Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XXV
Die Schöne drückte einen zärtlichen Kuß auf die schmeichelnden Lippen. – »Ich habe Sie heut abend kommen sehn«, sagte sie, »und Ihnen bloß die Tür eröffnet, weil Sie mir gefallen, und weil ich Sie jetzt sogar liebe, ohne Vorteil von Ihnen zu hoffen. Ich denke, meine Liebe ist uneigennütziger, als die anständige Zärtlichkeit mancher Ehefrau.«

Siegmund ward immer mehr bezaubert; er schloß sie an sein klopfendes Herz und überdeckte Wangen und Busen mit feurigen Küssen.
Da fühlt man sich an Walter Serner erinnert.
»Ich habe einen Einfall!« rief die Geliebte wie begeistert aus, »ich habe einen Einfall, für den Sie mir gewiß danken werden. – Sie sollen sehn, daß ich nicht nur uneigennützig bin, sondern daß ich mich auch aufopfern kann, wenn ich mich jemandes Freundin nenne. – Ich habe mir einmal vorgesetzt, daß Sie hier in der Stadt bleiben sollen, und ich will für Sie den unangenehmsten Schritt tun: ich will mich nämlich mit dem Präsidenten in Kapitulation einlassen.«

Siegmund konnte nicht Worte genug finden, ihr zu danken. – Sie gab ihm in derselben Nacht noch zu mehrerem Dank Gelegenheit, und er verließ sie, um sich in seinem Gasthofe von dem philosophischen Räsonnement zu erholen, das ihn ermüdet hatte.
Nach den unterschiedlichen Anlässen, sich zu bedanken, ist die Sache endgültig eingefädelt.

Kommentieren