Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 13
g. | Mittwoch, 11. September 2013, 07:51 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die OperKritik adeligen Kulturvergnügens, die Oper ist wahrlich keine moralische Anstalt.
Die Oper war das einzige Schauspiel in Banza, das sich hielt. Cedeef und Cisdisfisgisais, jener ein alter Mann, und dieser jung an Ruhm wie an Jahren, beides gepriesene Tonkünstler, arbeiteten wetteifernd für die lyrische Bühne. Diese beiden Originale, ein jeder hatte seine Anhänger. Nichtkenner und Graubärte hielten's mit Cedeef, junge Leute und Virtuosen mit Cisdisfisgisais; und die Kenner, alt und jung, hegten viel Achtung für alle beide.
Cisdisfisgisais, sagten diese, ist vortrefflich, wenn er gut ist, aber er schläft zuweilen, und wem widerfährt das nicht? Cedeef bleibt sich mehr gefestigt und gleichmäßig. Er ist voll von Schönheiten; doch wird man keine bei ihm antreffen, wovon sich bei seinem Nebenbuhler nicht auch Beispiele und auffallendere Beispiele finden ließen. Dieser hingegen hat Züge, die ihm eigentümlich sind, die man bei niemand antrifft als bei ihm. Der alte Cedeef ist ungekünstelt, natürlich, einfach, zuweilen zu einfach, das ist sein Fehler. Der junge Cisdisfisgisais ist eigenartig, glänzend, gekünstelt, gelehrt, zuweilen zu gelehrt, aber das ist vielleicht der Fehler seiner Zuhörer. Jener hat nur einen Anfangskniff, einen sehr schönen Anfangskniff, aber er wiederholt ihn bei jedem seiner Stücke. Dieser kommt von einem Gedanken in den andern, und man möchte jeden festhalten, um ihn wieder und wieder zu hören. An der Hand der Natur wandelt Cedeef die Pfade der Melodie; Nachdenken und Erfahrung ließen Cisdisfisgisais die Quellen der Harmonie entdecken. Wer wird je so richtig reden und solch ein Gewicht auf seine Worte legen, wie der Alte? Wer hingegen wird leichte Arien, wollüstige Weisen und ernste Symphonien schaffen wie der Junge? Cedeef allein versteht den Vortrag. Vor Cisdisfisgisais hatte niemand die zarten Abstufungen von der Zärtlichkeit zur Wollust, von der Wollust zur Leidenschaft, von der Leidenschaft zur Gemeinheit unterschieden. Einige Anhänger des letzteren behaupten sogar, Cedeefs Vortrag sei dem des anderen überlegen. Aber man sollte weniger auf die Ungleichheit ihrer Begabung hinweisen als auf die Verschiedenheit der Dichter, die sie verkörpert haben. »Lest nur, lest,« rufen sie in die Szene mit Dardono, »und ihr werdet die Überzeugung gewinnen, daß wenn man Cisdisfisgisais einen guten Text gibt, so wird er auch so reizende Szenen schreiben wie Cedeef. Dem mag sein, wie ihm will, zu meiner Zeit hielt sich das Publikum an die tragischen Kompositionen des ersten und drängte sich zu den komischen des letzten.«
Gerade damals war ein Meisterstück von Cisdisfisgisais auf die Bühne gebracht, das nur die wenigen Zuhörer eingeschläfert hätte, wenn die Favorite so neugierig gewesen wäre, es sich anzusehen. Zwar eine periodische Unpäßlichkeit der Kleinode kam seinen Neidern zu passe, und die Hauptdarstellerin mußte absagen. Die zweite, ihre Stellvertreterin, sang bei weitem nicht so gut, aber sie entschädigte durch ihr Spiel. Und nichts hielt den Sultan und die Favorite ab, das Schauspiel mit ihrer Gegenwart zu beehren.
Mirzoza war angekommen. Mangogul erscheint. Der Vorhang geht hoch. Man beginnt. Alles ging ausgezeichnet. Die Leistung der Sängerin Chevalier ließ ganz die sonstige Darstellerin Le Maure vergessen, und so kam man zum vierten Akte. Da, mitten im Chor, der dem Sultan zu lange dauerte und der auch die Favorite schon zum zweiten Male gähnen machte, kam Mangogul auf den Einfall, seinen Ring gegen alle Sängerinnen zu drehen. Nie sah man ein Bild von seltsamerer Komik auf der Bühne. Dreißig weibliche Gestalten verstummten auf einmal, sperrten das Maul weit auf und blieben in der theatralischen Stellung stehn, die sie angenommen hatten. Unterdessen gurgelten ihre Kleinode aus Leibeskräften, liederliche Stückchen, Burschenlieder, Bänkelsängerpossen, bekannte kleine Arien mit verkehrten Worten und mehr dergleichen, je dem Wesen einer jeden angemessen. Bei der hieß es: »Ach, liebe Frau Base, hört einmal.« Bei jener: »Wie, zum zwölften Male schon!« Hier: »Blasino, wißt, hat mich geküßt!« Dort: »Pater Cyprian sagt, was ficht Euch an?« Kurz, alle schrien durcheinander und machten einen so merkwürdigen und tollen Lärm, daß ein solcher Chor weder früher noch später nie erhört worden: »O du ... Blusius, wirst ... ficht Euch an ...«
(Hier wird das Manuskript ganz unleserlich.) Das Orchester geigte unterdessen lustig drauflos, und das Gelächter des Parterres, der Logen und der Galerie vereinigte sich mit dem Getöse der Instrumente und dem Gesang der Kleinode, um die Kakophonie vollkommen zu machen.
Einige Schauspielerinnen fürchteten, ihre Kleinode möchten ermüden, Dummheiten zu singen, und anfangen, sie zu sagen. Darum flüchteten sie hinter die Kulissen und kamen mit der Furcht davon. Denn Mangogul hielt sich überzeugt, daß das Publikum nichts Neues von ihnen erfahren würde, und zog seinen Ring zurück. Alsdann verstummten die Kleinode, das Gelächter hörte auf, das Theater ward ruhig, das Stück ging wieder an und nahm ein friedliches Ende. Der Vorhang fiel, der Sultan und die Sultanin fuhren weg, und die Kleinode unsrer Schauspielerinnen begaben sich dahin, wo man ihrer in andrer Absicht wartete, als um sie singen zu hören.
Dieser Vorfall erregte großes Aufsehn. Die Männer lachten, die Weiber erschraken, die Bonzen nahmen Ärgernis daran, und den Akademikern brummte der Kopf. Was sagte aber Guallonorone? Guallonorone triumphierte. Er hatte in seiner Abhandlung behauptet, die Kleinode würden dereinst auch singen. Jetzt hatten sie gesungen. Diese Erscheinung verwirrte seine Kollegen, ihm war sie ein neuer Lichtstrahl und befestigte vollends sein System.