Georg Forster: Reise um die Welt 27
(Reise von Dusky-Bay nach Charlottensund – Wiedervereinigung mit der Adventure – Verrichtungen daselbst)
(Reise von Dusky-Bay nach Charlottensund – Wiedervereinigung mit der Adventure – Verrichtungen daselbst)
g. | Dienstag, 30. Juni 2009, 06:35 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
“Nachmittags um vier Uhr, als wir uns ohngefähr neben dem Cap STEPHANS befanden, war wenig oder gar kein Wind zu spüren. Um diese Zeit sahen wir in Süd-Westen dicke Wolken und an der Süd-Seite des Caps regnete es. Es währte nicht lange, so erblickte man dort plötzlich einen weislichten Fleck auf der See von welchem eine Wasser-Säule empor stieg, die wie eine gläserne Röhre anzusehen war. Eine andre dergleichen Dunst-Säule senkte sich aus den Wolken herab und schien mit jener sich vereinigen zu wollen. Dies erfolgte auch wirklich, und so entstand das Meteor*, welches WASSERHOSE, TROMBE, oder WATERSPOUT** genannt wird. Kurz nachher sahen wir noch drey andre dergleichen Säulen, die eben wie die erste entstanden. Die nächste war ohngefähr drey englische Meilen von uns, und mochte unten am Fus, im Durchschnitt ohngefähr 70 Klafter*** dick seyn. Das Thermometer stand auf 56½° als dies Phänomen sich zu formiren anfieng. Da die Natur und Ursach desselben bis jetzt noch so wenig bekannt ist, so waren wir auf alle, sogar auf die geringsten Umstände aufmerksam, die sich dabey ereigneten. Die Basis der Säulen, woselbst sich das Wasser heftig bewegte und in gewundener Richtung (nach einer Spiral-Linie) gleich einem Dunst empor stieg, nahm einen großen Fleck in der See ein, der, wenn die Sonne darauf schien, schön und gelblich in die Augen fiel. Die Säulen selbst hatten eine zylindrische Form, doch waren sie nach oben hin dicker als am untern Ende. Sie rückten ziemlich schnell auf der Oberfläche der See fort; da ihnen aber die Wolken nicht mit gleicher Geschwindigkeit folgten, so bekamen sie eine gebogene und schiefe Richtung. Oft giengen sie nebeneinander vorbey, die eine hier die andre dorthin; da es nun windstill war, so schlossen wir aus dieser verschiedenen Bewegung der Wasserhosen, daß jeder derselben einen eignen Wind hervorbringen oder davon fortgetrieben werden müsse. Endlich brachen sie eine nach der andern, vermuthlich, weil der Obertheil sich gemeiniglich ungleich langsamer bewegte als der Untertheil und die Säule solchergestalt allzukrumm und zu weit in die Länge gezogen ward. In eben dem Verhältniß als uns die schwarzen Wolken näher kamen, entstanden kurze krause Wellen auf der See und der Wind lief um den ganzen Compaß herum, ohne sich in einem Striche festzusetzen. Gleich nachher sahen wir, daß die See ohngefähr zweyhundert Klaftern weit von uns, an einer Stelle in heftige Bewegung gerieth. Das Wasser kräuselte sich daselbst, aus einem Umfang von funfzig bis sechzig Faden, gegen den Mittelpunct hin zusammen, und zerstäubte alsdenn in Dunst, der durch die Gewalt der wirbelnden Bewegung, in Form einer gewundnen Säule gegen die Wolken empor getrieben wurde. Um diese Zeit fiel etwas Hagel aufs Schiff und die Wolken über uns hatten ein schrecklich schwarzes und schweres Ansehen. Gerade über jenem Wasserwirbel senkte sich eine Wolke langsam herab, und nahm nach und nach die Gestalt einer langen, dünnen Röhre an. Diese schien sich mit dem Dunst-Wirbel vereinigen zu wollen, der unterdessen hoch aus dem Wasser aufgestiegen war; es währete auch nicht lange, so hiengen sie würklich zusammen und machten eine gerade aufstehende, cylindrische Säule aus. Man konnte deutlich sehen, wie das Wasser innerhalb des Wirbels mit Gewalt aufwärts gerissen ward; und es schien als ließe es in der Mitte einen hohlen Zwischenraum. Es dünkte uns auch wahrscheinlich, daß das Wasser keine dichte, sondern nur eine hohle Säule ausmache; und in dieser Vermuthung wurden wir durch die Farbe bestärkt, die einer durchsichtigen gläsernen Röhre völlig ähnlich war. Kurz nachher beugte sich und brach auch diese letzte Wasserhose wie die andern, nur mit dem Unterschied, daß sich, als sie von einander riß, ein Blitzstrahl sehen ließ, auf den jedoch kein Donnerschlag folgte. Diese ganze Zeit über befanden wir uns in einer höchstgefährlichen und beunruhigenden Lage. Die schreckenvolle Majestät eines Meteors, welches See und Wolken vereinigte, machte unsre ältesten Seeleute verlegen. Sie wußten kaum was sie thun oder lassen sollten; denn ob gleich die mehresten solche Wassersäulen schon ehemals von ferne gesehen hatte, so waren sie doch nie so umsetzt damit gewesen als diesmal, und ein jeder wußte fürchterliche Geschichten zu erzählen, was für schreckliche Verwüstungen sie anrichteten, wenn sie über ein Schiff weggingen oder sich gegen dasselbe brächen. Wir machten uns auch würklich aufs Schlimmste gefaßt und nahmen unsre Stengen-Segel ein. Doch war jedermann der Meynung, daß uns dies wenig schützen und daß Masten und Seegelstangen drauf gehen würden, wenn wir in den Wind gerathen sollten. Man wollte wissen, daß Canonen-Feuern, vermittelst der starken Bebung in der Luft dergleichen Wassersäulen gemeiniglich zertheilt habe. Es ward deswegen auch Befehl gegeben, daß ein Vierpfünder in Bereitschaft gehalten werden sollte; da aber die Leute, wie gewöhnlich, lange damit zubrachten, so war die Gefahr über, ehe der Versuch angestellt werden konnte. In wie fern die Electricität als eine Ursach dieses Phänomens angesehen werden darf, konnten wir nicht eigentlich bestimmen; daß sie aber überhaupt einigen Antheil daran haben müsse, läßt sich wohl aus dem Blitz abnehmen, der beym Zerplatzen der letzten Wasser-Säule deutlich zu sehen war. Von Entstehung der ersten bis zum Aufhören der letzten vergingen drey Viertelstunden. Als um 5 Uhr die letzte erschien, stand das Thermometer auf 54., mithin 2½ Grad niedriger als beym Anfang der ersten. Die See war an der Stelle, wo WIR uns damals befanden, sechs und dreyßig Faden tief, und die Gegend von eben der Beschaffenheit als jene, in welchen andre Reisende solche Wasserhosen sonst angetroffen haben; es war nemlich eine Art von Meer-Enge oder eine sogenannte See-Straße. Dr. SHAW und THEVENOT, sahen dergleichen in der mittelländischen und persischen See; auch bey den westindischen Inseln, in der Straße von Malacca und in der chinesischen See sind sie gewöhnlich. Wir hätten gewünscht, bey dieser Gelegenheit einige besondere Entdeckungen über dies Phänomen zu machen; allein so glücklich waren wir nicht. Unsre Bemerkungen bestätigen nur was andre bereits beobachtet haben, und worüber sich Dr. BENJAMIN FRANKLIN**** schon umständlich herausgelassen hat. Seine sinnreiche Hypothese, daß Wirbelwinde und Wasserhosen einerley Ursprung haben, ist durch unsre Bemerkungen im mindesten nicht geschwächt; und wir verweisen unsre philosophischen Leser auf seine Schriften, in welchen die vollständigste und beste Nachricht von diesem Phänomen zu finden ist.“* (griech. metéoros (μετέωρος) = „schwebend, in der Luft“)
(Forster S. 189 - 192)
** Wasserhose
*** Der preussische Klafter misst etwa 1,88 m, demnach hätte die Wasserhose einen Umfang von 132 m.
**** Benjamin Franklin, nordamerikanischer Verleger, Staatsmann, Schriftsteller, Naturwissenschaftler, Erfinder und Naturphilosoph.