Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Freitag, 16. August 2013
Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 4
Die Beschwörung

„Der Genius Cucufa ist ein alter Hypochondrist. Aus Furcht, daß die Fallstricke der Welt und der Umgang mit andern Genien seinem Seelenheil gefährlich werden möchten, flüchtete er in einen leeren Raum. Dort beschäftigte er sich nach Herzenslust mit den unendlichen Vollkommenheiten der großen Pagode, kneift sich, kratzt sich, treibt Unfug, hat Langeweile, wütet und hungert. Dort liegt er auf einer Matte. Den Leib in einen Sack genaht, die Lenden mit einem Strick umgürtet, die Arme kreuzweise über die Brust geschlagen, und den Kopf in eine Kutte gehüllt, aus welcher nur das äußerste Ende seines Bartes hervorragt. Er schläft, aber man sollte glauben, er sei in Betrachtung versunken. Seine ganze Gesellschaft besteht aus einem Kauz, der zu seinen Füßen schlummert, aus einigen Ratzen, die an seiner Matte nagen, und aus Fledermäusen, die um sein Haupt schwirren. Wer ihn beschwören will, spricht unter Schellengeläut den ersten Vers des nächtlichen Gebets der Braminen, dann rückt er seine Kappe in die Höhe, reibt sich die Augen, fährt in seine Pantoffeln und eilt herbei. Denkt euch einen alten Camaldulenser Mönch, der zwei große Nachteulen an den Pfoten hält und von ihnen in der Luft getragen wird. In diesem Kostüme erschien Cacufa dem Sultan. »Bramas Segen sei mit dir,« sprach er, als er sich niederließ. »Amen,« antwortete der Fürst. »Was willst du, mein Sohn?« »Eine Kleinigkeit,« sagte Mangogul, »etwas Spaß auf Kosten meiner Hofdamen.« »Sohn! Sohn!« erwiderte Cacufa. »Du allein hast ja mehr Begierden, als ein ganzes Braminen-Kloster. Was denkst du mit dieser Herde Närrinnen anzufangen?« »Ich will wissen, was sie für Liebeshändel haben und hatten, weiter nichts.« – »Das ist ja unmöglich,« sprach der Genius. »Welches Weib beichtet ihre Liebeshändel? Das geschah nicht, geschieht nicht und wird nicht geschehn.« »Es soll aber geschehn,« versetzte der Sultan. Der Genius kratzte sich am Ohr, strich aus Zerstreuung seinen langen Bart durch seine Finger, und versank in Nachdenken. Er erwachte bald daraus: »Sohn,« sprach er zu Mangogul, »ich liebe dich; du sollst deinen Willen haben.« Nun fuhr er mit der Rechten in einen tiefen Sack, der ihm unter der linken Achsel hing, und suchte unter Bildern, Rosenkränzen, Bleimännerchen und verschimmelten Zuckerkörnern ein silbernes Reifchen hervor, das Mangogul anfangs für einen Hubertsring hielt. »Nimm diesen Ring, mein Sohn,« sprach er zum Sultan. »Steck ihn dir an den Finger. So oft du seinen Stein gegen ein Weib wendest, wird sie dir ihre Heimlichkeiten laut, deutlich und verständlich hererzählen. Nur glaube nicht etwa, daß sie durch ihren Mund zu dir reden werde.« »Das wär' der Henker!« rief Mangogul, »wodurch wird sie denn reden?« »Durch den offenherzigsten Teil, der an ihr ist,« sagte Cacufa, »durch den Teil, der das am besten weiß, was du zu erfahren begehrst; durch ihr Kleinod.« »Durch ihr Kleinod?« versetzte der Sultan, mit schallendem Gelächter. »Ihr Kleinod soll reden? das ist ja außer aller Regel!« »Sohn,« sprach der Genius, »ich habe deinem Großvater zu Liebe wohl andre Zeichen getan, also verlaß dich auf mein Wort. Brama sei mit dir! Gebrauche das Pfand wohl, das der Himmel dir verleiht, und erinnere dich, daß der Weise seiner Neugier Schranken setzt.« Mit diesen Worten schüttelte der Gleißner den Kopf, verhüllte ihn wieder in seine Kutte, ergriff die Eulen bei den Pfoten, und verschwand in den Lüften.“
Ein Genius war übrigens bei den ollen Römern der persönliche Schutzgeist eines Mannes und was unter Kleinod hier verstanden wird, dürfte auch klar sein.

Meines Wissens waren frivole und das heißt in dieser Zeit noch nicht in jedem Fall, verklemmte erotische Anspielungen bzw. wie oben sehr deutliche Benennungen, eine gängige Literaturform. Ich kenne aber – außer Diderot – nur noch die Art wie Wieland (von ihm werde ich auch noch das eine oder andere vorstellen) über Sex redete. Beide scheinen weit entfernt von der verschwiemelten Darstellung von Sex & Erotik des Bürgertums des 19. Jahrhunderts.

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