Es muss so 1972 oder 73 gewesen sein, wir fuhren per Autostop nach Frankreich, ich glaube ins Languedoc oder in die Gascogne, aber so genau erinnere ich mich nicht mehr.
Na, auf jeden Fall gönnten wir uns ein anständiges Abendessen und ein Fläschchen des örtlichen Roten. Das Essen war gut, der Wein war gut und wir waren ziemlich betrunken, als wir uns auf den Heimweg machten. Der Heimweg führte uns aus dem Örtchen hinaus auf die Wiese eines Bauern, der uns dort zelten ließ. (Da die Polizisten in Frankreich damals eher unfreundlich gegen „Hippies“, wie das ja hieß, empfahl es sich einen „genehmigten“ Lagerplatz zu haben.)
Wir kamen also an einer Weide vorbei, auf der so 30 bis 40 Kühe lagen.
Der H. hatte ein humanistisches Gymnasium besucht und Latein und Griechisch gelernt. Aus Gründen, die wohl tief im Geiste des Rotweines lagen, kam er auf die Idee den ersten Gesang der Ilias vorzutragen.
„Μῆνιν ἄειδε, θεά, Πηληιάδεω Ἀχιλῆος
οὐλομένην, ἣ μυρί’ Ἀχαιοῖς ἄλγε’ ἔθηκε,
πολλὰς δ’ ἰφθίμους ψυχὰς Ἄϊδι προΐαψεν
ἡρώων, αὐτοὺς δὲ ἑλώρια τεῦχε κύνεσσιν
οἰωνοῖσί τε πᾶσι• Διὸς δ’ ἐτελείετο βουλή•
ἐξ οὗ δὴ τὰ πρῶτα διαστήτην ἐρίσαντε
Ἀτρεΐδης τε ἄναξ ἀνδρῶν καὶ δῖος Ἀχιλλεύς.“
(„Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,
Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte,
Und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Aïs
Sendete, aber sie selbst zum Raub darstellte den Hunden,
Und dem Gevögel umher. So ward Zeus Wille vollendet:
Seit dem Tag, als erst durch bitteren Zank sich entzweiten
Atreus Sohn, der Herrscher des Volks, und der edle Achilleus.“)
Er deklamierte wohl eine halbe Stunde und nach und nach versammelte sich die ganze Herde wie im Auditorium eines griechischen Theaters am Zaun und lauschte den altgriechischen Versen. Wir und die Kühe genossen den Vortrag in dieser lauen Sommernacht. Zu allem Überfluss sah man in der Ferne über dem Rain des nahen Flusses auch noch Sternschnuppen verglühen.
Zwei Jahre später habe ich mir für meine Reise in die Türkei, die Odyssee in den Tornister gepackt.
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Ein junger Mann trägt ein schwarzes T-Shirt mit türkischer Aufschrift in weiß und dem Facebookemblem. Seine Mitschüler fragen ihn, was der Schriftzug bedeute.
„Dein Gesicht auf …“ und dann verließen sie ihn. Er fragt seinen Kumpel. Sie diskutieren die Frage auf Türkisch, während die Fragenden geduldig auf die Übersetzung warten.
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von Navene über den Dosso Spirano nach Malcesine
Fabio wachte früh auf, sein Schädel brummte von dem schlechten Wein zum Abendessen. Warum hatte er nur so viel getrunken? Richtig, Agneta war nicht gekommen. Er hatte in der Agentur angerufen, aber die wussten nur, dass sie mit Björn ‚um die Häuser gezogen‘ sei und dann hatte er es auf dem Handy probiert. Leider erreichte er nur die Mailbox. Er machte sich einen Kaffee und überlegte. Wo konnte sie sein? Bei Björn? Er rief Björn an, aber der war noch schwer betrunken und zudem allein. Wo konnte sie sein? Er trank seinen Kaffee aus und rief in der Agentur an, um sich krank zu melden. Heute arbeiten? Ach nein, besser nicht.
Er setzte sich in seine Werkstatt und nahm einige Holzstücke in die Hand. Pappel, sinnierte er, minderwertiges Holz, aber leicht zu bearbeiten. Was sollte er schnitzen? Eine Krippe? Das arbeiten an den Eseln hatte er immer gemocht, aber eigentlich war ihm nicht nach religiösen Motiven. Er nahm ein längeres Kantholz zur Hand und versuchte sich ein Bild von der sich herausschälenden Figur zu machen, manchmal zeigt einem ja das Holz den Weg.
Das Telefon klingelte.
„Pronto?“
Es war Agneta.
„Fabio, Lieber, ich komme nicht zurück, wollte ich dir nur sagen.“
„Agneta, was ist geschehen?“
„Ich habe mich verliebt.“
„In Björn?“
„Aber nein, Dummerchen, in Benny, seinen Stellvertreter. Wir gehen nach Australien.“
„Wie nach Australien?“
„Nun, das ist schwer zu erklären und eigentlich will ich es auch nicht erklären. Er ist die Liebe meines Lebens. Aber lass uns vernünftig sein. Könntest du die eine neue Wohnung suchen? Wenn wir zurückkommen, wollen wir zusammen ziehen.“
„Äh? Wie?“
„Na in einem halben Jahr ungefähr. Du machst das dann, Schatz?“
„Ja, nein, weiß nicht, aber …“
„Doch, doch, sei so lieb. Jetzt muss ich Schluss machen, der Flieger geht gleich. Tschühüss!“
„Äh? Tschüss!“
„Du träumst immer noch?“
„Ich spinne nur ein bisschen, so für mich.“
„Willst du es nicht erzählen?“
„Na ja, meine Phantasie ist nur etwas abgeglitten. Ich habe mir gerade eine wundersame Geschichte von einem Herrgottsschnitzer, den es nach Berlin verschlagen hat ausspintisiert und jetzt denke ich darüber nach, wie ich noch Elfen oder Trolle, Kobolde und Riesen unterbringe, und …“
„.. und Zwerge, Seeungeheuer, die aus dem Gardasee auftauchen und Touristen zum Abendbrot verschlingen?“
„Ein Ungeheuer, das Touristen verschlingt? Gute Idee, die Touristen, die belegte Brötchen mit Pommes essen, die Skaligerburg aus Kunststoff und Kochschürzen mit aufgedruckten nackten Damen kaufen?“
„Die sind sicher besonders lecker.“
Wir gingen weiter.
Fabio kratze sich am Kopf. Australien? Er nahm das Kantholz und schnitt es in fünf gleiche Teile. Er musste aufstoßen. Er holte sich ein Glas Wein. Australien, was will sie denn in Australien? Er nahm sich das erste Stück Holz vor. Zuerst die Proportionen anreißen, dann Arme und Beine, Messer wechseln, einen Schluck Wein und dann das Gesicht. Schön, aber etwas fleischig, na ja, warum nicht. Er schnitzte die Figur fertig und betrachtete sie mit Wohlwollen.
„Ich nenne dich Wommele, das passt zu deinem feisten Gesicht und dem ewigen Lächeln. Ein bisschen falsch sieht es aus, dein Lächeln. Wahrscheinlich wirst du alle lieben, die dir nützlich sein könnten.“
Er nahm das nächst Stück Holz und trank einen Schluck. Warum ist sie mit Benny durchgebrannt? Björn war doch hinter ihr her? Er riss die Konturen an und schnitze drauf los. Die zweite Figur war nicht so gelungen.
„Du siehst ein bisschen lahmarschig aus, ich werde dich Hinkel taufen.“ Ein Langweiler ist er, der Hinkel, dachte er, wer soll ihn ernst nehmen?
Er trank einen Schluck Wein. Sollte er morgen wieder in die Agentur gehen? Was sollte er den anderen sagen? Die nächste Figur geriet etwas füllig und erhielt einen krawalligen Ausdruck. Er musste wieder aufstoßen. ‚Hoffentlich vertrage ich den Wein‘, dachte er. Ach Agneta, was machst du für einen Unsinn und so erschuf er eine weibliche Figur.
„Irgendwie erinnerst du mich an den Wastl aus diesen seltsamen, deutschen Volksstücken, die sie im Fernsehen übertragen. Eine Wasteline aus Kienholz. Ich werde dich Kienastl rufen. Du sollst dich in den hässlichsten und arrogantesten Kerl verlieben, der aufzutreiben ist.“
Er musste kichern, nahm sich das nächste Holz und brabbelte weiter vor sich hin. Langsam geriet er in Rage. Was bildete sich diese Frau eigentlich ein, mit einem drittklassigen Werbefuzzi nach Australien und ihn einfach sitzen lassen? Er musste wieder aufstoßen, dabei verrutschte ihm das Schnitzmesser und die Oberlippe der Figur erhielt einen tiefen Ratscher. Er hielt sie vor sich.
„Eine Schönheit bist du ja nicht geworden.“
Neben der Schnitzbank lag ein altes Stück Filz mit dem er sonst den überschüssigen Leim von den Figuren wischte. Er schnitt einen schmalen Streifen davon ab und klebte ihn über die missglückte Oberlippe.
„So wird es gehen, Sarri, so muss es gehen.“
Er nahm sich vor bei der nächsten Figur aufzupassen und nicht wieder eine Kerbe an unpassender Stelle einzuritzen. Konzentriert arbeitete er und – in der Tat – die Figur hatte keinen Fehler. Alle Proportionen stimmten, nicht zu dick und nicht zu dünn.
„Perfekt bist du geworden.“ Er sah die Figur an.
„Man könnte auch sagen aalglatt, Bürschlein.“ Er sah sie nochmals an.
„Irgendetwas stimmt nicht mit dir. Dein Name soll Wolfander sein.“
Sein Aufstoßen wurde immer schlimmer, lieber noch einen Schluck Wein und weil er so gut schmeckte und ihm half, nicht an Agneta zu denken, trank er noch einen Schluck. Er geriet in heitere Stimmung und schnitze drauf los. Immer schneller schnitze er und schon nach einigen Minuten war er fertig.
„Au weh, ich hätte doch vorher anreißen sollen. Zu klein, zu dick bist du geraten.“ Er sah ihn genauer an.
„Du bist der dümmste von allen, da hilft nichts. Du sollst von aller Welt Lindul genannt werden.“
Erschöpft hielt er inne.
„Man sollte nicht schon am Vormittag so viel Wein trinken.“
Dieses Aufstoßen war unangenehm, vielleicht sollte er sich etwas hinlegen? Ach Quatsch. Er holte sich eine weitere Flasche. Agneta ist ein Miststück. Er wird sie verfluchen, genau, schließlich hatte er von seinem Großvater die dunklen Künste erlernt. Psst, das darf niemand wissen. Weil … Urps, dieses Aufstoßen, ekelhaft. Ich werde es Agneta zeigen, genau, ich schnitze mir Dämonen und lasse Agneta von ihnen um den Erdball jagen. Oder besser noch, ich nehme gleich die fünf hier, sie sind so gut wie richtige Dämonen. Urps, lästig dieses Aufstoßen, aber egal.
Er trank noch einen Schluck, sprach die von alters her vorgeschriebenen Formeln, vollführte auch allerlei dazu gehörigen Gesten, trank ab und zu einen Schluck und nach dem ihm die dunklen Mächte beigestanden hatten, zwinkerten ihm die phantastischen Fünf ins Gesicht.
„Komm Alter, trink noch einen Schluck und dann ruhst du dich aus, während wir Wache halten und deinen Schlaf segnen.“ sprach Kienastl.
„Genau, Schlaf und Erholung werden dir gut tun.“ sagte Wolfander und die anderen stimmten mit ein. So kam es, dass sich unser braver Herrgottsschnitzer zur Ruhe begab, obwohl es doch erst elf Uhr geschlagen hatte.
Auf den Schlaf ihres Schöpfers hatten die Fünf nur gewartet und so schüttelten sie sich die Hand und zogen fröhlich in die Welt hinaus, ihr Glück zu machen. In der Stube waberten und wrasten die dunklen Mächte von Wand zu Wand und konnten den Gehorsam der Puppen doch nicht erzwingen, den ihre Macht beschränkte sich auf die Lebenden, denen sie Beistand oder Verderbnis bringen.
Als Fabio nach kurzem, erholsamem Schlaf wieder erwachte, trat er in seine Stube und sah, dass seine Geschöpfe entflohen waren und
„Wehe euch, ihr Undankbaren,“ sprach er und die dunklen Mächte nahmen seine Worte begierig auf, „ihr sollt verflucht sein für alle Zeiten!“
Er suchte nach der Flasche.
Wir traten aus dem Wald.
„Hei, mein Schöner. Gehen wir noch ein Eis essen?“
„Klar, warum nicht. Unten am Hafen?“
„Kar und dann gehen wir einkaufen und kochen uns etwas Schönes.“
„Nudeln mit Steinpilzen?“
„Zum Beispiel.“
Wir gingen weiter, Olivenhaine säumten jetzt den Weg, der Verkehr nahm zu und die Stadt wurde sichtbar. Na ja, irgendwann, dachte ich, spinne ich die Geschichte zu Ende, wenn mir ein schönes Ende einfällt.
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von Navene über den Dosso Spirano nach Malcesine
Phantasie über den Herrgottsschnitzer von Heiligensee
San Michele lag etwas miesepetrig im Regen, ein Huhn empörte sich über eine Kellerassel und der Hund des Bildhauers öffnete ein Auge, um Fabio di Accoglienza auf dem Nachhauseweg zu beobachten. ‘Mistwetter’, dachte er bei sich. ‘Man sollte eigentlich nicht aus dem Haus gehen.’ Aus so einem Wetter kann kein Glück erwachsen.
“Scusi, Signore, äh? … Äh, also …”
“Sie können auch Deutsch mit mir reden, kein Problem.”
„Ach wissen sie, ich mach gerade hier in Italien einen Italienischkurs und da dachte ich, also .., na ja ich bin erst in der zweiten Stunde, wissen sie?“
„Aber das macht doch nichts, Signora, jeder fängt klein an. Sie haben übrigens eine sehr schöne Aussprache.“
„Danke, vielen Dank, molto grazie, das ist sehr freundlich.“
Unversehens öffnete sich der Wald. Zeit für eine kleine Rast, einige Schlucke Wasser und einen Keks.
„Wenn man häufiger den See und die Berge sehen könnte, wäre es noch schöner.“
„Ja. Aber anscheinend haben sie ihr Naturschutzgebiet nicht nach den Interessen der Wanderer ausgerichtet. Schade eigentlich, der Blick ist phantastisch.“
Zeit weiter zu gehen. Die Wanderung war mit ca. 4,5 Stunden beschrieben und wenn wir auf dem Rückweg nicht auf einen Bus warten und direkt die zwei Stunden weiter bis Malcesine laufen wollten, mussten wir uns etwas ranhalten. Wir gingen wieder in den Wald.
Fabio litt. Er litt ungeheuer. Wie hatte es nur so weit kommen können? Wie war er in dieser Werbeagentur am Rande der großen Stadt gelandet?
‚Fabio, du bist ein Idiot, statt auf ihre Brüste zu gucken, hättest du besser überlegt, was du hier eigentlich machen willst. Eis verkaufen, wie Vater?‘ dachte er bei sich.
Sein Vater war in den 50er Jahren nach Deutschland gekommen und hatte im Straßenbau gearbeitet. Man konnte damals gutes Geld verdienen im Straßenbau, na ja zumindest mehr als mit dem Schnitzen von Heiligenfiguren. Nach einigen Jahren hatte er genug davon und eröffnete mit einem Kollegen eine Eisdiele. Das war eine schöne Zeit gewesen. Im Sommer arbeiten und im Winter zuhause. Als Kind war er oft den Sommer über mit dem Vater und der Mutter in Deutschland gewesen, dann aber musste er in die Schule und die Sommer verbrachte er bei der Großmutter. Nach einigen Jahren waren die Eltern zurückgekommen, hatten sich in San Michele das Häuschen gebaut und Vater hatte wieder zu schnitzen angefangen und er, Fabio, hatte es von seinem Vater gelernt. ‚Schnitzen hat Zukunft. Die deutschen Touristen kaufen Handarbeiten wie die Blöden und achten nicht aufs Geld. Davon kannst du reich werden.‘ hatte sein Vater gesagt und er sollte recht behalten. Und dann war diese Deutsche mit ihren drei Brocken Italienisch aufgetaucht und jetzt war er hier, in diesem komischen Großstadtdorf Heiligensee. Zuerst hatte er es mit Schnitzereien versucht, aber was sich in den Alpen von selbst verkauft, wollte hier niemand haben. Der Herrgottsschnitzer von Heilgensee stand in der Zeitung. Zum glotzen sind sie alle gekommen, gekauft hat niemand etwas. Jetzt saß er in dieser Werbeagentur und dachte sich Reime auf ein großes Erlebnisbad im Süden der Stadt aus. Dabei hatte er noch Glück gehabt in der Agentur, in der auch seine Agneta arbeitete, unterzukommen. Agneta, nach dieser Sängerin aus den 70er Jahren. Ihre Eltern hatte die Sängerin sehr verehrt. Er hatte von Werbung keine Ahnung und er hasste die Werbung. Aufgrund seines Talentes hatte er die Stelle auf jeden Fall nicht bekommen, sondern weil der Chef Björn hieß und scharf auf Agneta war. Na egal, Stelle ist Stelle, auch wenn er das tägliche Anbaggern seiner Agneta nicht leiden konnte.
Für heute hatte er auf jeden Fall genug. Er räumte seinen Schreibtisch auf, stellte den Stuhl an den Tisch und machte sich auf den Weg nach Hause. Die Blicke seiner Kollegen bohrten sich in seinen Rücken, pünktlich die Agentur zu verlassen, galt als Verrat. Fabio war das wurstegal. Er besorgte noch etwas Gemüse, Wein, Brot und Speck für das Abendessen und schlenderte gemütlich nach Hause.
Ein kleines Tal lässt einen weiteren Blick zu, der Wald etwas lichter und hundert Schritte entfernt das Forsthaus am Dosso Spirano. Große Pause.
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von Navene über den Dosso Spirano nach Malcesine
Wir haben uns jedenfalls entschlossen den Bus 8:30 Uhr Richtung Riva zu nehmen, weil die Schüler dann schon alle weggeschlossen sind und die meisten Touristen noch beim Frühstück sitzen.
Am Ortsrand von Malcesine stiegen fünf deutsche Touris (3 Männer, 2 Frauen) ein, alle mit den gleichen (nur die Farben waren unterschiedlich) Outdoorjacken eines bekannten Herstellers. 3,50 € will der Busfahrer pro Fahrgast bis zum Ziel haben. Der Erste der Truppe verwickelt den Fahrer in eine Debatte über den Fahrpreis. Einige Tage vorher habe er nur 3,30 € bezahlt. Die Debatte wird zunächst auf Deutsch, dann auf Englisch geführt, obwohl der Fahrer ganz offenkundig nur einige Brocken der beiden Sprachen kann und nichts versteht. Nach einiger Zeit sieht der Diskutierer die Sinnlosigkeit seiner Beschwerde ein und meint abschließend, zu wem auch immer, dass der Fahrpreis wohl von Tag zu Tag und von Fahrer zu Fahrer wechsle. Seltsam, ich bezahle immer den gleichen Preis für dieselbe Strecke.
Wenige Minuten später, in Navene stiegen wir aus und verließen die Touristengruppe mit ihren Fahrpreisproblemen.
Navene ist nicht gerade eine Stadt und so trafen wir so früh am Morgen nur eine alte Frau auf dem Weg zum Bäcker und eine schwarze Katze, die uns nicht mochte. Am Ende des Ortes stiefelten wir an einer öden, anscheinend seit einigen Jahren nicht mehr benutzten Ferienanlage vorbei und ab in den Wald.
Bald tauchte das Schild des ‚Parco Gardesana Orientale‘ (wenn sie genau hinsehen: im Naturpark darf man die Giftschlangen nicht mit Stöckelschuhen ärgern; sehr löblich das) auf und der Bewuchs wurde immer dichter. Wir hatten gehofft, häufiger einen Blick auf den See und die Ortschaften am Ufer werfen zu können, aber kaum mal eine Lücke, statt dessen dichter, weitläufiger Baumbewuchs, also nicht das, was man mal eben mit zehn Leuten und ein paar Motorsägen in Ordnung bringen könnte.
Die Wanderung ist wenig anspruchsvoll, breite gepflegte Wege und nur gelegentlich ein Stein- oder Geröllfeld. Nach etwa einer halben Stunde waren wir am ersten Abzweig, jetzt nach links, Richtung Norden. Der Weg stieg sanft an und so gingen wir gemächlich voran. Einige Vögel zetern und warnten die Verwandtschaft vor unserer Anwesenheit.
„Was träumst du?“
„Ach nichts besonders, ich lese gerade die Vogelscheuche von Tieck und da tauchen nach einigen Seiten Elfen und Kobolde auf und weil wir hier gerade durch den Wald laufen, linse ich ab und zu ins Unterholz, ob sich da oder dort drüben, bei den Farnen nicht ein Kobold unseren Blicken entziehen will. Wer einen Kobold sieht, der darf ihm auch Befehle geben, heißt es.“
Sie lächelte.
„Ein Märchen?“
„Der Tieck? Nein, eigentlich nicht. Es ist eine Gesellschaftssatire. Im doppelten Sinn: zu einen geht es um eine literarische Gesellschaft, die von einer von Kobolden oder waren es Elfen? zum Leben erweckten Vogelscheuche geführt wird, zum anderen um die Funktionsweise von Gesellschaft überhaupt.“
„Wie? Eine Erzählung mit märchenhaften Elementen?“
„Ja, Hintergrund bzw. Anlass ist wohl, dass sich Ludwig Tieck über eine Literarische Gesellschaft , und ihre literaturpolitischen Ansichten so geärgert hat, dass er sie auf diese Weise auf den Arm genommen hat. Und da sie wohl sehr hirnrissige Ansichten vertreten haben, kam er auf die Idee, das Wirken von Kobolden dafür verantwortlich zu machen. Ein grandioser Spaß. Na, und da er auch ein wunderbarer Schriftseller war, war ihm auch klar, dass solche Ansichten nicht von ungefähr kommen, sondern etwas mit der historischen Situation und der Gesellschaft zu tun haben. Er hat sich dann also auch seinen Frust über die politische Lage von der Seele geschrieben.“
Wir gingen weiter. Wie war das noch mal gleich, dachte ich bei mir, die Stelle an der der Kobold Puck (ja bei Shakespeare kommt er auch vor, der Puck.) durch die Gerichtsszene irrlichtert und dem durchreisenden Prinzen erläutert, dass die, aufgrund bestimmter Umstände zum Leben erweckte Vogelscheuche, für die Staatskunst multifunktionale Fähigkeiten erlangt habe:
„Glauben Sie mir, er kann Ihnen, so, wie er da liegt, in einem Umsehn, Constitutionen aller Art, und für alle Provinzen und Reiche und Umstände machen. Mit einer Kammer, oder mit zweien, populäre, demokratische, monarchische oder oligarchische, im aristokratischen Sinn oder im liberalen, mit Repräsentanten nach Geldeswerth oder Korporationen, hierarchisch und völlig antimonarchisch, mit und ohne Sektionen, mit Juden, mit und ohne Pairs. Sektionen, Assisen , Wahlbezirke, öffentliche Ankläger, Jury, nebst Cultur und Agricultur, Cultus und Menschenmenge, Dreifelder-Wirthschaft und Brache, alles, alles liegt wie Würfel und durcheinander geschüttete Worte vor den Augen seines Geistes, er darf nur wie zufällig hinein greifen, und er wird immer das Richtige erwischen.“ (S. 426)1835 als die Novelle geschrieben wurde, waren in Deutschland (bzw. Preußen, Österreich oder der deutsche Bund) heftige politische Debatten en vogue. Zu keiner Zeit wurde mehr und heftiger debattiert, über Politik und Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft.
Ob das zu gründende Deutschland eines mit oder ohne Preußen oder Österreich oder mit beiden sein sollte. So, als ob das in einer Diskussion festzulegen wäre und es wurde gerungen, um das, was eigentlich deutsch sei, wer weiß das schon so genau. Etwas später dann, auf den Germanistentreffen, meinte man so allerlei herausgefunden zu haben, mit Schleswig oder mit Holstein oder mit beiden?
Es wurde debattiert, ob dem gemeinen Volk denn überhaupt das Stimmrecht zuerkannt werden könne? Eigentlich sind doch nur die gebildeteren Stände in der Lage über das Wohl und Wehe der Nation abzustimmen?
„Wenn du vor dich hin träumst, fliegst du irgendwann noch mal auf die Schnauze.“
„Aber nein, hier ist der Weg doch nicht zu verfehlen, nur etwas geröllig. Wenn es schwieriger wird, erwache ich schon rechtzeitig.“
„Na gut.“
Eine Erzählung, dachte ich bei mir, die märchenhafte Elemente mit einschließt, ist eine hübsche Idee, das müsste man auch mal ausprobieren. Da spielen wir mal ein bisschen mit herum. Im ernsten Ton würde das wohl nicht funktionieren? Hm? Nein! Irgendwelche Wunder, die immer wieder geschehen? Oberammergau in der Großstadt? Nein, das nimmt einem keiner ab, oder als Kriminalgeschichte? Hm, hm, hm? Ein Art Tatort mit Hexen? Oder Riesen? Quatsch, zu weit von den üblichen Leseerwartungen weg. Oberammergau meets Berlin; first we take Oberammergau and then we take Berlin? Der Herrgottsschnitzer von Oberammergau kommt nach Berlin? Na ja, jetzt drücken wir Oberammergau mal aus der Phantasie. Dieses Lied, wie ging das noch? war das im Blauen Bock? Wann habe ich eigentlich das letzte Mal den Blauen Bock gesehen, das muss, ach das war noch, bevor Heinz Schenk den Blauen Bock übernommen hatte? Also diese Lied, wie ging das noch mal: ‚Wenn in Oberammergau oder in Unterammergau, …‘ Hm, außer dem Refrain ist mir nichts in Erinnerung geblieben. Quatsch, weg damit.
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kann man auch im Ausland bewundern.
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An der Bushaltestelle hatten wir das Plakat mit der Ankündigung gesehen.
Vivaldi höre ich zu Hause eher selten, aber in den Ferien, am Gardasee, in einer mittelalterlichen Burg bzw. fast schon im Freien? Klar. Und Benacus Chamber Orchestra hört sich ja seriös an. Ziemlich seriös, oder?
Der Reiseführer klärte dann darüber auf, dass die Römer den Gardasee Lacus Benacus nannten (wahrscheinlich). Himmel Hilf, ein Schülerorchester? Nein, so schlimm war es nicht.
Herbstlich war es an diesem Abend, etwas windig, aber nicht regnerisch. Eigentlich ein schöner Abend und wir dachten, dass zwei Stunden in einer alten Burg bei klassischer Musik ein gelungener Abschluss unseres Tages werden würde.
Wir waren etwas zu früh dran, die beiden netten Mitarbeiter der Stadtverwaltung bauten noch ihren Tisch auf, mussten die Programme, die Abendkasse, die Eintrittskarten, usw. auspacken und auslegen. Die Ankündigungen der nächsten Konzerte mussten noch an Tisch und Wehrmauern befestigt werden, aber nach einigen Minuten war alles bereit und wir konnten Karten kaufen und den Burgweg hinauf die wenigen Schritte bis zum überdachten Hof machen.
Noch nicht sehr viele Zuhörer. Wo ist ein guter Platz? Da vorne rechts.
Wir setzten uns. Ein Windstoß blies uns die Jacken hoch. Doch etwas kalt hier so direkt neben der Mauer, zumal anscheinend der Wind heute Abend dauerhaft vom See an den Felsen entlang in den Hof blasen wollte. Na gut, dann auf die andere Seite des Hofes.
Besser, viel besser, kaum Windböen. Das Zelt füllt sich langsam. Erstaunlich wenig Deutsche, dafür viele Briten und Amerikaner. Die Deutschen stellen zwar zwei Drittel der Touristen, hier im Konzert liegt ihr Anteil bei etwa 10% bis 15%, ein kulturloses Volk diese Deutschen.
Ein Windstoß bringt das Dach zum flattern, die Halteseile dehnen sich unter hellem Seufzen. Die Pylone, an denen das Zeltdach befestigt sind geben anscheinend etwas nach. Na ja.
Die Musiker betreten die Bühne, das Publikum fröstelt und spendet Beifall.
Eine eloquente Dame des Fremdenverkehrsamtes begrüßt das Publikum und erzählt ein wenig über die Geschichte der Konzerte, des Orchesters und dann noch ein paar Sätze zu Vivaldi. Ganz nett, ganz informativ.
Zunächst auf Italienisch.
Dann auf Deutsch.
Dann auf Englisch.
Wir klatschen Beifall und das Konzert beginnt mit dem Nachstimmen der Instrumente.
Pling, pling, pling.
Pling, pling, pling, pling.
Ein Windstoß droht die Notenblätter im Saal zu verteilen, die Musiker greifen hektisch nach den Blättern und passen ihre Wäscheklammern den aktuellen Windverhältnissen an.
Das Konzert beginnt.
Die Seile bemühen sich eine Art zusätzlichen Basso continuo Vivaldi an die Seite zu stellen. Irgendwie interessant.
Ein junger Mann mit Oboe betritt die Bühne und klemmt umständlich seine Noten an den Ständer.
Die Blätter fliegen auf der Bühne herum. Alle helfen beim aufsammeln. Hoffentlich kriegt er die Reihenfolge wieder hin. Geht es weiter?
In Bälde, zunächst muss dem Dirigenten und der ersten Geige die Hand geschüttelt werden.
Jetzt aber.
Nach fast jedem Takt müssen die Wäscheklammern umgesteckt werden, der Dirigent lächelt aufmunternd dem Oboenspieler und freundlich-entschuldigend dem Publikum zu.
Die Flötistin kommt mit dem Wind deutlich besser zurecht als der Mann mit der Oboe.
Pause. Wir haben sie nötig und die Musiker wohl auch. Zeit für eine Zigarette.
„A wengderl anstrengend ist es aber schon?“
„Es hat aber durchaus auch seinen Scharm.“
„Ja, Vivaldi im Sturmesbrausen.“
„Stimmt.“
„Der erste Geiger, wirft seine Tolle bei jeder Bewegung des Bogens nach hinten. Jung und egozentrisch muss man sein, wenn man ein berühmter erster Geiger werden will.“
„Stimmt.“
Wir gehen wieder in den Hof.
Es geht weiter.
Den folgenden Komponisten kannte ich nicht: Allesandro Marcello und das Concerto in do minore natürlich auch nicht
.
Zum Abschluss noch einmal Vivaldi.
Hebt das Dach ab?
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