Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 22. Februar 2011
Von Höckschen auf Stöckschen
Eichendorff zum Gedenken
Manchmal schießen mir Formulierungen durch den Kopf und dann grüble ich: von wem stammt das noch mal und wie war eigentlich der Zusammenhang?
Nun ist es so, dass nicht jeder Schriftsteller die gleichen rudimentären Spuren in meinem Gedächtnis hinterlässt. Es ist eher selten.
Viel häufiger erinnere ich mich relativ genau, von wem ein Satz, ein Ausdruck oder eine Schilderung stammt und meist kann ich auch noch an den Titel des Textes ungefähr erinnern.
Eine andere Gruppe von Texten rauscht, ohne dass eine Erinnerung daran zurückbleibt, an mir vorbei. So ergeht es mir mit den gelben Heftchen von SuKultur, die es auf Berliner S-Bahnhöfen aus dem Automaten gibt. Die Idee, Lesestoff neben Süßigkeiten und Energydrinks für einen Euro zum Herauslassen anzubieten, finde ich ganz zauberhaft, zumal es mir gelegentlich passiert, dass ich nichts zum Lesen für die Fahrt dabei habe und sich auch kein Ausgleich durch zu belauschende Gespräche ergibt. (Überhaupt: Wenn ich nichts zu lesen habe ist es in der Bahn immer langweilig, wenn ich hingegen von einem Buch gefesselt bin, spricht um mich der nackte Wahnsinn.) Okay, wo waren wir? Richtig: Manche Texte rauschen vorbei.
Die dritte und seltenste Gruppe sind Autoren, die ich eher so mittel finde, die aber hier und da ein oder einige Stücke oder Stückchen hinterlassen haben, die mir gefallen. Meist sind mir nur noch einzelne Sätze oder Satzfetzen im Gedächtnis, zu allem Übel häufig auch noch über die Jahre verändert. Das Gedächtnis ist ein seltsames Ding.

Zu dieser Gruppe gehört der Freiherr Joseph von Eichendorff.
Denkt man an Eichendorff, fällt einem ja sofort „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt der in die Wurstfabrik, ...“ ein (Haben eigentlich alle Schüler die gleichen Verballhornungen gemacht?). Na egal.

Vor einiger Zeit nun schoss mir „Lug und Trug ist aller Männer Treu“ durch den Kopf, eine Sentenz, die man ja durchaus in einer Debatte über Männer und Frauen, die Liebe und das Leben, einstreuen kann, ohne des Chauvinismus verdächtigt zu werden und ohne gleich fürchterlich dem zustimmen zu müssen, was einem da als Erkenntnis zugemutet wird.
Eichendorff dachte ich sogleich, das stammt von Eichendorff. Der hat doch so Zeug geschrieben, wohlklingend und für alle Zeiten und viele Gelegenheiten passend, vor allem, wenn man sich nicht auf eine Diskussion einlassen will. Eichendorff, klar, aber wo und in welchem Zusammenhang?
Also flugs eine Suchmaschine angeworfen, denn händisch in der Bibliothek zu wühlen ...
Hm, nicht wirklich befriedigend. Doch nicht Eichendorff? Hm, aber es wurde ja auch sonst nix gefunden. Also anders. Okay, dass es eine Blume namens Männertreu gibt, nun ja, nun ja. Und dass man dann bei, etwas weiter unten müssen Sie gucken, bei Hans Talhoffer landet ist nicht uninteressant, schließlich macht einen die Berufsbezeichnung Lohnkämpfer doch neugierig (Warum lese ich ein ums andere Mal ‚Feuchthandschriften’ statt ‚Fechthandschriften’?). In seinem Kampfbuch heißt es:
„Junger Mann, nun lerne Gott zu lieben und die Frauen zu ehren. Sprich gut von den Frauen und sei tapfer, wie ein Mann es sein soll, und hüte dich vor Lug und Trug. Trachte nach Redlichkeit und befleißige dich in der Ritterschaft. Mit Freuden sollst du üben: Steinwerfen und Stangen drücken, Tanzen und Springen, Fechten und Ringen, Lanzenstechen und Turnierkampf, und dazu schönen Frauen zu hofieren. Sei aufgelegt zu Lust und Scherz: Fechten verlangt Herz.“
Dass man die Frauen ehren und sich vor Lug und Trug hüten soll ist ja völlig richtig, nur mit meiner Sentenz „Lug und Trug ist aller Männer Treu“ hat das nicht zu tun. Also weiter. Am Besten direkt bei Eichendorff und die Suchbegriffe weiter öffnen:
Nix, also auf anderem Wege.

Hach, die Kunst der Hochstapelei ist etwas Wunderbares. Der Hochstapler lässt die Grenzen zwischen den Individuen verschwinden und darüber sollte man auch mal etwas schreiben. Dabei fällt mir ein: Es gibt doch diese afrikanische Geschichte von dem Mann, der sich neben seinem Esel zum Schlafen nieder legt und in der Nacht kommt jemand vorbei, der ihm die Decke wegnimmt, seinen Lendenschurz anlegt, den er zum Schlafen abgelegt hatte und sich dann neben den Esel legt. Am Morgen steht der Mann auf, sieht den Fremden mit seinem Lendenschurz auf seiner Decke neben seinem Esel liegen und ruft: „Wehe, dieser dort trägt meinen Lendenschurz und liegt auf meiner Decke neben meinem Esel. Das ist also Soundso (der Name ist mir entfallen). Wer bin dann aber ich?“
Nach dieser afrikanischen Geschichte muss ich auch mal suchen und einen Blogeintrag über Identität schreiben. Sie wäre ein schöner Anlass.

Aber zurück zu Eichendorff und zu Lug und Trug. Tja, wo könnte man denn noch suchen? Immer wenn man das Internet mal braucht, dann funktioniert es nicht. Also doch zu Fuß suchen!

Im Taugenichts wird die Stelle wohl nicht zu finden sein, schließlich geht es darin eher um das Gegenteil, nämlich dass der treue Taugenichts von der schönsten aller Frauen zumindest zunächst ignoriert wird.

Schuhmann hat doch eine Reihe von Liedern Eichendorffs vertont, vielleicht findet sich da etwas?
„I. In der Fremde

Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
da kommen die Wolken her,
aber Vater und Mutter sind lange tot,
es kennt mich dort keiner mehr.

Wie bald, ach wie bald kommt die stille Zeit,
da ruhe ich auch, und über mir
rauschet die schöne Waldeinsamkeit.
und keiner kennt mich mehr hier. „
Waldeinsamkeit, das war doch Tieck? Ja:
"Waldeinsamkeit,
die mich erfreut,
So morgen wie heut
In ewger Zeit,
O wie mich freut
Waldeinsamkeit"
(Ludwig Tieck: Der blonde Eckbert)
Wenn man diese Zeilen liest, hat man unwillkürlich das Gefühl, dass Ludwig Tieck das ironisch meint: „O wie mich freut Waldeinsamkeit". Bei Gelegenheit muss ich mal den Eckbert lesen. Bei Eichendorff scheint die Waldeinsamkeit völlig ungebrochen. Nun ja, wie dem auch sei, zum Problem des ‚Lug und Trug‘ trägt das nun nicht so sehr viel bei, also weiter suchen.

Ha, aber hier:
III. Waldesgespräch

Es ist schon spät, es ist schon kalt,
was reit'st du einsam durch den Wald?
der Wald ist lang, du bist allein,
du schöne Braut! Ich führ' dich heim!

„Gross ist der Männer Trug und List,
vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
wohl irrt das Waldhorn her und hin,
o flieh'! du weisst nicht, wer ich bin.“

So reich geschmückt ist Ross und Weib,
so wunderschön der junge Leib,
jetzt kenn' ich dich, Gott steh mir bei!
Du bist die Hexe Loreley!

„Du kennst mich wohl, vom hohen Stein
schaut still mein Schloss tief in den Rhein.
es ist schon spät, es ist schon kalt,
kommst nimmermehr aus diesem Wald!“
War es das?
„Gross ist der Männer Trug und List,
vor Schmerz mein Herz gebrochen ist, …“
Vielleicht, aber sehen zunächst wir weiter, ob nicht noch etwas passenderes zu finden ist.

Das folgende Gedicht von Eichendorff hat natürlich überhaupt nichts mit Lug und Trug zu tun, ich bin nur beim Stöbern zufällig darauf gestoßen:
„Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.“
Na ja, vielleicht, doch, nur eben nichts mit der Treue der Männer.

„Lug und Trug“: mal nachdenken. Lug und Trug hat ja mit dem Leben und so zu tun, vielleicht hat Eichendorff ein Memento Mori geschrieben?

Hat er:
„Memento mori
Schnapp Austern, Dukaten,
Mußt dennoch sterben!
Dann tafeln die Maden
Und lachen die Erben.“
Gar nicht übel, nur leider nichts zum Thema. Die Richtung könnte aber stimmen, eine Klage über die Welt, die von Lug und Trug regiert wird.

Da gab es doch, wie ging das noch mal, „üb’ immer Treu und Redlichkeit“, aber das war nicht von Eichendorff, oder?
Ludwig Heinrich Christoph Hölty
Der alte Landmann

Üb' immer Treu und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finge breit
Von Gottes Wegen ab!

Dann wirst du wie auf grünen Au'n
Durch's Pilgerleben gehn,
Dann kannst du ohne Furcht und Grau'n
Dem Tod in's Antlitz sehn.

Dann wird die Sichel und der Pflug
In deiner Hand so leicht;
Dann singest du bei'm Wasserkrug,
Als wär' dir Wein gereicht.

Dem Bösewicht wird alles schwer,
Er tue, was er tu';
Das Laster treibt ihn hin und her
Und lässt ihm keine Ruh',

Der schöne Frühling lacht ihm nicht,
Ihm lacht kein Ehrenfeld;
Er ist auf Lug und Trug erpicht
Und wünscht sich nichts als Geld.

Der Wind im Hain, das Laub im Baum
Saust ihm Entsetzen zu;
Er findet nach des Lebens Raum
Im Grabe keine Ruh'. -

Sohn, übe Treu' und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab!

Dann suchen Enkel deine Gruft
Und weinen Tränen drauf,
Und Sonnenblumen, voll von Duft,
Blühn aus den Tränen auf.
„Au'n“ und „Grau'n“. So etwas hätte Eichendorff dann doch nicht geschrieben.
Man stößt auf Allerlei, wenn man Gedichtsammlungen nach dem Leben, der Liebe usw. durchstöbert:
Novalis
Was passt, das muss sich ründen

Was passt, das muss sich ründen,
Was sich versteht, sich finden,
Was gut ist, sich verbinden,
Was liebt, zusammen sein.
Was hindert, muss entweichen,
Was krumm ist, muss sich gleichen,
Was fern ist, sich erreichen,
Was keimt, das muss gedeihn.

Gib treulich mir die Hände,
Sei Bruder mir und wende
Den Blick vor deinem Ende
Nicht wieder weg von mir.
Ein Tempel, wo wir knieen,
Ein Ort, wohin wir ziehen,
Ein Glück, für das wir glühen,
Ein Himmel mir und dir!
Oder vielleicht ganz allgemein nach Männer und Frauen schauen?
„Der verliebte Reisende

1

Da fahr ich still im Wagen,
Du bist so weit von mir,
Wohin er mich mag tragen,
Ich bleibe doch bei dir.

Da fliegen Wälder, Klüfte
Und schöne Täler tief,
Und Lerchen hoch in Lüften,
Als ob dein' Stimme rief.

Die Sonne lustig scheinet
Weit über das Revier,
Ich bin so froh verweinet
Und singe still in mir.

Vom Berge geht's hinunter,
Das Posthorn schallt im Grund,
Mein' Seel wird mir so munter,
Grüß dich aus Herzensgrund.

2

Ich geh durch die dunklen Gassen
Und wandre von Haus zu Haus,
Ich kann mich noch immer nicht fassen,
Sieht alles so trübe aus.

Da gehen viel Männer und Frauen,
Die alle so lustig sehn,
Die fahren und lachen und bauen,
Daß mir die Sinne vergehn.

Oft wenn ich bläuliche Streifen
Seh über die Dächer fliehn,
Sonnenschein draußen schweifen,
Wolken am Himmel ziehn:

Da treten mitten im Scherze
Die Tränen ins Auge mir,
Denn die mich lieben von Herzen
Sind alle so weit von hier.

3

Lied, mit Tränen halb geschrieben,
Dorthin über Berg und Kluft,
Wo die Liebste mein geblieben,
Schwing dich durch die blaue Luft!

Ist sie rot und lustig, sage:
Ich sei krank von Herzensgrund;
Weint sie nachts, sinnt still bei Tage,
Ja, dann sag: ich sei gesund!

Ist vorbei ihr treues Lieben,
Nun, so end auch Lust und Not,
Und zu allen, die mich lieben,
Flieg und sage: ich sei tot!

4

Ach Liebchen, dich ließ ich zurücke,
Mein liebes, herziges Kind,
Da lauern viel Menschen voll Tücke,
Die sind dir so feindlich gesinnt.

Die möchten so gerne zerstören
Auf Erden das schone Fest
Ach, könnte das Lieben aufhören,
So mögen sie nehmen den Rest.

Und alle die grünen Orte,
Wo wir gegangen im Wald,
Die sind nun wohl anders geworden,
Da ist's nun so still und kalt.

Da sind nun am kalten Himmel
Viel tausend Sterne gestellt,
Es scheint ihr goldnes Gewimmel
Weit übers beschneite Feld.

Mein' Seele ist so beklommen,
Die Gassen sind leer und tot,
Da hab ich die Laute genommen
Und singe in meiner Not.

Ach, wär ich im stillen Hafen!
Kalte Winde am Fenster gehn,
Schlaf ruhig, mein Liebchen, schlafe,
Treu' Liebe wird ewig bestehn!

5

Grün war die Weide,
Der Himmel blau,
Wir saßen beide
Auf glänzender Au.

Sind's Nachtigallen
Wieder, was ruft,
Lerchen, die schallen
Aus warmer Luft?

Ich hör die Lieder,
Fern, ohne dich,
Lenz ist's wohl wieder,
Doch nicht für mich.

6

Wolken, wälderwärts gegangen,
Wolken, fliegend übers Haus,
Könnt ich an euch fest mich hangen,
Mit euch fliegen weit hinaus!

Tag'lang durch die Wälder schweif ich,
Voll Gedanken sitz ich still,
In die Saiten flüchtig greif ich,
Wieder dann auf einmal still.

Schöne, rührende Geschichten
Fallen ein mir, wo ich steh,
Lustig muß ich schreiben, dichten,
Ist mir selber gleich so weh.

Manches Lied, das ich geschrieben
Wohl vor manchem langen Jahr,
Da die Welt vom treuen Lieben
Schön mir überglänzet war;

Find ich's wieder jetzt voll Bangen:
Werd ich wunderbar gerührt,
Denn so lang ist das vergangen,
Was mich zu dem Lied verführt.

Diese Wolken ziehen weiter,
Alle Vögel sind erweckt,
Und die Gegend glänzet heiter,
Weit und fröhlich aufgedeckt.

Regen flüchtig abwärts gehen,
Scheint die Sonne zwischendrein,
Und dein Haus, dein Garten stehen
Überm Wald im stillen Schein.

Doch du harrst nicht mehr mit Schmerzen,
Wo so lang dein Liebster sei -
Und mich tötet noch im Herzen
Dieser Schmerzen Zauberei.“
(Eichendorff)
Der hat schon Sachen gemacht, der Eichendorff, immer anders und immer wieder gleich. Mit „Lug und Trug ist aller Männer treu“ bin ich leider kein Stück weitere gekommen. Kann mir jemand helfen?

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren


... 949 x aufgerufen