Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Freitag, 11. Oktober 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 23
Die Schoßhündchen

Mangogul versetzte sich alsbald zu Haria und sprach nach seiner beliebten Gewohnheit mit sich selbst: »diese Frau legt sich nie schlafen ohne ihre vier Hunde. Wenn ein Kleinod etwas von diesen Tieren weiß, so erfahr' ich es durch das ihrige; denn es ist, Gott sei Dank! bekannt, daß sie ihre Hunde bis zur Anbetung liebt.« Am Ende dieses Selbstgesprächs stand er in Harias Vorzimmer und merkte schon von weitem, die gnädige Frau pflege der Ruhe in ihrer gewöhnlichen Gesellschaft. Sie bestand aus einem Dackelhund, einem kleinen Windspiel und zwei Möpsen. Der Sultan zog seine Schnupftabaksdose hervor, versah sich mit zwei Prisen guten Tunko und näherte sich Haria. Sie schlief noch, aber die Koppel hatte ein feines Ohr, hörte, daß sich etwas rege, fing an zu bellen und erweckte sie. »Stille, stille, Kinderchen,« sagte sie so freundlich, daß man unmöglich glauben konnte, sie rede mit ihren Tieren, »schlaft doch, schlaft doch noch und stört mich und euch nicht in unsrer Ruhe.«

Einst war Haria jung und artig. Es fehlte ihr nicht an Liebhabern ihres Standes, aber sie verschwanden schneller noch als ihre Reize. Um sich über diese Verlassenheit zu trösten, verfiel sie in eine Art seltsamen Prunkes und hatte die wohlgewachsensten Lakaien in Banza. Sie ward immer älter, die Jahre zwangen sie zur Einschränkung, sie begnügte sich mit vier Hunden und zwei Brahminen und ward ein Muster der Erbaulichkeiten. In der Tat fand die giftigste Satire nichts an ihr herumzubeißen, und Haria genoß seit zehn Jahren ungestört des hohen Rufes ihrer Tugend und ihrer Tiere. Man kannte sogar ihre ausgesprochene Zärtlichkeit für die Schoßhündchen, so daß man die Brahminen nicht mehr in Verdacht hatte, teil daran zu nehmen.

Haria wiederholte ihre Bitte an die Tiere, und sie waren so gefällig, zu gehorchen. Darauf drehte Mangogul an seinem Ring, und das bejahrte Kleinod begann sein letztes Abenteuer zu erzählen. Die vorhergehenden hatten sich vor so undenklicher Zeit zugetragen, daß es sich derselben kaum erinnerte. »Geh weg, Medoro,« sprach es mit heiserer Stimme, »du tust mir weh. Lisette gefällt mir viel besser, sie ist ungleich sanfter.« Medoro kannte die Stimme des Kleinods nicht und fuhr immer fort. Aber Haria erwachte und fuhr fort: »Nun, so geh doch, kleiner Schelm, ich kann vor dir nicht schlafen. Das ist wohl zuweilen gut, aber was zuviel ist, ist zuviel.« Medoro ging fort, Lisette legte sich an seine Stelle, und Haria schlief wieder ein.

Mangogul hatte die Wirkung seines Ringes aufgehoben, jetzt drehte er ihn wieder, und das wohlbetagte Kleinod holte mit einem tiefen Seufzer aus und fing an zu faseln: »Warum mußte doch die große Windhündin sterben, es war ein so gutes Geschöpf, so einschmeichelnd, so liebkosend. Lauter Leben und Feuer! Ihr seid unvernünftiges Vieh gegen sie. Der garstige Mensch hat sie umgebracht. Denk' ich an die arme Zinzoline, so treten mir die Tränen in die Augen. Ich glaubte, meine Gebieterin hätte den Tod davon. Sie aß und trank nicht zwei Tage lang, der Kopf schwirrte ihr nur so. Stellen Sie sich vor, wie traurig sie war! Ihr Beichtvater, ihre Freunde, selbst ihre Hunde durften ihr nicht nahe kommen. Sie befahl ihren Kammerfrauen, den gnädigen Herrn nicht vorzulassen, wenn sie nicht um ihren Dienst kommen wollten.« »Das Ungeheuer hat mir meine teure Zinzoline geraubt!« rief sie, »er komme mir nicht vor die Augen! ich will ihn nie wieder sehn!«

Mangogul ward neugierig, Zinzolinens Sterbegeschichte zu erfahren, belebte die elektrische Kraft seines Ringes, indem er ihn gegen die Schöße seines Rocks rieb und auf Haria richtete, und das Kleinod begann von neuem: »Haria, Romedios Witwe, verliebte sich in Sindor. Dieser, ein junger Mensch von Stande, aber arm, besaß ein Verdienst, das den Weibern gefällt, und war nach den Schoßhündchen Harias vorherrschende Leidenschaft. Sindor verabscheute Harias Alter und Hunde, aber seine Dürftigkeit machte ihn nachgiebig. Zwanzigtausend Taler Einkünfte ließen in seinen Augen die Runzeln seiner Liebhaberin und die Unbequemlichkeit ihres Schoßhündchen verschwinden; sie ward seine Frau.

Er hatte sich geschmeichelt, durch seine Talente und Gefälligkeiten unsern Tieren den Rang abzulaufen und sie gleich beim Anfange seiner Regierung in Mißgunst zu bringen, aber er täuschte sich. Nach einigen Monaten, während deren er sich um uns verdient gemacht zu haben glaubte, ließ er sich beikommen, der gnädigen Frau vorzustellen, ihre Hunde wären im Bett keine so gute Gesellschaft für ihn, als für sie; mehr als drei Hunde zu halten, sei lächerlich; und man mache aus dem ehelichen Lager einen Hundestall, wenn man mehr als einen der Reihe nach darin zulasse.«

»Ich rate Ihnen,« antwortete Haria mit erhobener Stimme, »solche Reden nicht ferner zu führen. Was untersteht sich so ein elender Gaskognischer Landjunker, den ich aus einem Loch gerissen habe, das meinen Hunden nicht gut genug wäre, hier den Zartfühligen zu spielen? Man besprengte dem jungen Herrn wohl die Bettücher mit Wohlgerüchen, als er in der möblierten Stube wohnte? Lern' er ein für allemal, daß meine Hunde viel früher als er in meinem Bette geschlafen haben, und daß er sich herausscheren mag, oder sich gefallen lassen muß, es mit ihnen zu teilen.«

Die Erklärung war deutlich, und unsre Hunde behaupteten ihren Posten. Aber eine Nacht, als wir alle schliefen, kehrte Sindor sich um und stieß unglücklicher Weise Zinzolinen mit dem Fuß. Das Windhündchen war solche Begegnung nicht gewohnt und biß ihn in die Waden. Die gnädige Frau erwachte über Sindors Geheul. »Was fehlt dem Herrn?« fragte sie. »Will ihn jemand an die Kehle? Träumt er?« – »Ihre Hunde, gnädige Frau,« antwortete Sindor, »fressen mich bei lebendigem Leibe auf; Ihre Windhündin hat mir eben ein Stück Wade weggebissen.« »Ist das alles?« sagte Haria und legte sich wieder auf die Seite, »Sie machen recht viel Lärmens um nichts.«

Sindor verdroß die Rede, er stieg aus dem Bette und schwor, keinen Fuß mehr hineinzusetzen, solange die Koppel darin bliebe. Er bot gemeinschaftliche Freunde auf, die Verbannung der Hunde zu bewirken. Aber allen mißriet die wichtige Unterhandlung. Haria antwortete ihnen, Sindor sei ein Windbeutel, den sie aus einer Dachstube erlöst habe, wo er bei Ratzen und Mäusen wohnte. Es zieme sich nicht für ihn, so anspruchsvoll zu sein. Er schlafe die ganze Nacht. Sie liebe ihre Hunde. Die vertrieben ihr die Zeit. Von Kindheit auf habe sie an ihren Liebkosungen Geschmack gefunden und sei entschlossen, sich erst im Tode von ihnen zu trennen. »Sagen Sie ihm noch,« fuhr sie gegen die Vermittler fort, »wenn er sich meinem Willen nicht unterwirft, so werde er das sein ganzes Leben lang bereuen; ich widerrufe die Schenkung, die ich ihm gemacht habe, und füge sie den Summen bei, die mein letzter Wille der Nahrung und dem Unterhalt meiner Kinderchen aussetzt.«

»Unter uns,« bemerkte das Kleinod, »Sindor war wohl ein ganzer Tropf, als er hoffte, man werde für ihn tun, was zwanzig Liebhaber, ein Gewissensrat, ein Beichtvater und eine ganze Litanei von Brahminen nicht hatten erlangen können, die alle bald mit ihrem Latein zu Ende waren. Sooft indessen Sindor unseren Tieren begegnete, wandelte ihn eine Ungeduld an, die er kaum zurückzuhalten vermochte. Eines Tages fiel ihm die unglückliche Zinzoline in die Hände. Er packte sie am Halse und schleuderte sie aus dem Fenster. Das arme Vieh starb an seinem Fall. Da ward ein schönes Lärmen. Haria stieg das Blut zu Gesicht; ihre Augen schwammen in Tränen ...« Das Kleinod wollte noch einmal sagen, was es schon gesagt hatte, denn Kleinode lieben die Wiederholungen sehr, aber Mangogul schnitt ihm das Wort ab. Doch dauerte sein Schweigen nicht lange. Als der Fürst glaubte, das faselnde Kleinod von seinen Tautologien abgebracht zu haben, gab er ihm die Freiheit der Sprache wieder. Da brach die Plaudertasche in ein Gelächter aus und erinnerte sich uralter Zeiten: »Da fällt mir ein, ich habe Ihnen noch nicht erzählt, wie Haria ihre erste Hochzeitsnacht feierte. Ich sah viel lächerliche Auftritte in meinem Leben, aber niemals so einen. Nach einem festlichen Mahl führte man die Eheleute in das Schlafzimmer. Alle Gäste zogen sich zurück, der gnädigen Frau Kammerfrauen ausgenommen, die sie entkleideten. Sie war entkleidet. Man legte sie ins Bett, Sindor blieb allein bei ihr. Da bemerkte er, daß die Wachtelhunde, die Möpse, die Windhunde geschwinder waren als er und sich seiner Gemahlin bemächtigten.« Drum sagte er: »Erlauben Sie mir, gnädige Frau, daß ich meine Nebenbuhler ein wenig beiseite räume?« »Tun Sie, was Sie vermögen, mein Schatz,« antwortete Haria, »ich habe nicht das Herz, sie wegzujagen. Die kleinen Tierchen hängen an mir, und ich habe seit geraumer Zeit keine andre Gesellschaft.« »Vielleicht sind sie so höflich,« erwiderte Sindor, »mir heute den Platz abzutreten, den ich einnehmen soll ...« »Da sehn Sie zu, mein Herz,« antwortete Haria.

»Sindor versuchte zuerst den Weg der Güte und bat Zinzolinen, sich in eine Ecke zu verfügen. Aber das ungelehrige Tier fing an zu knurren; der übrige Teil der Truppe wurde gleichfalls unruhig, und der Mops und die Wachtelhunde bellten, als ob jemand ihrer Gebieterin an die Gurgel wollte. Sindor war über dieses Gekläff ungeduldig, ließ den Mops einen Purzelbaum schießen, schob einen der Schoßhunde zurück und griff Medoro an die Pfote. Medoro, der getreue Medoro, sah sich von seinen Bundesgenossen verlassen, versuchte aber diesen Verlust durch eine vorteilhafte Stellung zu ersetzen. Er stand zwischen den Lenden seiner Gebieterin, seine Augen funkelten, die Haare sträubten sich ihm, er sperrte das Maul auf, kräuselte die Schnauze und zeigte dem Feinde zwei Reihen spitzer Zähne. Sindor wagte mehr als einen Angriff, und mehr als einmal schlug ihn Medoro mit blutigen Händen und zerrissenen Handkrausen zurück. Länger als eine Viertelstunde hatte das Treffen mit einer Hartnäckigkeit gewütet, an der nur Haria Vergnügen fand, als Sindor gegen seinen Feind, den er durch Gewalt zu überwinden verzweifeln mußte, eine Kriegslist ersann. Er streckte seine Rechte gegen Medoro. Medoro beobachtete diese Bewegung und ward darüber der Linken nicht gewahr, die ihn am Halse griff. Nun machte er, um sich loszureißen, unerhörte, aber vergebliche Anstrengungen! Er mußte das Schlachtfeld räumen und Haria aufgeben. Sindor hielt seinen Einzug, aber es hatte ihm Blut gekostet. Wahrscheinlich war es bei Haria beschlossen, daß ihre Hochzeitsnacht blutig sein sollte, und die schöne Verteidigung ihrer Tiere betrog sie in ihren Hoffnungen nicht.«

»Das Kleinod,« sagte Mangogul, »schreibt einen besseren Bericht, als mein Sekretär.« Er wußte jetzt, was er von Schoßhündchen denken sollte, und kehrte zur Favorite zurück. »Machen Sie sich,« rief er ihr schon von weitem zu, »auf die tollsten Dinge gefaßt! Das ist schlimmer als Palabriens Affen. Können Sie glauben, daß Hariens vier Hunde Nebenbuhler ihres Mannes gewesen sind, begünstigte Nebenbuhler; daß der Tod eines Windspiels die Eheleute unversöhnlich geschieden hat?«

»Was sagen Sie?« versetzte die Favorite. »Hunde als Nebenbuhler? Davon versteh' ich kein Wort. Ich weiß, daß Haria ihre Schoßhündchen bis zur Bewußtlosigkeit liebhat. Ich kenne aber auch Sindor als einen heftigen Menschen, der vielleicht nicht alle Höflichkeiten beobachtete, die gewöhnlich Frauen verlangen, denen man sein Glück verdankt. Wie er sich aber auch betragen haben mag, so verstehe ich doch nicht, was ihm Nebenbuhler hat zuziehen können. Haria scheint mir so ehrwürdig, daß ich wohl wünschte, Ihre Hoheit möchten geruhen, sich deutlicher zu erklären.«

»So hören Sie denn,« antwortete Mangogul, »und gestehn Sie mir, daß die Weiber zuweilen, milde gesprochen, wenigstens einen sehr seltsamen Geschmack haben.« Darauf berichtete er ihr Wort für Wort, was Harias Kleinod ausgesagt hatte. Mirzoza mußte über das Treffen der ersten Nacht freilich lachen; doch sprach sie bald wieder ernsthaft: »Ich weiß nicht, welch ein Unwillen willen sich meiner bemeistert. Von nun an verabscheu' ich diese Tiere und alle, welche sie halten, und erkläre meinen Zofen, daß ich die erste von ihnen verabschiede, die in den Verdacht gerät, einem Hunde ein Stück Brot gegeben zu haben.«
»Wer wird doch seinen Haß so weit erstrecken?« fragte der Sultan. »Müssen denn die Frauenzimmer alles übertreiben? Hunde sind gut auf der Jagd, notwendig auf dem Lande und sonst noch zu mancherlei Gebrauch, ganz zu schweigen davon, wie Haria sie verwendet.«
»Wahrlich,« sprach Mirzoza, »ich fange an zu glauben, es wird Ihrer Hoheit schwerfallen, eine ehrliche Frau zu finden.«
»Habe ich es Ihnen nicht gleich gesagt?« antwortete Mangogul, »aber übereilen wir uns nicht. Sie könnten mir dereinst vorwerfen, ich verdanke Ihrer Ungeduld ein Geständnis, das ich nur den Versuchen meines Ringes schuldig sein will. Gerade jetzt habe ich einen Plan vor, der Sie in Erstaunen setzen soll. Noch sind nicht alle Geheimnisse entschleiert, und die Kleinode, denen meine Untersuchung bevorsteht, sollen mir wichtigere Dinge beichten.«
Mirzoza war immer für das ihrige besorgt. Mangoguls Rede setzte sie in eine Verwirrung, die sie ihm nicht verbergen konnte. Aber der Sultan war durch seinen Eid gebunden und im Grunde seines Herzens ein frommer Mann. Er beruhigte sie, so gut er vermochte, umarmte sie einigemal sehr zärtlich und begab sich in seinen Staatsrat, wohin wichtige Dinge ihn riefen.


Eheliche Treue als skurrile Ausnahme. Mal sehen, wo das endet. (Wenn es überhaupt bei einer Moral endet. Bei Diderot ist das ja nicht unbedingt der Fall.) „bis zur Bewusstlosigkeit lieb haben“ ist ein Gedanke, den man mal weiter durchdenken sollte.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 611 x aufgerufen



Mittwoch, 9. Oktober 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 22
Mangoguls Kritik der praktischen Vernunft

Mangogul war ungeduldig, die Favorite wiederzusehn, schlief wenig, stand früher als gewöhnlich auf und war bei ihr, da es eben Tag ward. Sie hatte schon geschellt, man zog ihre Vorhänge auf, und ihre Zofen wollten sie gerade aus dem Bette nehmen. Der Sultan gab auf alles genau acht, und da er kein Schoßhündchen um sie erblickte, fragte er sie nach der Ursache dieser Sonderbarkeit. »Halten Sie mich deswegen für sonderbar?« fragte Mirzoza. »Ich sehe doch,« erwiderte der Sultan, »daß alle übrigen Damen meines Hofes Schoßhündchen um sich haben. Sie würden mir also einen Gefallen tun, wenn Sie mich belehren wollten, warum sich jene Schoßhündchen zulegen, oder warum Sie keinen leiden? Die meisten haben sogar mehr als eins, und jede verschwendet Liebkosungen an das ihrige, die sie ihrem Liebhaber selbst kaum zu verstatten scheint. Wodurch verdienen diese Tiere den Vorzug? Was tut man mit ihnen?«

Mirzoza wußte keine Antwort auf diese Fragen. »Mein Gott,« sagte sie, »man hält sich eben ein Hündchen, so gut wie einen Papagei oder Kanarienvogel. Vielleicht ist es lächerlich, sich an Tiere zu gewöhnen; aber es kann niemand befremden, daß man sie besitzt. Sie unterhalten zuweilen und schaden niemals. Liebkost man sie, so hat das weiter keine Folgen. Glauben Sie denn übrigens, gnädigster Herr, ein Liebhaber begnügte sich mit einem solchen Kuß, wie ihn seine Dame ihrem Möpschen gibt?« »Allerdings glaub ich das,« sagte der Sultan. »Er müßte wahrhaftig sehr begehrlich sein, wenn ihm der nicht genug wäre.«

Eine der Kammerfrauen Mirzozens, die durch ihre Sanftmut, Geschicklichkeit und Treue die Gunst des Sultans und der Favorite gewonnen hatte, nahm das Wort: »Diese Tiere sind lästig und schmutzig. Sie beflecken die Kleider, verderben die Stühle, zerreißen die Spitzen und richten in einer Viertelstunde mehr Unheil an, als erforderlich wäre, unsere allergetreueste Kammerfrau in Ungnade fallen zu lassen. Dennoch werden sie beibehalten.«

»Obschon sie nach der gnädigen Frau zu weiter nichts gut sind,« setzte der Sultan hinzu.

»Fürst,« antwortete Mirzoza, »wir legen eben auf unsre Grillen Wert. Ein Möpschen um sich haben, muß wohl auch so eine Grille sein wie viele andre, die diesen Namen nicht mehr verdienen würden, wenn wir uns Rechenschaft darüber geben könnten. Mit der Herrlichkeit der Affen ist's vorbei, die Papageien halten sich noch. Die Hunde waren ganz abgekommen, jetzt kommen sie wieder in Aufnahme. Haben doch auch die Eichhörnchen ihre Zeit gehabt. Das ist Modesache. Mit den Tieren geht's, wie es der Reihe nach gewesen ist mit dem Italienischen, mit dem Englischen, mit der Geometrie, mit all dem Firlefanz von Stickereien und Falbeln.«

»Mirzoza,« erwiderte der Sultan und schüttelte den Kopf, »weiß zwar viel, aber doch nicht alles. Wenn die Kleinode reden wollten ...«

»Ihre Hoheit glauben doch nicht etwa,« sagte die Favorite, »daß uns Harias Kleinod erklären könnte, warum diese Frau den Tod ihres Sohnes, einer Tochter und ihres Gemahls ohne Tränen sah und vierzehn Tage über den Verlust ihres Möpschen trauerte?«

»Warum nicht,« antwortete der Sultan. »Wahrhaftig,« sagte Mirzoza, »wenn unsere Kleinode jede weibliche Grille erklären könnten, so wüßten sie mehr als wir selbst.«

»Wer kann das leugnen?« erwiderte der Sultan. »Auch halt' ich dafür, daß das Kleinod eine Frau hundert Dinge tun läßt, ohne daß sie es gewahr wird. Ich bemerkte bei mehr als einer Gelegenheit, daß eine, die ihrem Kopfe zu folgen glaubte, nur ihrem Kleinod gehorchte. Ein großer Philosoph suchte den Sitz der Seele, unsrer Seele nämlich, in der Zirbeldrüse. Wenn ich den Weibern eine Seele zugestände, so weiß ich wohl, wohin ich sie versetzte.«

»Ich erlasse Ihnen, mich darüber zu belehren,« meinte Mirzoza hastig.

»So erlauben Sie mir wenigstens,« sprach Mangogul, »Ihnen einige Vermutungen über die Weiber mitzuteilen, auf die, unter der Voraussetzung, daß sie eine Seele haben, mein Ring mich gebracht hat. Die Versuche meines Ringes haben mich zu einem großen Moralisten gemacht. Ich bin nicht so witzig wie La Bruyère, nicht so logisch wie Port-Royal, nicht so reich an Einbildungskraft wie Montaigne, nicht so weise wie Charon, aber ich habe Tatsachen gesammelt, die ihnen vielleicht abgingen.«

»Reden Sie, gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza spöttisch, »ich werde ganz Ohr sein. Die moralischen Versuche eines Fürsten von Ihren Jahren müssen etwas sehr Merkwürdiges sein.«

»Guallonorone ist ein Narr mit seinem System, sein Kollege, der berühmte Hiragu, mag sagen, was er will. Doch hat er manchen Einwurf, der ihm gemacht ward, sehr verständig beantwortet. Wenn ich den Weibern eine Seele zugestände, so würd' ich ihm gern einräumen, daß ihre Kleinode von jeher geredet haben, nur leise, und daß Cucufas Reiz keine andre Wirkung hervorbringt, als eine Verstärkung ihrer Stimme. Unter dieser Voraussetzung wäre nichts so leicht, Euch alle, so viele Ihr seid, nach Eurem Kleinode zu bestimmen:

Die kluge Frau zum Beispiel hat ein stummes Kleinod, oder hört nicht darauf.
Die spröde stellt sich, als ob sie nicht darauf höre.
Die eroberungssüchtige hat ein Kleinod, das zuviel begehrt, und dem sie zuviel gewährt.
Die wollüstige hört gern auf ihr Kleinod.
Die verbuhlte hat ein Kleinod, das stets verlangt und dem nichts abgeschlagen wird.
Die Gefallsüchtige hat ein stummes Kleinod, oder hört nicht darauf; gibt aber jedem Manne, der sich ihr naht, die Hoffnung, ihr Kleinod werde endlich reden, und sie werde nicht immer taub bleiben.«

»Nun Wonne meines Lebens, was denken Sie von meinen Erläuterungen?«
»Ich denke,« antwortete die Favorite, »Ihre Hoheit vergessen die zärtliche Frau.«
»Ich erwähne ihrer nicht,« antwortete der Sultan, »weil ich noch nicht recht weiß, wie es um sie steht. Kluge Leute behaupten ohnedem, das Wort zärtlich habe keinen Sinn, wenn es sich gar nicht auf das Kleinod bezieht.« »Keinen Sinn?« rief Mirzoza. »Es gibt also gar keine Mittelstraße. Ein Frauenzimmer kann nichts sein, als nur spröde, eroberungssüchtig, gefallsüchtig, wollüstig oder ausschweifend?«
»Wonne meines Lebens,« sagte der Sultan, »ich gestehe Ihnen gerne, daß meine Rangliste unvollständig ist. Ich will die zärtliche Frau den vorher genannten Merkmalen hinzufügen, aber unter der Bedingung, daß Sie mir eine Erklärung von ihr geben, die unter den meinigen nicht schon mit inbegriffen war.«

»Sehr gern,« sagte Mirzoza. »Ich hoffe das zustande zu bringen, ohne Ihr System zu verlassen.«
»Lassen Sie hören,« versetzte Mangogul.
»Nun denn,« erwiderte die Favorite, »die zärtliche Frau ist die ....«
»Nur Mut, Mirzoza!« rief der Sultan.»O! verwirren Sie mich nicht, wenn ich bitten darf. Die zärtliche Frau ist die ..., die geliebt hat, ohne daß ihr Kleinod sprach, – oder deren Kleinod immer nur für den einzigen Mann sprach, den sie liebte!«

Es wäre nicht artig vom Sultan gewesen, die Favorite zu ärgern und zu fragen, was sie unter lieben verstehe; daher tat er es nicht. Mirzoza hielt sein Schweigen für ein Eingeständnis und, stolz darauf, sich mit soviel Anstand aus einer schwierigen Lage gezogen zu haben, sprach sie: »Ihr Männer glaubt immer, weil wir von Beweisführung nichts wissen wollen, so vermöchten wir auch nicht zu denken. Lernt endlich einmal, daß wir eben so leicht das Falsche an Euren Paradoxen herausfänden, als Ihr die Schwäche unsrer Gründe, wenn wir uns nur die Mühe geben wollten. Läge Eurer Hoheit nicht jetzt so viel daran, Ihre Neugier über die Schoßhündchen zu befriedigen, so gäb ich Ihnen vielleicht meinerseits eine kleine Probe meiner Philosophie. Aber ich schenke sie Ihnen darum nicht; ich spare sie für einen andern Tag, wenn Sie mir etwas länger zuhören wollen.«

Mangogul antwortete: er wisse auf der Welt nichts Besseres zu tun, als sich die Schätze ihrer Philosophie aufschließen zu lassen. Die Metaphysik einer zweiundzwanzigjährigen Sultanin müsse wenigstens ebenso merkwürdig sein, als die Sittenlehre eines Fürsten von seinen Jahren.

»Aber Mirzoza, die besorgte, dies sei von Mangoguls Seite nur Nachgiebigkeit, erbat eine Frist, um sich vorzubereiten, und gab dadurch dem Sultan einen Vorwand, dahin zu fliegen, wohin ihn seine Ungeduld berufen mochte.«


Küchenpsychologie des 18. Jahrhunderts: ‚Warum Männer nicht einparken und Frauen nicht zuhören können‘ sozusagen. Hübsch, wen könnte man mal damit konfrontieren?

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 866 x aufgerufen



Montag, 7. Oktober 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 21
Von verlornen und wiedergefundnen Dingen
(Anhang zu Panicirollus gelehrtem Werk und zu den Abhandlungen der Akademie der Altertumsforscher)

„Mangogul kehrte zu seinem Palast zurück und dachte über die Torheiten nach, worin die Weiber verfallen, als er sich, entweder aus eigner Zerstreuung, oder aus einem Versehen seines Ringes, in dem Säulengange des prachtvollen Gebäudes befand, das Thelis mit der reichen Ausbeute ihrer Liebhaber schmückte. Er benutzte die Gelegenheit, ihr Kleinod auszufragen.

Thelis war die Gemahlin des Emir Sambuco, dessen Vorfahren Guinea beherrschten. Sambuco war in Congo angesehen, er hatte Erguebzeds Feinde fünf-oder sechsmal besiegt. Er war ein eben so geschickter Staatsmann als Feldherr und brachte verschiedene ihm aufgetragene Unterhandlungen von Wichtigkeit mit großen Ehren zustande. Bei seiner Wiederkunft von Loango sah er Thelis und liebte sie. Damals war er dicht an fünfzig Jahren, Thelis aber höchstens fünfundzwanzig. Sie besaß mehr Anmut als Schönheit; die Weiber fanden sie liebenswürdig, die Männer beteten sie an. Mächtige Freier hatten um sie geworben: aber entweder war ihr Plan schon gemacht, oder der Unterschied des Vermögens zwischen ihr und ihren Werbern war zu groß: alle bekamen einen Korb. Sambuco sah sie, legte unermeßliche Reichtümer zu ihren Füßen, Namen, einen Ruhm und einen Rang, der nur von dem eines Fürsten übertroffen wurde, und ward erhört.

Thelis blieb oder schien tugendhaft sechs lange Wochen nach der Hochzeit. Aber ist ein Kleinod zur Wollust geboren, so vermag es nur selten sich selbst zu bändigen; und ein fünfzigjähriger Gemahl mag in jeder andern Rücksicht ein Held sein, er ist toll, wenn er diesen Feind zu besiegen hofft. Thelis betrug sich freilich mit vieler Vorsicht, doch blieben ihre ersten Verirrungen nicht unbekannt. Also schrieb man ihr auch in der Folge mehr zu, als man erfuhr, und Mangogul, neugierig, die Wahrheit zu erfahren, eilte aus dem Vorhof ihres Palastes in ihr Wohnzimmer.

Es war gerade mitten im Sommer, die Hitze sehr groß, und Thelis hatte sich nach aufgehobener Tafel auf ein Ruhebett gestreckt in einem entlegenen Gemach, das mit Spiegeln und Gemälden geschmückt war. Sie schlummerte; noch ruhte ihre Hand auf einer Sammlung persischer Märchen, die sie eingeschläfert hatten.

Mangogul betrachtete sie eine Zeitlang, gestand sich, daß sie reizend sei und drehte seinen Ring gegen sie.

»Es ist mir noch so im Gedächtnis, als ob es jetzt geschähe,« sagte Thelidens Kleinod sogleich: »Neun Liebesproben in vier Stunden! Welch ein Genuß! Göttlicher Zermunzaid! So verfährt der alte frostige Sambuco nicht! Teurer Zermunzaid! Ich kannte die wahre Freude, das höchste Gut der Menschen nicht. Du hast es mich kennen gelehrt.«

Mangogul wünschte die näheren Umstände des Umganges Thelidens mit Zermunzaid zu erfahren. Das Kleinod hielt sich nur an das, was einem Kleinod das wichtigste ist, und schlüpfte darüber weg. Mangogul rieb ein Weilchen den Stein seines Ringes gegen sein Gewand, bis er glänzend ward, und kehrte ihn aufs neue gegen Thelis. Bald empfand das Kleinod seine Kraft, begriff besser, was man eigentlich von ihm verlangte, und nahm mehr den Ton eines Geschichtschreibers an:

»Sambuco stand an der Spitze des Heeres zu Monoemugi, ich folgte ihm ins Feld. Zermunzaid war sein Adjutant; der Feldherr beehrte ihn mit seinem besondern Vertrauen und übergab uns seinem Geleit. Der eifrige Zermunzaid wich nicht von seinem Posten; er schien ihm zu angenehm, um ihn einem andern abzutreten; und die Furcht, ihn zu verlieren, war seine einzige Furcht während des ganzen Krieges.

Im Winterquartier bekam ich neue Gäste. Kassil, Zekia, Almamun, Jesub, Selim, Mansora, Nereskim: alles Offiziere, die Zermunzaid geführt hatte, aber keiner war so viel wert als er. Der leichtgläubige Sambuco verließ sich in Ansehung der Tugend seiner Frau auf sie selbst und auf Zermunzaids Vorsorge. Die unermeßlichen einzelnen Vorkehrungen des Krieges, der große Plan, den er zu Ehren von Congo vorbereiten wollte, machten ihm so viel zu schaffen, daß er nicht Zeit hatte, den Verdacht zu fassen, daß Zermunzaid ihn verrate oder Thelis ihm untreu sei.

Der Krieg dauerte fort, die Heere rückten wieder ins Feld, und wir stiegen wieder in unsre Sänften. Da die nur sehr langsam vorwärts gingen, so verloren wir unmerklich den Kern der Armee aus dem Gesicht und blieben beim Nachtrab. Zermunzaid führte ihn. Dieser tapfre Junge, den der Anblick der größten Gefahr nie vom Wege des Ruhms entfernen konnte, ließ sich durch die Lockungen der Liebe verleiten. Er überließ einem untergeordneten Offizier die Beobachtung des Feindes, der uns beunruhigte, und stieg in unsern Wagen. Aber kaum war er drinnen, als wir Waffengeklirr und verwirrtes Geschrei vernahmen. Zermunzaid ließ seine Arbeit unvollendet und wollte aussteigen, aber er ward zu Boden gestreckt, und wir blieben in der Gewalt des Siegers.

So verschlang ich die Ehre und die Verdienste eines Offiziers, der von seiner Tapferkeit und seiner Tüchtigkeit die erste Stelle, die höchsten Kriegsämter erwarten durfte, wenn er nie die Gattin seines Generals gekannt hätte. Mehr als dreitausend Menschen blieben bei der Gelegenheit auf dem Platz. So viel gute Untertanen haben wir dem Staat entwendet.«

Man bedenke, wie Mangogul über diese Rede erstaunen mußte! Er hatte Zermunzaids Leichenpredigt mit angehört und erkannte ihn an dieser Schilderung nicht wieder. Erguebzed, sein Vater, hatte den Verlust dieses Offiziers bedauert. Alle Zeitungen, die man las, verschwendeten das höchste Lob an seinen glänzenden Rückzug und schrieben seine Niederlage und seinen Tod der feindlichen Übermacht zu, die sechsmal stärker gewesen sei als er. Ganz Congo beklagte einen Mann, der seine Pflicht so gut erfüllt hätte. Seine Frau bekam ein Gnadengehalt, sein ältester Sohn das Regiment seines Vaters und der jüngste die Anwartschaft auf eine Domherrnstelle.

»Das ist abscheulich!« rief Mangogul leise. »Die eheliche Treue gebrochen, den Staat verraten, die Mitbürger aufgeopfert, alles das um ein Kleinod! Und der Frevel bleibt unentdeckt und wird sogar noch wie eine Tugend belohnt!«

Thelidens Kleinod hatte nur geschwiegen, um Atem zu schöpfen. Jetzt fuhr es fort: »So war ich dem Feinde auf Gnade und Ungnade ergeben. Ein Dragoner-Regiment war bereit, auf uns einzudringen. Thelis schien darüber in Verzweiflung und wünschte doch nichts sehnlicher als das. Aber die Schönheit der Beute streute Zwietracht unter die Räuber. Man zog die Schwerter, und dreißig bis vierzig Menschen wurden im Augenblick umgebracht. Der Befehlshaber vernahm das Getümmel, eilte herzu, besänftigte die Wütenden und wies uns zu unsrer Sicherheit ein Zelt an, wo wir uns kaum umsehen konnten, als er schon hereintrat, den Lohn seines Dienstes zu fordern. Die Überwundenen sind unglücklich! rief Thelis, und warf sich auf ein Bett, wo sie die ganze Nacht hindurch ihr Unglück empfand.

Am Tage darauf waren wir am Ufer des Niger. Ein Schiff erwartete dort meine Gebieterin und mich, damit wir dem Kaiser von Benin vorgestellt würden. Die Fahrt dauerte vierundzwanzig Stunden. Der Schiffskapitän bot Thelis seinen Beistand an, ward zugelassen, und ich machte die Erfahrung, daß der Seedienst unendlich rascher geht als der Landdienst.

Wir kamen vor den Kaiser von Benin. Er war jung, feurig und wollüstig. Thelis eroberte auch ihn. Aber die Eroberungen ihres Gemahls jagten ihm Furcht ein. Er bat um Frieden und brachte sich dadurch um drei Provinzen und mein Lösegeld.

Andre Zeiten – andre Sorgen. Sambuco erfuhr, ich weiß nicht wodurch, was an dem Unglück des vorigen Feldzuges schuld gewesen sei. In dem nächstfolgenden gab er mich einem seiner Freunde in Verwahrung, der ein Haupt der Brahminen war. Der Mann Gottes wehrte sich nicht lange; er wich Thelidens Reizen aus, und in weniger als sechs Monaten verschlang ich seine unermeßlichen Einkünfte, drei Teiche und zwei hochstämmige Wälder.«

»Gott steh mir bei!« rief Mangogul. »Drei Teiche und zwei Wälder! Das Kleinod hat eine gesegnete Verdauung.« »Wir können mehr vertragen,« erwiderte das Kleinod. »Es ward Friede, und Thelis begleitete ihren Gemahl auf seiner Gesandtschaft nach Monomotapa. Sie spielte und verlor vielleicht hunderttausend Zechinen an einem Tage, die ich in einer Stunde wiedergewann. Ein Minister, dessen Zeit nicht ganz und gar von den Angelegenheiten seines Herrn ausgefüllt wurde, kam mir unter die Zähne, und ich verzehrte ihm in drei bis vier Monaten ein schönes Landgut, ein Schloß mit allen Möbeln, einen Park und einen Staatswagen mit einem Zuge von sechs Schecken. Eine vier Minuten lange Gunst, gehörig aufgeschoben, erwarb uns Feste, Geld und Geschmeide. Sambuco war entweder blind oder klug und störte uns nicht.

Ich mag hier nicht anführen, wie viel Grafschaften, Rittergüter, Lehnsrechte, Wappenschilder usw. vor mir verschwunden sind. Mein Sekretär kann Ihnen sagen, was daraus geworden ist. Ich habe die Krongüter von Biafara sehr beschnitten und besitze eine ganze Provinz von Beleguanza. Als Erguebzed alt ward, machte er mir den Vorschlag ...« – Hier drehte Mangogul seinen Ring zurück und ließ den Strudel verstummen. Aus Ehrfurcht für das Gedächtnis seines Vaters wollte er nichts hören, was den Glanz der großen Eigenschaften, die er an ihm kannte, verdunkeln würde.

Bei der Rückkunft in seinen Harem unterhielt er die Favorite von den Nervenkranken und vom Versuch seines Ringes an Thelis. »Sie schenken dieser Frau Ihren vertraulichen Umgang,« sprach er, »aber wahrscheinlich kennen Sie sie nicht so gut wie ich.« »Ich verstehe Sie, gnädigster Herr,« antwortete die Sultanin. »Ihr Kleinod ist so einfältig gewesen, Ihnen ihre Abenteuer mit dem General Mikokof, den Emir Feridur, dem Senator Marsufa und dem Oberbrahminen Ramadanutio zu beichten. Man weiß überdies, daß sie sich den jungen Alamir hält, und daß es dem alten Sambuco so gut bekannt ist als Ihnen, wenn er gleich dazu schweigt.«

»Sie erraten's nicht,« erwiderte der Sultan, »ich hab aus ihrem Kleinod alles herausgeholt.« »Hatte es Ihnen etwas weggenommen?« fragte Mirzoza. »Mir nicht,« antwortete der Sultan, »aber meinen Untertanen, den Großen meines Reichs und benachbarten Fürsten: ihre Länder, Provinzen, Schlösser, Teiche, Wälder, Edelsteine und Staatswagen mit sechs Schecken.« – »Und obendrein ihren guten Namen und ihre Tugenden,« setzte Mirzoza hinzu. »Ich weiß nicht, welchen Vorteil Ihnen Ihr Ring bringen wird, aber mit jedem neuen Versuch desselben wird mir mein Geschlecht verhaßter: die selbst nicht ausgenommen, denen ich Achtung schuldig zu sein glaubte. Ich bin gegen sie so aufgebracht, daß ich selbst Ihre Hoheit bitte, mich einige Augenblicke allein zu lassen.« Mangogul wußte, daß der Favorite jeder Zwang zuwider sei, küßte dreimal ihr rechtes Ohr und verließ sie.
Die Macht der Natur.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 698 x aufgerufen



Mittwoch, 2. Oktober 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 20
Nervenschwäche

Es gab eine Zeit, wie man sieht, wo die Weiber aus Furcht, daß ihre Kleinode reden möchten, erstickten und fast umkamen. Darauf folgte eine Zeit, wo sie sich über diese Besorgnis wegsetzten, die Maulkörbe abschnallten und nur Nervenschwäche hatten.

Unter den Freundinnen der Favorite befand sich ein sonderbares Mädchen. Ihre Laune war allerliebst, obwohl ungleich. Sie veränderte zehnmal des Tags ihr Gesicht, aber sie gefiel in jeder Veränderung. Ihre Schwermut war nicht minder einzig als ihre Fröhlichkeit. In ihren ausgelassensten Augenblicken entschlüpften ihr Worte von außerordentlicher Feinsinnigkeit; und in ihren traurigsten Anfällen Torheiten, worüber man herzlich lachen mußte. Dies närrische Ding hieß Callirhoe. Mirzoza war so sehr an sie gewöhnt, daß sie fast nicht ohne sie leben konnte. Eines Tages beklagte sich der Sultan, die Favorite etwas unruhig und kühl zu finden. Dieser Vorwurf setzte sie in Verlegenheit. »Gnädiger Herr,« antwortete sie, »wenn ich meine drei Tiere nicht um mich habe, meinen Kanarienvogel, meine Katze und meine Callirhoe, so tauge ich nichts. Sie sehn, die letzte geht mir ab.« – »Warum ist sie denn nicht hier?« fragte Mangogul. »Ich weiß nicht,« antwortete Mirzoza, »sie sagte mir freilich schon vor einigen Monaten, wenn Mazul mit ins Feld müßte, so würde sie sicherlich Nervenschwäche bekommen, und Mazul ist gestern abgereist.« »Der mag noch hingehen,« erwiderte der Sultan, »das nenne ich durchaus begründete Nervenzustände. Aber warum fällt es hundert andern ein, sie sich beizulegen, die ganz junge Männer haben und keinen Mangel an Liebhabern leiden?« »Gnädigster Herr,« antwortete ein Höfling, »es ist die Modekrankheit. Nervenschwäche zu haben, das verleiht einer Frau Ansehen. Ohne Liebhaber und Nervenschwäche weiß man nichts vom guten Ton; und dann muß jede Bürgersfrau in Banza so etwas haben.«

Mangogul lächelte und faßte sogleich den Entschluß, einige dieser Nervenkranken zu besuchen. Er begab sich geradeswegs zu Salica. Sie lag im Bette, den Busen bloß, die Augen entzündet, das Haar aufgelöst. Der kleine stammelnde bucklige Arzt Farfadi saß neben ihrem Kopfkissen und plauderte ihr vor. Unterdessen streckte sie bald einen Arm aus, bald den andern, gähnte, seufzte, rieb sich die Stirn und rief schmachtend aus: »Ach! ... Ich kann es nicht aushalten! ... Macht das Fenster auf! ... Luft! Luft! ... Ich kann es nicht aushalten! ich sterbe!«

Mangogul nutzte den Augenblick, da die geängstigten Kammerfrauen und Farfadi die Bettdecke abzogen, seinen Ring gegen sie zu drehen, und sogleich hörte man: »O! wie mich dies alles langweilt! Nun will die gnädige Frau Nervenschwäche haben. Das wird acht Tage lang anhalten; und ich will auf der Stelle sterben, wenn ich weiß warum? Farfadi hat sich ja so angestrengt, das Übel in der Wurzel zu heben, daß es billig nicht mehr fortdauern sollte.« – »Gut!« sagte der Sultan und zog den Ring zurück. »Ich verstehe, die ist nervenkrank, weil sie es mit ihrem Arzte gut meint. Wir müssen doch weiter sehn.«

Er verließ Salicas Behausung und verfügte sich zu Arsina, die in der Nachbarschaft wohnte. Bei seinem Eintritt in ihre Gemächer hörte er ein lautes Gelächter und nahte sich in der Meinung, daß sie Gesellschaft haben würde. Dennoch fand er sie allein, und Mangogul wunderte sich darüber nicht sehr. »Will eine Frau Nervenzufälle haben,« sprach er, »so wählt sie fröhliche oder traurige, wie es gerade paßt.«

Er drehte seinen Ring gegen sie, und alsbald lachte ihr Kleinod aus vollem Halse. Plötzlich ging es von diesem traurigen Gelächter zu lächerlichen Jammertönen über. Denn Narses war abwesend, ihm riet es als ein guter Freund, seine Rückkehr zu beschleunigen, und dann fing es von neuem an zu schluchzen, zu weinen, zu ächzen, zu seufzen, zu verzweifeln, als wären all die seinigen zu Grabe gebracht.

Über eine so seltsame Betrübnis hätte der Sultan bald die Fassung verloren. Er drehte seinen Ring wie der zurück und ging weg. »Mögen,« sagte er zu sich selbst, »Arsinoe und ihr Kleinod nach Herzenslust wehklagen; es sind doch nicht alle Sprichwörter wahr!«


Erzwungene Keuschheit bringt Probleme.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 858 x aufgerufen



Montag, 30. September 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 19
Die Erstickung

Die Bürgerfrauen in Banza dachten wohl, daß ihre Kleinode schwerlich die Ehre haben würden, zu reden, dennoch versahen sie sich sämtlich mit Maulkörben. Man legte zu Banza Maulkörbe an, wie wir Hoftrauer anlegen.

Hier bemerkt der gelehrte Afrikaner mit Erstaunen, daß der mäßige Preis und der bürgerliche Gebrauch der Maulkörbe dieser Mode dennoch im Harem kein Ende machte. »Dreimal,« schreibt er, »siegte der Nutzen über das Vorurteil.« Eine so alltägliche Bemerkung verdiente nicht mehr als einmal gesagt zu werden. Es scheint mir aber der Fehler aller Congoschen Schriftsteller gewesen zu sein, daß sie sich wiederholen. Vielleicht wollten sie dadurch ihren Werken einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit und Leichtigkeit geben, oder vielleicht besaßen sie nicht so viel Fülle der Gedanken, als ihre Bewunderer ihnen zuschreiben. Dem sei, wie ihm wolle. Mangogul ging eines Tages in seinem Garten spazieren. Der ganze Hof begleitete ihn. Es fiel ihm ein, seinen Ring gegen Zelais zu kehren. Sie war hübsch. Man hatte sie im Verdacht, mehr als einen Liebhaber gekannt zu haben. Dennoch lallte ihr Kleinod nur und brachte nichts als abgebrochene Worte vor, welche die Spötter ausdeuteten, wie sie wollten. »Schau!« sagte der Sultan, »dieses Kleinod hat eine schwere Zunge. Es muß ihm wohl irgend etwas im Wege sein, das es am Sprechen hindert.« Er ließ also seinen Ring stärker wirken. Das Kleinod zwang sich noch einmal zum Sprechen, überwand endlich zum Teil das Hindernis, das ihm den Mund zuhielt, und man vernahm sehr deutlich: »Ach! Ach! Ich ... er ... er ... sticke. Ich kann nicht mehr ... Ach! ... Ach! ... ich ersticke!« Zelais fühlte sich in diesem Augenblicke wirklich der Erstickung nahe. Ihr Antlitz erblaßte, ihre Kehle schwoll an, ihre Augen schlossen sich, sie sperrte den Mund auf und fiel in die Arme ihrer Nachbarn.

An jedem andern Orte hätte Zelais schleunige Linderung bekommen. Man durfte nur den Maulkorb abnehmen und ihrem Kleinode wieder Luft geben. Aber wie konnte man ihr in Mangoguls Gegenwart hilfreiche Hand leisten? »Geschwind, geschwind, schickt nach Ärzten!« rief der Sultan, »Zelais stirbt!«

Edelknaben rannten aufs Schloß und kamen zurück. Leibärzte folgten ihnen mit gemessenen Schritten, Guallonorone an ihrer Spitze. Einige rieten zu Aderlaß, andere zu einem Brechmittel. Aber der tiefblickende Guallonorone ließ Zelais in einen nahegelegenen Pavillon tragen, besah den Schaden und zerschnitt die Riemen ihres Korbes. Dieses geknebelte Kleinod war eins von denen, die er sich rühmte, im Parorxysmus gesehen zu haben.

Indessen, eine außerordentliche Schwellung hatte sich eingestellt, und Zelais würde noch länger gelitten haben, hätte sich der Sultan nicht ihrer erbarmt. Er drehte seinen Ring zurück, ihre Lebensgeister kamen wieder ins Gleichgewicht, Zelais erholte sich, und Guallonorone nannte sich den Wundertäter dieser Genesung.

Zelaidens Unfall und ihres Arztes Plaudermaul taten dem guten Ruf der Maulkörbe großen Schaden. Guallonorone achtete Colipilos Vorteil nicht, er sah den Augenblick sein Glück auf die Trümmer eines andern zu bauen, nannte sich von nun an wohlbestellter Gesundheitsrat gegen den Kleinods-Rheumatismus, und bis auf diese Stunde sieht man seine Anschlagzettel noch in abgelegenen Gassen. Anfangs gewann er Geld damit, zuletzt ward er verächtlich. Der Sultan machte sich ein Vergnügen daraus, den Stolz des Empirikers zu demütigen. Sooft sich Guallonorone rühmte, ein Kleinod zum Schweigen gebracht zu haben, das nie eine Silbe gesprochen hatte, war Mangogul grausam genug, es reden zu lassen. Man bemerkte endlich, daß jedes Kleinod aus langer Weile anfing zu plaudern, sobald Guallonorone es zwei- oder dreimal besuchte. Bald zählte man ihn, mit Colipilo, zu der Klasse der Marktschreier. Beide werden darin bleiben, bis es Brahma gefällt, sie herauszuziehen.

Man zog die Schande dem Schlagfluß vor. Man stirbt am Schlagfluß, sagte man. Also verzichtete man auf die Maulkörbe. Man ließ die Kleinode reden, soviel sie wollten, und niemand starb daran.
Nicht einmal der Gebrauch durch die niederen Stände kann die Hofdamen abhalten. Die Therapie der Geschwätzigkeit hat unignorierbare Nebenwirkungen und so lassen sie das Knebeln sein.

Permalink (2 Kommentare)   Kommentieren


... 1157 x aufgerufen



Mittwoch, 25. September 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 18
Der Galanteriehändler

Der Galanteriehändler kam zurück und brachte unsern frommen Damen zwei derbe Maulkörbe mit. »Gott sei uns gnädig!« rief Zelide. »O du Gerechter!« rief Zelide. »Was für Maulkörbe! was für ungeheure Maulkörbe sind das, und wer sind die Unglücklichen, die derlei tragen sollen? Die sind ja eine Klafter lang! Lieber Freund, da haben Sie wohl an der Stute des Sultans Maß genommen?«

»Ja,« sagte Sophie nachlässig, die sie indessen betrachtet und mit den Fingern abgemessen hatte, »für die Stute Seiner Hoheit oder für die alte Rimosa.« – »Ich schwöre Ihnen, meine Gnädigen,« versetzte Frenicol, »es ist das gewöhnliche Maß. Zelmaide, Zirfile, Amiane, Zulica und hundert andre tragen sie so.« – »Das ist unmöglich,« erwiderte Zelide. – »Und dennoch ist es so,« antwortete Frenicol. »Aber anfangs sprachen alle Damen wie Ihro Gnaden, und Ihro Gnaden werden wie sie davon zurückkommen, wenn Sie sie nur anprobieren.« – »Herr Frenicol mag sagen, was er will, er wird mich doch nicht überzeugen, daß mir das paßt«, sprach Zelide. »Mich auch nicht,« sagte Sophie, »er zeige uns andre, wenn er welche hat.«
Frenicol hatte sehr oft erlebt, daß man die Weiber in diesem Punkt nicht bekehrt, und bot ihnen also Maulkörbe für Dreizehnjährige. »Ja, das ist was für uns!« riefen beide zugleich. »Ich wünsche es,« sprach Frenicol leise. »Was sollen sie kosten?« fragte Zelide. – »Nur zehn Zechinen, gnädige Frau.« – »Zehn Zechinen! wo denken Sie hin, Frenicol?« – »Es ist ein gewissenhafter Preis, gnädige Frau.« – »Wir müssen die Neuheit mit bezahlen.« – »Es ist auf Ehre nur meine Auslage.« – »Sie sind freilich sehr niedlich gearbeitet; aber zehn Dukaten ist gewaltig viel Geld.« – »Ich kann nichts ablassen.« – »So gehn wir zu Calipilo!« – »Das tun Ihre Gnaden nach Gefallen, aber Arbeit und Arbeit, Maulkorb und Maulkorb ist ein Unterschied!« Frenicol blieb bei seiner Forderung, und Zelide gab nach. Sie bezahlte die beiden Maulkörbe, und der Galanteriehändler ging in der festen Überzeugung nach Hause, sie würden ihnen zu kurz sein, und es könne nicht fehlen, daß er sie zu einem Vierteil des Preises wieder annehmen würde, wofür er sie verkauft habe. Er irrte sich. Mangogul fand gerade keine Gelegenheit, seinen Ring auf diese beiden Frauen zu wenden, und so bekamen auch ihre Kleinode keine Lust, ungewöhnlich laut zu reden. Das war ein Glück für sie. Denn da Zelide ihren Maulkorb anprobierte, fand sie ihn um die Hälfte zu klein. Doch gab sie ihn nicht zurück, weil sie glaubte, es sei fast eben so gefährlich, ihn auszutauschen, als sich seiner nicht zu bedienen.

Diese Umstände erfuhr man durch eine der beiden Damen, die sie ihrem Liebhaber im Vertrauen erzählte, der sie im Vertrauen andern erzählte, die sie als ein Geheimnis an ganz Banza vertrauten. Auch Frenicol hielt nicht reinen Mund. Die Geschichte unsrer beiden Betschwestern ward ruchbar und beschäftigte eine Zeitlang alle Lästerzungen in Congo.

Zelide war untröstlich darüber. Diese Frau, die mehr Mitleid als Tadel verdiente, bekam einen Widerwillen gegen ihren Brahminen, verließ ihren Gemahl und schloß sich in ein Kloster ein. Sophie nahm die Larve ab, ließ die Leute reden, legte Rot auf und Schönheitspflästerchen und lebte in der Welt mit der Welt.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 1065 x aufgerufen



Montag, 23. September 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 17
Die beiden Betschwestern

Seit einigen Tagen blieben die Kleinode vor dem Sultan in Ruhe. Er war mit wichtigen Geschäften überhäuft, und so blieben die Wirkungen des Ringes aus. In dieser Zwischenzeit machten sich zwei Damen aus Branza zum Gelächter der ganzen Stadt.

Sie waren berufsmäßige Betschwestern. Sie trieben ihre Liebeshändel in möglichster Stille und genossen eines so guten Rufes, das ihn selbst die Bosheit ihrer Mitschwestern verschonte. Man sprach in den Moscheen nur von ihrer Tugend. Die Mütter hielten sie ihren Töchtern zum Muster vor, die Männer ihren Frauen. Beider Hauptgrundsatz war, Ärgernis erregen sei die schlimmste Sünde. Diese Gleichheit, ihre Gesinnungen und vorzüglich die Schwierigkeit, ohne große Mühe ihren Nächsten zu erbauen, der so scharfsichtig ist und so gerne Arges denkt, war mächtiger als die Verschiedenheit ihrer Gemütsstimmung und erhielt eine genaue Freundschaft zwischen beiden.

Zelidens Brahmine verfügte sich zu Sophien; Sophie fand ihren Gewissensrat bei Zeliden; jede brauchte nur mit sich selbst zu Rate zu gehn, um zu wissen, wie es mit dem Kleinod der andern stände. Aber die allgemein verbreitete sonderbare Plauderhaftigkeit der Kleinode setzte beide in peinliche Besorgnis. Sie sahen die Zeit herannahen, wo ihnen die Larven entfallen, wo sie den guten Namen verlieren würden, um dessentwillen sie sich fünfzehn Jahre lang verstellt und geängstigt hatten, was ihnen jetzt große Ungelegenheiten bereitete. Es gab Augenblicke, besonders für Zeliden, wo sie gern ihr Leben hingegeben hätten, um so verschrien zu sein, als der größte Teil ihrer Bekannten. – »Was wird die Welt sagen? Wie wird mein Mann mich behandeln? Wie? Diese so zurückhaltende, so bescheidene, so tugendsame Frau, diese Zelide ist nicht besser wie die andern? Ich möchte verzweifeln, wenn ich daran denke. O ich möchte es am liebsten nie wieder tun, nie jemals getan haben!« rief Zelide erregt aus.

Sie befand sich gerade bei ihrer Freundin, die eben diese Betrachtungen anstellte, aber nicht so sehr dadurch erschüttert ward. Zelidens letzte Worte brachten sie zum Lächeln. »Lachen Sie nur, gnädige Frau, halten Sie sich nicht zurück, lachen Sie laut auf,« sprach Zelide empfindlich. »Sie haben wohl Ursache.« – »Ich kenne wie Sie,« antwortete Sophie kalt, »die Größe der Gefahr, die uns droht. Aber wie sollen wir ihr entgehn? Denn das werden Sie mir doch wohl zugeben, daß Ihr Wunsch unerreichbar scheint?«

»Denken Sie auf ein Mittel,« versetzte Zelide. »Was soll ich mich länger quälen?« fragte Sophie, »mir fällt nichts ein. Wir können uns freilich in der Provinz vergraben; aber die Vergnügungen Banzas verlassen und dem Leben entsagen, ist meine Sache nicht. Damit würde mein Kleinod schlecht zufrieden sein!« – »Was machen wir also?« – »Ja, was machen wir nur?« – »Wir überlassen alles der Vorsehung und lachen schon jetzt, wie ich es eben tat, über jede Nachrede. Ich habe bis jetzt nichts unversucht gelassen, einen guten Namen mit Vergnügungen zu vereinigen. Muß man einem von beiden durchaus entsagen, so wollen wir wenigstens unser Vergnügen behalten. Bisher waren wir einzig in unsrer Art. Von nun an gleichen wir hunderttausend anderen. Scheint Ihnen das so hart?«
»Ja wohl,« erwiderte Zelide. »Es scheint mir allerdings hart, daß ich denen gleichen soll, welchen ich bis jetzt die tiefste Verachtung bezeugte. Diese Schmach zu vermeiden, geh' ich lieber bis ans Ende der Welt!«
»Glück auf den Weg, meine Liebe,« sagte Sophie, »ich bleibe hier. Aber noch eins: sehn Sie sich doch vorher nach einem Mittel um, das Ihrem Kleinod verbietet, unterwegs zu plaudern.«
»Wahrlich,« versetzte Zelide, »der Scherz ist hier sehr übel angebracht, und Ihre Unerschrockenheit ...«
»Sie irren, Zelide, ich bin nichts weniger als unerschrocken. Aus bloßer Ergebung laß ich den Dingen ihren Lauf, den ich nicht ändern kann. Ehrlos sowie so, will ich mir wenigstens den Kummer darüber bis zuletzt aufsparen.«
»Entehrt!« rief Zelide mit Tränen. »Entehrt! Welch ein Schlag! Das überleb' ich nicht! Verdammter Bonze, der du mich ins Verderben stürztest! Ich liebte meinen Gemahl. Ich war tugendhaft geboren, ich würde ihn noch lieben, hättest du nicht dein Amt und mein Vertrauen gemißbraucht! Entehrt, teure Sophie!«

Sie konnte nicht fortfahren, ein Schluchzen unterbrach ihre Worte, und sie warf sich verzweifelnd auf ein Sofa, Zelide fand nun den Gebrauch ihrer Stimme wieder, um weinend auszurufen: »Ach, liebste Sophie, daran gehe ich noch zugrunde. Ich muß zugrunde gehen. Nein, meinen guten Namen überleb' ich nicht!«
»Zelide, liebe Zelide, übereilen Sie sich mit dem Sterben nicht,« sagte Sophie, »vielleicht, wer weiß ...« »Mir hilft kein Vielleicht! Ich muß sterben!« – »Vielleicht könnte man doch ...« – »Man kann nichts, sag' ich Ihnen. Aber was meinen Sie denn? was könnte man?« – »Man könnte vielleicht den Kleinoden das Plaudern wehren.« – »Ach Sophie! Sie suchen mich durch falsche Hoffnung zu trösten! Sie hintergehn mich!« – »Nein, nein, ich hintergehe Sie nicht, hören Sie nur auf mich, statt dieser törichten Verzweiflung nachzugeben. Man erzählt mir viel von Frenicol, Colipilo, von Mundknebeln und von Maulkörben.« – »Was haben Frenicol, Colipilo und die Maulkörbe mit der Gefahr zu tun, die uns bedroht? Was soll mein Galanteriehändler hier? Und was ein Maulkorb?«
»Das will ich Ihnen sagen, meine Liebe. Ein Maulkorb ist eine vortreffliche Erfindung. Frenicol hat sie erdacht, die Akademie genehmigt und Colipilo verbessert. Darum nennt dieser letztere sich den Erfinder.« – »Nun wohl, was hilft mir diese treffliche Erfindung Frenicols, die die Akademie genehmigte und ein Esel verbesserte?« – »Sie sind von einer Heftigkeit, die über alle Begriffe geht. Diese Maschine wird einfach angemacht, und das Kleinod wird sofort stille, ob es nun will oder nicht.« – »Ist das wirklich wahr, meine Liebe?« – »Die Leute sagen's.« – »Das muß man gleich untersuchen,« versetzte Zelide.

Sie zog an die Klingel, ein Kammermädchen erschien, sie schickte nach Frenicol. »Warum nicht nach Colipilo?« fragte Sophie. »Frenicol macht weniger Aufsehen,« antwortete Zelide. Der Juwelier ließ nicht auf sich warten. »Willkommen, Frenicol,« sagte Zelide. »Eilen Sie zwei Frauenzimmer aus einer großen Verlegenheit zu reißen.« – »Was befehlen Sie, meine Gnädigen? Brauchen Sie etwas von Kleinoden?« – »Nein, wir haben selbst zwei Kleinode und möchten gern ...?« – »Sie unter der Hand veräußern? Gut, meine Gnädigen, lassen Sie sehn. Ich nehm sie oder tausche sie um ...« – »Sie irren sich, Herr Frenicol, wir haben nichts auszutauschen.« – »Ach, ich verstehe! Ihre Gnaden besitzen etwa ein Paar Ohrgehänge, die Sie so verlieren möchten, daß die gnädigen Herrn Gemahls sie bei mir wiederfänden?« – »Keineswegs. Aber so sagen Sie ihm doch, Sophie, worum es sich handelt!« – »Frenicol,« fuhr Sophie fort, »wir brauchen zwei ... Was, Sie verstehn mich immer noch nicht ...?« – »Wie soll ich verstehn, gnädige Frau? Sie sagen ja nichts?« – »Man kann doch auch gewisse Dinge nicht bei Namen nennen,« antwortete Sophie, »wenn man auf Sittsamkeit hält.« – »Aber,« erwiderte Frenicol, »der Name gehört doch zur Sache. Ich bin ja Juwelier und kein Rätselrater!« – »Diesmal aber müssen Sie dennoch raten.« – »Je mehr ich Sie ansehe, meine Gnädigen, desto minder versteh' ich Sie. Wenn man so jung, so reich und so schön ist wie Ihre Gnaden, so braucht man sich doch nicht mit nachgemachten Dingen zu behelfen. Übrigens muß ich Ihren Gnaden gestehn, ich handle mit so etwas nicht. Mit solchem Zeug mögen junge Kollegen handeln, die eben erst anfangen.«

Unsre frommen Damen fanden das Mißverständnis des Galanteriehändlers so lustig, daß sie beide zu gleicher Zeit in ein Gelächter ausbrachen, worüber er die Fassung verlor. »Erlauben mir Ihre Gnaden,« sagte er, »daß ich mich untertänigst empfehle. Ich hoffe, Ihre Gnaden haben Spaß genug mit mir gehabt.« »Bleiben Sie, bleiben Sie, lieber Herr,« sprach Zelide und lachte immer fort, »das war unsre Absicht nicht. Aber aus Mangel an Verständnis verfielen Sie auf solche possierliche Gedanken ...« – »Es liegt nur an Ihro Gnaden, ob ich endlich besser verstehe. Was steht zu Ihrem Befehl?« – »Lassen Sie mich nur erst auslachen, Frenicol, ehe ich Ihnen antworte.«
Zelide lachte bis zum Ersticken. Der Galanteriehändler dachte bei sich, sie habe hysterische Zufälle oder sei verrückt geworden, und gab sich in Geduld. Endlich hörte Zelide auf. »Nun gut,« sprach sie, »von unsern Kleinoden ist die Rede; von unsern, verstehn Sie, Herr Frenicol? Es ist Ihnen wahrscheinlich bekannt, daß es seit einiger Zeit Kleinode gibt, die wie Elstern schwatzen: nun möchten wir nicht gern, daß die unsrigen diesem bösen Beispiel folgten.« – »Ah! jetzt versteh ich alles,« erwiderte Frenicol, »Ihro Gnaden brauchen einen Maulkorb.« – »Sie haben's getroffen. Man hat mir ja immer gesagt, Herr Frenicol sei nicht auf den Kopf gefallen ...« – »Ihro Gnaden sind zu gnädig. Ich führe solche Maulkörbe von allen Sorten und eile sogleich, Ihro Gnaden einige vorzulegen.«

Frenicol ging fort. Unterdessen umarmte Zelide ihre Freundin, dankte ihr für ihren Rat, »und ich,« sagt der gelehrte Afrikaner, »ich ruhte derweil ein wenig aus, bis er wieder kam.«

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 634 x aufgerufen



Donnerstag, 19. September 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 16
Die Maulkörbe

Während die Brahminen Brahma reden ließen, Pagoden herumtrugen und die Völker zur Buße ermahnten, dachten andre darauf, aus der Plauderhaftigkeit der Kleinode Vorteil zu ziehen.

Die großen Städte wimmeln von Menschen, welche das Elend erfinderisch macht. Sie stehlen nicht, sie beutelschneiden nicht, aber sie gehören zu den Beutelschneidern, wie die Beutelschneider zu den Spitzbuben. Sie wissen alles, tun alles, haben ein Geheimnis für alles. Sie kommen und gehn und schleichen sich ein. Man findet sie bei Hofe, in der Stadt, auf dem Rathause, in der Kirche, im Schauspiel, in den Häusern der Freude, in der Oper, im Kaffeehause, bei den Sitzungen der Akademie. Sie geben sich zu allem her, was man von ihnen verlangt. Sucht ihr eine Stelle? sie wissen den Weg zum Minister. Habt ihr einen Rechtshandel? sie kennen den Advokaten. Liebt ihr das Spiel? sie sind Bankhalter. Die Tafel? sie sind Brüder, Freimaurer. Die Weiber? sie führen euch bei Aminen oder Akaris ein. Welcher von beiden wollt ihr eine Krankheit abkaufen? Wählen Sie nur, sobald sie Ihnen geworden ist, werden die Leute dafür sorgen, sie wieder wegzuschaffen. Ihre Hauptbeschäftigung ist, die schwache Seite einzelner Menschen auszuspähn und die Einfalt des Publikums zu benutzen. Sie sind es, die an den Ecken der Gassen, an den Kirchtüren, am Eingang der Schauspielhäuser, auf Spaziergängen gedruckte Ankündigungen austeilen lassen, wodurch man ihnen gratis die Nachricht gibt, daß Herr Soundso wohnhaft im Louvre, in Saint Jean, im Tempel oder in der Abtei unter dieser und jener Aufschrift im soundsovielten Stocke von neun Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags die Leute in seiner Wohnung betrügt und den übrigen Teil des Tages in der Stadt.

Kaum fingen die Kleinode an zu reden, als ein Betrüger dieser Art, in allen Häusern von Banza einen kleinen gedruckten Zettel herumtragen ließ von folgender Gestalt und Inhalt. Oben stand mit großen Buchstaben: »Achtung, Ihr Damen!« Gleich darunter in kleinerer Schrift: »mit allergnädigster Bewilligung des Herrn Groß-Seneschall und Genehmigung der königlichen Akademie der Wissenschaften.« Und ganz unten: »Signor Colipolo, Mitglied der königlichen Akademie zu Banza, der königlichen Gesellschaft zu Monoemugi, der kaiserlichen Akademie zu Biafara, der Naturforschenden Gesellschaft zu Monomotapa, des Erekkischen Instituts, der königlichen Akademie zu Beleguanza und Angola, wohlbestellter Professor der Schnurrpfeiferei, der sich seit mehreren Jahren des Beifalls des Hofes, der Stadt und der Provinz erfreut, hat soeben zum Besten des schönen Geschlechts tragbare Maulkörbe oder Mundknebel ersonnen, die den Kleinoden die Sprache benehmen, ohne ihren natürlichen Verrichtungen Einhalt zu tun. Sie sind schicklich und bequem. Man findet ihrer von jeder Größe, für jedes Alter und zu allen Preisen. Er hat schon die Ehre gehabt, Personen von höchstem Stande damit aufzuwarten.«

Man braucht nur einer bestimmten Körperschaft anzugehören, so hat man gewonnen Spiel. Mag eine Leistung noch so lächerlich sein, sie findet Lobredner und Liebhaber. Also hatte auch dem Colipolo seine Erfindung Glück. Man drängte sich in Menge zu ihm. Galante Damen fuhren in ihrer eignen Kutsche hin, sittsame Frauen nahmen einen Mietwagen, fromme schickten ihren Beichtvater oder ihren Diener, sogar Klosterpförtnerinnen fanden sich ein. Alle wollten einen Maulkorb haben, und von der Herzogin bis zur Bürgersfrau hatte jedes Frauenzimmer den seinigen, entweder aus Mode oder aus Bedürfnis.

Die Brahminen, welche die Plauderhaftigkeit der Kleinode als eine göttliche Strafe angegeben und sich Sittenverbesserung oder andere Vorteile davon versprochen hatten, begleiteten mit Seufzern die Erfindung einer Maschine, die die Rache des Himmels und ihre Hoffnungen vereitelte. Eben von ihren Kanzeln herabgestiegen, eilen sie wieder hinauf, donnern, wüten, schleudern Bannstrahlen, verkünden Weissagungen, erklären die Maulkörbe für ein Werk der Hölle und sprechen denen die Seligkeit ab, die sich ihrer bedienen würden. »Ihr Weltkinder,« riefen sie, »tut die Maulkörbe von euch, unterwerft euch dem Willen Brahmas! Möge die Stimme der Kleinode die Stimme eures Gewissens erwecken; möget ihr nicht erröten, die Sünden zu bekennen, die ihr euch nicht schämet zu begehn!«

Sie riefen umsonst. Die Maulkörbe ließen sich so wenig durch Predigten abschaffen, als die bloßen Arme und die durchsichtigen Schleier. Man ließ sie ruhig in ihren Tempeln sich den Schnupfen holen. Man trug die Mundknebel und legte sie nicht eher ab, bis man gesehn hatte, sie wären zu nichts gut, oder bis man ihrer müde war.


„Professor der Schnurrpfeiferei“ hübsch.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 637 x aufgerufen



Dienstag, 17. September 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 15
Die Brahminen

Da die Gelehrten sich genugsam über die Kleinode ausgesprochen hatten, bemächtigten sich ihrer die Brahminen. Die Religion zog ihre Plauderei vor ihren Richterstuhl, und ihre Diener behaupteten, Brahmas Finger offenbare sich an diesem Werk.

Zu dem Ende ward eine allgemeine Kirchenversammlung ausgeschrieben. Diese beschloß, die besten Federn mit dem förmlichen Beweis zu beauftragen, daß dieses Ereignis übernatürlich sei. Bis aber die Arbeit derselben im Druck erscheinen könne, wollte man diese These in Disputationen, im Privatgespräch, im Beichtstuhl und in öffentlichen Predigten behaupten.

Daß dies Ereignis übernatürlich sei, darüber waren alle einstimmig. Weil man aber in Kongo zwei Grundursachen annahm und sich gewissermaßen zu einer Art der Lehre der Manichäer bekannte, so waren die Stimmen darüber geteilt, welcher von beiden Grundursachen man das Geschwätz der Kleinode zuschreiben müsse.

Die, welche niemals aus ihrer Klause herausgekommen waren und nichts durchblättert hatten als ihre Bücher, schrieben dies Wunder dem Brahma zu.

Nur Er, sagten sie, vermag den Lauf der Natur zu unterbrechen. Die Zeit wird lehren, was Er dabei für weise Absichten hat.

Die Gewissenräte der Damen aber, so man häufiger in den Alkoven traf und öfter in den Schlafgemächern der Frauenzimmer, als in ihren Betzimmern überraschen konnte, fürchteten, irgendein redseliges Kleinod möchte ihre Heuchelei entlarven. Darum schoben sie diese Plaudereien auf Rechnung Cadabras, einer bösartigen Gottheit, der Brahma und seine Diener von jeher befeindete.

Gegen dieses letztere System ließen sich schreckliche Einwürfe machen, auch beförderte es nicht so geradezu die Sittenverbesserung. Seine Verteidiger selbst waren dagegen nicht blind. Aber es kam darauf an, sich selbst zu decken, und sobald das der Fall ist, gibt es keinen Diener der Religion, der nicht hundertmal die Pagoden und ihre Altäre opferte. Mangogul und Mirzoza gingen regelmäßig zum Gottesdienste Brahmas. Die Zeitung unterließ niemals, dem ganzen Reich Nachricht davon zu geben. An einem hohen Festtage befanden sie sich in der großen Moschee. Der Brahmine, an dem die Reihe war, das Wort des Herrn zu verkündigen, bestieg die Kanzel, erbaute den Sultan und die Favorite mit Phrasen, Komplimenten und Langeweile und verbreitete sich beredsam des längeren über die Art, sich in Gesellschaften auf gottgefällige Weise niederzusetzen. Er belegte seine Meinung mit Sprüchen ohne Zahl, als er, auf einmal von heiligem Eifer ergriffen, folgenden Wortschwall losließ, der um so mehr Eindruck hervorrief, als er gänzlich unerwartet kam.

»Was vernehm' ich in jeder Gesellschaft? Ein dunkles Gemurmel, ein unerhörter Laut rührt an mein Ohr. Die Ordnung der Natur ist verkehrt. Bisher hatte Brahmas Gnade der Zunge die Gabe zu reden beigelegt, jetzt hat seine Rache sie andern Werkzeugen mitgeteilt. Und welchen Werkzeugen? Ihr kennt sie, meine andächtigen Zuhörer. Bedurfte es denn noch eines Wunders, um dich aus deiner Dumpfheit zu erwecken, du toll und töricht Volk? Hatten deine Sünden nicht schon Zeugen genug, daß selbst ihre hauptsächlichsten Werkzeuge ihre Stimme noch erheben mußten? Zweifelsohne war das Maß ihrer Sünde voll, da der Zorn des Himmels neue Strafen erdachte. Vergeblich hüllst du dich in Finsternis, vergeblich wählst du stumme Gehilfen deines Frevels. Vernimmst du sie jetzt? sie sagen allenthalben gegen dich aus und offenbaren deine Schande der Welt. O Brahma, der du in Weisheit regierest, o Brahma, dein Urteil ist gerecht! Dein Gesetz verdammt den Diebstahl, den Meineid, die Lüge und den Ehebruch; es untersagt die Bosheit der Verleumdung, die Schleichwege des Ehrgeizes, die Wut des Hasses und die Hinterlist des Betruges. Deine getreuen Diener sind nicht müde geworden, diese Wahrheiten deinen Kindern zu verkündigen und sie mit den Strafen zu bedrohen, die dein gerechter Zorn dem Übertreter vorbehält. Aber umsonst! Die Törichten ergaben sich dem Taumel ihrer Leidenschaft, sie folgten dem Strom, sie verachteten unsern Rat, sie verlachten unsere Warnungen, sie achteten nicht unseres Banns. Ihre Laster wuchsen, wurden stark, wurden viel. Die Stimme ihrer Ruchlosigkeit stieg bis zu dir empor. Wir konnten der furchtbaren Zuchtrute nicht vorbeugen, die du über sie ausstreckst. Lange flehten wir deine Barmherzigkeit an, jetzt laßt uns preisen deine Gerechtigkeit. Deine Schläge haben sie getroffen; werden sie nicht zu dir zurückkehren? Deine Hand liegt schwer auf ihrem Haupt; werden sie sie nicht erkennen? Aber ach! ihr Herz ist verstockt, aber wehe! ihre Augen sind verblendet. Denn sie wagen es, diese Wirkung deiner Macht einem blinden Naturspiel zuzuschreiben. Die Toren sprechen in ihrem Herzen: es ist kein Brahma! Alle Eigenschaften der Materie sind uns noch nicht bekannt, und dieser neue Beweis ihres Daseins beweist nichts, als die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit derer, die ihn uns entgegenstellen. Auf diesem Grund haben sie Systeme gebaut, Hypothesen erdacht, Experimente aufgestellt. Aber Brahma sitzt auf seinem ewigen Stuhl und blickt herab auf ihr eitles Beginnen, Brahma lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer. Ihre frevelhafte Weisheit ist verwirrt, und die Kleinode zerbrachen wie Glas den ohnmächtigen Zaum, den man ihrer Geschwätzigkeit anlegen wollte. Bekennen soll es endlich, das hochmütige Gewürm, die Schwäche seiner Vernunft und die Vergeblichkeit seiner Anstrengungen. Aufhören soll es endlich, Brahmas Dasein zu leugnen oder seiner Macht Schranken setzen zu wollen. Es ist ein Brahma. Er ist allmächtig, und er weist sich uns nicht minder deutlich in seinen schrecklichen Strafen, als in seiner unaussprechlichen Gnade.

Aber wer hat über unser unglückliches Land diese Strafen heraufbeschworen? Sind es nicht deine Ungerechtigkeiten, du begehrlicher und treuloser Mann? Deine Buhlereien und Liebesrasereien, o Weib, du schamloses Weltkind? Deine Ausschweifungen und dein schändlicher Frevel, du niederträchtiger Wollüstling? Dein Geiz gegen unsere Klöster, du Habgieriger? Deine Pflichtvergessenheit, du feiler Richter? Dein Wucher, du unersättlicher Kaufmann? Deine Weichlichkeit und dein Unglauben, du gottvergessener weibischer Höfling? Und ihr, der ihr zuerst unter seiner Geißel blutet, ihr Frauen und Mädchen, versunken im Schlamm der Sünde, was kann es euch fernerhin helfen, wenn wir gar unsere Amtspflicht vergessend Stillschweigen bewahrten über eure Verirrungen? Tragt ihr nicht eine Stimme in euch selbst, der ihr noch weniger entrinnen könnt, als der unsrigen? Sie verfolgt euch überall. Überall wirft sie euch eure unreinen Begierden vor, eure sträflichen Neigungen, eure lasterhaften Beziehungen, eure Sorge zu gefallen, eure Künste anzulocken, eure Schlauigkeit festzuhalten, die Unbändigkeit eurer Wollust und die Wut eurer Eifersucht. Was säumt ihr denn, Cadabras Fesseln abzuwerfen und zu Brahmas sanften Geboten zurückzukehren? Aber bleiben wir bei unserem Gegenstande. Die Weltkinder setzen sich, sagte ich euch, auf eine Gott mißfällige Art nieder aus neun Ursachen. Erstlich usw.«

Diese Predigt machte Eindrücke von ganz verschiedener Art. Mangogul und die Sultanin, die allein um das Geheimnis des Ringes wußten, fanden: der Brahmine habe das Geschwätz der Kleinode eben so glücklich mit Hilfe der Religion erklärt, als Guallonorone durch das Licht der Vernunft. Die Damen und Stutzer des Hofes behaupteten, die Predigt sei aufrührisch und der Prediger ein Schwärmer. Der übrige Teil seiner Zuhörer betrachtete ihn als einen Propheten, weinte, betete, geißelte sich sogar und veränderte seine Lebensart nicht.

Selbst in den Kaffeehäusern sprach man davon. Ein schöner Geist entschied, der Brahmine habe die Frage nur obenhin berührt, seine Rede sei ein frostiges, geschmackloses Wortgepränge. Aber nach der Meinung der Betschwestern und Erleuchteten war dieses ein Stück so gründlicher Beredsamkeit, als nur irgendeins seit hundert Jahren in den Tempeln gehört worden sei. Mir scheint, der schöne Geist und die Betschwestern hatten recht.


Nach den Wissenschaftlern salbadern versuchen die Priester das Phänomen zu erklären. „Die Gewissenräte der Damen“ ist eine schöne Formulierung. 1748 waren die Argumente pro Religion schon die gleichen wie heute.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 616 x aufgerufen



Freitag, 13. September 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 14
Physiologische Versuche

Es war am fünfzehnten des Monats * * als Guallonorone der Akademie seine Denkschrift über das Geschwätz der Kleinode vorlas. Da er mit großer Zuversicht untrügliche und mehrfach erprobte Versuche ankündigte, so blendete er damit die meisten. Beim Publikum hielt eine Zeitlang der günstige Eindruck an, den es empfangen hatte, und man glaubte fast zwei Wochen lang, Guallonorone habe eine treffliche Entdeckung gemacht.

Seinen Triumph zu vollenden, kam es nur drauf an, daß er diese lärmig ausposaunten Versuche vor der versammelten Akademie wiederholte. Man berief deswegen eine Sitzung, die außerordentlich glänzend war. Die Minister begaben sich in dieselbige, der Sultan verschmähte nicht, dabei zu sein, nur machte er sich unsichtbar.

Mangogul war groß im Monolog-Halten. Die Oberflächlichkeit der Unterhaltung seiner Zeit hatte ihn daran gewöhnt, lieber mit sich allein Selbstgespräche anzustellen: »Dieser Guallonorone,« sagte er zu sich selbst, »ist entweder ein Marktschreier, wie er im Buche steht, oder der Genius, mein Beschützer, ist ein großer Dummkopf. Wenn mein Professor, der doch sicherlich kein Hexenmeister ist, abgeschiedenen Kleinoden die Sprache wieder zu geben imstande ist, so tat mein Genius sehr übel, sich dem Teufel zu verschreiben, um sie lebendigen Kleinoden zu verleihen.«
Noch war Mangogul in diese Betrachtung versunken, als er sich schon mitten in seiner Akademie befand. Guallonorone hatte, wie man sieht, alle Kenner von Kleinoden in Banza zu Zuschauern. Um mit seinem Publikum vollkommen zufrieden zu sein, fehlte ihm nichts, als daß er sein Publikum mit sich zufriedenstellte, aber der Ausgang seiner Versuche war so unglücklich wie möglich. Guallonorone nahm ein Kleinod, setzte es an den Mund, blies, daß ihm der Atem verging, tat es beiseite, nahm es wieder auf, ergriff ein anderes; denn er hatte Kleinode mitgebracht von jedem Alter, jeder Größe, jedem Stande, und jeder Farbe. Aber er mochte immer blasen: man hörte nichts als unartikulierte Töne, von ganz andrer Art, als er versprochen hatte.

Darauf entstand ein Murren, das ihn für einen Augenblick aus der Fassung brachte. Er erholte sich aber bald und entschuldigte sich damit, solche Versuche schickten sich nicht wohl vor soviel Personen. Damit hatte er recht.

Mangogul war sehr aufgebracht, verließ die Versammlung und erschien im Augenblick vor der Favorite: »Nun, gnädigster Herr,« fragte die, sobald sie ihn erblickte, »wer hat recht, Sie oder Guallonorone? Sind seine Kleinode wundertätig?« Der Sultan ging auf und ab, ohne zu antworten. »Ihre Hoheit scheinen unzufrieden?« sagte die Favoritsultanin. »O Madame,« antwortete der Sultan, »die Unverschämtheit dieses Guallonorone geht zu weit! Ich will nichts mehr von ihm wissen. Was wird die Nachwelt sagen, wenn sie erfährt, daß der große Mangogul Hunderttausende von Gnadengehältern auf solche Menschen verwandte, indes tapfere Offiziere, die mit ihrem Blute seiner Stirn Lorbeer netzten, mit vierhundert Pfund Sold vorliebnehmen mußten? Nein, das ist mir zu toll! Meine gute Laune ist auf einen Monat dahin!« Hier schwieg Mangogul und ging von neuem auf und ab im Gemach der Favorite. Er ließ den Kopf hängen, stand still, ging wieder ein Stück und stampfte mit dem Fuß. Endlich setzte er sich, erhob sich schnell wieder, sagte der Sultanin gute Nacht, vergaß sie zu umarmen, und begab sich auf sein Zimmer.

Der gelehrte Afrikaner, der sich durch die Geschichte der glorwürdigsten Regierung Eguebzeds und Mangoguls unsterbliche Verdienste erwarb, fährt in seiner Erzählung also fort: Mangoguls Zorn ließ vermuten, daß er alle Gelehrten aus seinem Reiche verbannen werde. Keineswegs! Tags darauf stand er heiter auf, ritt am Morgen spazieren, speiste am Abend im Garten des Serails unter einem prächtigen Zelt mit Mirzoza und seinen Günstlingen und schien ganz und gar keine Regierungssorgen zu haben. Die Mißvergnügten im Staate, die Nörgler von Kongo, die Neuigkeitskrämer von Banza, unterließen nicht, dieses Benehmen sehr zu tadeln. Und was haben solche Leute nicht zu tadeln? »Heißt das,« sagten sie auf ihren Spaziergängen und in ihren Kaffeehäusern, »heißt das Staatsverwaltung, wenn man den ganzen Tag herumreitet und sich des Abends zu Tische setzt?« »O! daß ich Sultan wäre,« sagte ein Titulär-Rat, der ein ganzes Vermögen im Spiel verloren hatte, von seiner Frau geschieden war und seine Kinder unerzogen herumlaufen ließ, »daß ich Sultan wäre! der Wohlstand des Landes sollte viel blühender sein! Ich wäre der Schrecken meiner Feinde und die Liebe meiner Untertanen. Es sollte mir nur sechs Monate kosten, meine Polizei anders einzurichten, ein neues Gesetzbuch einzuführen, meine Armee auf einen andern Fuß zu bringen und eine Seemacht zu schaffen. Alle Häfen sollten Kriegsschiffe fassen können. Den dürren Sand verwandelte ich alsbald in fruchtbares Erdreich, die Feldwege in feste Heerstraßen. Abschaffen würde ich oder doch um die Hälfte vermindern die Steuern. Und was die Gnadengehälter anlangt, meine Herren Schöngeister, so dürftet Ihr höchstens einmal daran riechen. Gute Offiziere, Pongo Sabiam! Gute Offiziere, alte Soldaten, Beamte, die wie unsereins ihre Arbeitskraft und ihre Nachtruhe opfern, um den Völkern Recht zu schaffen! Das sind die Männer, denen ich meine Wohltaten würde zuteil werden lassen.« »Denkt Ihr noch daran, Ihr Herren,« ließ sich jetzt ein alter, zahnloser Staatsmann vernehmen, der nur noch drei Haare auf dem Kopfe hatte, dessen Rock an den Ellenbogen durchlöchert war, und der zerrissene Manschetten trug, »denkt Ihr noch an unseren großen Kaiser Abdelmaleck aus der Dynastie der Abyssinen, der vor zweitausenddreihundertfünfundachtzig Jahren regierte? Denkt Ihr noch daran, wie der zwei Sterndeuter an den Pfahl schlagen ließ, weil sie sich bei einer Sonnenfinsternis um drei Sekunden verrechnet hatten? und seinen Leibarzt ließ er lebendigen Leibes auseinandersägen, weil er ihm an einem Tage, den der Kalender als unglücklich angab, ein Abführmittel verordnet hatte!«

»Und was sollen uns,« fragte ein anderer, »was sollen uns die nichtsnutzigen Brahminen? Dieses Gezücht, das sich mit unserm Blute mästet? Die überreichen Stiftungen, von denen sie schwelgen, die weit eher uns zukommen?« Ein anderer meinte: »Was wußte man vor vierzig Jahren von einer lothringischen Kirche und von lothringischen Likören? Man hat sich einem Luxus ergeben, der die baldige Vernichtung des Reiches bedeutet und der eine notwendige Folge der Geringschätzung der Pagoden und der Sittenlosigkeit ist. Solange man an der Tafel des großen Kanoglu nur einfaches Rindfleisch aß und nur Sorbet trank, wer wußte da etwas von ausgeschnittenen Kleidern, von Martinscher Schminke, von Rameauscher Musik? Die Mädchen von der Oper waren damals ebenso menschenfreundlich als heutzutage, aber um weit billigeren Preis. Aber seht Ihr wohl, der Fürst ist es, der alles verdirbt. Ja, wenn ich Sultan wäre ...!« »Wenn du Sultan wärst,« antwortete ein alter Soldat, der mit genauer Not dem Gemetzel der Schlacht von Fontanoy entgangen war und der an der Seite seines Fürsten am Tage von Laufeld einen Arm verloren hatte, »dann würdest du noch mehr Dummheiten machen, als du jetzt zum besten gibst. Ach, Freund, du kannst deine Zunge nicht im Zaum halten und willst ein Reich regieren? Du bist nicht einmal Herr in deinem eignen Hause und möchtest dich in Staatsgeschäfte mischen? Halt das Maul, Unglücksmensch! Ehre die Mächte dieser Erde und danke deinem Schöpfer, daß er dich in einem Staate geboren werden ließ und unter der Regierung eines Fürsten, dessen Klugheit seine Minister erleuchtet und dessen Tapferkeit jeder Soldat bewundert, ihn, der gefürchtet ist von seinen Feinden und geliebt von seinen Völkern und an dem man weiter nichts aussetzen kann, außer daß er vielleicht Leute deines Schlages mit zu vieler Nachsicht behandeln läßt.«


Wäre ja schon interessant gewesen wie die praktischen Versuche des Herrn Professors so im Detail von statten gingen.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 999 x aufgerufen