Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 15. Mai 2014
Bernward Vesper: Die Reise IV
S. 92
„Ich fühlte, daß ich ihm als Juden antwortete, nicht als Amerikaner. München? Oder der Versuch, die eigene Trennung von der Vergangenheit glaubhaft zu machen? »Du hast gesagt, dein Vater war Nazi – wie äußerte sich das?« »Seine rationalen Argumente endeten, sobald er auf die Juden zu sprechen kam. >Das ist ein Jude< - damit war für ihn alles entschieden. Die Nazis haben Massenversammlungen gegen Einsteins Relativitätstheorie abgehalten « »Und du? Was hast du dazu gesagt?« »Ich habe angefangen zu kämpfen. Mein Verstand hat mir gesagt, daß es undenkbar ist, daß etwas rein schwarz, etwas andres rein weiß ist. Vielleicht war es der erste Versuch, dialektisch zu denken. Das alles spielte sich ja auf einer sehr niedrigen Ebene ab, wie die Argumentation der Nazis überhaupt. Sie moralisieren, werden sofort pathetisch, sentimental, bemitleiden sich selbst.« Ich merkte, daß wir so nicht weiterkamen. Ihm fehlte die Erfahrung. Ich spürte sehr deutlich die Verlassenheit. Eine Biographie, die sich bestimmt dadurch, den Vegetables zu entrinnen, also immer noch kausal ist – und dann erfahren, daß man sich zwar von seiner Vergangenheit trennen kann, aber niemand daran Interesse hat, außer einem selbst. »Die Deutschen haben nie eine Revolution gemacht«, sagte ich. »Der Vater meines Vaters war ein kleiner Kutscher und später Schankwirt. Ein Prolet also. Aber mein Vater tendierte sofort zur Bourgeoisie.«“
Gegen einen Nazivater aufzubegehren hat noch nichts mit Dialektik zu tun, genauso wenig wie die Erfahrung, dass nichts schwarz/weiß ist und arme Leute sind keine Proleten. Hier ist er ganz Kind der Studentenbewegung, die „die Arbeiterklasse“ über die Wolken hebt: Marxismus ohne Karl Marx.

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