Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Fundstücke 1.KW 2011 und Reste 2010
  • Muss man Religiosität respektieren?
    Über Glaubensfragen und den Stolz einer säkularen Gesellschaft
    von Jan Philipp Reemtsma
  • Blätterwald mit röhrendem Hirsch
    Jürgen Nielsen-Sikora über Ernst Jünger
  • Jürgen Link über Sarazins Zitatemülldeponie
  • Von Treitschke zu Sarrazin
  • Interview mit Jean Ziegler in der Zeit
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    jean stubenzweig, Freitag, 7. Januar 2011, 09:41
    Dank für den Reemtsma-Essay.
    Das Fazit kommt mir am ehesten entgegen, und mir wäre sehr daran gelegen, wenn wenigstens das in ein paar mehr Köpfen festmachte: «Der Stolz einer säkularen Gesellschaft besteht in der Tat darin, in dieser Art von Sünde zu leben.» Aber da bin ich, gut fünf Jahre nach der Geburt dieser Gedanken, angesichts der aktuellen Strömungen doch weniger in guter Hoffnung: Merkel, Sarkozy, Wulff und andere aus anderen Richtungen.

    Und der Link, der komische, der nennt dann noch einen weiteren dieser geistigen Elite. Gut schmunzeln wäre da, wäre es nicht so traurig.

    g., Sonntag, 9. Januar 2011, 06:08
    Jan Philipp Reemtsma ist immer für einen klugen Gedanken gut, allerdings habe ich häufig Schwierigkeiten seinen Perioden zu folgen. Ich muss dann immer im Geiste zurücktreten und für mich umformulieren, um die These erfassen zu können. Vielleicht ist das aber auch gewollt.
    Sie spielen im letzten Satz auf Jünger an? Ja, diese Sorte „Elite“ gründet im dumpfen Ressentiment und findet Erbauliches in röhrenden Hirschen. Natürlich grenzt sie sich von Stiefelnazis ab und drückt sich moderat aus. Statt „Ausländer Raus!“ zu brüllen, mag man sich lieber von Integrationsunwilligen trennen oder faselt von Parallelgesellschaften.

    jean stubenzweig, Montag, 10. Januar 2011, 13:03
    Ja, der Reemtsma
    mäanderte (mir) ein wenig, aber zum einen mag ich diese intellektuellen Schlingereien, und zum anderen disziplinieren sie (mich, der ich manchmal auch schon ungeduldig zu werden beginne) zu erhöhter Aufmerksamkeit.

    Bei Jürgen Link habe ich nicht an Ernst Jünger gedacht, oder anders: der wird mir ohnehin zu oft nach Lust und Laune (fehl-)interpretiert; dabei hatte ich sogar persönlich die eine oder andere unangenehme Erfahrung. Da liege ich eher mit Ulfur Grai auf einer Linie, dem in seinem Fahrtenbuch interessante Gedankengänge zu entnehmen sind (1., 2., 3., 4.). Ich spiele in erster Linie auf diejenigen an, denen der Begriff Elite so leicht über die Lippen kommt und aus der Feder rinnt, weil sie so oft darüber lesen, daß sie vermutlich deshalb meinen, es stehe ihnen zu, endlich in sie integriert zu werden.

    behrens, Montag, 10. Januar 2011, 23:40
    Wenn eine religiöse Vorschrift Frauen (und nur denen) verordnet, ihr Haar zu verhüllen – oder manchmal auch gleich das ganze Gesicht – dann kann man darüber auf eine hochphilosophische Weise diskutieren, wobei die ganze Thematik dabei auf Grundsätze über Religion, Säkularisierung, individuelle Freiheit und was-weiß-noch-alles verschoben wird. Verstehen werden dies die meisten nicht – aber darauf kommt es wahrscheinlich bei solchen Gedankenspielen gar nicht an.

    Manchmal empfiehlt es sich aber, die ganze Thematik auch mal von der Warte des gesunden Menschenverstands anzusehen. Und dann kann man schon darüber ins Nachdenken kommen, warum es merkwürdigerweise gerade das Kopftuch ist, das anscheinend für den Ausdruck der Gläubigkeit so wichtig ist. Nicht das fünfmalige Beten, nicht das Spenden von Almosen – nein ausgerechnet eine nur für Frauen geltende Verhüllungsvorschrift steht im Mittelpunkt in der Diskussion über die Toleranz gegenüber Andersgläubigen.

    Wenn dieses Verhüllungsgebot wirklich nur die Funktion des Bekenntnisses zum Islam hätte, dann würde es nicht in manchen streng muslimischen Ländern auch Verhüllungsvorschriften für Nicht-Musliminnen geben. Und die männlichen Gläubigen würden ihre Kleidung auch ein bisschen mehr nach traditionellen Geboten (Kaftan, Bart) richten.

    Nein, um das Kopftuch geht es bei all den Diskussionen überhaupt nicht. Auch nicht um Religion. Es geht schlicht und einfach um geschlechtsspezifische Rollenzwänge. Und für die liefert der gesetzlich verankerte Grundsatz der Gleichheit eigentlich eine eindeutige Antwort. Man muss es also gar nicht so kompliziert machen.

    g., Dienstag, 11. Januar 2011, 05:59
    Dass solche Vorschriften bzw. Traditionen geschlechtsspezifische Diskriminierungen zur Folge haben bzw. Ausdruck paternalistisch strukturierter Gesellschaften sind, ist natürlich völlig richtig. Nur zielt Reemtsmas Gedankengang m.E. gerade nicht auf diesen Aspekt. Er will auch nicht in erster Linie in die Debatte über das Tragen von Kopftüchern eingreifen, sondern wohl eher in die Bestimmung dessen, was eigentlich ein säkularer Staat vor dem Hintergrund der Aufklärung ist. Dies wendet sich eher gegen das Gerede von den jüdisch-christlichen Gesellschaften Europas, deshalb betrachtet er auch gleichgewichtig die ‚Kopftuchdebatte’ und die gesellschaftspolitischen Stellungnahmen von Kardinal Meisner und Papst Benedikt.