Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 26. Oktober 2011
Lob der Spelunke
Über Spelunken, Kaschemmen, Bierschwemmen u. ä. kann man viel Negatives berichten. Ich könnte ja durchaus auch davon berichten, dass ich zu der Zeit als ich noch in Rixdorf wohnte jeden Morgen auf dem Weg zur U-Bahn am Bierhimmel vorbei musste. Der Bierhimmel schloss seine Türen immer morgens von 8 Uhr bis 9 Uhr, um die Hinterlassenschaften der Gäste des Vortages und der Nacht zu entsorgen. Zu diesem Zweck wurde auf den Boden der Kneipe reichlich Reinigungsmittel aufgetragen und dann mit zwei Schrubbern kräftig durchgewienert. Nachdem aller festgetretener Schmutz vom Fliesenboden gelöst war, wurde mit reichlich Wasser gespült. Die so entstandene Moorlauge wurde dann mit den Schrubbern der Einfachheit halber auf den Bürgersteig und anschließend in den Gully gefegt. Für den Kneipenbetreiber ist das durchaus eine praktische und kostensparende Angelegenheit, für mich als Passant war die Brühe auf dem Bürgersteig unerträglich. Es stank nach Bier, Schweiß und Pisse und wem die Kellner die braun-gelbe Brühe an das Hosenbein fegten, der hatte auf der Arbeit einiges zu erklären oder er musste wieder nach Hause, um sich eine frisch gewaschene Hose anzuziehen. Ich war nach dem ersten Unfall so clever, fünfzig Meter vorher die Straßenseite zu wechseln. Wie gesagt, über Spelunken lässt sich viel Unerfreuliches berichten.

In Spelunken kann man aber auch richtig schöne Dinge erleben.

Ich erinnere mich an ein besonders schönes Exemplar, ein Neuköllner Schlauchlokal, kaum 5 Meter breit und zwanzig Meter lang, mit Pissrinne für die Herrn und Toilette für die Damen am Ende des Raumes in einer Art abgeteilten Verschlag. Die Hälfte der Kaschemme wurde vom Tresen belegt, gegenüber gab es noch einige Barhocker an in der Wand verschraubten Abstelltischchen. Einige Spielautomaten, die von einem Stammgast am Tresen regelmäßig mit Münzen versorgt wurden, fanden neben dem Eingang Platz. Das Speisenangebot bestand aus geriffelten Pommes, wahlweise mit Schweineschnitzel oder Wurst, die vorgebraten waren und in der Fritteuse bei Bedarf aufgefrischt wurden. Der nicht zu leugnende Vorteil der Kneipe war, dass an der Eingangstür ein kleines, weil anscheinend täglic gewienertes, blitzendes Messingschild mit der Aufschrift: „seit August 1961 geöffnet“ angebracht war. Berlin hatte ja das Garaus-Geläute schon 1949 abgeschafft. Ob die Pinte irgendetwas mit dem Mauerbau zu tun hatte, habe ich nie heraus gefunden. Vielleicht ist der Besitzer aus Ost-Berlin geflüchtet? Oder er betrachtete sich als ersten Anlaufpunkt für Flüchtlinge, schließlich lag die Mauer nicht sehr weit weg? Nun ja, ich weiß es nicht. Der Vorteil war: es war immer geöffnet und es gab immer etwas zu essen und zu trinken. Und aus diesem Grund war ich gelegentlich des Nächtens, wenn ich von einer Sauftour mir mal einen netten Abend gemacht hatte, ich hungrig war, nicht anderes mehr auf hatte und zuhause mal wieder nichts im Kühlschrank bereit lag, und noch Lust auf eine Runde Feldforschung verspürte, in dieser Kneipe.

Der Name der Kneipe war übrigens Tweety. Eines Nachts wurde ich am Tresen über die Vorteile der Pissrinne haarklein informiert. Ich hatte zwar nicht das Bedürfnis meinen Wissensschatz zu diesem Thema zu erweitern, wurde nichtsdestotrotz darüber informiert, dass die Pinkelrinne das Pissen im Stehen erlauben würde, zudem für Zwerge und Riesen gleichermaßen geeignet („Versuch mal mit Anzug und Krawatte, also wenn de von der Beerdigung kommst oder so und wenn de dann noch so klein bist wie ich am Pisspot, also nichts wie Probleme, kann ich dir sagen.“) und zudem einen Massenansturm von Bedürftigen und Beladenen locker bewältigen könne. Hätten Sie das gedacht?
Über manche Dinge macht man sich einfach zu wenig Gedanken.

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