Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 13. November 2012
Generationenkonflikte?
„Vielleicht hat man zu allen Zeiten die Generation der Eltern als harmlos und entmächtigt erfahren, wenn ihre physische Kraft nachließ, während die eigene selber schon von der Jugend bedroht schien: in der antagonistischen Gesellschaft ist auch das Generationsverhältnis eines von Konkurrenz, hinter der die nackte Gewalt steht. Heute aber beginnt es auf einen Zustand zu regredieren, der zwar keinen Ödipuskomplex kennt, aber den Vatermord. Es gehört zu den symbolischen Untaten der Nazis, uralte Leute umzubringen. In solchem Klima stellt ein spätes und wissendes Einverständnis mit den Eltern sich her, das von Verurteilten untereinander, gestört nur von der Angst, wir möchten, selber ohnmächtig, einmal nicht fähig sein, so gut für sie zu sorgen, wie sie für uns sorgten, als sie etwas besaßen. Die Gewalt, die ihnen angetan wird, macht die Gewalt vergessen, die sie übten.“ (Adorno: Minima Moralia)
Wenn man die Stelle Satz für Satz durchgeht, angefangen bei dem Gedanken, dass die Eltern als „entmächtigt“ erfahren werden, wenn sie alt und klapprig werden (Trotz der Erziehungsirrtümer meiner Eltern, trotz ihrer Defizite und Verfehlungen, habe ich meine Eltern eher als Nothelfer und Wegweiser erfahren, denn als ‚Macht‘, der ich mich zu unterwerfen hatte. Allerdings bin ich auch nicht verprügelt worden.) über die These, dass die physische Überlegenheit der Jüngeren eine Bedrohung darstellen solle (warum nur?) bis zur - meiner Ansicht nach unzutreffenden - Behauptung, dass das Generationenverhältnis ein Konkurrenzverhältnis sei (der Neoliberalismus versucht dies permanent in die Rentendebatte einzuschleusen, nur will das ein Großteil der Bevölkerung jeglichen Alters nicht akzeptieren.), fragt man sich, welche Art von Beschwörung wird hier veranstaltet?

Der nächste Satz erschreckt mich nachhaltig: „Es gehört zu den symbolischen Untaten der Nazis, uralte Leute umzubringen.“

Schon bei „symbolischen“ Untaten zucke ich zusammen. Was ist das für eine Wahrnehmung? Die Nazis haben keine alten Leute umgebracht sondern alte Juden, die nicht mehr arbeitsfähig waren. Alte ‚Arier‘ blieben verschont.
Einen Zusammenhang zwischen dem Generationenkonflikt (über die gewaltförmigen Erziehungsmethoden in den 50er Jahren hatte ich mal einen Text verlinkt) in Teilen der Gesellschaft und dem Holocaust mag man nachdenken, insbesondere über die Frage der Hemmschwelle bei Gewalttaten, nur so umstandslos den Holocaust psychoanalytisch zu deuten?

Das Zitat stammt von 1944.
Welche Art Bewältigungsstrategie ist das? Und warum wurde das in den 60er Jahren von der nächsten Generation von Kleinbürgern(?) begeistert aufgegriffen? Weil ihre Eltern Nazis waren?

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