Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 3. Dezember 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 61
(Seefahrt von den freundschaftlichen Inseln nach Neu-Seeland – Trennung von der Adventure – Zweyter Aufenthalt in Charlotten-Sund)
“Am 24sten Abends sahen wir endlich die Einfahrt von COOKS Straße, namentlich das CAP PALLISER vor uns; doch durften wir es nicht wagen, in der Dunkelheit hineinzusteuern, und ehe wir am nächsten Morgen Anstalt dazu machen konnten, erhob sich der Sturm abermals, und ward um 9 Uhr so rasend, daß wir beylegen, und alle Seegel, bis auf eins, einnehmen mußten. Ohnerachtet wir uns ziemlich dicht an der Küste hielten und daselbst von den hohen Bergen hätten Schutz haben sollen; so rollten die Wellen gleichwohl so lang und stiegen so entsetzlich hoch, daß sie, beym Brechen, durch den Sturm völlig zu Dunst zerstäubt wurden. Dieser Wasserstaub breitete sich über die ganze Oberfläche der See aus, und da kein Wölkchen am Himmel zu sehen war, die Sonne vielmehr hell und klar schien, so gab die schäumende See einen überaus blendenden Anblick. Endlich ward der Wind so wütend, daß er uns vollends das einzige Seegel zerriß, welches wir noch aufgespannt zu lassen gewagt hatten. Nun waren wir ein vollkomnes Spiel der Wellen; sie schleuderten uns bald hier, bald dorthin, schlugen oft mit entsetzlicher Gewalt über dem Verdeck zusammen und zerschmetterten alles was ihnen im Wege war. Von dem beständigen Arbeiten und Werfen des Schiffs litt das Tau- und Takelwerk ungemein, auch die Stricke, womit Kisten und Kasten fest gebunden waren, gaben nach, und rissen endlich los, so daß alles in der größten Verwirrung vor und um uns her lag.“
...
„Der Anblick des Oceans war prächtig und fürchterlich zugleich. Bald übersahen wir von der Spitze einer breiten schweren Welle, die unermeßliche Fläche des Meers, in unzählbare tiefe Furchen aufgerissen; balf zog uns eine brechende Welle mit sich in ein schroffes fürchterliches Thal herab, indeß der Wind von jener Seite schon wieder einen neuen Wasserberg mit schäumender Spitze herbey führte und das Schiff damit zu bedecken drohte. Die Annäherung der Nacht vermehrte diese Schrecken, vornemlich bey denenjenigen, die nicht von Jugend auf an das See-Leben gewohnt waren. In des Capitains Cajütte wurden die Fenster ausgenommen, und statt derselben Bretter-Schieber eingesetzt, damit die Wellen nicht hineindringen möchten. Diese Veränderung brachte einen Scorpion, der sich zwischen dem Holzwerk eines Fensters verborgen gehalten hatte, aus seinem Lager hervor. Vermuthlich war er, auf einer von den letztern Inseln, unter einem Bündel Früchte oder Wurzelwerk mit an Bord gekommen. Unser Freund MAHEINE, versicherte uns, es sey ein unschädliches Thier, allein der bloße Anblick desselben war fürchterlich genug uns bange zu machen. In den andern Cajütten waren die Betten durchaus naß; doch, wenn auch das nicht gewesen wäre, so benahm uns das fürchterliche Brausen der Wellen, das Knacken des Holzwerks, nebst dem gewaltigen Schwanken des Schiffes ohnehin alle Hoffnung ein Auge zuzuthun. Und um das Maaß der Schrecken voll zu machen, mußten wir noch das entsetzliche Fluchen und Schwören unsrer Matrosen mit anhören, die oftmals Wind und Wellen überschrien. Von Jugend auf, zu jeder Gefahr gewöhnt, ließen sie sich auch jetzt den drohenden Anblick derselben nicht abhalten, die frechsten gotteslästerlichen Reden auszustoßen. Ohne dir geringste Veranlassung, um derentwillen es zu entschuldigen gewesen wäre, verfluchten sie jedes Glied des Leibes in so manigfaltigen und sonderbar zusammengesetzten Ausdrücken, daß es über alle Beschreibung geht. Auch weis ich die fürchterliche Energie ihrer Flüche mit nichts als dem Fluch des ERNULPHUS* zu vergleichen, der dem Christenthum Schande macht. Unterdessen raste der Sturm noch immer nach wie vor, als es um 2 Uhr des Morgens mit einemmale aufhörte zu wehen und gänzlich windstill ward. Nun schleuderten die Wellen das Schiff erst recht herum! Es schwankte so gewaltig von einer Seite zur andern, daß manchmal die mittlern Wände, ja selbst das hintere Verdeck zum Theil ins Wasser tauchte.“

(Forster S. 424 - 426)
* Der Bischof Ernulphus ist eine Figur aus Laurence Sterne: Tristram Shandy:
„Ich mache mich also verbindlich, Jedermänniglich zu beweisen, daß sämmtliche Flüche und Verwünschungen, welche in den letzten 250 Jahren als Originalflüche und Verwünschungen über die Welt losgelassen wurden, – mit Ausnahme von »bei St. Pauls Daumen«, und »Potz Fleisch« und »Potz Fisch«, welches königliche Flüche waren und als solche nicht ganz schlecht sind, denn bei königlichen Flüchen ist es ziemlich gleichgültig, ob sie Fisch oder Fleisch – ich sage also, daß es unter allen diesen keine Verwünschung oder wenigstens keinen einzigen Fluch giebt, der nicht tausendmal aus dem Ernulphus genommen und diesem nachgemacht wäre; aber, wie es beim Nachmachen immer geht, wie weit bleiben sie an Kraft und Schwung hinter dem Original zurück! – Gott verdamm' dich! das hält man für keinen übeln Fluch, und erklingt auch ganz passabel. Aber man halte ihn gegen Ernulphus: Gott Vater, der Allmächtige, verdamme dich. Gott der Sohn verdamme dich! Gott der heilige Geist verdamme dich! Das sieht Jeder, dagegen fällt er gewaltig ab.“
Dramaturgisch schön gemacht, Forster ist ein großartiger Schriftsteller.

(Wasserstaub, wütender Wind, Kisten und Kasten, das schroffe fürchterliche Tal [der Friedrichstraße], denenjenigen, unschädliches Tier, das fürchterliche Brausen, nebst, das entsetzliche Fluchen und Schwören, überschreien, die frechsten gotteslästerlichen Reden, derentwillen, jedes Glied des Leibes verfluchen, ...)

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