Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

An der Gedächtniskirche
Auf dem Alexanderplatz durften wir ja bereits einer Begegnung mit einem Prediger beiwohnen, heute soll’s um die Sowieso gehen (wie hieß sie noch gleich? Helga? Gerda? Na egal.) Sie war eine ältere Dame mit eisengrauen Haaren und einem freundlichen und aufmerksamen Gesicht. Als ich sie das erste Mal sah, dachte ich noch, die sieht aber der Uta Ranke-Heinemann ziemlich ähnlich.

Meist traf ich sie auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Außer ihr, war und ist an diesem Weihnachtsmarkt nicht besonderes, wie überall tönt „Stille Nacht“ aus jedem Stand, es gibt das zu kaufen, was es auf jedem Weihnachtsmarkt zu kaufen gibt und der Glühwein fällt wie ebenfalls auf jedem Weihnachtsmarkt eigentlich unter die Kampfmittelverordnung (Warum wird das Zeug eigentlich nicht in der Nordsee verklappt?)

Sie trug einen warmen Mantel und stand meist auf einer Obstkiste direkt vor der Kirche. Insbesondere jüngere Pärchen weckten ihre Aufmerksamkeit und stachelten sie an, ihnen ihre Botschaft zu vermitteln. Ein strahlender Blick in die Augen und ihre Stimme schwoll an:

„Ficken, Kinder, ihr müsst mehr ficken!“

Und dann legte sie ausführlich und mit guten Argumenten dar, warum ihre Erachtens die Menschen zu wenig schnackseln (Fürstin Gloria von Turn und Taxis). Ihre Freundlichkeit und Eloquenz machte es einem als Passanten sehr schwer, sich der anschwellenden Redeflut zu entziehen. Meist blieben die Leute stehen und wenn sie nicht völlig verbiestert waren, hörten sie ihr aufmerksam zu. Ich habe ihr eigentlich immer ganz gerne zugehört und stets am Ende ihrer Ausführungen beteuert, dass ich ihre Ratschläge für meinen weiteren Lebensweg beherzigen werde.

Irgendwann wurden ihre pädagogischen Versuche seltener und büßten auch etwas an Glanz und Geschliffenheit ein. Sie wurde alt und dann tauchte sie nicht mehr auf.

Nachtrag:
Die Dame hieß Helga Goetze: ein Nachruf & die Website & ein Interview
Mein Gedächtnis ist gar nicht so schlecht.

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jean stubenzweig, Montag, 3. Januar 2011, 08:39
Zunächst einmal:
Welche Töne kommen zum Vorschein, wenn altes Eisen grau wird?

Dann: Heute sind Sie aber besonders umwelt(un)freundlich! Glühwein in die Nordsee? Der ist doch ohnehin schon so warm, daß sie bereits den Golfstrom von sich weist.

Und dann auch noch das, dieses kinderungeschützte Thema. Sie verlassen sich offensichtlich darauf, daß die Erweiterung des Schwellkörpers JMStV wegen Nichtdurchführbarkeit angehalten wurde, zumindest solange, bis im Politlabor taugliche Gesetze entwickelt worden sind.

Uta Ranke-Heinemann habe ich unlängst erst gesehen; ihre Rede handelte davon, daß die Sexualität vor der (Gedächtnis)Kirche zu bedenken gebe – oder so ähnlich. Sie kann aber auch, wie üblich im Fernsehen, eine Wiederholung gewesen sein.

g., Dienstag, 4. Januar 2011, 06:05
Regenduft

Schreie. Ein Pfau.
Gelb schwankt das Rohr.
Glimmendes Schweigen von faulem Holz.

Flüstergrün der Mimosen.
Schlummerndes Gold nackter Rosen
Auf braunem Moor.

Weiße Dämmerung rauscht in den Muscheln.
Granit blank, eisengrau.
Matt im Silberflug Kranichheere
Über die Schaumsaat stahlkühler Meere.

(Max Dauthendey)
Und: bei allen anderen Dauergästen in den Talk=Shows könnte man an der Kleidung und der Frisur ungefähr das Jahr ermitteln, Uta Ranke-Heinemann tritt aber seit Jahrzehnten unverändert vor die Kameras. Es sei ihr gegönnt.

n.b.: Der hinkende Bote ist freigegeben für Erwachsene unter 18 Jahren.