Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 13
g. | Mittwoch, 11. September 2013, 07:51 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die OperKritik adeligen Kulturvergnügens, die Oper ist wahrlich keine moralische Anstalt.
Die Oper war das einzige Schauspiel in Banza, das sich hielt. Cedeef und Cisdisfisgisais, jener ein alter Mann, und dieser jung an Ruhm wie an Jahren, beides gepriesene Tonkünstler, arbeiteten wetteifernd für die lyrische Bühne. Diese beiden Originale, ein jeder hatte seine Anhänger. Nichtkenner und Graubärte hielten's mit Cedeef, junge Leute und Virtuosen mit Cisdisfisgisais; und die Kenner, alt und jung, hegten viel Achtung für alle beide.
Cisdisfisgisais, sagten diese, ist vortrefflich, wenn er gut ist, aber er schläft zuweilen, und wem widerfährt das nicht? Cedeef bleibt sich mehr gefestigt und gleichmäßig. Er ist voll von Schönheiten; doch wird man keine bei ihm antreffen, wovon sich bei seinem Nebenbuhler nicht auch Beispiele und auffallendere Beispiele finden ließen. Dieser hingegen hat Züge, die ihm eigentümlich sind, die man bei niemand antrifft als bei ihm. Der alte Cedeef ist ungekünstelt, natürlich, einfach, zuweilen zu einfach, das ist sein Fehler. Der junge Cisdisfisgisais ist eigenartig, glänzend, gekünstelt, gelehrt, zuweilen zu gelehrt, aber das ist vielleicht der Fehler seiner Zuhörer. Jener hat nur einen Anfangskniff, einen sehr schönen Anfangskniff, aber er wiederholt ihn bei jedem seiner Stücke. Dieser kommt von einem Gedanken in den andern, und man möchte jeden festhalten, um ihn wieder und wieder zu hören. An der Hand der Natur wandelt Cedeef die Pfade der Melodie; Nachdenken und Erfahrung ließen Cisdisfisgisais die Quellen der Harmonie entdecken. Wer wird je so richtig reden und solch ein Gewicht auf seine Worte legen, wie der Alte? Wer hingegen wird leichte Arien, wollüstige Weisen und ernste Symphonien schaffen wie der Junge? Cedeef allein versteht den Vortrag. Vor Cisdisfisgisais hatte niemand die zarten Abstufungen von der Zärtlichkeit zur Wollust, von der Wollust zur Leidenschaft, von der Leidenschaft zur Gemeinheit unterschieden. Einige Anhänger des letzteren behaupten sogar, Cedeefs Vortrag sei dem des anderen überlegen. Aber man sollte weniger auf die Ungleichheit ihrer Begabung hinweisen als auf die Verschiedenheit der Dichter, die sie verkörpert haben. »Lest nur, lest,« rufen sie in die Szene mit Dardono, »und ihr werdet die Überzeugung gewinnen, daß wenn man Cisdisfisgisais einen guten Text gibt, so wird er auch so reizende Szenen schreiben wie Cedeef. Dem mag sein, wie ihm will, zu meiner Zeit hielt sich das Publikum an die tragischen Kompositionen des ersten und drängte sich zu den komischen des letzten.«
Gerade damals war ein Meisterstück von Cisdisfisgisais auf die Bühne gebracht, das nur die wenigen Zuhörer eingeschläfert hätte, wenn die Favorite so neugierig gewesen wäre, es sich anzusehen. Zwar eine periodische Unpäßlichkeit der Kleinode kam seinen Neidern zu passe, und die Hauptdarstellerin mußte absagen. Die zweite, ihre Stellvertreterin, sang bei weitem nicht so gut, aber sie entschädigte durch ihr Spiel. Und nichts hielt den Sultan und die Favorite ab, das Schauspiel mit ihrer Gegenwart zu beehren.
Mirzoza war angekommen. Mangogul erscheint. Der Vorhang geht hoch. Man beginnt. Alles ging ausgezeichnet. Die Leistung der Sängerin Chevalier ließ ganz die sonstige Darstellerin Le Maure vergessen, und so kam man zum vierten Akte. Da, mitten im Chor, der dem Sultan zu lange dauerte und der auch die Favorite schon zum zweiten Male gähnen machte, kam Mangogul auf den Einfall, seinen Ring gegen alle Sängerinnen zu drehen. Nie sah man ein Bild von seltsamerer Komik auf der Bühne. Dreißig weibliche Gestalten verstummten auf einmal, sperrten das Maul weit auf und blieben in der theatralischen Stellung stehn, die sie angenommen hatten. Unterdessen gurgelten ihre Kleinode aus Leibeskräften, liederliche Stückchen, Burschenlieder, Bänkelsängerpossen, bekannte kleine Arien mit verkehrten Worten und mehr dergleichen, je dem Wesen einer jeden angemessen. Bei der hieß es: »Ach, liebe Frau Base, hört einmal.« Bei jener: »Wie, zum zwölften Male schon!« Hier: »Blasino, wißt, hat mich geküßt!« Dort: »Pater Cyprian sagt, was ficht Euch an?« Kurz, alle schrien durcheinander und machten einen so merkwürdigen und tollen Lärm, daß ein solcher Chor weder früher noch später nie erhört worden: »O du ... Blusius, wirst ... ficht Euch an ...«
(Hier wird das Manuskript ganz unleserlich.) Das Orchester geigte unterdessen lustig drauflos, und das Gelächter des Parterres, der Logen und der Galerie vereinigte sich mit dem Getöse der Instrumente und dem Gesang der Kleinode, um die Kakophonie vollkommen zu machen.
Einige Schauspielerinnen fürchteten, ihre Kleinode möchten ermüden, Dummheiten zu singen, und anfangen, sie zu sagen. Darum flüchteten sie hinter die Kulissen und kamen mit der Furcht davon. Denn Mangogul hielt sich überzeugt, daß das Publikum nichts Neues von ihnen erfahren würde, und zog seinen Ring zurück. Alsdann verstummten die Kleinode, das Gelächter hörte auf, das Theater ward ruhig, das Stück ging wieder an und nahm ein friedliches Ende. Der Vorhang fiel, der Sultan und die Sultanin fuhren weg, und die Kleinode unsrer Schauspielerinnen begaben sich dahin, wo man ihrer in andrer Absicht wartete, als um sie singen zu hören.
Dieser Vorfall erregte großes Aufsehn. Die Männer lachten, die Weiber erschraken, die Bonzen nahmen Ärgernis daran, und den Akademikern brummte der Kopf. Was sagte aber Guallonorone? Guallonorone triumphierte. Er hatte in seiner Abhandlung behauptet, die Kleinode würden dereinst auch singen. Jetzt hatten sie gesungen. Diese Erscheinung verwirrte seine Kollegen, ihm war sie ein neuer Lichtstrahl und befestigte vollends sein System.
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 12
g. | Montag, 9. September 2013, 06:55 | Themenbereich: 'Aufklärung'
„Das Spiel
Die meisten Damen, die sich mit der Mamimonbanda zum Spiel setzten, waren sehr eifrig darauf erpicht, das konnte man sehn, ohne so scharf zu beobachten wie Mangogul. Leidenschaft für das Spiel versteckt sich am wenigsten. Sie offenbart sich durch auffallende Zeichen beim Gewinn wie beim Verlust. »Woher kommt ihnen diese Spielwut?« sprach er zu sich selbst. »Wie können sie sich entschließen, die ganze Nacht hindurch um einen Pharaotisch zu sitzen und vor ängstlicher Erwartung eines Asses oder einer Sieben zu zittern? Dieser Wahnsinn beeinträchtigt ihnen Gesundheit und Schönheit, wenn sie welche besitzen, ganz zu schweigen von den anderen Unannehmlichkeiten, worein sie noch geraten werden. Ich möchte hier wohl noch einen seinen Streich spielen,« sprach er leise zu Mirzoza. »Was nennen Ihre Hoheit hier einen feinen Streich?« fragte die Favorite. »Ich drehe,« antwortete Mangogul, »meinen Ring gegen die ausgelassenste Spielschwester, ich frage ihr Kleinod aus, und dieses Sprachrohr warnt alle schwachen Männer, die töricht genug sind, ihren Weibern zu erlauben, die Ehre und das Glück ihres Hauses auf eine Karte oder auf einen Würfel zu setzen.«
»Der Gedanke gefällt mir sehr,« erwiderte die Favorite. »Aber wissen Ihre Hoheit, daß die Manimonbanda soeben bei ihrem Pagoden geschworen hat, sie wolle keine Gesellschaft mehr bei sich dulden, wenn sich die Engastrimathen noch ein einziges Mal in ihrer Gegenwart derartig vergessen.« – »Welch ein Wort nannten Sie, Wonne meiner Seele?« fragte der Sultan. »Die züchtige Manimonbanda bedient sich dessen,« antwortete die Favorite, »für alle, deren Kleinode reden können.« – »So hat es sicherlich ihr einfältiger Brahmine erfunden, der sich viel darauf zugute tut, daß er Griechisch kann und seine Muttersprache nicht versteht. Aber Manimonbanda und ihr Kapellan mögen mir's nicht übelnehmen, ich habe große Luft, Manillens Kleinod auszufragen; und es wäre wohl gut, daß ich mein Fragamt hier errichte zur Erbauung meines Nächsten.« »Glauben Sie mir, gnädigster Herr,« versetzte Mirzoza, »ersparen Sie der Großsultanin diesen Verdruß. Das können Sie tun, ohne daß Ihre und meine Neugier dabei etwas verliert. Versetzen Sie sich in Manillens Wohnung.« »Ihnen zu Gefallen will ich mich dahin begeben,« antwortete Mangogul. »Aber wann?« fragte die Sultanin. »Um Mitternacht,« sprach Mangogul. »Um Mitternacht spielt sie noch,« sagte die Favorite. »So wart' ich bis zwei Uhr morgens,« versetzte Mangogul. »Sie vergessen, gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza, »daß drei gerade die schönste Stunde für die Spielerinnen ist. Wollen Ihre Hoheit nur auf mich hören, so überraschen Sie Manille im ersten Schlafe, zwischen sieben und acht Uhr morgens.« Mongogul befolgte Mirzozens Rat und besuchte Manille um sieben Uhr. Ihre Dienerinnen brachten sie gerade zu Bette. Er schloß aus der Traurigkeit, die auf ihrem Gesicht lag, daß sie unglücklich gespielt habe. Sie ging auf und ab, stand still, sah in die Höhe, stampfte mit dem Fuß, drückte die Hand auf ihre Stirn und murmelte etwas zwischen den Zähnen, das der Sultan nicht verstand. Die Mädchen, die sie entkleideten, gaben ihr zitternd nach; sie brauchten viel Zeit, mit ihrem Dienst fertig zu werden, und erduldeten mancherlei Unwillen, der sich nicht blos in Worten äußerte. Endlich legte sich Manille schlafen, ihr ganzes Abendgebet bestand aus Verwünschungen gegen das verdammte As, das siebenmal hintereinander verloren hatte. Kaum waren ihre Augen verschlossen, als Mangogul den Ring gegen sie kehrte. Und ihr Kleinod erhob ein Klagegeschrei: »Ach! ich bin leider kaput und matsch!« Der Sultan lächelte, Ausdrücke des Spiels sogar von Manillens Kleinod zu hören. »Nie,« fuhr es fort, »spiel ich wieder gegen Abidul, er betrügt. Von Dares will ich auch nichts mehr wissen, er sprengt die Bank. Ismal ist ein wackrer Spieler, man kann seiner aber nicht habhaft werden. Mazulin war gut genug, ehe er durch Crissas Hände ging. Zulmis ist eigensinnig. Rica gutwillig, aber er sitzt auf dem Trocknen. Was mach ich mit Lazuli? Der spielt nicht hoch, wenn die schönste Frau von Banza vor ihm stände. Molli ist ein elender Gauner. Kurz, alle Spieler sind keinen Rechenpfennig wert, und man weiß nicht mehr, mit wem man sich einlassen soll.«
Nach dieser Jeremiade erzählte das Kleinod, wie sehr ihm von jeher mitgespielt worden, und wozu seine Gebieterin im Unglück zuweilen hatte greifen müssen. »Ohne mich,« sprach es »wäre Manille schon hundertmal ruiniert. Des Sultans Schatzkammer könnte die Schulden nicht abtragen, die ich bezahlt habe. Einmal verlor sie in einer Sitzung an einen Bankier und an einen Domherrn zehntausend Dukaten. Sie besaß nichts mehr als ihren Schmuck. Aber den hatte ihr Gemahl erst kürzlich ausgelöst, so daß sie ihn nicht von neuem dran wagen durfte. Doch sie bekam Karten in die Hand, und das Unglück sandte ihr eine Ahndung von Gewinnst, wie es immer tut, wenn es jemand zugrunde richten will. Man drang in sie, sich zu erklären. Manille blätterte die Karten durch, griff in ihre Tasche, von der sie sicherlich wußte, daß sie leer sei, nahm die Karten wieder vor, sah sie. von neuem an und sprach kein Wort. ›Was setzen Ihre Gnaden?‹ fragte der Bankier. ›Ich setze,‹ sagte sie, – ›ich setze mein Kleinod.‹ ›Wie viel gilt's?‹ fragte der Bankier. ›Hundert Dukaten,‹ antwortete Manille. Der Domherr stand auf. So viel schien ihm das Kleinod nicht wert. Der Bankier schlug ein. Manille verlor und bezahlte. Die törichte Eitelkeit, ein Kleinod von Stande zu besitzen, verblendete den Bankier. Er bot sich an, meine Gebieterin im Spiel freizuhalten, wenn ich seinem Vergnügen dienen wollte. Der Handel war gleich geschlossen. Aber Manille spielte hoch, und ihr Lieferant war nicht unerschöpflich, so sahen wir bald den Boden seiner Kasse.«
Meine Gebieterin hatte zum Pharao eine glänzende Spielgesellschaft eingeladen. Die ganze Bekanntschaft stand auf der Liste. Es sollten nur Golddukaten gesetzt werden dürfen. Wir rechneten auf unsers Liebhabers Börse. Aber am Morgen dieses großen Tages schrieb uns der Lump, er habe keinen Dreier und ließ uns in der größten Verlegenheit. Wir mußten uns heraushelfen und durften keinen Augenblick verlieren. Endlich ergaben wir uns einem alten Brahminen-Oberhaupt, dem wir einige Gefälligkeiten sehr teuer bezahlen ließen, um die er lange vergebens anhielt. Die Sitzung kostete ihm doppelt so viel, als die jährliche Einnahme seiner Pfründe.
Nach einigen Tagen kam der Bankier wieder zurück. Er wollte verzweifeln, wie er vorgab, daß die gnädige Frau ihn gerade nicht bei Kasse gefunden hatte. Er rechnete immer auf ihre Güte. »Da verrechnen Sie sich, mein Lieber,« antwortete Manille. »Es schickt sich nicht, daß ich Sie weiter empfange. Solange Sie imstande waren, mir zu borgen, wußte die Welt, warum ich Sie ertrüge. Jetzt, da Sie zu nichts gut sind, würde meine Ehre darunter leiden.«
Diese Rede verdroß den Bankier und mich auch, denn es war vielleicht der beste Junge in Banza. Er vergaß sich so weit, Manillen vorzuhalten, sie koste ihm mehr als drei Opernmädchen, die ihm viel mehr Vergnügen gemacht haben würden. »Ach!« rief er seufzend aus, »warum hielt ich mich nicht an mein kleines Wäschermädel? Die war närrisch in mich verliebt! Die war so glücklich, wenn ich ihr ein seidnes Tuch gab!« Manille fand keinen Geschmack an dem Vergleich, unterbrach ihn in einem Ton, vor dem er erbebte, und befahl ihm, sich augenblicklich zu entfernen. Der Bankier kannte sie und wollte lieber friedlich die Treppen hinuntergehn, als aus dem Fenster springen müssen.
Manille borgte in der Folge von einem andern Brahminen, der, wie sie sagte, sie im Unglück tröstete. Der Heilige ward der Nachfolger des Kaufmanns, und wir zahlten ihm mit gleicher Münze. Sie verlor mich noch öfter, und man weiß ja, daß Spielschulden die einzigen sind, die Leute von Welt bezahlen.
Trifft es sich, daß Manille gewinnt, so ist sie die tadelloseste Frau in Kongo. Das Spiel ausgenommen, ist alsdann ihr Betragen so musterhaft, daß man darüber erstaunt. Man hört kein böses Wort von ihr. »Ihre Tafel ist gut besetzt, ihre Putzhändlerin und ihre Leute sind gut bezahlt. Sie beschenkt ihre Bedienten, löst zuweilen ihre Kostbarkeiten ein und tut ihrem Hunde schön und ihrem Gemahl. Aber dreißigmal monatlich setzt sie alle diese liebenswürdigen Eigenschaften und ihr Geld auf ein Pique-As. Dies Leben hat sie geführt, wird sie führen, und der Himmel weiß, wie oft ich noch versetzt werde!«
Hier schwieg das Kleinod, und Mangogul ging schlafen. Man weckte ihn um fünf Uhr abends, und er begab sich in die Oper, woselbst er der Favorite versprochen hatte, sich einzufinden.“
Gesellschaftliche Bloßstellung als Erziehungsprogramm geht anscheinend zu weit und der Wert eines Beischlafs sinkt mit dem gesellschaftlichen Ansehen.
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 11
g. | Freitag, 6. September 2013, 07:14 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Frage und Antwort
„Während sich die Akademie mit der Redseligkeit der Kleinode beschäftigte, sprach man in Gesellschaften von nichts anderm, gestern und heute und viele Tage hintereinander. Der Gegenstand war unerschöpflich. Zu der Wahrheit gesellte sich die Lüge. Alles fand Glauben. Ein Wunder machte das andere wahrscheinlich. Die Unterhaltung lebte sechs Monate lang davon.
Der Sultan hatte nur drei Versuche mit seinem Ring angestellt, und doch erzählten sich die Hofdamen der Mamimonbanda, was die Kleinode einer Präsidentin und einer Gräfin gesprochen haben sollten. Die frommen Geheimnisse einer Betschwester waren dadurch an den Tag gekommen; viele Frauenzimmer, die nicht zugegen waren, sollten gleichfalls geplaudert haben, und der Himmel weiß, was man ihren Kleinoden in den Mund legte. Man sparte sogar nicht mit Zötchen. Von Tatsachen schritt man zu Betrachtungen. »Der Zauber,« sagte eine der Damen, »denn ein Zauber liegt auf den Kleinoden, versetzt uns allerdings in eine sehr peinliche Lage. Man muß ja immer besorgen, ein freches Gerede aus sich herausgehn zu hören!« – »Aber, gnädige Frau,« antwortete eine andre, »die Angst nimmt uns an Ihnen wunder. Wenn ein Kleinod nichts Lächerliches zu sagen hat, was liegt daran, ob es spricht oder schweigt?« – »Daran liegt so viel,« erwiderte die erste, »daß ich gern die Hälfte meines Schmuckes für Gewißheit gäbe, daß das meinige schweigen werde.« »Wahrlich,« versetzte die zweite, »wer die Verschwiegenheit der Leute so teuer erkauft, muß seine guten Gründe haben.« »Meine Gründe sind nicht besser, wie die jeder andern,« antwortete Cephire, »aber ich bleibe bei meinem Gebot. Meine Ruhe ist um zwanzigtausend Taler nicht zu teuer erkauft. Ich gestehe offenherzig, ich bin mir meines Kleinods ebensowenig sicher, als meines Mundes, und der hat mir in meinem Leben manchen Streich gespielt. Man berichtet mir alle Tage so viel unglaubliche Abenteuer, die ein Kleinod erzählt, bezeugt, haarklein geschildert haben soll, daß, wenn ich auch drei Vierteile davon abziehe, doch noch Schändliches genug übrigbleibt. Lügt mein Kleinod nur halb so viel als die andern, so bin ich verloren. Ist es nicht genug, daß unser Betragen von den Gefühlen unsers Kleinodes abhängt, muß auch unser guter Name auf seine Aussage gegründet sein?« »Ich gehe,« sagte die lebhafte Ismene, »auf diese unendlichen Erörterungen weiter nicht ein. Reden die Kleinode durch Brahma, wie mir mein Brahmine beweist, so wird Brahma ihnen nicht erlauben, zu lügen. Der bloße Zweifel wäre Gotteslästerung. Also rede mein Kleinod, wann und wie viel es will. Was kann es zu sagen haben?«
Und siehe da, es erhob sich eine dumpfe, gleichsam unterirdische Stimme, gleich einem Widerhall: »Vielerlei!« Ismene, die nicht ahnte, woher diese Antwort käme, ward empfindlich, stellte ihre Nachbarinnen zur Rede und vermehrte die Belustigung der Gesellschaft. Dem Sultan war ihr Irrtum willkommen, er verließ seinen Minister, mit dem er beiseite gesprochen hatte, und näherte sich ihr: »Sind Sie auch sicher, schöne Frau, daß nicht eine dieser Damen um Ihre Heimlichkeiten weiß, und daß diese Kleinode nicht so boshaft sind, Geschichten wachzurufen, dessen sich das Ihrige nicht mehr entsinnt?«
Mangogul wußte seinen Ring so geschickt zu drehen, daß er dadurch ein sonderbares Gespräch zwischen der Dame und ihrem Kleinode veranlaßte. Ismene war sich immer selbst genug gewesen, und hatte nie einer Vertrauten bedurft, darum antwortete sie dem Sultan: »Gnädigster Herr, alle Kunst der Lästerzungen, kommt bei mir zu kurz.« »Vielleicht!« antwortete die unbekannte Stimme. – »Vielleicht? wie das?« gab die über den beleidigenden Zweifel gekränkte Ismene zurück. »Was habe ich von Ihnen zu befürchten?« – »Alles, wenn sie soviel wüßten wie ich.« – »Und was wissen Sie?« – »Vielerlei, sag ich Ihnen.« – »Vielerlei ist gar nichts gesagt. Wollen Sie sich deutlicher erklären?« – »Gewiß.« – »Hab ich etwa Herzensangelegenheiten gehabt?« – »Nein.« – »Ränke? Abenteuer?« – »Allerdings.« – »Mit wem, bitte? Mit Stutzern? Mit Militärpersonen? Mit Senatoren? Einem Offizier?« – »Nein.« – »Mit Schauspielern?« – »Nein.« – »Oder mit meinen Pagen, meinen Bedienten, meinem Beichtvater? oder dem Sekretär meines Gemahls?« – »Nein!« – »Also Sie Aufschneider, da sind Sie mit Ihrer Weisheit zu Ende!« – »Noch nicht ganz!« – »Mit wem sollte ich denn also etwas vorgehabt haben? Und wann denn? Vor oder nach meiner Hochzeit? Antworten Sie, Frechling!« – »Ach, Madam, hören Sie auf zu fragen und zwingen Sie Ihren allerbesten Freund nicht zu um so schlimmeren Geständnissen!« – »Reden Sie nur, mein Lieber. Sagen Sie, sagen Sie alles; ich mach mir aus Ihnen so wenig, daß ich nicht einmal Ihre Indiskretion fürchte. Sagen Sie alles, was Sie wissen. Ich bitte, ich befehle!« »Was verlangen Sie, Ismene?« rief mit einem tiefen Seufzer das Kleinod. – »Die Huldigung der Tugend!« – »Nein, tugendhafte Ismene, so erinnern Sie sich nicht mehr des jungen Osmin, des Sangiac Zegris, Ihres Tanzmeisters Alaziel, Ihres Singmeisters Almura?« – »Das sind Lügen!« rief Ismene, »so durft ich mich gar nicht vergehn! Meine Mutter war viel zu wachsam! Wenn mein Gemahl hier wäre, der könnte bezeugen, wie er mich in der Hochzeitsnacht gefunden hat, so wie er es nur wünschen konnte.« – »Alcine ist Ihre Freundin,« antwortete das Kleinod.
»Eine so lächerliche und plumpe Beschuldigung, erwiderte Ismene, verdient nicht, daß man sich darauf einlasse. Ich weiß nicht, welcher Dame das Kleinod gehört, das so viel von mir wissen will, doch das bezeug' ich, meinem Kleinod ist kein Sterbenswort davon bekannt.« – »Und meines, gnädige Frau,« antwortete Cephire, »begnügt sich vollkommen damit, zugehört zu haben.« Die andern Damen versicherten eben das, und man setzte sich zum Spiel, ohne genau zu wissen, wer in dem obenverzeichneten Gespräch eigentlich das Wort genommen habe.“
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 10
g. | Mittwoch, 4. September 2013, 07:03 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die Sitzung dauert fort
„Noch waren Guallonorones Versuche nicht vorgelegt, und schon machte man ihm Einwürfe. Dies beweist, daß man seine Erklärung mehr scharfsinnig als gegründet fand. »Ist die Gabe der Sprache der Kleinoden natürlich,« fragte man, »warum warteten sie so lange, sich derselben zu bedienen? Freilich hat Brahma den Weibern eine gewaltige Redesucht eingeflößt; wenn er sich aber deswegen auch erbarmt, ihre Sprachwerkzeuge zu verdoppeln, so bleibt es billig befremdlich, daß sie dieses köstliche Geschenk der Natur so lange verkannten, oder vernachlässigten. Warum sprach jedes Kleinod nur einmal? Warum redeten sie alle nur über einen Gegenstand? Durch welchen Mechanismus geschieht es, daß ein Mund genötigt ist, zu schweigen, wenn der andere spricht? Zudem scheint diese Redseligkeit der Kleinode,« fügte man hinzu, »nach den Umständen zu urteilen, unter denen sie mehrenteils den Mund auftaten, und nach den Dingen, die sie vorbrachten – allerdings unwillkürlich zu sein. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Teile immer stumm geblieben wären, wenn die, welchen sie angehören, ihnen Stillschweigen hätten auferlegen können.«
»Guallonorone hielt es für seine Pflicht, diese Einwände zu widerlegen; und behauptete, die Kleinode hätten von jeher geredet, aber so leise, daß selbst ihre Besitzerinnen sie zuweilen kaum verstehen konnten. Daß sie in unsern Tagen lauter wurden,« sagte er, »ist kein Wunder; denn der Ton unsrer Unterhaltung ist so frei geworden, daß man über Gegenstände, die ihnen geläufig sind, ohne Unbescheidenheit und Beleidigung reden darf. Sind sie aber nur einmal laut geworden, so muß man daraus nicht folgern, daß es zum ersten- und letztenmal gewesen sei. Schweigen und verschwiegen sein, ist ein großer Unterschied. Reden alle nur über einen Gegenstand, so erstrecken sich ihre Begriffe, vielleicht nur auf einen Gegenstand. Die nicht geredet haben, werden wohl noch reden. Schweigen sie aber, so haben sie eben nichts zu sagen, oder sind mangelhaft gebildet, oder es fehlt ihnen an Begriffen und Ausdrücken. Mit einem Worte,« sagte er, »will man annehmen, daß Brahmas Barmherzigkeit den Weibern ein Mittel gewähren konnte, ihrer gewaltigen Redesucht Genüge zu leisten, indem er ihre Sprachwerkzeuge vermehrte, so muß man auch gestehn, daß seine Weisheit den Übeln vorbauen durfte, die aus dieser Wohltat entspringen konnten, und das hat sie dadurch getan, daß der eine Mund genötigt ist, zu schweigen, indes der andre spricht. Ist es nicht schon peinlich genug für uns, daß unsre Weiber alle Augenblicke andern Sinnes werden? Was sollten wir anfangen, wenn Brahma ihnen das Vermögen gegeben hätte, Ja und Nein zu gleicher Zeit zu sagen? Überdem ist uns die Sprache nur verliehen, um uns verständlich zu machen: wie aber sollten die Frauenzimmer, die einander mit einem Munde kaum zu Worte kommen lassen, eine der andern verständlich werden, wenn sie mit zweien redeten?«
Guallonorone hatte vieles beantwortet, aber er glaubte alles beantwortet zu haben, und das hatte er nicht. Man setzte ihm hart zu, und er war in Gefahr, nachgeben zu müssen, als der Naturforscher Cimonaze seine Partei ergriff. Nun wurde aus dem Wortstreit ein Getümmel. Man wich von der Hauptsache ab, man verlor sich, man kam auf das Thema zurück, man verirrte sich von neuem, man ward heftig, man schrie, man schrie und schimpfte, und die akademische Sitzung nahm ein Ende.“
Die Mad Scientists verlieren sich im allgemeinen Geplapper. Ein ähnlicher Topos wurde auch von Jean Paul in der zwölften Fahrt (?) des Seebuches ausgeführt.
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 9
g. | Montag, 2. September 2013, 07:12 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Akademie der Wissenschaften
„Mangogul hatte sich kaum von den Klosterjungfern entfernt, als das Gerede durch ganz Banza ging, die Nonnen im Stift Coccix-Bramu redeten vermittelst ihrer Kleinode. Husseims gewaltsame Verfügung gab diesem Gerücht Glauben, und die Gelehrten wurden aufmerksam darauf. Die Erscheinung bestätigte sich, und die Freigeister fingen an, durch die Eigenschaften der Materie eine Tatsache erklären zu wollen, von der sie anfangs behauptet hatten, sie sei unmöglich. Das Geschwätz der Kleinode gab Veranlassung zu einer Menge vortrefflicher Aufsätze, und dieser wichtige Gegenstand bereicherte die Schriften der Akademie mit mehreren Abhandlungen, die man als die höchsten Leistungen des menschlichen Verstandes betrachten kann. Die Akademie der Wissenschaften zu Banza zu bilden und zu verewigen, hatte man berufen und berief man noch zu Mitgliedern die vorzüglichsten Gelehrten aus Congo, Monoemugi, Beleguanza und den umliegenden Reichen. Sie umfaßte unter verschiedenen Benennungen die Männer, die sich im Fach der Naturgeschichte, der Naturlehre, der Mathemathik bereits hervorgetan oder Hoffnung gegeben hatten, daß sie sich hervortun würden. Dieser unermüdliche Bienenschwarm arbeitete rastlos, Wahrheiten einzusammeln, und beschenkte das Publikum, jedes Jahr, mit einem Bande Entdeckungen, der die Frucht ihres Fleißes war.
Sie war damals in zwei Parteien gespalten, die eine stritt für die Wirbel, die andere für die anziehende Kraft. Olibri, ein geschickter Meßkünstler und großer Naturkundiger, stiftete die Sekte der Wirbler. Circino, ein geschickter Naturkundiger und großer Meßkünstler, lehrte zuerst die anziehende Kraft. Olibri und Circino machten sich beide zur Aufgabe, die Natur zu erklären. Olibris Grundsätze haben auf den ersten Anblick etwas verführerisch Einfaches. Sie erklären im allgemeinen die hauptsächlichsten Erscheinungen, widersprechen ihnen aber im besonderen. Circino seinerseits scheint hinwiederum von einer absurden Voraussetzung auszugehn, indessen ist nur der Anfang bei ihm schwer. Die Untersuchung gerade der kleinsten Einzelheiten, die Olibris System über den Haufen wirft, befestigt das seinige. Er führt einen Pfad, der zwar beim ersten Schritt dunkel ist, der sich aber immer mehr erhellt, je weiter man vordringt. Olibris Bahn hingegen ist am Eingang sehr erleuchtet, verfinstert sich jedoch immer mehr. Die Philosophie des letzteren verlangt weniger Studium, als Fassungskraft. Wer ein Schüler des ersteren werden will, muß viel Studium aufwenden und viel Fassungskraft besitzen. Olibris Schule betritt man ohne Vorbereitung, jeder mann hat den Schlüssel dazu. Circinos Schule steht nur den ersten Meßkünstlern offen. Olibris Wirbel sind jedem Verstande faßbar. Circinos Schwerkraft ist nur den Algebraisten erster Ordnung verständlich. Also kommen immer hundert Anhänger der Wirbeltheorie auf einen Anhänger der Attraktionslehre, und ein Attraktionär wiegt also immer hundert Wirbler auf. So stand es auch um die Akademie der Wissenschaften von Banza, als sie die Materie der redseligen Kleinode untersuchte.
Man wußte nicht, wie man der Erscheinung habhaft werden sollte. Sie widersprach der Lehre von der anziehenden Kraft. Der Äther drang dahin nicht. Vergebens forderte der Präsident die Herren Mitglieder auf, ihre Meinungen zu eröffnen; ein tiefes Schweigen herrschte in der Versammlung. Endlich erhob sich der Wirbler Persiflo, der schon eine Menge Abhandlungen über Gegenstände geschrieben hatte, von denen er nichts verstand: »Die Sache, meine Herren, könnte gar wohl mit dem Weltsystem zusammenhängen. Ich vermute sogar, daß sie im allgemeinen auf dieselbe Ursache zurückzuführen sei, welche Ebbe und Flut bestimmen. Bemerken Sie, ich bitte, daß wir heute Vollmond haben und Tag- und Nachtgleiche. Doch bevor wir auf meiner Hypothese weiter bauen, heißt es abwarten, was die Kleinode in den nächsten vier Wochen sagen werden.«
Man zuckte die Achseln, man mochte ihm nicht einwenden, er rede ja selbst wie ein Kleinod; aber er ist ein durchdringender Kopf, er merkte gleich, daß man es dachte.
Der Anziehungsmann Reciproco nahm nun das Wort: »Meine Herren, ich habe eine Berechnungs-Tabelle über die mutmaßliche Höhe der Flut, in allen Häfen des Königreichs, entworfen. Freilich widersprechen die bisherigen Beobachtungen meinen Berechnungen ein wenig: hoffentlich aber wird dieser kleine Übelstand wieder wettgemacht werden durch den Vorteil der Entdeckung, daß die Redseligkeit der Kleinode mit der Erscheinung der Ebbe und Flut zusammentrifft.«
Ein dritter stand auf, näherte sich der schwarzen Tafel, entwarf eine Figur mit Kreide und sagte: »Diese hier sei das Kleinod A.B. ...« Hier bringt uns die Unwissenheit der Übersetzer um einen Beweis, den der gelehrte Afrikaner sicherlich der Länge nach aufgezeichnet hatte. Es gibt eine Lücke von mehr als zwei Seiten, darauf folgt: »Reciprocos Gründe schienen unwiderleglich, und nach den Proben seiner Dialektik hielt man es für ausgemacht, es sei ihm ein leichtes, dereinst darzutun, die Weiber müßten heutzutage vermittelst ihrer Kleinode reden, weil sie von jeher vermittelst ihrer Ohren gehört hätten.«
Endlich sprach Professor Guallonorone aus der höflichen Zunft Her Zunft der Anatomiker: »Meine Herren, ich halte dafür, es wäre besser getan, sich mit einer Erscheinung gar nicht abzugeben, als ihre Ursachen in luftigen Hypothesen aufzusuchen. Was mich betrifft, so hätt' ich mein Maul gehalten, wenn ich Ihnen nichts als windige Vermutungen auftischen könnte; aber ich habe geprüft, studiert und nachgedacht. Ich habe Kleinode im Paroxysmus beobachtet und habe mit Hilfe der Kenntniß dieser einzelnen Teile und mittelst des Experiments die Gewißheit erlangt, daß das, was wir auf Griechisch Delphos nennen, alle Eigenschaften der Luftröhre besitzt; und daß es folglich Weiber geben muß, die ebensogut mit ihrem Kleinode reden können, wie mit ihrem Munde. Ja, meine Herren, dieser Delphos ist sowohl ein Saiten-Instrument als ein Blase-Instrument, aber weit mehr ein Saiten-Instrument als Blase-Instrument. Wenn die äußere Luft darauf stößt, so verrichtet sie das Geschäft eines Bogens auf den sehnigen Fasern an beiden Klappen, die ich lautfähige Saiten oder Bänder nennen möchte. Durch die sanfte Erschütterung der Luft sprechen die lautfähigen Saiten an, und wie sie schneller oder langsamer erzittern, so sind auch die Töne verschieden, die sie von sich geben. Ein so geschaffenes Kleinod wird entweder lallen, oder reden, oder vielleicht gar singen.
Da es aber nur zwei lautfähige Saiten oder Bänder gibt, und beide ohne allen Zweifel von gleicher Länge sind, so entsteht die Frage: wie können sie wohl hinreichend sein, die Menge tiefer oder hoher, starker oder schwacher Töne hervorzubringen, deren die menschliche Stimme fähig ist? Ich fahre fort, dieses Organ aus der Vergleichung mit einem musikalischen Instrument zu erklären, und antworte: daß die Ausdehnung und Zusammenziehung beider Saiten gar wohl imstande sei, diese Wirkung zu veranlassen.
Es ist unnötig, meine Herren, in einer Versammlung von Gelehrten Ihres Ranges die Fähigkeit dieser Ausdehnung und Zusammenziehung zu beweisen, aber daß der Delphos vermittelst solcher Ausdehnung und Zusammenziehung die tiefen und hohen Töne, kurz alle Veränderungen der Stimme und die ganze Singleiter durchzugehen imstande sei, das ist eine Tatsache, die ich mir schmeichle, Ihnen einwandfrei darlegen zu können. Ich lade Sie ein, diesem Versuch in Person beizuwohnen. Ich werde die Ehre haben, meine Herren, Delphos und Kleinode in Ihrer Gegenwart, sprechen, reden und singen zu lassen.«
So sprach Guallonorone, und er hoffte nichts Geringeres, als die Kleinode eben so berühmt zu machen, als es die Luftröhren durch die Versuche eines seiner Kollegen geworden waren, dessen Entdeckungen der Neid vergebens bekämpfen wollte.“
Die Wissenschaft, die Wissenschaft schafft Wissen. Es widerspricht sich halt ein wenig.
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 8
g. | Donnerstag, 29. August 2013, 07:08 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Das Nachtmahl
„Es ward aufgetragen, man speiste, man scherzte auf Monimens Kosten; alle Damen sagten ihr auf den Kopf zu, ihr Kleinod habe zuerst geredet. Sie würde diesem Bündnisse erlegen gewesen sein, wenn der Sultan nicht ihre Verteidigung übernommen hätte: »Monime hat vielleicht ebenso viele Liebhaber als Zelmaide,« sprach er, »nur halt' ich ihr Kleinod für verschwiegener. Überdem, wenn sich Mund und Kleinod eines Frauenzimmers widersprechen, wem soll man glauben?« »Gnädigster Herr,« antwortete ein Höfling, »ich weiß nicht, was die Kleinode in der Folge sagen werden; bis jetzt aber haben sie nur ein Kapitel berührt, das Ihnen sehr geläufig ist. Solange sie die Klugheit beobachten, um von dem zu reden, was sie verstehn, glaub ich ihnen wie Orakelsprüchen.« »Es gibt zuverlässigere Orakel,« sagte Mirzoza. »Madam,« versetzte der Sultan, »was könnte diese bewegen, eine Unwahrheit zu sagen? Nur ein Wahn von Ehre vermöchte sie dahin zu bringen, aber solch einen Wahn hat ein Kleinod nicht. Das ist nicht der Ort, wo Vorurteile gedeihen.« »Ein Wahn von Ehre!« rief Mirzoza. »Vorurteile! Wäre Ihre Hoheit den nämlichen Unzuträglichkeiten ausgesetzt wie wir, Sie würden fühlen, daß unser guter Name kein leerer Wahn ist.« Diese Antwort der Sultanin machte alle Damen dreist; sie behaupteten, es sei überflüssig, sie auf eine gewisse Probe zu stellen. Mangogul gestand, diese Probe sei wenigstens immer sehr gefährlich.
Unter solchen Gesprächen kam der Champagner, man trank, man fühlte ihn, die Kleinode wurden warm. Diesen Augenblick hatte Mangogul ausersehn, mit seiner Tücke wieder anzufangen. Er drehte seinen Ring gegen eine junge fröhliche Dame, die ihm zur Seite und ihrem Gemahl gegenübersaß. Da erhob sich unter dem Tisch eine klagende Stimme, schwache, weinerliche Töne: »Ach! ich bin am letzten! ich kann nicht mehr! Ich sterbe!« »Bei der Pagode Pongo Sabiam!« rief Husseim, »da spricht das Kleinod meiner Frau! Was kann es zu sagen haben ...?« »Das werden wir gleich hören,« antwortete der Sultan. »Erlauben Sie mir, gnädigster Herr,« versetzte Husseim, »seiner Rede aus dem Wege zu gehn. Denn wenn ihm irgendwelche Dummheiten entschlüpften, was sollte Eure Hoheit davon denken ...« »Ich denke, Sie sind verrückt,« erwiderte der Sultan, »wenn Sie sich über das Geschwätz eines Kleinodes beunruhigen. Was es sagen wird, wissen wir bereits zum größten Teil, und das Weitere erraten wir. Bleiben Sie sitzen und suchen Sie sich zu unterhalten.«
Husseim setzte sich wieder, und das Kleinod seiner Frau plauderte wie eine Elster; »Soll ich den vierschrötigen Valento ewig behalten?« sprach es. »Andre Männer hören doch einmal auf, aber der ...« Bei diesen Worten geriet Husseim in Wut, ergriff ein Vorlegemesser, stürzte herüber auf die andere Seite der Tafel und hätte seine Frau durchbohrt, aber die Nachbarn hielten ihn zurück. »Husseim,« sagte der Sultan, »wenn Sie toben, versteht man kein Wort. Ist denn das Kleinod Ihrer Frau allein nicht gescheut? Was würde aus diesen Damen werden, wenn ihre Männer so dächten wie Sie! Sie geraten um ein elendes bißchen Abenteuer in Verzweiflung? Weil Valento nicht wieder aufhört. Bleiben Sie ruhig an Ihrem Platze, finden Sie sich in Ihr Schicksal, wie ein kluger Mann. Mäßigen Sie sich und bedenken Sie, was Sie einem Fürsten schuldig sind, der Sie teil an seinen Vergnügungen nehmen läßt.« Husseim unterdrückte seine Wut, stützte sich auf eine Stuhllehne, verschloß die Augen und verdeckte das Gesicht mit der Hand. Der Sultan drehte unmerklich seinen Ring, das Kleinod fuhr fort: Valentos junger Bursche würde mir besser gefallen, aber wer weiß, wann er anfangen wird? Bis dieser beginnt und jener zu Ende kommt, ergeb' ich mich in Geduld dem Brahminen Egon. Er ist häßlich, das ist wahr; aber weiß doch aufzuhören und wieder anzufangen. »O, die Brahminen sind geschickte Leute!«
Bei diesem Ausruf des Kleinods errötete Husseim, daß er sich um ein Weib hatte betrüben können, die es nicht verdiente, und stimmte in das Gelächter der Gesellschaft mit ein. Aber seiner Gemahlin schenkte er darum nichts. Da die Tafel aufgehoben war, fuhr jedermann nach Hause, Husseim aber brachte seine Frau in ein Nonnenkloster und ließ sie dort einsperren. Mangogul hörte von ihrer Strafe und besuchte sie. Er fand das ganze Haus beschäftigt, sie zu trösten, oder vielmehr, die Ursache ihrer Verbannung von ihr herauszulocken. »Ich bin einer Kleinigkeit wegen hier,« sagte sie. »Gestern abend gab uns der Sultan ein vertrauliches Nachtessen. Der Champagner strömte, der Tokaier floß, niemand wußte mehr, was er sagte, und so fing auch mein Kleinod an zu schwatzen. Was es geredet haben mag, weiß ich nicht, aber mein Gemahl hat's ihm übel genommen.«
»Daran tut er sehr unrecht, gnädige Frau,« sagten die Nonnen; »wer wird über solche Lumperei böse werden? Wirklich? Ihr Kleinod hat gesprochen? Spricht es noch? Ach, wenn wir doch so glücklich wären, es sprechen zu hören! Das muß allerliebst witzige Einfälle haben.« Sie wurden erhört. Der Sultan drehte seinen Ring gegen die arme Eingesperrte, und das Kleinod dankte den Umstehenden für ihre Höflichkeit, versicherte aber übrigens, diese Gesellschaft sei ihm zwar ungemein erfreulich, doch würde es die eines Brahminen unendlich vorziehn. Der Sultan benutzte diese Gelegenheit, über das Leben der Nonnen einige Einzelheiten zu erfahren. Sein Ring befragte das Kleinod einer jungen Schwester, Namens Celeanthis, und das sogenannte Jungfernding beichtete zwei Gärtner, einen Brahminen und drei Kavallerieoffiziere. Es erzählte, wie es durch Hülfe einer Mixtur und zweier Aderlässe allem Ärgernis vorgebeugt habe. Zephirine gestand durch den Mund ihres Kleinods, sie verdanke dem Klosterverwalter den ehrenvollen Namen Mutter. Was aber den Sultan besonders in Erstaunen setzte, war, daß die wohlverwahrten Kleinode sich so unanständig ausdrückten und daß die Jungfrauen, denen sie angehörten, zuhörten, ohne zu erröten. Das brachte ihn auf die Vermutung, daß, wenn man in dieser Einsamkeit auch wenig praktische Übung habe, man doch im theoretischen Wissen sehr gut beschlagen wäre.
Um sich dessen zu versichern, drehte er seinen Ring gegen eine fünfzehn bis sechzehnjährige Novize. »Flora«, ließ sich ihr Kleinod vernehmen, »hat einen jungen Offizier mehr als einmal durchs Gitter mit dem Glase betrachtet. Ich weiß gewiß, er gefällt ihr. Das sagt mir ihr kleiner Finger.« – Arme Flora! Ihre Vorgesetzten verurteilten sie dafür zu zweimonatlichem Schweigen und Disziplin. Sie ordneten Gebete an, den Himmel zu bewegen, daß er die Kleinode des Stifts verstummen lasse.“
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g. | Dienstag, 27. August 2013, 07:18 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die Altäre
„Am andern Abend gab Mirzoza ein kleines Nachtmahl. Die Gäste versammelten sich zeitig in ihrem Gemach. Man war gern bei ihr, bevor sich das Schreckenszeichen des vorherigen Abends ereignete, für heute fand man sich ein, weil man es nicht ändern konnte. Alle Damen sahen verlegen aus und sprachen nichts als einzelne Worte. Sie saßen auf der Lauer und erwarteten jeden Augenblick, es werde sich irgendein Kleinod ins Gespräch mischen. Allen wässerte der Mund, Alcinens Unglück aufs Tapet zu bringen, aber keine wagte davon anzufangen. Nicht als ob ihre Gegenwart jemanden zurückgehalten hätte; denn sie blieb aus, obwohl eingeladen. Man vermutete, daß sie Kopfschmerzen habe. Endlich aber, sei es, daß man vielleicht die Gefahr weniger fürchtete, weil man den ganzen Tag hindurch nur Mäuler hatte reden hören, oder daß man sich nur dreist stellte: Das Gespräch, das einzuschlafen drohte, belebte sich auf einmal, sehr verdächtige Frauenzimmer bekamen wieder Haltung und Sicherheit, und Mirzoza fragte den Hofmann Zegris, ob es nichts Neues gebe: »Gnädige Frau,« antwortete Zegris, »die Vermählung des Aga Chazur mit der jungen Siberine, wovon man Ihnen Mitteilung gemacht hatte, ist rückgängig gemacht worden.« »Warum?« fragte die Favorite. – »Chazur will eine sonderbare Stimme am Nachttisch seiner Dame vernommen haben. Seit gestern wimmelt der Hof von Leuten, die die Ohren spitzen, um, ich weiß nicht was für Geständnisse zu erhaschen, die man gar keine Lust hat ihnen mitzuteilen.«
»Das ist ja toll,« sagte die Favorite. »Alcinens Unglück, wenn es überhaupt eins ist, ist noch gar nicht erwiesen. Noch hat man nicht ergründet ...«
»Gnädige Frau,« unterbrach sie Zelmaide, »ich habe Wort für Wort verstanden. Sie sprach, ohne den Mund aufzutun. Ihre Reden waren sehr deutlich. Auch ließ sich leicht erraten, woher diese befremdliche Stimme kam. Ich gestehe Ihnen, widerführe mir dergleichen, ich wäre auf der Stelle tot.«
»Tot?« versetzte Zegris. »Man überlebt wohl ärgere Dinge.« »Ärgere?« rief Zelmaide. »Was kann ärger sein, als wenn ein Kleinod zu schwatzen anfängt? Alsdann ist kein andrer Rat. Man darf entweder keinen Liebhaber mehr haben, oder man muß sich gefallen lassen, daß die ganze Welt diesen Liebhaber kennt.«
»Die Wahl ist wirklich traurig,« sprach Mirzoza. »Nein, gnädige Frau,« versetzte eine andre, »nicht so traurig, daß man sich endlich nicht darein finden könnte. Man läßt die Kleinode schwatzen soviel sie wollen, und geht seinen Weg fort, ohne das Gerede zu achten. Ob nun das Kleinod einer Dame plaudert oder ihr Liebhaber, was liegt daran? Weiß man deswegen weniger, was man weiß?«
»Sie haben recht,« sagte eine dritte. »Ich glaube sogar, wenn eins von beiden sein muß, so ist es besser, daß die Welt die Heimlichkeiten einer Dame durch ihr Kleinod erfahre, als durch ihren Liebhaber.« »Das ist ein sonderbarer Einfall,« sagte die Favorite. »Eine große Wahrheit,« erwiderte die, welche ihn gewagt hatte. »Bedenken Sie nur, in der Regel bricht der Liebhaber seine Verschwiegenheit, weil er mißvergnügt ist, und dann gerät er leicht in Versuchung, aus Rache zu übertreiben: aber ein Kleinod spricht ohne Leidenschaft und sagt nichts weiter als was wahr ist.«
»Ich meines Orts bin dieser Meinung nicht,« redete Zelmaide dazwischen. »Die Wichtigkeit der Aussagen schadet der Schuldigen weniger, als die Gültigkeit des Zeugnisses. Entehrt ein Liebhaber durch sein Geschwätz den Altar, auf welchem er opferte, so ist er eine Art Gotteslästerer, der keinen Glauben verdient: aber erhebt der Altar selbst seine Stimme, was kann man antworten?«
»Daß er nicht weiß, was er spricht,« versetzte die zweite. Monima hatte bisher nicht geredet, jetzt brach sie das Schweigen, und sagte nachlässig und mit gedehntem Ton: »meinetwegen mag mein Altar, wenn er doch Altar heißen soll, reden oder schweigen; ich fürchte seine Worte nicht.«
Indem trat Mangogul herein und hörte Monimens letzte Worte. Er drehte seinen Ring gegen sie, und ihr Kleinod fing an zu schreien: »Glauben Sie ihr nicht, sie lügt!« Ihre Nachbarinnen sahn einander an und fragten sich, wem das Kleinod gehöre, welches geantwortet habe? »Mir nicht,« sagte Zelmaide; »mir auch nicht,« sprach eine andre; »mir auch nicht,« sagte Monima; »mir auch nicht,« sagte der Sultan. Alle Damen, die Favorite mit eingeschlossen, legten sich aufs Leugnen.
Der Sultan benutzte diese Ungewißheit und wandte sich zu den Damen. »Sie haben also Altäre?« fragt' er; »sind sie auch wohl geehrt?« Und indem er sprach, wandte er schnell hintereinander seinen Ring gegen alle Damen, Mirzoza ausgenommen. Jedes Kleinod antwortete, wie es die Reihe traf. Wie viel Stimmen untereinander! »Ich bin sehr besucht,« »ich gehe zugrunde,« »ich bin verlassen,« »ich bin müde,« »ich bin mit Weihrauch versehen,« »ich bin schlecht bedient,« »ich bin gelangweilt« usw. Alle sprachen, aber so jäh, daß man ihnen nicht folgen konnte. Ihre Sprache, bald dumpf, bald kreischend; und von dem Gelächter Mangoguls und seiner Hofleute begleitet, verursachte ein ganz eigenartiges Geräusch. Die Damen sahen sehr ernsthaft drein, behaupteten aber, es wäre ungemein spaßhaft. »Allerdings,« sagte der Sultan, »es ist außerordentlich verbindlich von den Kleinoden, daß sie unsere Sprache reden und einen Teil der Kosten der Unterhaltung tragen wollen. Die Gesellschaft wird auf diese Weise verdoppelt und gewinnt unendlich dabei. Vielleicht reden wir Männer, bald auch nicht mehr bloß mit dem Munde. Wer weiß? Der Wardein dieser Kleinode ward vielleicht bestimmt, sie auszufragen und ihnen zu antworten. Mein Hofanatom ist freilich andrer Meinung.«
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 6
g. | Donnerstag, 22. August 2013, 07:05 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Alcine
„Mangogul ging früher als gewöhnlich zur Großsultanin. Alle Damen saßen am Spieltisch. Er überlief mit seinen Augen diejenigen, deren guter Name fest gegründet war, entschloß sich seinen Ring an einer unter ihnen zu versuchen, und war nur verlegen über die Wahl. Noch stand er ungewiß, mit wem er beginnen sollte, als er eine junge Hofdame Mamimonbandas am Fenster gelehnt erblickte. Sie neckte sich mit ihrem Gemahl. Das befremdete den Sultan. Denn sie waren seit mehr als acht Tagen verheiratet. Sie hatten sich in einer Loge in der Oper gezeigt, sie waren in einem Wagen zum kleinen Korso, ins Bois de Boulogne und den Prater gefahren, sie hatten gemeinschaftliche Visiten beendet, und nunmehr erlaubte ihnen das Herkommen, sich nicht mehr zu lieben, ja nicht einmal zu begegnen. »Ist das Kleinod«, dachte Mangogul bei sich, »ebenso toll als seine Gebieterin, so werden wir ein erfreuliches Selbstgespräch vernehmen.« Indem erschien die Favorite. »Willkommen,« raunte der Sultan ihr zu, »ich habe unterdessen mein Netz ausgeworfen.« »Nach wem?« fragte Mirzoza. »Nach den Leuten, die Sie dort am Fenster mitsammen albern sehn,« antwortete ihr Mangogul mit zwinkernden Augen. »Ein schöner Anfang,« versetzte die Favorite.
Alcine, so hieß die junge Dame, war lebhaft und reizend. Wenige Frauenzimmer des großherrlichen Hofes waren liebenswürdiger, keine hatte mehr Liebhaber. Ein Emir des Sultans hatte sie sich in den Kopf gesetzt. Was die Lästerzungen von Alcinen verbreiteten, blieb ihm nicht verborgen; es machte ihn stutzig, aber er beobachtete das Herkommen: er fragte seine Geliebte, was er davon denken sollte? Alcine schwur ihm, diese Verleumdungen wären die Rache einiger Gecken, die stumm geblieben wären, wenn sie Gründe gehabt hätten zu reden; übrigens sei ja keiner von beiden gebunden, und sie überlasse es ihm, davon zu glauben, was ihm gut dünke. Der feste Ton dieser Antwort überzeugte den verliebten Emir von der Unschuld seiner Geliebten. Er schloß den Handel, und erhielt den Namen Gemahl mit allen seinen Vorrechten.
Der Sultan drehte seinen Ring gegen sie. Ein Ausbruch lauten Gelächters, dessen sich Alcine, bei einigen abgeschmackten Reden ihres Gemahls, nicht hatte erwehren können, ward durch die Wunderkraft des Ringes plötzlich gehemmt, und unter ihren Röcken hervor vernahm man alsbald ein Gemurmel: »Endlich hab ich doch einen Titel. Das ist mir herrlich lieb. Rang geht eben über alles. Wer meinem ersten Rat gefolgt wäre, hätte etwas Besseres für mich gefunden, als einen Emir: aber ein Emir ist immerhin besser als nichts.« – Bei dieser Stelle verließen alle Damen das Spiel, um zu suchen, woher die Stimme käme. Dieser Aufstand verursachte viel Geräusch. »Stille,« sprach Mangogul, »dies verdient Aufmerksamkeit.« Man ward still, und das Kleinod fuhr fort: »Ein Gemahl muß ein ansehnlicher Gast sein, weil sein Empfang soviel Vorkehrungen nötig macht. Was für Sorgfalt! Welch eine Sündflut von Myrtenwasser! Wenn man mich noch vierzehn Tage länger so hielte, so war es aus mit mir, so verschwand ich aus der Reihe der Wesen, und der Herr Emir konnten sich anderswo einquartieren, oder Zaubermittel aufsuchen, um mir meine natürliche Gestalt wiederzugeben.« – Hier, versichert mein Gewährsmann, erblaßten alle Damen, sahen sich sprachlos an, machten ernste Gesichter, die man der Furcht zuschrieb, daß das Gespräch möchte allgemein werden, und nicht bei einer allein bleiben. – »Mir scheint freilich,« fuhr Alcinens Kleinod fort, »man brauchte für den Sultan nicht soviel Umstände zu machen; aber ich erkenne die Klugheit meiner Herrin an. Sie sorgte für den schlimmsten Fall, und ich ward für den Herrn eingerichtet, als wär es für seinen kleinen Jockey.«
Das Kleinod wollte in seinen ungewöhnlichen Enthüllungen fortfahren, als der Sultan, der das Ärgernis bemerkte, welches die züchtige Mamimonbanda an diesem seltsamen Auftritt nahm, den Ring zurückzog, und den Redner unterbrach. Der Emir war bei den ersten Worten des Kleinods seiner Frau verschwunden. Alcine verlor die Fassung nicht und stellte sich eine Zeitlang ohnmächtig. Unterdessen flüsterten die Damen einander zu, sie habe Nervenkrämpfe. »Jawohl, Nervenkrämpfe,« sagte ein Stutzer, »die Ärzte nennen dergleichen hysterische Zufälle, das heißt Sachen, die aus der untern Region kommen. Es gibt dagegen ein sehr bewährtes Mittel. Etwas Kraftbewegendes, Kraftannehmendes, Kraftmitteilendes und Kraftbelebendes – ich werd' es den Damen vorlegen.« Man lächelte über diese Spötterei, und unser Zyniker fuhr fort: »Das ist sehr wahr, meine Damen. Ihr untertäniger Diener hat sich dieses Mittels bedient, eine Abnahme seiner Substanz zu hintertreiben.« »Herr Graf!« sagte ein junges Frauenzimmer, »was meinen Sie damit?« – »O Gnädigste,« antwortete der Graf, »das ist ein Umstand, dem jedermann ausgesetzt ist. Mein Gott, so etwas widerfährt uns allen!«
Die verstellte Ohnmacht nahm ein Ende. Alcine setzte sich so unerschrocken zum Spiel, als habe ihr Kleinod nichts gesagt, oder als hab' es die schönsten Dinge von der Welt erzählt. Sie war sogar die einzige, die ohne Zerstreuung spielte. Diese Sitzung trug ihr beträchtliche Summen ein. Die andern wußten nichts was sie thaten, kannten ihre Karten kaum, vergaßen was heraus war, vernachlässigten ihre Inviten, trumpften zur Unzeit, und begingen tausend andere Fehler, die Alcine sich zunutze machte. Endlich hörte man auf zu spielen, und jedermann fuhr nach Hause.
Der Vorfall machte gewaltiges Aufsehn, am Hofe, in der Stadt, und im ganzen Reich. Er ward der Gegenstand vieler Epigramme. Die Rede von Alcines Kleinod ward gedruckt, erläutert, verbessert, vermehrt, und von allen schönen Geistern des Hofes mit Anmerkungen begleitet. Der Emir kam in ein Volkslied, seine Frau ward unsterblich. Im Schauspielhause zeigte man auf sie. Auf den Spaziergängen lief man ihr nach. Um sie her war ein Gedränge, und dann hörte sie murmeln: »das ist sie! ja die! ihr Kleinod hat zwei Stunden lang, hintereinander, gesprochen!« Alcine ertrug diesen neuen Ruhm mit bewundernswürdiger Kaltblütigkeit. Sie blieb bei diesen und tausend andern Äußerungen viel ruhiger als die andern Damen. Diese fürchteten alle Augenblick, daß auch ihr Kleinod anfangen würde zu schwatzen. Aber gar die Begebenheit des nächsten Kapitels brachte sie vollends in Verwirrung.
Da die Gesellschaft aufbrach, gab Mangogul der Favorite den Arm und führte sie auf ihr Gemach. Sie war bei weitem nicht so heiter und fröhlich, als sie gewöhnlich zu sein pflegte. Sie hatte beträchtlich im Spiel verloren, und die Wirkung des fürchterlichen Ringes versenkte sie in ein Nachdenken, aus dem es nicht so leicht war sich zu erholen. Sie kannte die Neugier des Sultans; und das Versprechen eines Mannes, der mehr eigensinnig als verliebt war, schien ihr nicht zuverlässig genug, um sie von aller Unruhe zu befreien. »Was fehlt Ihnen, Wonne meiner Seele?« fragte Mangogul, »warum sind Sie so in Gedanken?« »Nie hab ich mit so beispiellosem Pech gespielt,« antwortete Mirzoza, »Ich hatte zwölf Bilder; ich glaube, ich habe den ganzen Abend nicht drei Stiche gemacht.« »Das tut mir leid,« sagte Mangogul. »Aber was halten Sie von meinem Geheimnis?« »Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »ich bleibe dabei, es kommt vom Teufel. Es wird Ihnen unstreitig Vergnügen machen, aber dies Vergnügen wird schreckliche Folgen haben. Sie verbreiten Unruhe in allen Familien, den Männern geht ein Licht auf, die Liebhaber verzweifeln, die Frauen sind verloren, die Mädchen entehrt, und weiß ich, was sonst noch geschehn kann? O gnädigster Herr, ich beschwöre Sie ...« »Bei meiner Seele!« unterbrach Mangogul, »Sie reden ja wie ein Bußprediger! Ich möchte wohl wissen, warum Ihnen gerade heute die Liebe des Nächsten so nahe zu Herzen geht? Nein, Madame, nein, ich behalte meinen Ring. Mag den Männern ein Licht aufgehn, mögen die Liebhaber verzweifeln, die Weiber zugrunde gehen und die Mädchen entehrt werden, wenn ich mich nur dabei gut unterhalte. Bin ich denn umsonst Sultan? Auf Wiedersehn, Madame! Es steht zu hoffen, daß die folgenden Auftritte possierlicher sind, wie der erste, und daß Sie selbst mit der Zeit Geschmack daran finden« – »Das glaub' ich nicht, gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza. »Und ich bürge Ihnen dafür. Sie werden die Kleinode unterhaltend finden, so unterhaltend, daß Sie sich nicht erwehren können, Ihnen Gehör zu geben. Was sagen Sie, wenn ich sie Ihnen als Abgesandte zuschicke? Die Langeweile ihrer Reden will ich Ihnen ersparen, wenn Sie es wünschen; aber die Erzählung ihrer Begebenheiten sollen Sie aus ihrem Munde erfahren, oder aus dem meinigen. Der Entschluß steht fest, davon geh ich nicht ab. Lassen Sie es sich also angelegen sein, mit den neuen Sprechern vertraut zu werden.« Darauf umarmte er sie, ging in sein Kabinett, überdachte den Versuch, den er angestellt hatte, und zollte dem Genius Cacufa seinen andächtigen Dank.“
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 5
g. | Dienstag, 20. August 2013, 07:07 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die VersuchungIn der Tat: ob man alles immer so genau wissen wollen sollte, ist eine schwierige Frage, unter anderem eine Frage von Vertrauen. Im Übrigen ist das klassisch bürgerlich und nicht ‚adlig‘ gedacht, wenn ich das mal als Mediävist einwerfen darf. Fremdgehen war für den mittelalterlichen Adel keiner Erörterung wert, interessant war in der Regel die Legitimität des Thronfolgers, alles andere eben nicht. Wer sich für die Entstehung ehelicher Treue im Bürgertum interessiert, dem sei Boccaccio: Dekamerone empfohlen, etwa im Motiv der untergeschobenen Dienerin beim Seitensprung.
„Kaum war Mangogul im Besitz des geheimnisvollen Ringes, als ihn die Versuchung anwandelte, ihn zuerst bei der Favorite zu erproben. Ich vergaß zu sagen, daß der Ring nicht nur die Eigenschaft hatte, die Kleinode der Weiber reden zu lassen, gegen welche man seinen Stein drehte, sondern daß er auch denjenigen unsichtbar machte, der ihn am kleinen Finger trug. Daher konnte sich Mangogul, vermittels seiner, im Augenblick an hundert Orte versetzten, wo man ihn nicht erwartete; und viele Dinge mit Augen sehn, wobei man gewöhnlich keine Zeugen zuläßt. Er durfte nur den Ring anstecken und sagen, ich will dort sein, sogleich war er da. Er stand also vor Mirzoza.
Mirzoza, die den Sultan nicht mehr erwartete, hatte sich zu Bette bringen lassen. Mangogul näherte sich leise ihrem Lager, und sah bei dem Schimmer eines Nachtlichts, daß sie eingeschlafen war. »Gut, daß sie schläft,« sprach er. »Gleich will ich den Ring an den andern Finger stecken, wieder sichtbar werden, den Stein der schönen Schläferin zudrehn und ihr Kleinod gelinde erwecken ... Doch was hindert mich? Ich zittre. Sollte Mirzoza vielleicht – Nein, das ist unmöglich. Mirzoza ist mir treu. Weg von mir, beleidigende Zweifel! Ich will euch nicht hören, ich darf nicht!« Schon ergriff er den Ring, aber schnell zog er auch seine Hand zurück, als hätt' er auf glühende Kohlen gefaßt: »Was tu' ich, Unglücklicher? Ich trotze Cucufas Warnung. Eine alberne Neugier zu befriedigen, wag' ich meine Geliebte und mein Leben. Wenn ihr Kleinod sich beikommen ließe, albernes Zeug zu sprechen, so säh' ich sie nicht wieder, und stürbe vor Schmerz. Und wer weiß, was ein Kleinod für heimliche Nücken haben kann?« Mangogul war zu sehr erschüttert, um auf seiner Hut zu sein, er sprach die letzten Worte ein wenig laut, und die Favorite erwachte. Sie war minder erstaunt als froh über seine Gegenwart: »Sie sind da, gnädigster Herr?« sagte sie. »Warum hat man Sie nicht gemeldet? Es ziemt Ihnen nicht zu warten, bis ich erwache.«
Der Sultan antwortete der Favorite, indem er ihr den Erfolg seiner Unterredung mit Cucufa erzählte. Er wies ihr den erhaltenen Ring und verheimlichte keine seiner Eigenschaften. »Sie sind im Besitz eines teuflischen Geheimnisses!« rief Mirzoza. »Denken Sie es wirklich zu gebrauchen, gnädigster Herr?« – »Sapperment!« sagte der Sultan, »ob ich's gebrauchen werde? Mit Ihnen fang' ich an, wenn Sie mir lange dreinreden!« Bei diesen fürchterlichen Worten erblaßte die Favorite, zitterte, faßte sich, und beschwor den Sultan, bei Brama und allen Pagoden von Hindostan und Congo, nur nicht an ihr ein Geheimnis zu erproben, wodurch er so wenig Zutrauen in ihre Treue beweisen würde: »War ich immer vorwurfsfrei,« fuhr sie fort, »so wird mein Kleinod kein Wort reden, und Sie haben mir dann eine Beleidigung zugefügt, die ich Ihnen nie vergeben würde. Fällt es ihm aber ein zu schwatzen, so verlier' ich Ihre Achtung und Ihr Herz. Und Sie selbst werden in Verzweiflung geraten. Bis jetzt scheint es, hat Ihnen Ihre Verbindung mit mir nicht leid getan. Warum wollen Sie es wagen, sie zu zerstören? Glauben Sie mir, gnädigster Herr, folgen Sie dem Rat des Genius. Er hat Erfahrung darin; auch ist es immer gut, eines Genius' Winke zu befolgen.« »Das sagt' ich mir eben selbst, als Sie erwachten,« antwortete Mangogul, »hätten Sie aber zwei Minuten länger geschlafen, so weiß ich nicht, was daraus geworden wäre.«
»Was daraus geworden wäre,« sprach Mirzoza, »nun, von meinem Kleinod hätten Sie nichts Neues erfahren, mich aber hätten Sie auf immer verloren.«
»Sehr möglich,« versetzte Mangogul. »Und da ich jetzt die Größe der Gefahr erkenne, der ich entgangen bin, so schwöre ich Ihnen bei der ewigen Pagode, Sie sollen von der Zahl derjenigen ausgenommen sein, gegen die ich meinen Ring kehren werde.«
Darauf schien Mirzoza beruhigt und fing im Voraus an, über die Kleinode zu scherzen, die der Sultan zum Sprechen bringen würde. »Cidaliens Kleinod,« sagte sie, »hat viel zu erzählen. Wenn es nicht bedachtsamer ist als seine Gebieterin, so läßt es sich schwerlich lange bitten. Hariens Kleinod ist nicht mehr von dieser Welt, Ihre Hoheit werden glauben, eine Matrone aus dem vorigen Jahrhundert zu hören. Glauca hat so etwas, dem man gerne nachfragen möchte. Sie ist hübsch und gefallsüchtig.« – »Und gerade deswegen,« erwiderte der Sultan, »wird ihr Kleinod nichts zu sagen haben.« – »So wenden sich Ihre Hoheit doch an Fatime,« versetzte die Sultanin, »sie ist verbuhlt und häßlich.« – »Ja wohl,« nahm der Sultan das Wort, »so häßlich, daß nur eine solche böse Zunge, wie die Ihrige, sie beschuldigen kann, sie sei verliebt. Fatime ist die Keuschheit selbst, das sag' ich Ihnen, ich weiß was ich sage.« »Ihre Hoheit haben zu befehlen,« erwiderte die Favorite, »aber Fatimens Katzenaugen sagen das Gegenteil.« – »So lügen ihre Augen«, antwortete der Sultan, etwas ärgerlich. »Ich mag nichts weiter von Fatimen wissen. Dem Himmel sei Dank, sie ist nicht das einzige Kleinod, das sich ausfragen läßt.« – »Darf man denn, ohne Ihre Hoheit zu beleidigen,« sprach Mirzoza, »sich erkundigen, welches Sie mit Ihrer Wahl beehren werden?« – »Das wird sich bald zeigen,« sagte Mangogul, »wenn sich der Hof bei der Mamimonbanda versammelt. (Das ist im Congo der Name der Großsultanin.) Da soll es uns so leicht nicht fehlen, und werden die Hofkleinode langweilig, so machen wir die Runde durch Banza. Vielleicht finden wir die der Bürgerinnen gescheiter als die der Herzoginnen.« »Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »ich kenne alle beide; ich kann Ihnen versichern, es ist kein Unterschied unter ihnen, als das jene etwas vorsichtiger sind.« »Das wollen wir bald erfahren,« erwiderte Mangogul. »Aber ich muß lachen, wenn ich mir vorstelle, wie verlegen und erstaunt alle diese Frauen sein werden bei dem ersten Wort, das ihr Kleinod ausspricht. Ha! Ha! ha! Vergessen Sie nicht, Freude meines Herzens, daß ich Sie bei der Groß-Sultanin erwarte, daß ich meinen Ring nicht eher gebrauche, bis Sie da sind.« »Nur, gnädigster Herr,« sagte Mirzoza, »vergessen Sie auch nicht, was Sie mir versprochen haben.« Mangogul lächelte über ihre Besorgnis, gab ihr aufs neue sein Ehrenwort, begleitete es mit einigen Liebkosungen, und verließ sie.“
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 4
g. | Freitag, 16. August 2013, 07:30 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die BeschwörungEin Genius war übrigens bei den ollen Römern der persönliche Schutzgeist eines Mannes und was unter Kleinod hier verstanden wird, dürfte auch klar sein.
„Der Genius Cucufa ist ein alter Hypochondrist. Aus Furcht, daß die Fallstricke der Welt und der Umgang mit andern Genien seinem Seelenheil gefährlich werden möchten, flüchtete er in einen leeren Raum. Dort beschäftigte er sich nach Herzenslust mit den unendlichen Vollkommenheiten der großen Pagode, kneift sich, kratzt sich, treibt Unfug, hat Langeweile, wütet und hungert. Dort liegt er auf einer Matte. Den Leib in einen Sack genaht, die Lenden mit einem Strick umgürtet, die Arme kreuzweise über die Brust geschlagen, und den Kopf in eine Kutte gehüllt, aus welcher nur das äußerste Ende seines Bartes hervorragt. Er schläft, aber man sollte glauben, er sei in Betrachtung versunken. Seine ganze Gesellschaft besteht aus einem Kauz, der zu seinen Füßen schlummert, aus einigen Ratzen, die an seiner Matte nagen, und aus Fledermäusen, die um sein Haupt schwirren. Wer ihn beschwören will, spricht unter Schellengeläut den ersten Vers des nächtlichen Gebets der Braminen, dann rückt er seine Kappe in die Höhe, reibt sich die Augen, fährt in seine Pantoffeln und eilt herbei. Denkt euch einen alten Camaldulenser Mönch, der zwei große Nachteulen an den Pfoten hält und von ihnen in der Luft getragen wird. In diesem Kostüme erschien Cacufa dem Sultan. »Bramas Segen sei mit dir,« sprach er, als er sich niederließ. »Amen,« antwortete der Fürst. »Was willst du, mein Sohn?« »Eine Kleinigkeit,« sagte Mangogul, »etwas Spaß auf Kosten meiner Hofdamen.« »Sohn! Sohn!« erwiderte Cacufa. »Du allein hast ja mehr Begierden, als ein ganzes Braminen-Kloster. Was denkst du mit dieser Herde Närrinnen anzufangen?« »Ich will wissen, was sie für Liebeshändel haben und hatten, weiter nichts.« – »Das ist ja unmöglich,« sprach der Genius. »Welches Weib beichtet ihre Liebeshändel? Das geschah nicht, geschieht nicht und wird nicht geschehn.« »Es soll aber geschehn,« versetzte der Sultan. Der Genius kratzte sich am Ohr, strich aus Zerstreuung seinen langen Bart durch seine Finger, und versank in Nachdenken. Er erwachte bald daraus: »Sohn,« sprach er zu Mangogul, »ich liebe dich; du sollst deinen Willen haben.« Nun fuhr er mit der Rechten in einen tiefen Sack, der ihm unter der linken Achsel hing, und suchte unter Bildern, Rosenkränzen, Bleimännerchen und verschimmelten Zuckerkörnern ein silbernes Reifchen hervor, das Mangogul anfangs für einen Hubertsring hielt. »Nimm diesen Ring, mein Sohn,« sprach er zum Sultan. »Steck ihn dir an den Finger. So oft du seinen Stein gegen ein Weib wendest, wird sie dir ihre Heimlichkeiten laut, deutlich und verständlich hererzählen. Nur glaube nicht etwa, daß sie durch ihren Mund zu dir reden werde.« »Das wär' der Henker!« rief Mangogul, »wodurch wird sie denn reden?« »Durch den offenherzigsten Teil, der an ihr ist,« sagte Cacufa, »durch den Teil, der das am besten weiß, was du zu erfahren begehrst; durch ihr Kleinod.« »Durch ihr Kleinod?« versetzte der Sultan, mit schallendem Gelächter. »Ihr Kleinod soll reden? das ist ja außer aller Regel!« »Sohn,« sprach der Genius, »ich habe deinem Großvater zu Liebe wohl andre Zeichen getan, also verlaß dich auf mein Wort. Brama sei mit dir! Gebrauche das Pfand wohl, das der Himmel dir verleiht, und erinnere dich, daß der Weise seiner Neugier Schranken setzt.« Mit diesen Worten schüttelte der Gleißner den Kopf, verhüllte ihn wieder in seine Kutte, ergriff die Eulen bei den Pfoten, und verschwand in den Lüften.“
Meines Wissens waren frivole und das heißt in dieser Zeit noch nicht in jedem Fall, verklemmte erotische Anspielungen bzw. wie oben sehr deutliche Benennungen, eine gängige Literaturform. Ich kenne aber – außer Diderot – nur noch die Art wie Wieland (von ihm werde ich auch noch das eine oder andere vorstellen) über Sex redete. Beide scheinen weit entfernt von der verschwiemelten Darstellung von Sex & Erotik des Bürgertums des 19. Jahrhunderts.
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