Über Räucherwürste und Polizeidienst
g. | Dienstag, 10. Januar 2012, 09:13 | Themenbereich: 'Begegnungen'
Ich habe ja schon das eine oder andere Mal einen Schwank aus meiner Freiburger Zeit, Mitte der 70er Jahre erzählt.
Als ich letztes Jahr mit meiner Liebsten im Kaiserstuhl zum Wandern, Wurstsalat essen und Wein trinken war, stand natürlich auch ein Abstecher nach Freiburg auf unsrem Programm. Nach einem kleinen Einkauf auf dem Markt am Münster schlenderten wir durch die Altstadt und ich linste in die eine oder andere Gaststätte, sofern sie mir bekannt vorkam. Nun ja, es hat sich sehr vieles verändert und selbst Lokale, die in den 70ern schon seit 300 Jahren Ortsansässig waren, existieren nicht mehr oder sind zu Touristenkaschemmen verkommen. An einer Dönerbude blieb ich stehen und sinnierte in mich hinein.
„Was ist?“ wollte meine Frau wissen.
„Hm? Ich glaube, hier neben dem Dönerladen war mal ein Photo-Porst?“
„Tja und nun nicht mehr oder hast du damals bei Photo-Porst deine erste große Liebe … ?“
„Nein, nein, aber neben Photo-Porst lag damals eine Kneipe, glaube ich.“
Sie sah mich an.
„Also“, sagte ich, „diese Kneipe damals, das war so eine ganz schöne Kneipe, holzgetäfelt und mit großen Tischen und netten Kellnerinnen, zwischen Photo-Porst und einem Durchgang, ich glaube zu einem kleinen Platz, in dem Durchgang war ein Kino, ein wunderschönes Kino, in das wir damals viel gingen und nach dem Film tranken und aßen wir dann noch eine Kleinigkeit in dieser Kneipe. Hm? Aber hier ist kein Durchgang? Dann kann das auch hier nicht gewesen sein.“
„Nein, hier ist kein Durchgang.“
Wir schlenderten weiter.
„Weißt du, diese Kneipe …“
Sie sah mich an.
„Also, eines Abends, als wir aus dem Kino kamen, welcher Film lief weiß ich natürlich nicht mehr. Auf jeden Fall habe ich in dem Kino mal „Jules und Jim“ gesehen, aber wahrscheinlich nicht an diesem Abend? Na egal, auf jeden Fall war – glaube ich – der R. dabei, von dem ich dir schon mal erzählt habe, der bei irgendeiner dieser K-Gruppen und dessen Revolutionslosung „Jägerschnitzel für alle!“ war, weil Jägerschnitzel für ihn das kulinarisch Anspruchsvollste der Welt darstellte. Na egal. Ich glaube, die – wie hieß sie gleich nochmals? – die damals mit diesem einen Kumpel meines Bruders zusammen war, na egal, deren Bruder war auf jeden Fall bei der Polizei von Baden Württemberg und erzählte von seinem Polizeiposten im Hochschwarzwald. Wahrscheinlich gibt es heute gar keine Polizeiposten auf dem Lande mehr?“
„Nein, wahrscheinlich nicht. Was wolltest du von dem Polizisten erzählen?“
„Ja also, ich fragte ihn in der Kneipe, nachdem wir alle unser Viertele und etwas zu essen bekommen hatten, was er denn so mache. Er erzählte dann begeistert, nachdem er mich zunächst kritisch gemustert hatte, von seinem Leben in dem kleinen Ort, von den Besoffenen, die er nach den Festen aus dem Auto holt und wie er den Frauen Bescheid gibt, damit sie ihre besoffenen Männer von der Wache abholen und nach Hause bringen, wie er Jugendliche zusammenstaucht, wenn sie über die Stränge schlagen und davon, dass einige Bauern einmal im Jahr auf der Wache vorbeikämen, um eine Flasche Selbstgebrannten und Schinken und Räucherwürste vorbei brächten. Man kennt sich halt, die Kinder gehen in die gleiche Schule, man ist zusammen bei der freiwilligen Feuerwehr und sofern es nicht um ernste Vergehen ginge, müsse man halt auch mal ein Auge zudrücken. So ein Polizeiposten auf dem Lande wäre ja etwas völlig anderes als in einer größeren Stadt. Er erzählte sich in immer größere Begeisterung und konnte gar nicht mehr aufhören von Räucherwürsten und Dorffesten zu schwärmen.“
„Er scheint ja ein netter Kerl gewesen zu sein?“
„Ja, unbedingt. Irgendwann fragte ich ihn dann, ob es ihm – vor allem im Winter, wenn alles zugeschneit und eine Fahrt nach Freiburg gefährlich und anstrengend würde - nicht manchmal die Decke auf den Kopf fallen würde?“
„Ist das denn schwierig im Winter aus den Bergen nach Freiburg zu kommen?“ wollte meine Liebste wissen.
„Damals schon, damals wurde auf den Nebenstrecken im Schwarzwald nicht gestreut. Eine Fahrt nach Freiburg war im tiefen Winter ein Abenteuer. Heute wird wahrscheinlich für die Wintersportler alles mit Streusalz oder Fahrbahnheizung oder was weiß ich eis- und schneefrei gehalten.“
„Ah ja, aber erzähl weiter.“
„Na ja, auf die Frage, ob es da oben nicht manchmal auch einsam würde, schwieg er eine Weile, trank dann einen großen Schluck Wein und sah mich direkt an: „Weißt du, bevor ich mit meiner Frau – inzwischen haben wir zwei kleine Kinder – in den Schwarzwald gezogen bin, war ich bei der Bereitschaftpolizei. Eines Abends haben sie uns in Mannschaftswagen gesetzt und wir sind mehrere Stunden in Kolonne ins Badische gefahren worden. Wir saßen die ganze Nacht in voller Einsatzausrüstung im Wagen, morgens nur einen Kaffee, kein Frühstück und dann ab auf eine Demonstration. Übernächtigt und hungrig sollst du dann eine Demonstration begleiten und wenn es Ärger gibt, kommt die Anweisung die Demonstranten in Seitenstraßen abzudrängen.“ Er sinnierte einen Moment in sich hinein. „Weißt du, G., da gab es eine Situation, da stand ich plötzlich neben mir und habe gesehen, wie ich mit aller Kraft auf mir völlig unbekannte Leute eingedroschen habe, immer und immer wieder. Da habe ich mich gefragt: was machst du eigentlich hier?“ Er sinnierte wieder in sich hinein. „Na ja, zuhause habe ich das meiner Frau erzählt und sie meinte dann, wenn ich nicht in zehn Jahren mit Magengeschwüren oder einem Alkoholproblem landen wolle, müssten wir uns etwas überlegen. Zwei Monate später habe ich mich auf die freie Stelle oben bei Titisee-Neustadt beworben.“ Wir tranken einen Schluck. „Seit dem habe ich keine Magenprobleme mehr, die Kinder sind glücklich und meine Frau und ich verstehen uns prächtig.“ Er trank einen Schluck. „Es war die beste Entscheidung meines Lebens.“
Als ich letztes Jahr mit meiner Liebsten im Kaiserstuhl zum Wandern, Wurstsalat essen und Wein trinken war, stand natürlich auch ein Abstecher nach Freiburg auf unsrem Programm. Nach einem kleinen Einkauf auf dem Markt am Münster schlenderten wir durch die Altstadt und ich linste in die eine oder andere Gaststätte, sofern sie mir bekannt vorkam. Nun ja, es hat sich sehr vieles verändert und selbst Lokale, die in den 70ern schon seit 300 Jahren Ortsansässig waren, existieren nicht mehr oder sind zu Touristenkaschemmen verkommen. An einer Dönerbude blieb ich stehen und sinnierte in mich hinein.
„Was ist?“ wollte meine Frau wissen.
„Hm? Ich glaube, hier neben dem Dönerladen war mal ein Photo-Porst?“
„Tja und nun nicht mehr oder hast du damals bei Photo-Porst deine erste große Liebe … ?“
„Nein, nein, aber neben Photo-Porst lag damals eine Kneipe, glaube ich.“
Sie sah mich an.
„Also“, sagte ich, „diese Kneipe damals, das war so eine ganz schöne Kneipe, holzgetäfelt und mit großen Tischen und netten Kellnerinnen, zwischen Photo-Porst und einem Durchgang, ich glaube zu einem kleinen Platz, in dem Durchgang war ein Kino, ein wunderschönes Kino, in das wir damals viel gingen und nach dem Film tranken und aßen wir dann noch eine Kleinigkeit in dieser Kneipe. Hm? Aber hier ist kein Durchgang? Dann kann das auch hier nicht gewesen sein.“
„Nein, hier ist kein Durchgang.“
Wir schlenderten weiter.
„Weißt du, diese Kneipe …“
Sie sah mich an.
„Also, eines Abends, als wir aus dem Kino kamen, welcher Film lief weiß ich natürlich nicht mehr. Auf jeden Fall habe ich in dem Kino mal „Jules und Jim“ gesehen, aber wahrscheinlich nicht an diesem Abend? Na egal, auf jeden Fall war – glaube ich – der R. dabei, von dem ich dir schon mal erzählt habe, der bei irgendeiner dieser K-Gruppen und dessen Revolutionslosung „Jägerschnitzel für alle!“ war, weil Jägerschnitzel für ihn das kulinarisch Anspruchsvollste der Welt darstellte. Na egal. Ich glaube, die – wie hieß sie gleich nochmals? – die damals mit diesem einen Kumpel meines Bruders zusammen war, na egal, deren Bruder war auf jeden Fall bei der Polizei von Baden Württemberg und erzählte von seinem Polizeiposten im Hochschwarzwald. Wahrscheinlich gibt es heute gar keine Polizeiposten auf dem Lande mehr?“
„Nein, wahrscheinlich nicht. Was wolltest du von dem Polizisten erzählen?“
„Ja also, ich fragte ihn in der Kneipe, nachdem wir alle unser Viertele und etwas zu essen bekommen hatten, was er denn so mache. Er erzählte dann begeistert, nachdem er mich zunächst kritisch gemustert hatte, von seinem Leben in dem kleinen Ort, von den Besoffenen, die er nach den Festen aus dem Auto holt und wie er den Frauen Bescheid gibt, damit sie ihre besoffenen Männer von der Wache abholen und nach Hause bringen, wie er Jugendliche zusammenstaucht, wenn sie über die Stränge schlagen und davon, dass einige Bauern einmal im Jahr auf der Wache vorbeikämen, um eine Flasche Selbstgebrannten und Schinken und Räucherwürste vorbei brächten. Man kennt sich halt, die Kinder gehen in die gleiche Schule, man ist zusammen bei der freiwilligen Feuerwehr und sofern es nicht um ernste Vergehen ginge, müsse man halt auch mal ein Auge zudrücken. So ein Polizeiposten auf dem Lande wäre ja etwas völlig anderes als in einer größeren Stadt. Er erzählte sich in immer größere Begeisterung und konnte gar nicht mehr aufhören von Räucherwürsten und Dorffesten zu schwärmen.“
„Er scheint ja ein netter Kerl gewesen zu sein?“
„Ja, unbedingt. Irgendwann fragte ich ihn dann, ob es ihm – vor allem im Winter, wenn alles zugeschneit und eine Fahrt nach Freiburg gefährlich und anstrengend würde - nicht manchmal die Decke auf den Kopf fallen würde?“
„Ist das denn schwierig im Winter aus den Bergen nach Freiburg zu kommen?“ wollte meine Liebste wissen.
„Damals schon, damals wurde auf den Nebenstrecken im Schwarzwald nicht gestreut. Eine Fahrt nach Freiburg war im tiefen Winter ein Abenteuer. Heute wird wahrscheinlich für die Wintersportler alles mit Streusalz oder Fahrbahnheizung oder was weiß ich eis- und schneefrei gehalten.“
„Ah ja, aber erzähl weiter.“
„Na ja, auf die Frage, ob es da oben nicht manchmal auch einsam würde, schwieg er eine Weile, trank dann einen großen Schluck Wein und sah mich direkt an: „Weißt du, bevor ich mit meiner Frau – inzwischen haben wir zwei kleine Kinder – in den Schwarzwald gezogen bin, war ich bei der Bereitschaftpolizei. Eines Abends haben sie uns in Mannschaftswagen gesetzt und wir sind mehrere Stunden in Kolonne ins Badische gefahren worden. Wir saßen die ganze Nacht in voller Einsatzausrüstung im Wagen, morgens nur einen Kaffee, kein Frühstück und dann ab auf eine Demonstration. Übernächtigt und hungrig sollst du dann eine Demonstration begleiten und wenn es Ärger gibt, kommt die Anweisung die Demonstranten in Seitenstraßen abzudrängen.“ Er sinnierte einen Moment in sich hinein. „Weißt du, G., da gab es eine Situation, da stand ich plötzlich neben mir und habe gesehen, wie ich mit aller Kraft auf mir völlig unbekannte Leute eingedroschen habe, immer und immer wieder. Da habe ich mich gefragt: was machst du eigentlich hier?“ Er sinnierte wieder in sich hinein. „Na ja, zuhause habe ich das meiner Frau erzählt und sie meinte dann, wenn ich nicht in zehn Jahren mit Magengeschwüren oder einem Alkoholproblem landen wolle, müssten wir uns etwas überlegen. Zwei Monate später habe ich mich auf die freie Stelle oben bei Titisee-Neustadt beworben.“ Wir tranken einen Schluck. „Seit dem habe ich keine Magenprobleme mehr, die Kinder sind glücklich und meine Frau und ich verstehen uns prächtig.“ Er trank einen Schluck. „Es war die beste Entscheidung meines Lebens.“
terra40,
Dienstag, 10. Januar 2012, 13:02
Erzählung
Schön, lieber Herr Bote G., wie Sie uns allen dies erzählen. Sie sitzen mir gegenüber und ich höre gleichsam Ihre Stimme. Wie es sich gehört bei einer guten Erzählung.
Gruß, T.
Gruß, T.
damals,
Dienstag, 10. Januar 2012, 22:06
Eine weise Entscheidung. Wenn's nur alle so machen würden!
dosron,
Mittwoch, 11. Januar 2012, 10:40
Vielen, vielen Dank für diese schöne Erzählung.
jean stubenzweig,
Mittwoch, 11. Januar 2012, 11:31
Da es in Schleswig-Holstein keine Demonstrationen gab und wohl auch keine geben wird (wie in München, wo man allenfalls für längere Öffnungszeiten der Biergärten auf die Straße geht), also Polizisten nicht in solche Gewissenskonflikte kommen und folglich auch keine Magengeschwüre anstehen, bleiben sie im Amt und dürfen auch weiterhin Augen zudrücken bei Schützenfesten oder zumindest die Kollegen vom weiter entfernten Revier darum bitten, für ländliche Staatsordnung zu sorgen.
g.,
Freitag, 13. Januar 2012, 05:09
Es freut mich sehr, dass ihnen meine kleine Jugenderinnerung gefallen hat. Herzlichen Dank für ihr Lob.