Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 23. April 2013
„Frauen und Gedöhns“ II
Warum war ich überhaupt da?
Tja, wo soll ich anfangen? Als ich vor Stücker 30 Jahren studiert habe, war das poststrukturalistische Gewese ein Randphänomen. Inzwischen ist es das nicht mehr, stattdessen ist in so ziemlich allen linken oder emanzipatorischen oder wie immer man das nennen will, Gruppen, Parteien oder sonstigen Zusammenschlüssen des akademischen Milieus Sprachakrobatik bzw. die vehemente Beschränkung auf den symbolischen Raum anscheinend dominant. Politisch ist es fatal, den Diskurs über das natürliche Geschlecht der Rechten zu überlassen ( Siehe etwa ), während Millionen an Forschungsgeldern in Gen- und Hirnforschung gesteckt werden. Diese Doppelung von interessengeleiteter Forschungs- und Wirtschaftspolitik und irrelevantem oder schlicht unsinnigem Gegen-Diskurs kann zu einem beängstigenden Konglomerat von Körper- und Nachwuchsoptimierung auf der einen Seite und moralinsaurer Verhaltensdomestizierung auf der anderen Seite führen. Die Suchtdebatten sind da erst der Anfang.
Nun, was immer die Zukunft bringen mag, eine Veranstaltungsreihe über die Zukunft von Gender klang vielversprechend
Und da ich beruflich gut ausgelastet bin, habe ich mich nur auf einen Vortrag eingelassen, obwohl auch einige andere Vorlesungen interessant klangen, Zur Verwechslung von Subjekt und Identität in der Geschlechterforschung beispielsweise.

Erste Eindrücke
Da ich durch die halbe Stadt fahren musste, um zur FU zu gelangen, bin ich zeitig losgefahren. Man will ja nicht reinplatzen. Wie immer, wenn ich pünktlich sein will, war ich viel zu früh da. Na egal. Ich habe dann noch eine kleine Besichtigungsrunde durch die Rostlaube gedreht und in Erinnerungen geschwelgt. Hier war der Fachschaftsraum Germanistik, da hängen immer noch die Feuerlöscher, die während einer Studentenparty heruntergerissen wurden und das Pförtnerhäuschen daneben ist auch noch da. Inzwischen unbesetzt und so wird niemand mehr in die Verlegenheit kommen, dem Pförtner erklären zu müssen, warum den die Schwachköpfe die Feuerlöscher herunter getreten haben. Mit anderen Worten: es hat sich doch etwas verändert.
Na und als es so langsam Zeit wurde, habe ich mir einen Platz gesucht, von dem ich alles überblicken konnte und gute Sicht auf die Vortragende hatte. Ich war trotzdem der erste Teilnehmer. Stimmt, das hatte ich vergessen, das akademische Viertel bedeutet ja nicht, dass die Vorlesung eine viertel Stunde später anfängt, sondern dass sie eine viertel Stunde nach der Viertelstunde …
Auf diese Weise konnte ich immerhin unauffällig jede Teilnehmerin und sogar den anderen Teilnehmer (ein Soziologenfussel, nehme ich an) an der Ringvorlesung in Augenschein nehmen.
Zehn Minuten nach c. t. kam die Veranstalterin und die Dozentin in den Saal und dann trudelten noch einige Minuten lang einige Zuhörerinnen ein. Ein Blick in die Runde: alles voller braver Mädchen und älterer Frauen so zwischen 50 und 70. Was hatte ich erwartet? Gar nichts, denn ich hatte vorher nicht darüber nachgedacht und somit überhaupt keine Erwartungen.

Nach einer kurzen Einführung in die Vorlesungsreihe, erhielt die Dozentin das Wort.

Der Vortrag: Das lästige Geschlecht. Begriffliche und sozialtheoretische Überlegungen
Sie setzte ein mit einer Charakterisierung der Debatten der letzten Jahre:
1. Die Queer-Diskussion hätte zu einer Vervielfältigung der Geschlechter geführt
2. Auch ‚sex‘, also das biologische Geschlecht werde – so die These dieser Schule, die sie als sozialen Konstruktivismus bezeichnete – nicht einfach vorgefunden, sondern sei gesellschaftlich konstruiert
3. Und: erst die Diskurse konstituieren ‚Geschlecht‘ in der an sich chaotischen Natur
4. Diese Diskurse gelte es zu ‚dekonstruieren‘, weil jeder Dualismus schon Herrschaft konstituiere.
5. Judith Butler spreche daher von der Zwangsordnung von sex, gender und desire, man müsse aber aus dem Gefängnis der Zweigeschlechtlichkeit entkommen.
Hilge Landwehr führte zunächst die Argumente, wie ich sie oben bereits dargestellt habe etwas aus, um dann noch mit einigen weiteren Argumenten zu ergänzen:
‚Doing gender‘, ein Schlagwort von Butler aufgreifend, habe seine Stärken in der Interaktionsanalyse, insofern überhaupt Empirie betrieben würde. Es nehme aber die Geschichte der Geschlechtervorstellungen nicht in den Blick und sei somit ahistorisch.
Ich blickte mich im Saal um, die Reaktionen auf solche Aussagen wollte ich sehen: ein Dauerlächeln bei zweidrittel der Teilnehmerinnen, der Soziologenfussel schien eingeschlafen zu sein. Das Dauerlächeln blieb während des gesamten Vortrages konstant, egal ob Thesen vorgetragen, Argumente ausgeführt oder lediglich Sachverhalten benannt wurden. Faszinierend, nur was lehrt uns das? Keine Ahnung.
Sie stellte dann ihr Forschungsprojekt, dass sie mit Kollegen und Kolleginnen der FU durchführe, in den Grundzügen vor. Ihr ginge es darum, die tatsächliche Relevanz von Geschlecht in unterschiedlichen Handlungen und Handlungsfeldern zu untersuchen. Als zu untersuchendes Feld sei die Universität mit den Professoren und Professorinnen sowie die Studentinnen und Studenten auf der anderen Seite, vorgesehen. Geplant sei, bei einer Reihe von häufig wiederkommenden Handlungen: Prüfungen, Seminare, Besprechung von Seminararbeiten, usw. Aufnahmen zu fertigen und im Nachgang dazu Interviews mit den Beteiligten zu führen. Das so gewonnene Material solle dann zunächst in einem doppelten Auswertungslauf gesichtet werden, um das ‚Professorale‘ vom ‚Geschlechtlichen‘ trennen zu können und in einem weiteren Schritt mit historischen Dokumenten kontrastiert werden. (Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich alles aus dem Vortrag korrekt mitgeschnitten habe, aber nun gut.) Ausgangspunkt der Untersuchung sei Bourdieus Habituskonzept, das es erlaube die historischen Ursachen von Verhalten, Denken und Fühlen zu beschreiben.
Soweit der Vortrag.

Nun ja, dachte ich bei mir, Bourdieu ist zwar nicht neu, aber von beeindruckender begrifflicher und intellektueller Präzision. Das Konzept als theoretischen Ausgangspunkt zu nehmen, ist wohl immer noch state of the art. Etwas Weitergehendes wird wohl nicht so schnell entwickelt werden. Und das Forschungsprojekt? Je nun, spannender wäre eher ein Feld außerhalb der Universität, der Nachteil natürlich, dass man es mit soziokulturellen Mustern zu tun hätte, die für Hochschullehrer weitgehend fremd sind.

In der Diskussion merkte sie dann noch an, dass sie auch an der Hoffnung des „sich selbst neu Erfindens“ wenig Sinnhaftes entdecken könne. Sie versuche allerdings das erkennbare Anliegen in empirisch untersuchbare Fragestellungen umzuformulieren, so dass die Grenzen der Performanz sichtbar würden.
Und sonst? Einige Verständnisfragen und – anscheinend unvermeidbar – die Frage, warum denn ausgerechnet Bourdieu (sachlich hatte sie ja schon in ihrem Vortrag geantwortet) als theoretische Grundlage Verwendung finden solle. Für einen Moment entglitten ihr die Gesichtszüge (die Zielrichtung der Frage war unübersehbar: Warum die Theorie eines Mannes?), sie begann dann aber keine Grundsatzdebatte, sondern antwortete:

„Weil die Theorie fertig ausgearbeitet ist, dann muss ich es nicht selber machen.“

Nun, dann kann man den Wissenschaftlerinnen nur viel Glück wünschen, dass die Bemühungen Gehör finden. Viel Hoffnung habe ich allerdings nicht.

Wer über ‚sex‘ nicht reden will soll über ‚gender‘ schweigen.

Den 1. Teil gibt es hier.

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