Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Georg Forster: Reise um die Welt 24
(Aufenthalt in Dusky-Bay – Beschreibung derselben – Nachricht von unsern Verrichtungen)
“Da DUSKY-BAY so wenig bewohnt ist, so führen die einzelnen Familien in derselben wahrscheinlicherweise ein unstätes herumwanderndes Leben und ziehen, vielleicht der Fischerey, vielleicht anderer Umstände wegen, in verschiednen Jahrszeiten aus einer Gegend nach der andern. Wir vermutheten daher auch, daß unsre Freunde bloß aus DIESEM Grunde weggezogen wären; allein es hieß: der Wilde habe vor seinem Abzuge durch Zeichen zu verstehen gegeben, er wolle aufs Todtschlagen ausgehen und dazu die Beile gebrauchen. Hat man ihn recht verstanden, so war damit unsre angenehme Hoffnung, den Ackerbau und andre nützliche Arbeiten, durch Austheilung von brauchbaren Werkzeugen gewissermaßen zu befördern und zu erleichtern, auf einmahl vernichtet. Gleichwohl wäre es sehr seltsam, ja beynahe unbegreiflich, daß eine einzelne Familie, die von der ganzen Welt getrennt, in einer geräumigen Bay wohnte, in welcher es ihr, theils ihrer geringen Anzahl, theils wegen ihrer wenigen Bedürfnisse, weder an Lebensmitteln noch an den übrigen Nothwendigkeiten jemals fehlen, und die folglich in ihrer Einsamkeit friedlich und glücklich leben konnte, - daß die dennoch auf Krieg mit ihren Nebenmenschen, auf Mord und Todtschlag bedacht seyn sollte. Indessen ist vielleicht die tiefe Barbarey, in welcher sich die Neu-Seeländer befinden, und die immer nur das Gesetz des Stärkern erkennt, schuld daran, daß sie mehr als jedes andre Volk der Erden geneigt sind, ihren Mitmenschen bey der ersten Gelegenheit umzubringen, so bald Rachsucht oder Beleidigung sie dazu auffordert, und ihr angebohrner wilder Muth macht, daß sie es an der würklichen Ausführung eines so grausamen Vorhabens wohl selten fehlen lassen. Ich darf hier nicht vergessen, ein ganz besonders Merkmahl von der Herzhaftigkeit des alten Mannes anzuführen, der jetzt von uns weggezogen war. Unsre Officiers hatten in seiner Gegenwart zu wiederholtenmalen Schießgewehre abgefeuert. Eines Tages verlangte er es selbst zu versuchen und man gab ihm ein Gewehr. Das Mädchen, welche wir für seine Tochter hielten, bath in fusfällig, mit den deutlichsten Zeichen von Furcht und Vorsorge, es nicht zu tuhn. Aber, er war von seinem Vorhaben nicht abzubringen, sondern feuerte das Gewehr drey oder viermal hintereinander los. Diese kriegerische Neigung und das jähzornige Temperament des ganzen Volks, das nicht die mindeste Beleidigung ertragen kann, scheint diese einzelne Familie und die wenigen übrigen, die wir an den Ufern jenes langen See-Arms antrafen, zur Trennung von ihren Landsleuten gezwungen zu haben. Wenn wilde Völker einander bekriegen, so ruhet die eine Parthey gemeiniglich nicht eher, als bis die andre gänzlich vertilgt ist, es sey denn, daß diese sich noch zu rechter Zeit mit der Flucht rettet. Auch dies kann der Fall bey den Einwohnern in DUSKY-BAY seyn, und wenn er es würklich ist, so hat ihr Abmarsch und ihr Entschluß offenbar nichts anders als Rache an ihren Feinden und Unterdrückern zum Gegenstande.“
(Forster S. 175-7)

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g., Freitag, 19. Juni 2009, 08:11
Übrigens, lieber Jean Stubenzweig, wie gefällt ihnen Forsters Definition von Barbarei?

p.s.: der Eintrag zu den Heiden und Barbaren ist in Arbeit. Es dauert nur noch eine Weile. Ich habe mich natürlich wieder in allerlei angrenzende Themen hineinziehen lassen.

jean stubenzweig, Freitag, 19. Juni 2009, 11:14
Sollten Sie sich auf den hier vorliegenden Abschnitt beziehen, kann ich keine Abweichungen von der Norm entdecken. (Ich hatte Ihnen ja mitgeteilt, mich von Reisebeschreibugen nicht sonderlich angeregt zu fühlen, schon gar nicht zum lesen; ich kann also nichts Ernsthaftes beitragen) Bezieht Forster sich auf eine einheimische Maori-Familie oder auf eine der später eingewanderten europäischen? Ich vermute letztere, da von denen das «Gesetz des Stärkern» zumindest kultiviert wurde. Nein, das wäre sicherlich ungerecht, gleichwohl die Neuseeländer europäischer Abstammung auf dem Münchner Oktoberfest lange Zeit die wildesten Schlachtgesänge von sich gaben. Im Land selbst haben sie sich allerdings in den Siebzigern, als ich mal dort war drei Wochen lang, recht friedvoll gezeigt. Und der Schwiegersohn, der sich kürzlich ein halbes Jahr dort aufhielt, hat das bestätigt. Aber der hat auch kaum mehr was anderes gesehen als degenerierte Uni-Menschen. Wilde Alteinwohner, die auch mir damals keine Diskussion über Ökologie und Ästhetik aufzwingen wollten, haben seine Wander- und Ausflugwege kaum gekreuzt.

Als außerordentlich bemerkenswert empfinde ich allerdings diesen Satz: «Diese kriegerische Neigung und das jähzornige Temperament des ganzen Volks, das nicht die mindeste Beleidigung ertragen kann ...» Verhält sich das tatsächlich nur bei sogenannten wilden Völkern so? Zu Forsters Zeit haben sie im heimatlichen Europa doch aus sehr viel niedrigeren Beweggründen aufeinander eingedroschen bzw. einander abgeschlachtet.

Meinungslos bleibe ich zurück. Aber das muß ja wohl so sein, da ich, wie erwähnt, Herrn Forster nicht begleitet habe auf seiner Reise. Aber bei den Heiden und den Barbaren wandere ich wieder mit.

g., Samstag, 20. Juni 2009, 07:04
Oh, verzeihen sie. Ich wollte ihnen keineswegs eine Diskussion aufzwingen.
Ich dachte nur, dass die Vorstellungen eines Gelehrten und Schriftstellers des 18. Jahrhundert über die Maori als Barbaren („ihr angebohrner wilder Muth“) ihr Interesse finden würde.
Und nehmen sie meine launigen Bemerkungen, sei es zur Ökologie oder Ästhetik, über Forster nicht allzu ernst. Meist sind es nur Gedächtnisstützen für mich, Anlass Informationen zu sammeln.
Ihre Anmerkung zu den Schlachtgesängen moderner Neuseeländer hat mich zum Lachen gebracht. Das Oktoberfest als Barbarenfestival ist ein zauberhafter Gedanke.