dem Glücksspiel zugetan. Genaueres wisse man leider nicht und von dem fabelhaften Reichtum sei nur der normalgroße Bauernhof der Familie in der Nähe von Danzig übriggeblieben und der sei ja nun auch futsch. So gesehen hätten sie alle unter ihrem Stand geheiratet. Seine Schwester, meine Mutter, lächelte immer dazu. Er aber erzählte uns, dies sei alles wahr: Sein Großvater habe es ihm getreulich berichtet und der habe es von seinem Großvater erfahren, der wiederum es von seinem Großvater wisse, der ...

Man kann sich das so vorstellen:

Im Dorf hatte es schon lange Gerüchte gegeben. Der Herr Rittmeister führe, so wurde erzählt, ein gotteslästerliches Leben. Der Herr Pfarrer, so hieß es, habe, als der Rittmeister vor einigen Wochen durchs Dorf ging, die Augenbrauen missbilligend hochgezogen. Von Zeit zu Zeit kämen Russen ins Haus, die unmäßig trinken, Karten spielen und die Mägde verführen. Und die Russen, dass wisse schließlich jeder, seien für ihren flatterhaften Lebenswandel bekannt. Selbst den wenigen Katholschen im Dorfe, ginge das alles zu weit.

Was wohl den Herrn Rittmeister bewogen haben mochte ausgerechnet heute in den Dorfkrug zu kommen?
Die Wirtstochter, die schöne Annalena mit dem blonden Zopf, holte, als sie seiner Gewahr wurde, den guten Wein aus dem Keller. Jedermann wusste schließlich, dass der Rittmeister nur die feinsten und teuersten Getränke bestellte. Inzwischen hatte sich der Rittmeister gesetzt und sah der Wirtstochter nach als sie die Kellertür öffnete, ihren Rock schürzte und die Stufen hinabstieg.
„Deine Tochter“ frug er den Wirt, „will sie immer noch in die große Stadt, um ihr Glück zu machen?“
„Ja, ist es nicht furchtbar? Sie liest immer diese Romane und dann träumt sie von der großen Welt. Von noblen Herren, die die schönen Frauen vom Lande vom Fleck weg heiraten, sie umgarnen und heiraten. Sie glaubt, dass eines Tages eine Kutsche vor unserem Wirtshaus hält, livrierte Diener den Schlag aufhalten und ein hochwohlgeborener Herr in unsere Stube tritt, ihrer ansichtig wird und ihrer Schönheit verfällt. Ist das nicht schrecklich?“
„Je nun, mein braver Wirt, lass ihr doch die Träume von einem aufregenden Leben. Es wird schon ihr Schade nicht sein?“
„Wer weiß, wer weiß?“ brummte der Wirt.
Inzwischen war Annalena mit dem Wein zurückgekehrt und schenkte dem Herrn ein Glase ein.
„Vom Roten! Wie konntest du ahnen, dass mir heute nach Rotem ist, mein schönes Kind?“ frug der Rittmeister artig.
Annalena erglühte und rannte eilig weg.
Merke! Wir ahnen es schon, der Abend währte noch lange. Es gab viele Gelegenheiten zwischen dem Rittmeister und Annalena Komplimente auszutauschen und der Wirt beobachtete die Gespräche mit wachsendem Missfallen. Wenige Tage später folgte Annalena dem Rittmeister ins Herrenhaus, zunächst nur als Zofe, aber mit der Zeit erlag sie seinen Schmeicheleien und nahm an seinem lästerlichen Lebenswandel teil. Sie bediente die Russen, trank mit ihnen, frönte gar nach einiger Zeit ebenfalls dem Glückspiel und half dem Rittmeister beim Verprassen des ererbten Gestüts. Wechsel wurden ausgestellt, Spielschulden mussten beglichen werden und immer mehr junge Frauen folgten der Verführungskunst. Sie alle mussten eingekleidet und beköstigt werden und von Zeit zu Zeit unternahm der Herr Rittmeister Ausflüge in die nahe gelegene Stadt, um es so richtig krachen zu lassen.
Und als alles herunter gekommen war, musste er das Gut verkaufen und als weitgehend Mittelloser sein Auskommen als Knecht finden. Nach vielen Jahren der Läuterung konnte er durch Fleiß und Strebsamkeit dann wieder einen eigenen Bauernhof erwerben, der seinen Nachkommen das spärliche Brot sicherte.

So wird es gewesen sein und ich habe es getreulich aufgeschrieben und so für alle Ewigkeit der Nachwelt erhalten.

Kommentieren




jean stubenzweig, Mittwoch, 7. April 2010, 07:58
Und deshalb müssen Sie heutzutage so früh aufstehen, um auch noch zur Arbeit zu gehen. Das ist wirklich ungerecht.

g., Mittwoch, 7. April 2010, 08:39
Na ja, versoffen und verhurt
geht schon in Ordnung, sonst müsste ich mich heute vielleicht grämen, dass der schöne Reichtum aufgrund des Nationalsozialismus perdu ist?

nnier, Mittwoch, 7. April 2010, 10:48
Diese noble Haltung lässt mich Sie spontan für den George-Best-Award nominieren.

vert, Mittwoch, 7. April 2010, 14:02
"...und den rest einfach verprasst" war auch mein erster gedanke.

g., Donnerstag, 8. April 2010, 08:06
Ach, ‚simply the best’ war mir ja völlig aus dem Gedächtnis ... und die Zeit (etwa von Stan 'an Jesus kommt keiner vorbei' Libuda, bis Horst 'das Tier' Hrubesch) als ich noch regelmäßig Sportschau geguckt habe.

nnier, Donnerstag, 8. April 2010, 10:38
"Ungeheuer", wenn Sie die sanfte Korrektur gestatten. Libuda war vor meiner Zeit; ja, die Sportschaujahre, über die denke ich auch gelegentlich nach. Und den "ran"-Kulturschock.

vert, Donnerstag, 8. April 2010, 19:30
sie haben manni "bananenflanke" kaltz vergessen.
also wenn schon.

g., Freitag, 9. April 2010, 07:04
Und ‚Katsche’ der einen Außenverteidiger von Atletico Bilbao zu Tode erschreckte und Bertie mit den O-Beinen und wie hieß noch mal der Torhüter eines englischen Vereins, der mit gebrochener Wirbelsäule weiterspielte?

jean stubenzweig, Freitag, 9. April 2010, 08:43
Katsche war trotzdem ein überaus freundlicher Mensch. Nicht nur der gleichwohl katzenhafte Maier Sepp aus Anzing.

g., Samstag, 10. April 2010, 06:18
Mir ist Schwarzenbeck auch als ausgesprochen fairer Spieler in Erinnerung. Bilbao hatte damals, wenn ich mich recht erinnere, zwei schnelle Außenverteidiger, die mit den beiden Stürmern Flankenangriffe durchführten, die im Europapokal gefürchtet waren. Der eine Verteidiger wurde nach dem Spiel in der Sportschau oder im Sportstudio interviewt und sagte etwas wie: „... und dann tauchte aus dem Nichts dieser Riese vor mir auf.“

Und gerade entdeckt:
Gedicht für Georg Schwarzenbeck“ von Wolf Wondratschek.

jean stubenzweig, Samstag, 10. April 2010, 07:25
Köstlich, diese Seite
«Schwarzenbecks Erben». Da wird er so beschrieben, wie ich ihm mal begegnete – in einem winzigen Restaurant, in das ich immer ging, wenn mir nach richtiger katalanischer Küche war. Was ich damit sagen wollte: Es war nicht nur auf dem Fußballplatz ein überaus freundlicher Mensch.

Und auch das noch aus dieser Seite, passend zum Ausgangspunkt:

«Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Frauen und Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst.»

George Best (1946 - 2005)

monnemer, Montag, 12. April 2010, 15:30
@gebrochene Wirbelsäule, interessanter Artikel über Bert Trautmann im Guardian.

g., Dienstag, 13. April 2010, 07:16
Danke, in der Tat ein interessanter Artikel. Ich wusste nicht, dass Bert Trautmann versucht, seine Lebenserfahrungen weiter zu geben