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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 11
g. | Freitag, 6. September 2013, 07:14 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Frage und Antwort
„Während sich die Akademie mit der Redseligkeit der Kleinode beschäftigte, sprach man in Gesellschaften von nichts anderm, gestern und heute und viele Tage hintereinander. Der Gegenstand war unerschöpflich. Zu der Wahrheit gesellte sich die Lüge. Alles fand Glauben. Ein Wunder machte das andere wahrscheinlich. Die Unterhaltung lebte sechs Monate lang davon.
Der Sultan hatte nur drei Versuche mit seinem Ring angestellt, und doch erzählten sich die Hofdamen der Mamimonbanda, was die Kleinode einer Präsidentin und einer Gräfin gesprochen haben sollten. Die frommen Geheimnisse einer Betschwester waren dadurch an den Tag gekommen; viele Frauenzimmer, die nicht zugegen waren, sollten gleichfalls geplaudert haben, und der Himmel weiß, was man ihren Kleinoden in den Mund legte. Man sparte sogar nicht mit Zötchen. Von Tatsachen schritt man zu Betrachtungen. »Der Zauber,« sagte eine der Damen, »denn ein Zauber liegt auf den Kleinoden, versetzt uns allerdings in eine sehr peinliche Lage. Man muß ja immer besorgen, ein freches Gerede aus sich herausgehn zu hören!« – »Aber, gnädige Frau,« antwortete eine andre, »die Angst nimmt uns an Ihnen wunder. Wenn ein Kleinod nichts Lächerliches zu sagen hat, was liegt daran, ob es spricht oder schweigt?« – »Daran liegt so viel,« erwiderte die erste, »daß ich gern die Hälfte meines Schmuckes für Gewißheit gäbe, daß das meinige schweigen werde.« »Wahrlich,« versetzte die zweite, »wer die Verschwiegenheit der Leute so teuer erkauft, muß seine guten Gründe haben.« »Meine Gründe sind nicht besser, wie die jeder andern,« antwortete Cephire, »aber ich bleibe bei meinem Gebot. Meine Ruhe ist um zwanzigtausend Taler nicht zu teuer erkauft. Ich gestehe offenherzig, ich bin mir meines Kleinods ebensowenig sicher, als meines Mundes, und der hat mir in meinem Leben manchen Streich gespielt. Man berichtet mir alle Tage so viel unglaubliche Abenteuer, die ein Kleinod erzählt, bezeugt, haarklein geschildert haben soll, daß, wenn ich auch drei Vierteile davon abziehe, doch noch Schändliches genug übrigbleibt. Lügt mein Kleinod nur halb so viel als die andern, so bin ich verloren. Ist es nicht genug, daß unser Betragen von den Gefühlen unsers Kleinodes abhängt, muß auch unser guter Name auf seine Aussage gegründet sein?« »Ich gehe,« sagte die lebhafte Ismene, »auf diese unendlichen Erörterungen weiter nicht ein. Reden die Kleinode durch Brahma, wie mir mein Brahmine beweist, so wird Brahma ihnen nicht erlauben, zu lügen. Der bloße Zweifel wäre Gotteslästerung. Also rede mein Kleinod, wann und wie viel es will. Was kann es zu sagen haben?«
Und siehe da, es erhob sich eine dumpfe, gleichsam unterirdische Stimme, gleich einem Widerhall: »Vielerlei!« Ismene, die nicht ahnte, woher diese Antwort käme, ward empfindlich, stellte ihre Nachbarinnen zur Rede und vermehrte die Belustigung der Gesellschaft. Dem Sultan war ihr Irrtum willkommen, er verließ seinen Minister, mit dem er beiseite gesprochen hatte, und näherte sich ihr: »Sind Sie auch sicher, schöne Frau, daß nicht eine dieser Damen um Ihre Heimlichkeiten weiß, und daß diese Kleinode nicht so boshaft sind, Geschichten wachzurufen, dessen sich das Ihrige nicht mehr entsinnt?«
Mangogul wußte seinen Ring so geschickt zu drehen, daß er dadurch ein sonderbares Gespräch zwischen der Dame und ihrem Kleinode veranlaßte. Ismene war sich immer selbst genug gewesen, und hatte nie einer Vertrauten bedurft, darum antwortete sie dem Sultan: »Gnädigster Herr, alle Kunst der Lästerzungen, kommt bei mir zu kurz.« »Vielleicht!« antwortete die unbekannte Stimme. – »Vielleicht? wie das?« gab die über den beleidigenden Zweifel gekränkte Ismene zurück. »Was habe ich von Ihnen zu befürchten?« – »Alles, wenn sie soviel wüßten wie ich.« – »Und was wissen Sie?« – »Vielerlei, sag ich Ihnen.« – »Vielerlei ist gar nichts gesagt. Wollen Sie sich deutlicher erklären?« – »Gewiß.« – »Hab ich etwa Herzensangelegenheiten gehabt?« – »Nein.« – »Ränke? Abenteuer?« – »Allerdings.« – »Mit wem, bitte? Mit Stutzern? Mit Militärpersonen? Mit Senatoren? Einem Offizier?« – »Nein.« – »Mit Schauspielern?« – »Nein.« – »Oder mit meinen Pagen, meinen Bedienten, meinem Beichtvater? oder dem Sekretär meines Gemahls?« – »Nein!« – »Also Sie Aufschneider, da sind Sie mit Ihrer Weisheit zu Ende!« – »Noch nicht ganz!« – »Mit wem sollte ich denn also etwas vorgehabt haben? Und wann denn? Vor oder nach meiner Hochzeit? Antworten Sie, Frechling!« – »Ach, Madam, hören Sie auf zu fragen und zwingen Sie Ihren allerbesten Freund nicht zu um so schlimmeren Geständnissen!« – »Reden Sie nur, mein Lieber. Sagen Sie, sagen Sie alles; ich mach mir aus Ihnen so wenig, daß ich nicht einmal Ihre Indiskretion fürchte. Sagen Sie alles, was Sie wissen. Ich bitte, ich befehle!« »Was verlangen Sie, Ismene?« rief mit einem tiefen Seufzer das Kleinod. – »Die Huldigung der Tugend!« – »Nein, tugendhafte Ismene, so erinnern Sie sich nicht mehr des jungen Osmin, des Sangiac Zegris, Ihres Tanzmeisters Alaziel, Ihres Singmeisters Almura?« – »Das sind Lügen!« rief Ismene, »so durft ich mich gar nicht vergehn! Meine Mutter war viel zu wachsam! Wenn mein Gemahl hier wäre, der könnte bezeugen, wie er mich in der Hochzeitsnacht gefunden hat, so wie er es nur wünschen konnte.« – »Alcine ist Ihre Freundin,« antwortete das Kleinod.
»Eine so lächerliche und plumpe Beschuldigung, erwiderte Ismene, verdient nicht, daß man sich darauf einlasse. Ich weiß nicht, welcher Dame das Kleinod gehört, das so viel von mir wissen will, doch das bezeug' ich, meinem Kleinod ist kein Sterbenswort davon bekannt.« – »Und meines, gnädige Frau,« antwortete Cephire, »begnügt sich vollkommen damit, zugehört zu haben.« Die andern Damen versicherten eben das, und man setzte sich zum Spiel, ohne genau zu wissen, wer in dem obenverzeichneten Gespräch eigentlich das Wort genommen habe.“
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