Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Über Testosteron
Junge Männer im Rudel sind schwer erträglich. (Junge Frauen auch, aber darum soll es hier nicht gehen.) Junge Männer, die zum ersten Mal weg von häuslichem Herd und wohlwollender Obhut, sich in eigener Verantwortung und zumindest relativer Selbständigkeit ins Leben trauen oder geschoben werden, sind unerträglich und schlagen gelegentlich über die Stränge. Das ist auch gut so.

So auch ich. Es ist zwar schon einige Zeit her und begab sich zu einer Zeit als alle Welt so schnell wie möglich zu Hause ausziehen wollte, um sein Glück in der Welt zu machen. Sex ’n drugs ‘n rock ’n roll, geht hinaus in die Welt, auf dass ihr keine Stubenhocker werdet und mit Ende Zwanzig als Leiter der Getränkeabteilung des örtlichen Supermarkts das Ende eurer Karriere erreicht. Wie ich schon sagte: es war eine andere Zeit.

Wo waren wir? Ach ja richtig: Papa erzählt vom Krieg. Also, es gab mal eine Zeit, da wollte niemand, der einigermaßen bei Troste war, zum Bund, also zur Bundeswehr. Wer trotzdem hinging war entweder zu phlegmatisch oder zu dusslig, wer sich verpflichtete war in der Jungen Union oder kam aus schlimmen Verhältnissen. Die Frauen waren froh, dass ihnen die Geschlechtszugehörigkeit wenigstens ein Mal im Leben einen Vorteil verschaffte, die Männer verweigerten den Kriegsdienst. (Die grotesken Szenen vor dem Tribunal Ausschuss für Wehrdienstverweigerung könnte man auch mal erzählen. Weiß heute noch jemand, wer „der Russe“ war? )

So auch ich. Und es verschlug mich an ein Universitätsklinikum, zunächst in ein Forschungslabor und später dann auf eine allgemeinchirurgische Abteilung. Und als Erstes lernte ich, dass nicht jede Volksweisheit auch in jeder Situation richtig ist. Mein Vater pflegte ja zu sagen: „Wer saufen kann, kann auch arbeiten.“ Und würgte damit jegliche Diskussionen ab, ob man denn zur Schule gehen können oder ob man sich nicht etwas unpässlich fühle. In meinem Labor hatte ich nun Tag für Tag mit (schwach) radioaktivem Material zu tun und es gab Tage, da quälte ich mich doch sehr mit der notwendigen Sorgfalt und ich dachte so bei mir, Vattern, dein Rat ist auch nicht in jeder Lage und überhaupt.

Jedenfalls hatten wir unsere Ziviunterkunft im Schwesternwohnheim und wenn zehn junge Männer in der Blüte ihrer Jahre in einem Gebäude wohnen, dass mehrheitlich von jungen Frauen bewohnt wird, bleibt es nicht aus, dass man sich für einander interessiert und das gegenseitige Interesse dann auch bald praktisch wird. Die Rechtslage war dem eigentlich nicht förderlich, denn als Zivildienstleistende unterlagen wir dem Dienstrecht für Soldaten und das untersagte Damenbesuch. Nun da niemand kontrollierte, interessierte uns die Rechtslage schlankeweg überhaupt nicht. So weit so gut.

Die Rechtslage erforderte darüber hinaus, dass auf unserem Stockwerk im Wohnheim ein zweites Bad eingebaut werden muss und da die Umbaukosten niedrig gehalten werden sollten, wurde einfach eines der Zimmer zu einem zweiten Bad umgebaut. Dieses zweite Bad war nun entgegen der Rechtslage doppelt so groß wie Bäder üblicherweise zu sein hatten. Wir fanden das sehr angenehm.

Freiburg liegt bekanntlich in einer wasserreichen Gegend und so hatte einer unserer Mitbewohner ein Schlauchboot mit in die WG gebracht, dass wir auch mal an einem schönen Sommerwochenende auf den Altrhein bei Breisach gesetzt hatten. Nach fünf Minuten brachen wir den Versuch ab, da Myriaden von Stechmücken uns den Ausflug zur Hölle machten. Fortan lag das Schlauchboot immer irgendwo in der WG im Wege.

Genug der Vorreden. Eines Tages saßen wir in unserer Küche und tranken ein Schlückchen und so nach und nach trudelten die Damen von ihrer Schicht oder anderen Pflichten ein, setzten sich zu uns und tranken auch ein Schlückchen. Die Stimmung stieg und ein Scherz jagte den anderen. Jemand stellte seine Anlage auf Laut, damit wir am anderen Ende des Ganges de Musik auch gut hören konnten. Ein Anderer fand die Musik scheiße und legte eine andere Platte auf, die ihm besser gefiel. Da sein Zimmer direkt neben der Küche lag, musste er die Lautstärke nicht ganz so hoch drehen.

Dann kam die M. zu Besuch.

„Hey, seht mal was ich habe? Fingerfarben! Als ich die in dem Geschäft liegen sah, dachte ich sofort: das muss Spaß machen, wenn wir uns damit bemalen?“

Nun, ein Wort gab das andere und die Ursprungsidee, dass man sich die Gesichter gegenseitig bunt anmalen könne, wurde verworfen. Schließlich hätte die Kleidung eingesaut werden können und überhaupt. Nun, ein Wort gab das andere und wir waren inzwischen auch schon ziemlich angeschickert und wie der exakte Fortgang der Debatte sich entwickelte, kann ich nach so langer Zeit auch nicht mehr sagen. Am Ende lagen acht Junges und sechs Mädels nackt in der Badewanne und dem mit heißem Wasser gefülltem Schlauchboot. Wir bemalten uns gegenseitig und prosteten uns gelegentlich zu. Gelegentlich stand jemand auf, um an einer der beiden Anlagen eine andere Platte aufzulegen, neuen Wein aus dem Vorrat zu holen oder eine Zigarette zu rauchen. Schwimmende Kippen im Badewasser sind schließlich eine Sauerei.

Es wurde später und später und die Stimmung stieg und stieg und an dieser Stelle lassen wir mal einige Details aus, die zwar der geltenden Rechtslage widersprachen, aber ansonsten völlig harmlos waren. (30 Jahre später erzählte mir eine Kollegin ganz ähnliche Geschichten über Ernteeinsätze in der DDR, aber das gehört nicht hierher.)

Irgendwann klingelte es und da ich gerade eine Flasche entkorkte ging ich zur Tür, öffnete und fragte:
„Ja?“
Vor mir stand ein Assistenzarzt, den ich flüchtig aus der Klinik kannte, in Bademantel und mit zerzauster Frisur und starrte mich an. Ich sah an mir herunter, nackt und mit roten, grünen und gelben Flecken und Linien bedeckt, eine entkorkte Flasche in der einen und den Korkenzieher in der anderen Hand.
Bevor der Assistenzarzt sich fassen konnte, kamen weitere nackte und bunte Menschen aus dem Bad und den Zimmern und wollten wissen, wer gekommen sei.
„Es ist zu laut,“ sagte der Assistenzarzt leise. Wir sahen uns an.
„Wie spät ist es denn?“
„Halb fünf durch.“
„Wir machen dann gleich die Musik aus.“
„Okay“
, sagte er und ging wieder zum Aufzug.

Einige Tage später traf ich ihn in der Schlange vor der Essensausgabe. Er sah mich freundlich an und sagte:
„Erlaubt ist das aber sicher nicht, was sie da treiben, auf ihrem Stockwerk?“
„Nein, eigentlich verlangt die Rechtslage, dass jeder Besuch zu beantragen ist. Es kümmert sich aber keiner drum.“
„Na dann.“

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monnemer, Dienstag, 24. April 2012, 14:59
Anfang der 80er war das hier in der Region der B., der den Russen kannte und wußte, wie man ihm auf andere Art, als ihm mit einem gezielten Feuerstoß die Lampen auszuschießen, die Mutter vorenthält.
Der B. saß tagein, tagaus im Café V. in Heidelberg und wenn man ihm Essen und Trinken bezahlte, wurde man eingeweiht.
Und so pilgerten die jungen Männer dorthin, um sich das Gewissen reinigen zu lassen und zukünftig 'den alten Säcken den Arsch abzuwischen', wie das die Fraktion der Schießwütigen immer so verkürzt darstellte.
Ein guter Mann, der B.! Was der wohl heute macht?

Trotzdem war das, wie das Ihre Episode auch so schön beschreibt, damals ein vergleichsweise entspanntes Leben.

g., Mittwoch, 25. April 2012, 06:25
Wenn ich an die Verhandlung vor dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe zurückdenke, wird mir immer noch ganz flau im Magen. Für einen 18-Jährigen ist so ein Realitätsschock eine Überforderung. Nachdem ich das überstanden hatte, habe ich ja selber eine Zeit lang Beratung für Verweigerer gemacht. Den Neuen beizubiegen, wie man sich vor dem Ausschuss zu verhalten hat, war nicht einfach. Kaum einer konnte sich damit abfinden, dass man keineswegs sein Innerstes nach Außen kehren durfte und dass die Gründe, die einen dazu bewegen, den Kriegsdienst zu verweigern, nicht sehr viel mit der Verhandlung zu tun haben. Entweder man erzählt erprobte Geschichten über den „Russen“ oder man ließ sich von einem Unteroffizier durch den Fleischwolf drehen. Einen dritten Weg gab es nicht. Oft diskutierten wir in der Beratung einige Stunden, bis sich die Neuen an die Alternative gewöhnt hatte. Wer das nicht fraß, landete – ausnahmslos - in der Kaserne.
Und ja, es war ein entspannteres Leben. 'den alten Säcken den Arsch abzuwischen' war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte, auch wenn sie anstrengender war als endlose, nervtötende Tage in der Heide abzudelirieren, wie das ein Schulfreund von mir beschrieb.

vert, Dienstag, 24. April 2012, 15:38
früher™ war echt mehr lametta.

g., Mittwoch, 25. April 2012, 06:27
Früher war darüber hinaus die Zukunft einfach besser.