„So abgeloost kann ich gar nicht sein, dass ich mich mit Westerwelle auf eine Stufe stelle!“
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Zur Wahl im September war er nicht mehr da, der Jopi. Vielleicht habe ich ihn auch nur nicht mehr getroffen.
Vor vier Jahren stand er Tag für Tag vor dem Ausgang der U 2 am Alexanderplatz, dürr war er, er hätte mal was essen sollen und sich häufiger rasieren. Er trug ein mit einem dicken Filzstift beschriftetes Schild aus Wellpappe vor der Brust:
„Wählt Jopi in den Bundestag.
Ich bin eine ehrliche Haut und verspreche, dass ich mich für alle einsetzen werde.“
Das Schild war nicht groß genug, um sein ganzes Anliegen mit dem dicken Stift auf die Pappe zu bringen und so hat er mit einem Kugelschreiber in kleiner, krakeliger Schrift alles weitere, was ihm am Herzen lag, auf die verbliebenen 10 Zentimeter geschrieben: das, was ihn bewegt und das, was zu ändern wäre in der Republik.
Ich bin einige Male stehen geblieben und habe auch das Kleingeschriebene sorgfältig gelesen. Wenn es jemand dreckig geht und Jopi ging es dreckig, sollte man seinem berechtigten Anliegen Respekt zollen. Ich kann ihm keinen Job und keine Wohnung verschaffen und Geld wollte er nicht annehmen. Aus Stolz, vermute ich.
Jopi stand über zwei Wochen immer am gleichen Ausgang. Ein großer Redner war er wohl nicht. Wenn man bei einzelnen Punkten nachfragte, konnte er nur wenig dazu erläutern. Alles was er wusste und zu sagen hatte, stand auf dem Schild.
Wie es ihm wohl geht, dem Jopi?
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Die Bezirksverwaltung hatte entsprechend Parkverbotsschilder aufgestellt, damit die Firmen Schuttcontainer aufstellen und mit ihren kleinen Kränen die Bordsteine heraushieven können. Auch vor der Fahrschule. Aber das kann man mit Herrn S. nicht machen und so sah ich ihn, wie er munter die Schilder einige Meter versetzte.
“N’Abend, das könnte aber Ärger geben, wenn die Straßenbauer morgen früh ihre Steine abladen wollen.“
„Ah ja, und wer zahlt mir den Verdienstausfall?“
„Ich verstehe nicht?“
„Ist doch ganz einfach: hier stehen meine Fahrzeuge. Wenn die Kunden sehen, dass sie durch den Dreck laufen müssen, bleiben sie weg. Die Konkurrenz schläft nicht.“
„Ja schon, vielleicht, aber irgendwann muss die Straße doch gemacht werden?“
„Klar, schließlich habe ich den Baustadtrat lange Jahre angeschrieben, dass das nicht so weiter gehen kann. Wenn ich denke, wie glatt das im Winter ist, von den abgebrochenen Absätzen meiner Schüler ganz zu schweigen.“
„Äh, ja?“
„Aber doch nicht so!“
„Ich verstehe nicht?“
Inzwischen war ein Polizist in Sichtweite gekommen. Er rückte gelegentlich eine Absperrung gerade, verbreiterte eine Zugang zu einem Haus oder notierte sich etwas.
„Das bringt doch nix, jetze machen sie neue Steine rein, aber in ein paar Jahren ist das wieder genau so krumm und bucklig wie jetzt.“
„Nun, ich bin kein Straßenbauer, aber so weit ich weiß, muss der Sand zwar ein- oder zweimal verdichtet werden, dann ist aber auch gut.“
„Ich kann es beim Telefonieren hören. Mit diesen großen Rüttlern bringen sie das Haus zum vibrieren. Verdammt noch mal.“
Ich nickte dem Polizisten zu. Er grüßte zurück und stellte das Parkverbotsschild wieder an seinen ursprünglichen Platz.
„Was machen sie da?“ blaffte Herr S. los. „Eins kann ich ihnen sagen, wenn eines meiner Schulfahrzeuge ein Knöllchen bekommt, ist aber was los!“
„Wenn die Pflasterer morgen nicht an den Bordstein kommen, ist noch viel mehr los.“
„Sie können doch nicht die Schilder so aufstellen, wie es ihnen gerade passt.“
„Ich stelle ja auch keine Schilder auf, ich stelle sie nur an den Platz zurück, an dem sie vorgesehen waren. Ich kenne meine Pappenheimer.“
Heute versprach die Begegnung mit meinem Nachbarn amüsant zu werden.
Herr S. fixierte den Polizisten und redete sich in Rage.
„Sie glauben wohl, nur weil sie eine Uniform tragen, können sie mit den Bürgern umspringen wie sie wollen? Aber nicht mit mir!“
„Wissen sie, wie viel Steuern ich zahle?“ konterte der Polizist.
„Was? Ach papperlapapp, statt hier Verbotsschilder herum zu tragen, sollten sie ...“
„Richtig, wenn nicht immer jemand die Aufsteller versetzen würde, könnte ich mich um etwas anderes kümmern.“
Ich musste grinsen, Herr S. ärgerte sich und wollte zu einer längeren Rede, vermutlich über Bürokratie und ..., ansetzen.
„So ich muss dann mal weiter,“ sagte der Polizist, nickte mir zu und verschwand um die Ecke.
„Das war noch nicht das letzte Wort“, sagte Herr S. und wollte das Parkverbotsschild wieder versetzten. Der freundliche Polizist sah noch einmal kurz um die Häuserecke und sagte: „Das Schild bleibt wo es ist!“
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Ich kaufe ja ganz gerne im Biosupermarkt ein. Weil: a bisserl weniger Gift ist ja nicht völlig verkehrt und meistens schmeckt das Zeug einfach besser und Supermarkt, weil man da nicht so ‚Grün im Gesicht’ wird und meistens untertourige Zeitgenossen vermeiden kann. Aber eben nicht immer.
Eine Herr Mitte Zwanzig, Fusselfrisur war durstig und ist mit Kind und Kinderwagen in den Bioladen gegangen, um sich ein Erfrischungsgetränk zu kaufen. Ist ja auch völlig in Ordnung, Durst hat schließlich jeder. Er ist vor mir in der Kassenschlange und nimmt annähernd drei Meter Raum ein.
Haben sie sich schon mal gefragt, warum die Kindertransportmittel nicht mehr klein und praktisch, zusammenklappbar und ruckzuck im Auto verstaubar sind? Ich denke, es hat mit dem Personalabbau bei Rüstungsfirmen zu tun. So ein Ingenieur baut jahrelang Panzer und Haubitzen, landet dann bei einer Firma für Kinderwagen und soll sich plötzlich umstellen? Der Geist lebt fort, sage ich ihnen. Und warum die Panzerkonstrukteure im Kinderbusiness gelandet sind? Zufall ist das sicher nicht ...
„Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“Das Kind guckt verwirrt, die Schlange wurde länger.
„Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“
Das Kind strahlt, die Schlange wurde länger.
„Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“
Das Kind lächelt ihren Papa an, die Schlange wurde länger, die Kassiererin ruft:
„Könnte mal jemand kommen und eine weitere Kasse aufmachen?“
„Gleich“, tönt es dumpf aus dem Lager. Die Schlange wurde länger.
„Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“ Das Kind ist verwirrt, die Schlange wurde länger.
„Ähem,“ hob ich an.
„Mein Gott, nun hab‘ dich doch nicht so, es ist doch noch ein Kind!“
„Schon, nur …“ versuchte ich zu argumentieren. Es sollte etwa so aussehen: Es sei heiß und ich käme von der Arbeit und ich hätte Hunger und meine Frau käme dann auch in einer Stunde und die sei auch müde und verschwitzt und hätte Hunger und ob er nicht so freundlich sein könnte … und im Übrigen ginge es ja nicht um das Kind, sondern darum, dass er mit seinem riesigen Gefährt, und Duziduziduzi könne er auch noch später und überhaupt draußen? So ungefähr, aber ich kam ja nicht dazu.
„Typisch deutsch, völlig uncool. Kein Wunder, dass immer weniger Leute Kinder haben wollen. Darüber solltest du mal nachdenken!“
Ja is klar, nachdenken. Vielleicht darüber, dass es mir unangenehm ist von fremden, sehr unsympathischen Leuten geduzt zu werden? Oder über Coolness?
Es sind ja nicht nur die Grüngesichtigen, die Hobbymusiker (früher waren die Bob-Marley-Fans und heute?), die Freizeitpunks und die Pendler (wo sind die Energieströme?) die ‚cool’ sein müssen oder wollen, auch die Alkoholleichen, die am Sonnabend über den Boxhagener Markt nach Hause wanken und selbst die freidemokratischen Minderleister mit ihren Konfirmationsanzügen und die kaugummikauenden Rotzgören aus Reinickendorf wollen ‚cool’ sein. Coole sind eine Plage. Hier ist es vielleicht angebracht innerhalb der Abschweifung abzuschweifen. Vor langer Zeit war ich mal auf der schönen Insel San Andrés in der Karibik: Palmenstrände, Musik und scharf gewürztes Essen, eben ganz so wie man sich die Karibik vorstellt. Und richtig coole Leute, genauer gesagt: Männer, den irgendwer muss auch in der Karibik arbeiten und das sind hier die Frauen. Als wir am frühen Nachmittag im Hotel ankamen, hielten die Damen ein Mittagschläfchen und die Herren saßen in ihren Hängematten und beobachteten die Welt. Die Luft hatte gefühlte 50 Grad, wir waren seit sechs Uhr auf den Beinen, hatten uns durch den Zoll gequält, waren eine Stunde mit unseren Rucksäcken durch die Mittagshitze gestiefelt, weil das einzige Taxi der Insel auf Tour war und stanken wie die Iltisse. Wir wollten ein Zimmer, wir wollten etwas zu trinken und wir wollten duschen. Die fünf Herren von 15 bis 75 Jahren waren außerstande, sich zu erheben oder Auskunft zu geben, ob und wann ein Zimmer zur Verfügung steht. „Cool down, man!“ Ja, Ne, is klar, aber... „Just wait, my daughter will manage later.“ Ach ja, gut, aber ist denn noch ein Zimmer frei? “We will see later, cool down.” Coole Jungs sind etwas für ausgeruhte Menschen. Als wir am nächsten Tag am frühen Nachmittag mit einem Drink in der Hand in unseren Hängematten saßen und der nächste Touristenschub dreckig, erschöpft und verschwitzt ankam, konnten wir vieles entspannter sehen.
„1,49“ sagte die Kassiererin. 1,49? Da war doch noch was? Ach richtig, bezahlen, Geld, wo isses denn? Es war doch irgendwo? In der Buxe? Nein, es ist im Laderaum seine Hummer. Dabei musste er sich zu dem Kind hinab beugen, das inzwischen wieder verstaut war. Sie ahnen es: „Duziduziduzi“ und das war der Moment in dem mir Kara Ben Nemsi und sein Gleitbrief des Padischah einfiel, der es ihm ermöglichte im Namen von Frieden und Gerechtigkeit einen grässlichen Schurken, dessen Namen und Verfehlung ich vergessen habe, mit der Bastonade zu beglücken.Permalink (2 Kommentare) Kommentieren
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Da ich es nicht eilig habe, betrachte ich mir die Auslage eines Plattenladens sehr ausgiebig: hauptsächlich Heavy Metal. Nun gut, ist ja auch nicht wirklich wichtig. Nach einer mittelgroßen Brüllerei fragt der Beamte: „Sind sie mit einem Verwarnungsgeld von 10 Euro einverstanden?“
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"Guten Morgen, wie geht's? Geht's gut? Ja, Danke, prima, mir auch, gleichfalls. Bis später!"
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„Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser!“Dabei sollte es völlig unerheblich sein, ob man an seine Lehre glaubt oder nicht. Damit war sie auch agnostikertauglich und sehr praktisch.
Wohlan, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn sie sich in der Frühe etwas antriebslos fühlen, wenn ihnen die Aussicht, sagen wir mal, in einem Schlachthof acht Stunden Schweinedärme zu säubern, nicht behagt, dann stellen sie sich beim Zähneputzen vor den Spiegel, verneigen sich auf japanische Art fortwährend vor sich selbst und sagen halblaut zu ihrem Spiegelbild:
„Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,...“
Probieren sie es doch einfach mal aus.
Als vor einigen Jahren ein großer Pillendreher unseren kleineren Berliner Pillendreher übernahm, brachte er auch seine Unternehmenskultur mit und so darf die nun gemeinsame Marketingabteilung ihre neuesten Kreationen auch in Berlin an den Mitarbeitern ausprobieren.
Da kann es ihnen passieren, dass sie zu Arbeitsbeginn an einem kleinen Ratespiel teilnehmen dürfen: Welche Antibabypille passt zu welchem Frauentypus? Sie wussten bislang nicht, dass die Pille ein Lifestyleprodukt ist? Na egal, sie haben ja vor der Arbeit genug Zeit zum üben.
Klaglos erdulden die Mitarbeiter die morgendliche Prozedur.
Vor einiger Zeit nun entwickelte die Marketingabteilung einen Bildschirmschoner, der die Vorzüge eines sehr bekannten Schmerzmittels darstellt und kam dabei auf die Idee nicht nur grafische Elemente zur Gestaltung einzusetzen. Immer wenn das Schmerzmittel in einem Glas Wasser aufschäumt, ertönt ein leises (britzel, britzel) . Das Wasser schäumt und schäumt, (britzel, britzel) die Vorzüge des Medikaments werden eingeblendet, (britzel, britzel) , verschiedene Situationen, in denen das Mittelchen hilfreich ist, werden geschildert, (britzel, britzel) so weit, so gut.
Der Schoner wurden allen Mitarbeitern automatisch aufgespielt.
Wenn sie über lange Stunden am Rechner sitzen und Text schreiben oder Daten eingeben, ist der Bildschirmschoner nicht aktiv.
Dies ist jedoch nicht bei jedem Mitarbeiter und nicht jeden Tag der Fall. Sie lesen einen längeren Text, sanft ertönt im Hintergrund (britzel, britzel) , sie lesen weiter, (britzel, britzel) sie lesen den Text von neuem, (britzel, britzel) sie konzentrieren sich, (britzel, britzel) sie gehen entnervt zu ihrem Kollegen, hinter ihnen ertönt es leise (britzel, britzel) . Ihr Kollege hat schlechte Laune (britzel, britzel) , er kann sich nicht konzentrieren (britzel, britzel) . Sie gehen zurück in ihr Büro. (britzel, britzel)
Noch nie in der Unternehmensgeschichte wurde ein Bildschirmschoner schneller entfernt. (britzel, britzel)
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Eine Stadtstreicherin undefinierbaren Alters, sie riecht schlecht und trägt ein selbstgekritzeltes Schild auf der Brust: Geld.
Neben sich hat sie einen, schon etwas ramponierten Gettoblaster zu stehen, aus dem chinesische Opern vor sich hinscheppern. Sie sagt kein Wort, starrt nur auf einen Punkt auf dem Asphalt.
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“Oh, haben Sie sich weh getan?”
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