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Georg Forster: Reise um die Welt 89
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
g. | Donnerstag, 8. April 2010, 08:09 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Dem geringen Umfang der Inseln im Süd-Meer, und dem gänzlichen Mangel an wilden vierfüßigen Thieren muß man es zuschreiben, daß die ersten Einwohner sich nicht, so wie die mehresten anderen Wilden, blos von der Jagd nähren, auch nicht ganz allein von der Viehzucht leben konnten, sondern, fast seit dem ersten Augenblick ihrer Niederlassung gleich auf den Ackerbau bedacht seyn mußten, vornemlich in solchen Gegenden, wo es nicht viel Fische gab. Ohne diese Nothwendigkeit, den Feldbau zu treiben, würden die Bewohner der Inseln, zwischen den Wendekreisen, wohl durchgehends noch nicht zu DEM Grade von Civilisation gelangt seyn, den wir würklich bey ihnen angetroffen haben. Um wie viel es aber eine dieser Völkerschaften der andern hierinn zuvor thut, das läßt sich, weil sie durchgehends feste, bleibende Wohnsitze haben, blos DANACH beurtheilen, ob sie, in ihrem häuslichen Leben, schon mehr oder weniger Bequemlichkeit zu erfinden, oder ihren Handarbeiten mehr oder weniger Zierlichkeit zu geben gewußt. Nach diesem Maaßstabe nun zu rechnen, stehen die Einwohner von TANNA noch ziemlich weit unten; ihre Häuser sind nur Schoppen, in keinem Betracht auf Bequemlichkeit eingerichtet, blos ein nothdürftiges Obdach gegen übles Wetter. Von Kleidung, nach deren Beschaffenheit sich das Maaß der Civilisation ebenfalls bestimmen läßt, wissen sie noch gar nichts, ja sie lassen es selbst noch an körperlicher Reinlichkeit fehlen, welches für die Aufnahme des geselligen Umgangs immer ein großes Hinderniß ist. An statt sich fleißig zu baden, wie die TAHITIER und ihre Nachbaren thun, bemahlen sie sich lieber mit allerhand Schminken, und werden dadurch unreinlich. Aber, neben allen diesen Mängeln, zeigen sie sich doch jetzt schon, die Anlagen und Vorbothen, zu einer höheren Verfeinerung ganz deutlich. Dahin rechne ich unter andern, die Geschicklichkeit ihrer Weiber in der Kochkunst, zu welcher die Mannigfaltigkeit der Nahrungsmittel Anlaß gegeben haben mag. Sie wissen z. B. die Yams und Pisangs zu braten oder zu rösten; grüne Feigenblätter und Okra (HIBISCUS ESCULENTUS) zu dämpfen und Puddings zu backen, davon der Teig aus Pisangsfrucht und Arum-Wurzeln, die Fülle, aus Cocos-Kernen und Blättern bestehet. Verschiedne Arten von Obst werden auch frisch, so wie sie vom Baume kommen, ohne Zubereitung, verzehrt. Dann und wann thun sie sich mit einem Stück Schweinefleisch, oder Federvieh etwas zu gute; der Fischfang mag ihnen ebenfalls manche Mahlzeit liefern, desgleichen die Vogeljagd, wiewohl der Ertrag dieser letzteren nicht als eine tägliche Speise, sondern nur als Leckerbissen in Anschlag gebracht werden kann. Sollte das Wohlgefallen an vielen und verschiedenen Gerichten unter dieser Nation zunehmen und allgemein werden; so würden auch der Ackerbau und alle diejenigen Manufacturen und Künste, die zu dieser Art des Wohllebens gehören, bald stärkere Schritte zur Vollkommenheit thun, denn die schwerste Arbeit wird uns leicht und unterhaltend, sobald wir sie aus eigner Willkühr oder zu Vergnügung der Sinne unternehmen: Wäre aber nur erst in EINEM Stück für die Verfeinerung der Sitten gesorgt, so würde sie auch bald genug in mehreren erfolgen. Schon jetzt hat die Musik hier eine höhere Stuffe der Vollkommenheit erreicht, als irgend sonstwo im Süd-Meer, und es ist wohl nicht zu läugnen, daß das Wohlgefallen an harmonischen Tönen eine gewisse Empfindlichkeit voraussetzt, die der Sittlichkeit den Weg bereitet. -Forsters Vorstellungen von Barbarei, Wildheit und Zivilisation.
Die Staatsverfassung ist, dem gegenwärtigen Zustande der Nation gemäß, noch sehr unvollkommen. Jedes Dorf, jede Familie, ist unabhängig, und vereinigt sich mit den Nachbarn nur alsdenn, wenn ihr gemeinschaftlicher Nutzen es durchaus so erfordert, zum Beyspiel, wenn feindliche Einfälle zu befürchten sind. Leute von Jahren und von bewährter Tapferkeit, scheinen bey dem großen Haufen in gewissem Ansehen zu stehen, Rangordnungen aber sonst noch unbekannt zu seyn. Das Interesse so vieler kleiner Partheyen, muß einander oft geradehin zuwider seyn, und sie folglich in Streitigkeiten verwickeln, die dann dem Mißtrauen und der Rachsucht unaufhörliche Nahrung geben. Diesem Übel kann allein in der Folge, vermittelst einer stärkeren Bevölkerung, abgeholfen werden; der Wachsthum dieser letzteren wird sie nemlich, dringender als andere Ursach, nöthigen, auf eine gewisse gesellschaftliche Vereinigung zu denken, und die Regierungsform auf festeren Fuß zu setzen. Die Verfertigung der Waffen, auf welche sie jetzt den größten Theil ihrer Zeit verwenden müssen, würde alsdenn, bey müßigen Stunden, gleichsam nur zum Zeitvertreib dürfen vorgenommen werden, und die Folgen eines solchen öffentlichen Ruhestandes, gegenseitiges Zutrauen und allgemeine Sicherheit, würden ihnen Muße verschaffen, es in der Zierlichkeit, aller Arten von Handarbeiten, eben so weit zu bringen, als die Einwohner der freundschaftlichen Inseln. Wie viel der Umgang mit den benachbarten Insulanern zu Beschleunigung dieses Zeitpuncts beytragen möchte, läßt sich so genau nicht angeben; im Ganzen aber ists wohl ausgemacht, daß, durch den Handel, der Fortgang der Civilisation ungemein befördert wird.
(Forster S. 808/810)
(sie bemalen sich mit allerhand Schminke, das Wohlgefallen an vielen und verschiedenen Gerichten, eine gewisse Empfindlichkeit, der große Haufen (für Masse, Gesellschaft), auf festeren Fuß)
Im 18. Jahrhundert waren deutlich mehr Präpositionen (hierinn , desgleichen, alsdenn) als heute gebräuchlich.
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