Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Der H., die Schule und der Buddhismus
Nicht dass Sie denken, die Erzählung von Jean Stubenzweig hätte etwas mit meiner Erinnerung hier zu tun hat, sie war nur der Anlass, dass mir der H. wieder ins Gedächtnis gerutscht ist.

Also der H. oder nein, beginnen wir an einer anderen Stelle.

Drogen, genauer nicht handelsübliche Drogen, waren nie so mein Ding. Selbst als Schüler war mir klar, dass das seine Grenzen haben muss. Diese notwendig einzuhaltenden Grenzen waren dem einen oder anderen Mitschüler leider egal. So experimentierten sie mit Bilsenkraut und Peyote und irgendeinem Stimulans für Rinder aus den USA, dessen Name ich vergessen habe. Mit anderen Worten, es gab eine gewisse Lässigkeit beim Drogenkonsum.
Der H. nun, experimentierte nicht, sondern nahm was er kriegen konnte: Mescalin, Heroin, Grass, Lysergsäure und was es sonst noch anregendes auf der Welt gibt. Nur Bier und Wein, das ließ er sein. Das ist ihm nicht bekommen.

Er roch in der großen Pause anstatt seine Stullen zu essen lieber an einer Rose, inhalierte ihren Duft tief in seine Lungen, um das Eingesogene dann stößchenweise wieder von sich zu geben. Wenn jemand an ihm vorbeiging, tat er kund:
„Das ist schön. Es macht mich glücklich.“ Wenn man dann am Brot kauend gegenkündete: „Joh, Rosen sind schon toll.“ erzählte er einem seine Erfahrungen mit dem Buddhismus. Entspannt seien sie, die Buddhisten, im Hier und Jetzt lebend und nicht so sehr aufs Geld aus wie hier die Leute. Sie strebten nach Einheit mit dem Kosmos und er habe sich jetzt ebenfalls auf den Weg gemacht diese Einheit zu erfahren. „Hmm!“ versuchten einige ihm zuzustimmen und sich mit ihrem Käsebrot auf eine andere Ecke des Schulhofes zu verdrücken. Der H. war ja eigentlich nett, aber eben auch anstrengend und besonders anstrengend war er, wenn er seine buddhistische Stunde hatte.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob er vor seinen Drogenexzessen anders war, mir ist nur in Erinnerung, dass wir ihn davon abhalten wollten alles in beliebiger Kombination auszuprobieren. Wir hatten zwar Carlos Castaneda gelesen, mochten aber den ganzen Thesen von der Bewusstseinserweiterung und den neuen Erfahrungen und Rhabarber und Kram nicht folgen. Nun ja, die Meisten wollten das nicht. H. ließ sich davon immer mehr in den Bann ziehen und da wir es ihm ausreden wollten, suchte er sich andere Freunde. In der Schule traf man sich natürlich noch, der Kontakt zu ihm brach jedoch nach und nach ab. Eines Tages stellten wir fest, dass er nur noch in seiner eigenen Welt lebte. Er hatte seinen Pfad des Wissens beschritten.

Die Lehrer an unserer Schule bekamen nach einigen Monaten auch mit, dass H. seltsam und verschlossen wirkte, aber da für sie viele ihrer Schüler seltsam und verschlossen wirkten, ignorierten sie ihn zunächst und als er immer auffälliger wurde, machten sie ihm Druck.
Er wurde öfter als andere im Unterricht dran genommen und fing sich selbstverständlich einen Vermerk im Klassenbuch ein. Bei Klassenarbeiten fehlte er meist, so dass sie über die Benotung keinen Druck auf ihn ausüben konnten. Noten waren ihm egal. Versetzung war ihm egal. Dass er in zwei Jahren dann von der Schule musste war ihm klar und es war ihm egal. So konnten sie ihm nichts anhaben. Er war bedürfnislos und frei. Das machte viele unserer Lehrer rasend.

Sie konnten ihn nur im Unterricht zwiebeln.
Ich erinnere mich an einen Morgen. H. kam ohne Tasche, denn auf die Wahrung des Anscheins hatte er seit einiger Zeit verzichtet. Er setzte sich an seinen Platz in der Mitte des Klassenraums und träumte in die Welt.
Der Unterricht begann. Ich glaube es war Englisch und wir sollten Konversation üben, wahrscheinlich irgend sowas wie „What did you do after Dinner?“ oder Holidays oder was weiß ich. Der Englischlehrer hatte es sich anscheinend vorher sehr schön ausgemalt und fing die Befragung in der Reihe, in der H. saß, an. Einer nach dem Anderen leierte genervt seinen Sermon herunter. Wir ahnten was kommen würde. Dann war H. an der Reihe:

„Now it’s your turn!“

H. reagierte nicht. Der Lehrer wiederholte seine Aufforderung. H. träumte im Klassenraum herum und hatte nichts mitbekommen. Der Lehrer brüllte los. H. schreckte zusammen und murmelte verstört:

„Was wollen Sie den von mir, ich will doch hier nur sitzen. Ich hab‘ doch nix schlimmes gemacht?“

Die Brüllerei ging weiter, der Direktor wurde geholt und H. für den Tag vom Unterricht suspendiert. Es war ihm egal. Er setzte sich einfach auf den Rasen vor der Schule und wartete bis der Unterricht zu Ende war. Dann ging er wie jeden Tag nach Hause.

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jean stubenzweig, Dienstag, 29. März 2011, 10:00
Zen oder die Kunst, das Leben der anderen auszusitzen.

monnemer, Dienstag, 29. März 2011, 10:29
Nina Hagen hat´s vertont.

vert, Dienstag, 29. März 2011, 12:56
!

g., Mittwoch, 30. März 2011, 07:11
Danke,
an Nina Hagen dachte ich nicht, obwohl ich sie zu der Zeit viel gehört habe.

g., Mittwoch, 30. März 2011, 08:19
Es ist ja fast so als hätte ich die Geschichte zu Nina Hagens Lied geschrieben oder sie das Lied zu der Geschichte. Wobei mein H. nicht Hermann hieß.

monnemer, Mittwoch, 30. März 2011, 10:59
Das ist wirklich verblüffend.
Der Name 'Carlos Castaneda' ist für mich untrennbar mit diesem Song verbunden. Ich habe ihn da zum ersten Mal gehört, durchstöberte die Bibliotheken und als ich endlich etwas von ihm gefunden hatte, musste ich feststellen, dass ich damit gar nichts anfangen kann.

Der Legende nach geht es ja um diesen Herman, mit dem es ja dann auch das prognostizierte tragische Ende nahm.
Die Textzeile eat your pie before you die hat mich schon an so mancher Kaffeetafel in mich reinschmunzeln lassen.
Die Studioversion von diesem Stück ist übrigens großartig. Also wenn man mal auf einem Flohmarkt über die LP 'Street' stolpert - kann ich nur empfehlen.