Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 16. Dezember 2009
Fleisch zwei
Über einen der Einkäufe in meiner Lieblingsfleischerei hatten wir uns ja schon unterhalten.
Vor langer, langer Zeit wohnte ich in Zehlendorf im lichten Berliner Süden. Das war zu der Zeit als die Amerikaner noch Schutzmacht in Berlin waren, die GIs am U-Bahnhof Oskar-Helene-Heim soffen, was die Büchse hergab, als man an den Universitäten noch ausreichend Zeit hatte, etwas zu begreifen, als die Frauen schön und die Wohnungen billig waren.
An der großen Kreuzung daselbst (sie sehen, Forster färbt langsam ab) liegt ein großer Lebensmitteldiscounter in dem Sonnabendvormittag ganz Zehlendorf einkauft.

So auch wir.
Zehlendorf ist ja bekanntlich eines der besseren Wohngebiete (Obwohl? Wenn ich an das Café M. in der M.-Straße an einigen Abenden denke? Aber lassen wir das!) und so konnte man in dem Laden auch allerlei Prominente (damals gab es drei Programme und entsprechend weniger Prominente. Weniger Prominente ist übrigens nicht schlimm.) beim Einkaufen treffen. Günther Pfitzmann beispielsweise hat eine Vorliebe für Magerquark, wenn sie das interessieren sollte.
Der Filialleiter schien ein großes Herz zu haben. Er war ein aufgeräumter, dauerfröhlicher Mensch und ich hätte mich gern mal mit ihm unterhalten, also jenseits von ‚Wo finde ich Kefir?’ (Übrigens ein Teufelszeug: schmeckt irgendwie so na ja und vermehrt sich ungeheuer. Aber das ist eine andere Geschichte von weinenden Frauen, verzweifelten Katzen und warum an den Vorurteilen über Sozialarbeiter ein Körnchen Wahrheit ist.) Je nun, den Filialleiter eines Supermarktes kann man am Samstagvormittag nicht in ein Gespräch verwickeln und an anderen Tagen haben wir dort nicht eingekauft.

Leichter ins Gespräch kam man mit dem geistig und körperlich schwerbehinderten Einkaufswagenzusammenschieber (wohl ein in Supermärkten singulärer Beruf). Auch ein sehr netter Mann, aber doch eine ziemliche Plaudertasche, zudem ein arger Stotterer. Dass der Filialleiter ihn beschäftigte, war einer der Gründe warum wir immer gerne in diesen Markt gingen.

Wie gesagt, ein angenehmer Laden. Nur Fleisch und Wurst waren ein Problem, weil der Chef der Fleischwarenabteilung eine Frau war. Sie war nicht zierlich, sondern sah, wie es in diesem Gewerbe durchaus angemessen ist, so aus, als hätte sie vor einigen Minuten einen Ochsen eigenhändig gemeuchelt.

Also, das Problem war nicht das Geschlecht, sondern dass sie nur ein Auge hatte und statt einer Prothese eine Augenklappe trug.
Man mag sich ja für weltgewandt und tolerant halten, aber es ist nicht einfach einer Dame hinter der Fleischtheke auf die Frage: „Was darf’s denn sein?“ ohne auf die Augenklappe zu starren, souverän: „Drei Pfund Gehacktes!“ zu antworten. Völlig unmöglich war es, bei ihr Zungenwurst zu kaufen, die in unserer Wohngemeinschaft nur ‚schlimme Augenwurst’ hieß.

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