Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Schnipsel
Manchmal lese, sehe oder höre ich irgendwo etwas und es fällt mir dazu etwas mehr oder weniger Komisches oder Kluges ein, das schreibe ich dann auf:

  1. Wer das Verhalten von Kapos beschreibt rechtfertigt keineswegs den Nationalsozialismus.
  2. Der Prokrastinateur kommt wieder heur.
  3. Der vorausschauende Gast bringt eine Flasche Zwetschgenschnaps als Geschenk mit. Man will ja nicht auf dem Trockenen sitzen, während man auf die Tofuwurst oder das Sellerieschnitzel wartet. (aus der Serie: Warum man Deutsche nicht vegetarisch kochen lassen darf)
  4. Adorno war ein großer –ismus-Bauer.
  5. „Ute Sanella kommt jetzt andauernd im Fernseh“, sagte ich letztens zu meiner Frau. „Woher weißt du denn das?“ wollte sie wissen. „Steht in der Zeitung.“
  6. Neugierig geworden, weil er als genauer Beobachter gilt: Was irritiert mich an den drei Texten von Siegfried Kracauer?
    „Wie volkstümlich das Radio schon ist, beweisen die schwierigen technischen Beschreibungen, die neben den schwarzen oder braunen Kästen im Schaufenster liegen. Junge Burschen überfliegen die Texte mit einem fachmännischen Verständnis, das sie den politischen Ereignissen offenbar nicht entgegenbringen. Sonst wäre die Politik bei uns anders, und die Lautsprecher überwögen nicht so. In ihrer Nähe befinden sich einige Geschäftchen, die mit sicherem Instinkt aus irgendeiner Passage hervorgekrochen zu sein scheinen.“
    Das Elitäre bzw. wohl eher Manierierte? oder weil ich mit den Sprachbildern ( „die mit sicherem Instinkt aus irgendeiner Passage hervorgekrochen zu sein scheinen“ ) nichts anfangen kann und sie nicht verstehe? Ein weiterer Text von Siegfried Kracauer DAS SCHREIBMASCHINCHEN (bestätigt meinen Eindruck) Na gut, dann lese ich halt weiter Alfred Polgar.
  7. Der Herr B. war allen als Historiker von mäßigem Verstande und bescheidenem Fleiß bekannt, zudem als eifernder Kämpfer gegen alles was irgendwie „links“ sich gebärdete. Heute belfert er immer noch durch die Lande.
  8. Wenn Trotzköpfchen Christoph Lauer nicht weiß, was eine Transfergesellschaft ist, hätte er auch mal googeln können. Vielleicht ist aber die Vorbereitung auf eine Veranstaltung für einen Piraten zu viel der Mühe, oder sie können keine Suchmaschine bedienen. (Übrigens Herr Lauer: suchen und lesen dauert nicht mal eine halbe Stunde) Eins Zwei Geht auch nach der Sendung, dann schreibt man keinen Scheiß: Drei
  9. Heute habe ich die 'Ostergeschichte' von Robert Gernhardt angefangen.

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damals, Montag, 9. April 2012, 23:09
Zu Nr. 6
Das von Ihnen zitierte Sprachbild ist doch allerliebst. Aber Ihre Irritation verstehe ich dennoch. Als ich im Studium "Die Angestellten" von Kracauer lesen musste, fiel es mir wirklich schwer, mich auf den Text zu konzentrieren. Ich gab bald auf und griff zu dem Buch, das in der Bibiliothek daneben stand, Kracauers Roman "Ginster", der eigentlich kein Roman ist, sondern ein einziger Manierismus. Ich habe das Büchlein schnell lieben gelernt. Vielleicht sollte man Kracauer eher als Wortkünstler denn als wissenschaftlichen Beobachter betrachten. Meine Mutter regt sich immer gern über Kracauers "Von Caligari zu Hitler" auf - ja, natürlich, rein sachlich ist die zugrundeliegende These voll hässlicher, kaum akzeptabler Ideologie. Aber ist der Buchtitel nicht ein wunderbares Bonmot?

g., Dienstag, 10. April 2012, 06:29
Aber was soll das Sprachbild bedeuten?

damals, Dienstag, 10. April 2012, 23:02
Dies ist meine Assoziation dazu:
Ich verstehe den Satz so, dass die "Geschäftchen" viel zu klein und murkelig für eine normale Straßenzeile sind. Vielmehr scheinen sie einer Ladenpassage entprungen (oder eben entkrochen). Denn sie haben mit sicherem Instinkt erkannt, dass die Kleinlichkeit der Passagenwelt nun auch das normale Straßen- und Geschäftsleben erreicht hat.
... und wenn ich heute durch die Hamburger Innenstadt gehe, kann ch das nachfühlen: In den Passagen geht es zwar teuer, aber ziemlich kleinlich, eng zu - unser Edeka-Markt in Bahrenfeld ist großzügig dagegen.

g., Mittwoch, 11. April 2012, 07:20
Hm, bei ‚Instinkt’ muss ich unwillkürlich an ein kleines Tier denken, an eine Maus oder eine Kakerlake. Kracauer beschreibt ja eine Szenerie „Gegen Mittag in der südlichen Friedrichstraße“ und führt dazu aus „Sie ist hier eher verschlampt und steckt voller kleiner, ärmlicher Lädchen“ . Nun ist heute die südliche Friedrichstraße zwar mehr von Neubauten (ziemlich heruntergekommen, wenn in den letzten zwei Jahren nicht saniert wurde) geprägt als in den 30er Jahren. Den Unterschied zwischen dem eher schicken, reichen nördlichen Teil in Mitte und dem eher heruntergekommenen Kreuzberger Teil besteht aber immer noch und die Straße ist auch noch genau so breit. Passagen werden eigentlich angelegt, um die Verkaufsflächen in gut besuchten Zentren zu erweitern. Dies war nach der Beschreibung von Kracauer in der südlichen Friedrichstraße nicht der Fall. Wenn ich das alles zu einem Bild zusammenfüge: die verlotterte, aber doch breite Straße, ein kleines Geschäft reiht sich an das nächste. Warum sollte ein kleines Geschäft zu all den anderen aus einer Passage hervorkriechen? Und um noch die erste Assoziation einzubauen: Kleine Tiere verstecken sich gerne. Warum sollte ihr Instinkt sie ins Offene locken?

damals, Mittwoch, 11. April 2012, 15:18
Also doch wie bei "Zu Caligari zu Hitler" - logisch fragwürdig, aber ein schönes Bild? (ich hatte beim Lesen einfach, ohne weiter nachzudenken, über die hervorkriechenden Geschäftchen gekichert)

g., Donnerstag, 12. April 2012, 06:13
Außer den oben verlinkten Texten kenne ich von Kracauer nichts und kann daher nichts vernünftiges dazu sagen. Ist "Von Caligari zu Hitler" das Buch, in dem er die These von der Affinität der kleinbürgerlichen Angestellten zur Naziideologie versucht zu beschreiben?