Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Vom Leben mit Sozialpädagoginnen
(womit nicht Positives über Pädagogen, Psychologen/-innen, usw. angedeutet sein soll)
In meinem langen, bewegten Leben begab es sich auch dereinst, dass ich mehr oder weniger freiwillig mit einem Rudel Sozialpädagoginnen zusammenlebte. (Sie beginnen sich schon jetzt zu fürchten? Weichei!)

Als Student macht man ja so einiges mit, das man in reiferen Jahren dann versucht abzustreiten oder mit dem Mantel der ungenauen Erinnerung bedeckt. Ich zog also, meiner Erinnerung nach, eigentlich ganz frohen Mutes in eine Wohngemeinschaft mit Maschinenbauern, Physikern, Entsorgungstechnikern und eben auch mehreren Sozialpädagoginnen. Was mir vor dem Einzug nicht klar war, dass es einen mittelgroßen Kampf der Geschlechter in der WG gab. Was ich aus früheren Wohngemeinschaften ja schon kannte, waren die endlosen Debatten zum Thema Sauberkeit, für mich neu waren die kleinen Gefechte, die auf der einen Seite mit erbitterter Grundsätzlichkeit und auf der anderen mit wurschtiger Ausdauer, ausgetragen wurden. So lag auf der Toilette beispielsweise ein älterer Playboy. Nicht weil die Herren der Schöpfung vor dem Spülgang das dringende Bedürfnis verspürten nackte Tatsachen zu vergleichen oder zu bewundern, sondern um die Damen des Hauses zu ärgern. An einem der ersten Abende wurde ich dann folgerichtig von der einen Fraktion mit der Frage, wie ich es denn mit der Pornographie so halten würde, konfrontiert. Mir schwante ja übles und so versuchte ich mich mit einem desinteressierten ‚da nicht so für‘, wie man heute so sagen würde, heraus zu reden, schließlich dämmerte mir, dass ich mit Aussagen wie: „Was an Bildern von nackten Frauen antörnend sein soll ist mir nicht klar; ich bin mehr so fürs Reale“ oder: „Wenn ich ehrlich sein soll, finde ich ja diese ganzen einschlägigen Utensilien eher lustig. Riesige Rüttelstäbe in Bananenform oder aufblasbare Kunststoffliebhaberinnen kann ich von Zeit zu Zeit durchaus komisch finden“ eher auf ein ablehnendes Echo treffen würde. Weitschweifiges Drumherumgerede führte dann aber doch zu einer Entspannung der Debatte. Mir wurden lediglich tote Prinzen zur Lektüre empfohlen. Nun ja, nun ja, ich war ja damals jung und dumm, soll heißen eine kleine Nachschulung über Gleichberechtigung und Chancengleichheit hatte ich durchaus nötig, nur der Tod des Märchenprinzen?

And now for something completely different

Wissen Sie (noch) was Kefir ist?
Kefir ist eine der Geiseln der Menschheit. Dieser Pilz verdoppelt seine Masse bei Raumtemperatur in etwa 14 Tagen. Wenn man ihn teilt, ordentlich mit Milch füttert und nur wenig davon verzehrt, verdoppeln sich die beiden Teile wiederum in 14 Tagen, die dann wieder geteilt werden und so breitet sich der Kefir bald darauf in einer unendlichen Kettenreaktion in unendlichen, still vor sich hinwuchernden und säuerlich müffelnden Massen von Einweckgläsern in der ganzen Wohnung aus. Sie werden dem Fortpflanzungstrieb dieses Pilzes nicht mehr Herr. Kefir war beliebt bei alternativen Sozialpädagoginnen und so wurde dieses Geschöpft auch in unsere Wohngemeinschaft eingeschleppt und vermehrte sich exponentiell. Gegessen oder getrunken wurde davon wenig, obgleich er als ungeheuer gesund galt und das Leben fast bis ins Unendliche verlängern sollte. Die Kefirmassen wuchsen und die Debatten um die Vernichtung des Eindringlings wurden immer härter.

Leider hatte sich die Kefirdebatte schon weit von allen Sinnhaftigkeiten entfernt, es ging ums Grundsätzliche und wie immer wenn’s grundsätzlich wird, wurde erbittert gekämpft. Drohungen, Finten, Unterstellungen jagten sich am Abendbrottisch, wochenlang. Bis, ja bis zum Beginn der Semesterferien. Die Semesterferien veränderten die Gefechtslage, denn der Entsorgungstechniker hatte ein Praktikum bei einem bekannteren Berliner Entsorger, alle anderen fuhren zu ihren Eltern oder mussten sich auf dem Jobmarkt, meist in Westdeutschland, verdingen. Wer sollte sich um den Kefir kümmern? Ich war der einzige Kandidat, dem von unsren Mitbewohnerinnen genug Vertrauen (zu unrecht übrigens) entgegengebracht wurde, ihn zu hegen und zu pflegen und nicht schon am ersten Tag das ganze Kefirgeschwür in dem Müll zu werfen. Ich hatte jedoch einen Job in Süddeutschland. Unser Entsorgungstechniker schwor (scheinheilig, was sonst) einen Eid: Er werde den Kefir nicht anrühren und ihm kein Leid zufügen. Beruhigt fuhren unsere Pädagoginnen weg. Nach ihrer Rückkehr lag der Kefir vertrocknet in seinen Fortpflanzungsgläsern. Er hatte ihn nicht angerührt.

And now for something completely different

Ich hatte ja gelegentlich angedeutet, dass ich bei der Frage, wer mit wem und mit wie vielen, eine eher laxe Haltung einnehme. Muss man alles nicht so eng sehen und insbesondere nicht moralisch. Allerdings gibt es Grenzen, die man gefälligst einhalten sollte, schließlich wollen manche Leute nachts auch schlafen:
Unsere beiden Sozialpädagoginnen schleppten eines Abends einen ihrer Professoren an, eisengrauen Matte bis auf die Schultern und eine so sanfte, mitfühlende Aussprache, dass man Pickel von kriegen konnte. Na egal, Besuch ist Besuch und wenn man jedes Mal, wenn einem ein Besucher seiner Mitbewohner auf den Wecker geht (wenn ich da nur an den Animateur auf Urlaub denke, aber das ist eine andere Geschichte), sich aufregen würde …
Ja, nur diesmal war es etwas arg. Sogar unsere WG-Katze fand sein Angeschleime derart widerlich, dass sie prophylaktisch ihre Zähne in seinen Knöchel rammte und erst danach fauchte und sich in Sicherheit brachte. Wir haben ihr dann zwei Tage später etwas Leckeres zum Fressen gekauft und sie gelobt: „Das hast du fein gemacht, Mietzi!“

Also, der Abend nervte so vor sich hin und nach dem Abendessen gingen wir dann in die Kneipe und ließen den Professor mit seinen Studentinnen alleine.

Gegen zwei Uhr kamen wir dann etwas angeheitert zurück und legten uns sofort schlafen, schließlich wartete ein harter Studientag am Ende der Nacht auf uns.

Eine halbe Stunde später hörte ich ein, zunächst unterdrücktes, eine weitere Viertelstunde darauf, ein hemmungsloses Schluchzen auf dem Gang. Ich ging hinaus. Eine unserer Mitbewohnerinnen hockte vor der Tür ihrer Kommilitonin und weinte bitterlich. Es stellte sich heraus, dass sich ihre Rivalin mit dem Herrn Professor gerade in ihrem Zimmer vergnügte. („Wenn du das Ohr gegen die Tür presst, kannst du es hören!“ „Ich glaub’s dir ja.“) Ich tröstete sie so gut ich konnte und als sie sich bereit erklärt hatte, in ihrem Zimmer weiter um ihre Niederlage zu weinen, ging ich wieder ins Bett und schlief wieder ein.

Nach einer weiteren Stunde wachte ich erneut auf, weil wieder Weinen aus dem Flur zu mir ins Zimmer drang. Verdammt noch mal, sie hatte doch versprochen in ihr Zimmer zu gehen und nicht die ganze WG mit ihrem Weinen wach zu halten? Genervt ging ich auf den Flur. Zunächst konnte ich niemand entdecken, dann sah ich am Ende des Ganges vor dem Zimmer der Dame, die ich getröstet hatte, die Andere sitzen und herzergreifend flennen. Es stellte sich heraus, dass sich in der Stunde zwischen den Weinattacken das Blatt gewendet hatte. Inzwischen hatte sich der Herr Professor der anderen Dame zugewandt und die erste saß vor der Tür der anderen und weinte über ihre Zurücksetzung.

Die nächsten Wochen teilten sich die beiden Damen weiterhin den Liebhaber, allerdings hatten wir darauf bestanden, dass dies künftig in der Wohnung des Professors stattfinden müsse. Der Mensch will schließlich schlafen.

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