Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 20. Dezember 2012
Schnipsel
Manchmal lese ich irgendwo etwas und was mir dazu einfällt, schreibe ich dann auf:

  1. „… dient die Psychoanalyse als Gegengift zu einem versteinerten, objektivierten Marxismus.“ Bliebe die Frage, ob das die Alternativen in der Nachkriegszeit waren, schließlich gab es auch Korsch und Brecht. Die Kritische Theorie scheint sich reichlich abstrus nur an Stalin abzuarbeiten, das Falsche gegen das Falsche setzend.
  2. Wenn Adorno im ‚Jargon der Eigentlichkeit' auf Heidegger und George gemünzt von „marktgängiger (n) Edelsubstantive(n)“ spricht, hat er – der Text ist Mitte der 60er entstanden – natürlich recht. Aus heutiger Sicht fällt zunächst auf, dass sie nicht mehr marktgängig sind. Heute werden andere Säue durch Dorf getrieben. Aber auch damals gab es – im aktuellen Jargon ausgedrückt – andere Diskurse, andere Ideologien, die sichtbar und manchmal auch (vor-)herrschend waren. Szondi, Borchert, Rock’n’Roll usw. Auch wenn man zu gute hält, dass der Text in einer bestimmten Zeit aus Ärger über das Heideggern im akademischen Raum geschrieben wurde, fällt als nächstes – mir zumindest – die fehlende Frage nach den Sphären der Redeweisen auf und die eigentlich (gnihihi) unhistorische Betrachtung. Wer redet mit welchen Interessen in welchem historischen Kontext wie? Wäre so eine der Fragen. Oder anders ausgedrückt: auch wenn die Ideologietheorie von Marx&Engels unzureichend und von ihren Jüngern zur Wahrheit vergespenstert wurde, ist es doch nicht vernünftig ihre - dürftigen - Erkenntnisse einfach zu ignorieren. (Wobei der Propaganda, wenn ich das bei meinem derzeitigen Lektürestand richtig wahrnehme, kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wie kann man den Dr. Göbbels einfach beiseite lassen? Und wie verhält sich das falsche Bewusstsein zur Propaganda?)
  3. „Die Suche nach der eigenen Identität und die der Deutschen“ sei das zentrale Anliegen - laut eines rechtskonservativen oder ns-nahen Porträtverfassers - von Ernst von Salomon gewesen (interessant übrigens welche Ahnherren wieder ausgegraben werden.). Diese Suche nach der Identität ist eine spannende Sache, zumindest für mich, der ich nie nach Identität gesucht habe. Ich wollte alles Mögliche, finanzielle und persönliche Unabhängigkeit (kann man übrigens nirgends finden, zumindest nicht vollständig), nach Abenteuern, nach einem Job, den ich ohne zu leiden, dreißig Jahre machen kann, nach einer tollen Frau, und und und. Dabei wurde ich mit den Jahren immer einiger mit mir. Ob ich jetzt - als alter Sack - eine Identität habe? Ich bin zwar von allen anderen unterschieden (gilt auch für Tiere und Pflanzen und Steine), aber Identität ist ja noch mal einen Zacken schärfer.
  4. „Die expressionistische Formel „Jeder Mensch ist auserwählt“, die in einem Drama des von den Nationalsozialisten ermordeten Paul Kornfeld steht, taugt nach Abzug des falschen Dostojewsky zur ideologischen Selbstbefriedigung eines von der gesellschaftlichen Entwicklung bedrohten und erniedrigten Kleinbürgertums.“ Endlich mal ein Satz von Adorno, der mir gefällt. (ob er auch richtig ist? Ideologisch ist die Auserwähltheit wohl schon, aber dient sie nur der Selbstbefriedigung oder nicht auch als Waffe oder Trost?)
  5. Wenn Harald Martenstein ein Buch gut findet, weiß ich, dass ich es nicht lesen muss. Sehr verdienstvoll der Mann.
  6. Warum gibt es eigentlich keine Mit-Leidens-Zentralen? (Mit-Fahren geht schließlich auch)
  7. Als ich zu einem Flugblattverteiler der MLKPDAO sagte: „Nein Danke, ich bin ideologisch nicht ausreichend gefestigt.“ sah er mich an, als hätte ich ihm in den Schritt gefasst.
  8. Hübsche Idee von Rainald Götz: sein Erzähler beleidigt seine Figuren. Im Nibelungenlied wird Hagen von Tronje (oder: Hagen von Tronege) als „übele man“, als schlechter Vasall charakterisiert.
  9. Ich mein, solangs was gibt, da lass ich mir das mit der Ontologie ja gefallen, aber wenns nacherd vorbei is, is es auch nicht mehr so weit her mit der Ontologie.

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