Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Helden wie wir
eine Art Nachtrag zum internationalen Frauentag
Ein Held zu sein ist ja für einen neun- oder zehnjährigen Jungen gar nicht so einfach. Wo sind die Bösewichter, die man besiegen kann, wo die Unschuldigen, die es zu erretten gilt?

Wir hatten damals alle Karl May gelesen und Friedrich Gerstäcker und Sigurd und Falk und Tibor und Akim und Nick den Raumfahrer und wir wollten sein wie sie, mindestens ein bisschen. Wie Kara Ben Nemsi durch das wilde Kurdistan ziehen, die Unschuldigen befreien und den Edlen zu ihrem Recht verhelfen. Das christliche Gedöns von Karl May zwischendurch haben wir einfach überlesen. Wir wollten wie Falk ohne Fehl und Tadel sein und mit Kerak zusammen die Bösen bekämpfen.

Nur, wie gesagt, es gab so furchtbar wenig Bösewichte gegen die man kämpfen konnte.

Die Mädels fanden wir unisono blöd, sie durften sich nicht schmutzig machen und spielten Gummitwist und das Schlimmste war, sie wollten immer bei uns Jungs mitmachen. Nur, wie soll man mit einem Mädchen „Räuber und Gendarm“ oder „Anschleichen an den Marterpfahl“ oder „Aus dem Gebüsch mit Gebrüll hervorbrechen“ spielen? Weiber eben, kann man nix mit anfangen!
Blieb aber immer noch das Problem mit den fehlenden Bösewichtern.
Und eines Tages hatten wir eine Idee.
Natürlich war uns klar, dass man aus den Mädels keine Bösewichte machen konnte, schließlich heulen die ja sofort wegen allem los, das wusste jeder. Wahrscheinlich kann Ihnen das auch heute noch jeder achtjährige Junge bestätigen. In dem Alter weiß man eben noch Bescheid, wie es in der Welt zu geht.
Auf jeden Fall nervten uns die Mädchen mal wieder, dass sie mitspielen wollten und nach dem wir ihnen alles Notwendige über Helden und Schurken, edle Apachen oder eigentlich Apatschen (Übrigends: Paulus schrieb an die Apatschen: „Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.“ Aber das gehört hier nicht her!) und noch edlere Waldläufer, über das Anschleichen und den Marterpfahl erzählt hatten, wurden sie probeweise als Comantschen eingeteilt. Das hat nicht wirklich gut geklappt. Die Mädels hatten einfach keine Ahnung, wie man sich als feindlicher Stamm zu verhalten hat.

Unser Anführer meint dann aus lauter Ärger:
„Ab an den Marterpfahl!“
Das klappte zunächst erstaunlich gut.
Fesseln, an den Baum binden, knebeln und unter lautem Geheule um den Baum tanzen.
Alles Bestens soweit. Irgendwann wurde es dann aber langweilig und wir veränderten das Spiel. Die Hälfte musste auf die Comantschenseite wechseln und die Gefangenen bewachen, die andere Hälfte blieb Apatschen und verzog sich ins Gebüsch, um nach einer angemessenen Wartezeit mit dem Anschleichen zu beginnen.
Irgendwann dämmerte den Mädels, dass sie nicht den besten Part bei dem Spiel abbekommen hatten.
Die Apatschenfraktion schlich derweil durchs Unterholz und versuchte so wenig Zweige wie möglich umzuknicken. Soviel hatten wir uns über das Anschleichen zusammengereimt. Anschleichen muss leise sein und knackende Äste sind weit zu hören. Irgendwo hatten wir aufgeschnappt, dass richtiges Anschleichen eigentlich auf den Finger- und Zehenspitzen vonstatten zu gehen hat. Leider führt das unweigerlich zu einem Krampf in den Fingern und so mussten wir das richtige Anschleichen leider wieder einstellen. Aber leise durch den Wald gehen war ja schließlich auch eine Form von Anschleichen. Man muss natürlich auch dafür etwas üben.
Den Mädels war inzwischen völlig klar, dass sie einen ziemlich blöden Part in dem Spiel zugeteilt bekommen hatten.
Nach einiger Zeit hatten wir ausreichende Fertigkeiten im Anschleichen gesammelt und näherten uns wieder den Marterpfählen und dem feindlichen Stamm.
Mit dem Lautlosen klappte das zwar immer noch nicht, so dass wir uns nicht heimlich von hinten den Bäumen mit den Gefangenen nähern konnten, um sie loszuschneiden und dann ebenso still und leise im Wald zu verschwinden. Äste knackten und zu allem Überfluss stolperte einer. Wir stürmten daher mit Gebrüll auf die Lichtung, fochten mit unseren Stockdegen bis die Rinde abplatzte und setzten uns dann zur Manöverkritik in einen Kreis.
Die Mädels waren inzwischen genervt und hatten keine Lust, mehr gefesselt und geknebelt an die Bäume gebunden zu sein.
Als wir sie dann losgebunden hatten, waren sie schon reichlich angesäuert und maulten über das „Scheiß“-Spiel und überhaupt. Aber: hätten wir sie nicht losbinden sollen?

Kommentieren




wuhei, Freitag, 18. März 2011, 07:52
Die Mädchen hatten Recht: ein Scheiß-Spiel, allein das Fesseln und Knebeln ist doch für ein kindliches Hirn sehr krank. Aber: da lernt Hänschen schon, was Hans später mit Fauen tun könnte.

Welches Gedankengut brachte eigentlich immer schon Buben zu solchen Kriegsspielen? Und ich bin sicher, daß es nicht in allen Familien gewünscht war, in meiner europäisch-getauft-jüdischen ganz sicher nicht.

Weiter gedacht: wenn mir irgendwelche Nachbarsbuben zugemutet hätten, mich anbinden - und so weiter - zu lassen, hätte ich denen schon als Kind erklärt, daß man das mit Lebewesen nicht tut - und wäre schreiend weggelaufen.

Naja, so verschieden war Erziehung immer schon.

g., Freitag, 18. März 2011, 08:04
Na klar hatten die Mädchen recht.
Auf so ein Spiel kann man nur kommen, wenn man selbstverständlich davon ausgeht, dass die Einen über die Anderen zu bestimmen haben. Das daran etwas falsch sein könnte, war uns Kindern Mitte der 60er keineswegs klar. Hoffentlich, so sicher bin ich mir dabei aber leider nicht, kämen heutige Kids nicht mehr auf solche Ideen.

wuhei, Sonntag, 20. März 2011, 08:12
Guten Morgen,
vielleicht nicht mehr die gleichen Spiele, sondern an diverse Kinder-Videos angepaßte, vor die sie ihre bescheuerten Eltern kommentarlos setzen, damit sie vor dem Ergebnis ihrer Vergnügen ruhe haben ;)

Wie schon angedeutet, was und wie ein Kind spielt, hängt überwiegend von der Erziehung und vom Vorbild der Erzieher ab. lg Iris

jean stubenzweig, Dienstag, 22. März 2011, 08:48
«Ich will nicht immer an den Pfahl gebunden werden.“ Ich bin kein Mann. Warum muss ich das sagen? Sie weiß es doch. Ich will auch keiner sein. Ich will eine Frau sein, die mit der Faust zuschlägt.»