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Georg Forster: Reise um die Welt 88
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
g. | Dienstag, 6. April 2010, 07:34 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Über mir der Himmel heiter, das Säuseln des kühlen Seewindes um mich her, stand ich da, und genoß in Ruhe des Herzens alle das Glück, welches ein solcher Zusammenfluß von angenehmen Bildern nur gewähren kann. Unvermerkt verlohr ich mich in eine Reihe von Betrachtungen über den Nutzen, den unser hiesiger Aufenthalt unter den Insulanern gestiftet haben könnte, und welch einen Zuwachs von Vergnügen verschafte mir nicht der beruhigende, damals noch ganz ahndungsfreye Gedanke, daß wir uns hier, zur Ehre der Menschheit in einem sehr vorteilhaften Lichte gezeigt hätten! Wir hatten nun vierzehn Tage unter einem Volke zugebracht, das sich anfänglich äußerst mißtrauisch und ganz entschlossen bewieß, auch die geringste Feindseligkeit nicht ungeahndet zu lassen. Diesen Argwohn, dieses eingewurzelte Mißtrauen, hatten wir durch kühles, überlegtes Verhalten, durch Mäßigung, und durch das Gleichförmige aller unserer Handlungen, zu besiegen, zu vertreiben gewußt. Sie, die in ihrem Leben noch NIE mit so harmlosen, friedfertigen, und gleichwohl nicht feigen oder verächtlichen, Leuten umgegangen, sie, die bisher in jedem Fremden, einen heimtückischen, verrätherischen Feind zu sehen gewohnt waren, hatten jetzt von UNS, und durch UNSER Beispiel gelernt, ihre Nebenmenschen höher zu schätzen! Sobald wir es einmal DAHIN gebracht hatten, jenen heftigen, aufbrausenden Naturtrieb, der allein die Wilden so argwöhnisch, scheu und feindselig macht (Selbsterhaltung) zu besänftigen, sobald sahe man auch schon in ihren rohen Seelen jenen zweyten, nicht minder starken Naturtrieb – Geselligkeit – aufkeimen und sich entwickeln. Kaum fanden sie, daß die Fremden die Früchte ihres Landes nicht als eine Beute, mit Gewalt wegnehmen wollten, so theilten sie ihnen solche freywillig mit. Schon gestatteten sie uns, ihre schattenreiche Wohnungen zu besuchen, und ließen uns, so einträchtig als es den Mitgliedern einer und derselben Familie geziemt, mitten unter sich sitzen. Nach wenig Tagen begannen sie sogar, an unsrer Gesellschaft Vergnügen zu finden, und NUN öfnete sich ihr Herz einem neuen uneigennützigen Gefühl von überirdischer Art, der Freundschaft! Welch ein schätzbares Bewußtseyn, rief ich aus, auf solche Art das Glück eines Volkes befördert und vermehrt zu haben! welch ein Vortheil, einer gesitteten Gesellschaft anzugehören, die solche Vorzüge genießt und andern mittheilt! Hier unterbrach mich das Geräusch eines herankommenden Wanderers. Es war Dr. SPARRMANN. Ich zeigte ihm die Gegend, und erzählte ihm, zu was für Gedanken sie mich verleitet hätte. Die Übereinstimmung seines Gefühls theilte dem meinigen neue Lebhaftigkeit mit. Doch, endlich mußten wir uns losreißen und nach dem Schiffe zurückkehren, weil der Mittag nicht weit war. Der erste Einwohner, dem wir begegneten, flüchtete vor uns, und versteckte sich hinters Gebüsch. Unmittelbar darauf trafen wir, beym Eingange einer Plantage, eine Frau an, die, allem Ansehen nach, eben so gern davon gelaufen wäre, es aber nicht wagte, weil wir ihr ganz unerwartet und schon sehr nahe gekommen waren. Mit zitternder Hand und mit verstörtem Gesicht, bot sie uns einen Korb voll Yambos-Äpfel an. Dies Betragen befremdete uns nicht wenig; doch kauften wir ihr die Früchte ab und giengen weiter. Sowohl innerhalb als ausserhalb dieser Plantage standen viele Männer im Gebüsch, die unaufhörlich winkten, daß wir an den Strandt zurückgehen möchten. Sobald wir aus dem Walde heraustraten, klärte sich das Räthsel auf. Zween Männer saßen im Grase und hielten einen Dritten, todt, in ihren Armen. Sie zeigten uns eine Wunde, die er von einer Flintenkugel in die Seite bekommen hatte und sagte dabey mit dem rührendsten Blick: »er ist umgebracht.« 1 Auf diese Bothschaft eilten wir nach der Gegend des Strandes, wo unsere Leute sich aufzuhalten pflegten, fanden aber keinen einzigen Indianer bey ihnen, und erfuhren, wie die Sache zugegangen war. Man hatte, wie gewöhnlich, eine Schildwache aufgestellt, die den Platz, den unsere Leute zu ihren Geschäften brauchten, von Indianern rein halten mußte, dahingegen die Matrosen diese Scheidelinie ohne Bedenken überschreiten, und sich nach Belieben unter die Wilden mischen durften. Einer von den Indianern, der vielleicht seit unserm Hierseyn noch nie am Strande gewesen seyn mochte, hatte sich zwischen seinen Landsleuten vorgedrängt und wollte über den freyen Platz gehen. Weil aber unsere Leute diesen für sich allein zu haben meynten; so nahm die Schildwache den Indianer beym Arm, und stieß ihn zurück. Dieser hingegen glaubte mit Recht, daß ihm, auf seiner eigenen Insel, ein Fremder nicht vorzuschreiben habe, und versuchte es daher von neuem, über den Platz wegzugehen, vielleicht blos um zu zeigen, daß er gehen könne, wo es ihm beliebte. Allein, die Schildwache sties ihn zum zweytenmal, und zwar mit solchem Ungestüm zurück, daß wohl ein minder jähzorniger Mann, als ein Wilder, dadurch hätte aufgebracht werden müssen. Kein Wunder also, daß er, um seine gekränkte Freyheit zu vertheidigen, einen Pfeil auf den Bogen legte, und damit nach dem, der ihn angegriffen, zielte. Dies ward der Soldat nicht sobald gewahr, als er sein Gewehr anschlug, und den Indianer auf der Stelle todt schoß. In dem Augenblick da dieser fiel, trat der Capitain ans Land, und sahe, wie die übrigen davon liefen, um den grausamen, verrätherischen Leuten zu entkommen, die auf fremdem Boden sich solche Ungerechtigkeiten erlaubten. Bereit, den Fehler wieder gut zu machen, schickte er den Soldaten alsbald geschlossen an das Schiff, und gab sich alle Mühe, die Einwohner zu besänftigen. Verschiedene derselben, besonders die, welche auf der östlichen hohen Ebene wohnten, ließen sich auch wirklich überreden, stehen zu bleiben, und denen von neuem zu trauen, die das vornehmste Gebot der Gastfreyheit so schändlich aus den Augen gesetzt hatten. Wahrlich ein rührender Beweis, von der angebohrnen Güte des menschlichen Herzens! Eine eben so seltne Mäßigung war es, daß die Wilden, Dr. SPARRMANN und mir nicht das gerinsgte Leid zufügten, da sie doch den Mord ihres Landsmannes an uns beyden aufs nachdrücklichste hätten rächen können.“Koloniale Idylle und Realität.
1 In ihrer Sprache wird dies ungleich eindringender durch das einzige Wort, MARKOM, ausgedrückt.
(Forster S. 799/801)
(zur Ehre der Menschheit, den heftigen, aufbrausenden Naturtrieb besänftigen, die rohe Seele, das Glück eines Volkes, neue Lebhaftigkeit, ein minder jähzorniger Mann, die angeborene Güte des menschlichen Herzens)
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