Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 15. März 2011
Naslöcher XII
Erich Weinert: Gesetz zum Schutz der Jugend
Es schleicht eine lange Nase
Ganz heimlich von Haus zu Haus.
Es gehen moralische Gase
Von ihren Naslöchern aus.

Die Nase ist wie ein Rüssel.
Sie schnuppert und schnobert und kriecht
Durch jedes heimliche Schlüsselloch,
ob sie nicht irgendwas riecht.

Es schnüffelt der graue Riecher
In jeden frohen Verein;
Er schnüffelt in alle Bücher
Sein christliches Gas hinein.

Es schnüffelt die sittliche Nase
In allen Theatern herum;
Sie schnüffelt mit heil'ger Emphase
Nach einem Erotikum.

Sie schnüffelt an allen Orten,
Sie schnüffelt durch jiedes Lokal
Sie schnüffelt in allen Aborten
Nach allerlei Unmoral.

In jedem Familienbade,
Auf jedem Familienball,
Bei jeder Olympiade,
Die Nase ist überall.

Sie schnüffelt durch alle Gardinen
In jedes Ehegemach.
Sie schnüffelt sogar im Grünen
Der wandernden Jugend nach.

In jeden Unterrock kriecht sie
Und schnüffelt nach Sittlichkeit;
Und wo sie schnüffelt, da riecht sie
Nur sündige Lüsternheit. —

Was hat denn die Nase zu schnobern?
Beim Külz! Was riecht sie da nur?
Besteht denn aus Schweinekobern
Die ganze Jugendkultur?

Was rümpft denn die Nase die Nase? —
Sie riecht hinter jedem Schrank
Die eignen moralischen Gase,
Sie riecht ihren eig'nen Gestank!
(Erich Weinert)

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